18. Zusammenhänge
Ich war schneller als Yongnam.
Bereits bevor er es geschafft hatte laut zu fluchen und von Yongguk abzulassen, war ich durch die Tür geschlüpft und hatte mit zwei schnellen Schritten die erste Tür erreicht, die, hinter der sich eindeutig ein Lebewesen aufhielt, das mir verborgen bleiben sollte.
Ich hatte immerhin schon meine Vermutungen gehabt, weswegen es mich nicht überraschte die junge Frau, nach der ich gesucht hatte, hinter dieser Tür zu finden.
Was mich allerdings vollkommen schockte, war ihr Zustand.
Wie ich nun schon lange gewusst hatte, jahrelang im Training eingebläut bekommen hatte und auch tadellos bis vor kurzem geglaubt hatte, waren Dämonen immer durchaus schlecht und bösartig. In ihrem Zorn töteten sie Engel, oder schlimmer - rissen sie mit sich in die Hölle hinab, um auf ewig dort in Qualen zu leben zu müssen.
Ich hatte bereits vermutet, dass die Zwillinge hierbei unter einer Decke stecken könnten, dass sie mir eine mitleidserregende Geschichte auftischen würden und mich so lange an der Nase herum führten, bis ich ihnen verfiel.
Es ergab Sinn, dass sie auch Yongnams Engel auf diese Art ausgetrickst hatten.
Und dennoch hatte mich nichts auf das vorbereitet, was ich fand.
Sie war kaum noch als Engel erkennbar, ihr einst prächtiges und strahlendes Geweih zertrümmert und bis kurz vor ihrem Haupt abgesägt. Ihr Rücken war eine einzige klaffende Wunde, von wo sie mit der nackten Rückseite zu mir in ähnlichen Ketten hing wie Yongguk es soeben im Raum anbei tat, ihr langes, blondes Haar verdreckt und blutig.
Er hatte ihr die Flügel genommen.
Ich schaffte es rechtzeitig mich zur Seite zu wenden, als mein Frühstück wieder in mir empor kroch und erbrach mich geräuschvoll zur Seite hin, hörte sie in Antwort mitleidserregend wimmern.
Ich hatte Angst ihr Gesicht zu sehen. Ihre Stimme klang eigenartig verzerrt, wie als sei ihr Hals oder Mund nicht mehr dazu gemacht Laute von sich zu geben, aber dazu würde ich ohnehin nicht kommen, denn meine Knie gaben bereits unter mir nach, als ich voller Horror auf das Bild vor mir starrte.
Wenn Engel fielen, wenn sie wirklich tatsächlich fielen, wurde ihr Gefieder schwarz und ihre Hörner zerstört, um ihre Anbindung zum Himmel zu brechen. Dämonen wurden mit ihrem eigenen Geweih zur Hölle hin geboren und mit schwarzen Lederschwingen, erhielten allerdings das volle Aussehen eines Engels, wenn sie zum Himmel empor stiegen.
Niemand. Absolut niemand verlor jemals seine Flügel. Es unterbat einem den Weg zum Himmel und zur Hölle, band denjenigen wie einen Menschen auf die Erde, nur dass es sich um ein übersinnliches Geschöpf handelte, das nicht dorthin gehörte.
Ich wusste nicht, wie sie es so lange überlebt hatte ohne ihre Flügel hier zu sein, denn obwohl die Wunden noch relativ frisch schienen, waren sie eindeutig schon vor langer Zeit gerissen worden. Was ich allerdings wusste, war dass der Tod ihr zur Gnade kommen würde.
Meine Hände zitterten, als ich versuchte mich an der Wand abzustützen und nach oben zu kommen, als mir zum ersten Mal das wahre Ausmaß an Grausamkeit bewusst wurde, das Dämonen auf die Engel nieder brachten. Als mir zum ersten Mal bewusst wurde, dass ja, es gab Fehler im System, ja, manchmal mochte jemand vorschnell verurteilt werden, aber das war nicht das eigentliche Problem. Das Problem war, wie der Himmel seine Kinder williglich in den Tod schickte.
"Denkst du immernoch es ist eine gute Idee Yongguk zu befreien?", kam Yongnams Stimme sanft und bedauernd von meiner Seite, seine Finger fanden kraftvoll meinen Oberarm, um mich zu stützen, als ich mich schwach an der Wand empor zog.
