16. Zwillingsbunde
Bang Yongnam hätte seinem Bruder nicht unähnlicher sein können.
Wo Yongguk weich war, war Yongnam hart und man merkte es in jedem kleinen Detail, das mir an ihm auffiel. Yongguk mochte es im Schneidersitz oder mit angezogenen Beinen zu sitzen, während Yongnam sich ausstreckte, sein Dominanz im Platz, den er weg nahm, zeigte. Yongguks Lächeln wirkte vertrauenswürdig und erfüllte mich stets mit Ruhe, während Yongnams Grinsen stets aussah, als wüsste er mehr als ich, als könnte er es kaum erwarten mir einen grausamen Scherz zu erzählen. Es verwirrte mich auch ungemein dasselbe Gesicht vor mir zu haben, aber alle nervösen Ticks, die der echte Yongguk hatte, fehlten.
Ich hätte sie unmöglich verwechseln können.
"Du zuerst.", nickte mir Yongnam charmant zu, nachdem ich uns beiden einen Tee gemacht hatte und nun gegenüber von ihm auf dem Sessel saß, die Beine an den Körper angezogen wie Yongguk es tun würde.
Ich begann stockend zu erzählen, was ich noch wusste. Mein Tod war schon lange her und die Zeiten im Himmel hatten es mich beinahe vergessen lassen, wie es war als Mensch zu leben, daher war auch mein Gedächtnis entsprechend lückenhaft.
Dennoch kratzte ich die wenigen Informationen, die ich noch über mein Leben als Studentin fand zusammen, berichtete ihm von meiner liebevollen Familie und der Unbeschwertheit, mit der ich durch das Leben wandeln konnte. Die Erinnerungen brachten ein friedliches Lächeln auf mein Gesicht, doch die Sorge um Yongguk ließ mich nicht los, machte es schwer die Vergangenheit zu genießen.
Nachdem ich geendet hatte, schlürfte Yongnam nur weiterhin unberührt an seinem Tee und starrte an mir vorbei zum Fenster hinaus.
Die Zeit vertickte in Schweigen, mein Tee war kalt, als ich danach griff, um meine raue Kehle zu besänftigen.
"Dir zuzuhören... Es klingt wie als sei es dein gesamtes Leben lange deine Absicht gewesen ein Engel zu werden.", beobachtete er gedankenverloren, vor seinen Augen lag mein Leben offen vor ihm zum Studium.
"Wenn ich über das Leben nachdenke, hätte Gukkie auch das beste Potenzial zum Engel gehabt. Er war ein ehrlicher, aufrichtiger Mensch, der nie gezögert hätte zu Helfen oder Ungerechtigkeiten zu konfrontieren." Er stellte seine Teetasse ab und traf kühl meine neugierigen Augen. Sein Arm fand lässig Platz auf der Couchlehne hinter ihm.
"Du kennst ihn inzwischen etwas. Ein Leben als Engel, in dem er die ganze Zeit über Leuten helfen und zum Guten verhelfen könnte, klingt doch ganz wie er, nicht?"
Ich nickte nur zögerlich, begriff nicht, worauf er hinaus wollte.
"Denk darüber nach, wo die Linie ist. Was den Menschen besonders macht, ist die Anwesenheit von Gut und Böse, beidem zusammen, in ihm. Warum wird danach unterteilt? Der Mensch ist offensichtlich nicht dafür gemacht nur gut oder nur böse zu sein."
Das würde erklären, warum Yongguk so ein eigenartig netter und höflicher Dämon war.
Yongnam fuhr fort, wedelte beim Sprechen etwas mit der rechten Hand.
"Denk darüber nach. Wir sind Zwillinge, er eindeutig der nettere von uns. Zwillinge sind sich so ähnlich, aber hätte er ein Engel sein können und ich ein Dämon? Oder umgekehrt? Es macht keinen Sinn, nicht?"
Ich war ratlos. Für mich hatte es bisher Sinn gemacht, dass gute Menschen mit dem Himmel belohnt und schlechte Menschen mit der Hölle bestraft wurden. Aber was er sagte, stimmte. Was war schon ein 'schlechter Mansch'? Ab wann klassifizierte man als solcher?
"Yongguk und ich wurden am selben Tag geboren und wir sind am selben Tag gestorben. Ich habe viel Mist gebaut in meinem Leben. Aber Yongguk wurde in einer Nacht vom Engel zum Dämon. Wie kann das sein? Wird die Entscheidung so leichtsinnig getroffen? Wo liegt die Grenze?"
Ich wusste es nicht. Und zugegebenermaßen verwirrte er mich total damit. Ich hatte nie darüber nachgedacht, hatte einfach beschlossen dass meine Seite schon die richtige war, immerhin war das auch der Glauben der Menschen.
"Du kannst Yongguk nicht zum Engel machen, da ihm die Überzeugung an ein Gut und Böse fehlt. Das und ob das Entscheidungsverfahren nicht etwas zu korrupt ist."
Still hockte ich vor ihm, die Stirn nachdenklich in Falten gelegt und versuchte mit ihren Gedanken aufzuholen. Es stimmte ohne weitere Beweise. Was auch immer Yongguk in dieser Nacht getan hatte, es konnte wohl kaum sein gesamtes friedliches Leben ruinieren. Menschen tendierten immerhin auch zu Fehlern. War es weise schlechten Leuten mehr Chaos aufzubürden, an dem gute Leute zu Grunde gehen konnten und befleckt wurden?
Es war zu konfus und verworren für mich, ein dunkles Gebiet, in dem