Ich wusste nicht, was ich glauben konnte.
Wenn Yongguk diese hier angegriffen hatte, warum dann nicht auch mich, als er mich verletzt bei sich fand? Warum war Yongnam in erster Linie her gekommen, wenn er in Gefahr lief, dass sein Engel starb?
Es ergab alles keinen Sinn, sie hatten mich erfolgreich so sehr verwirrt, dass ich kaum noch wusste wo oben und wo unten war, nur dass meine Artgenossin grausame Schmerzen leiden musste und einer der Zwillinge daran Schuld war.
"Ich glaube dir nicht. Euch beiden nicht. Ihr steckt zusammen unter einer Decke, ihr-!"
Yongnam nahm seine Hände defensiv zu sich zurück, als ich mich gegen seinen Griff stemmte, schüttelte mit großen Augen den Kopf und war kaum zu erkennen im schwachen Licht von außen.
"Nicht doch! Ja, ich habe mir einen Scherz mit dir erlaubt und getan als sei ich er, aber ich bin derjenige, der dich gerettet hat! Du siehst, was er ihr angetan hat, während er auf freiem Fuß war, was denkst du, was dir passiert wäre?"
Ich trat defensiv einen Schritt vor ihm zurück, weiter in den blutigen Raum hinein und schüttelte entschieden den Kopf.
"Falsch. Ihr seid am gleichen Tag gestorben, also wurdet ihr auch gleichzeitig hierher geschickt und mit Engeln ausgestattet. Du wusstest es bereits vor ihm, dass du ein Dämon bist und hast es ihm vorenthalten. Du wusstest, wer ich bin, bevor wir uns kannten und hattest sie schon lange zuvor hier, deswegen ist er nicht zu dir durch gekommen, als es um einen Notfall ging!", spie ich ihm entgegen und versuchte sein Gesicht im Dunkeln zu erkennen, irgendeine Regung zu finden, aber es war zu düster.
"Dass Yongguk her kommen würde, wäre wohl kaum eine Überraschung für dich gewesen. Warum war Natasha nicht Zuhause, als wir sie suchten? Was hast du ihr angetan?", fuhr ich zittrig fort, begann weiter vor ihm zurück zu weichen, als er auf mich zu kam.
"Du denkst ich war das alles? Hat er dich wirklich so erfolgreich getäuscht? Wenn ich das gewusst hätte, dass mein Baby Bruder meine Hilfe gar nicht brauchen würde, hätte ich meine Zeit weiser genutzt." Seine zuvor empathische Stimme war hart geworden, die Schultern angespannt in der Finsternis.
"Ich denke" Der Geruch nach Blut stieg mir in die Nase und ich zog eine Kurve nach rechts hin, nutzte den weiten Raum, um ihn zu umkreisen. "dass du, der offensichtlich nach seinem Tod ein Dämon werden würde, Yongguk dazu angestiftet hast dich zu töten, damit ihr zusammen bleiben könnt. Weil du wusstest er würde sich aus Schuld selbst das Leben nehmen. Weil du wusstest, dass das schlimm genug wäre, um ihn zu dem zu machen, was er ist."
Ja, das war mein Schluss gewesen. Yongnam musste der Übeltäter sein und wie auch immer von den Dämonen und Engeln gewusst haben. Er könnte sogar welch auch immer Übel, das Himchan so sehr gefürchtet hatte, an seiner Seite haben und dadurch Yongguk auf die finstere Bahn gelenkt haben.
Es ergab Sinn für mich, in meiner Denkweise, aber ich wusste nicht, wie es mit all den Lücken im System zu betrachten war.
Meine Stimme war fester, als ich fort fuhr.
"Und ich denke, dass Yongguk unter der Entscheidung leidet und von seinem Dämonenbruder gequält wird, jetzt, wo ihm alles bewusst geworden ist. Ich denke, dass-"
Eine dunkle Stimme hinter mir unterbrach mich, hallte ungut durch den Raum.
"Du denkst zu viel."
In meinem Hinterkopf explodierte der Schmerz und ich wusste nicht, was danach noch war.
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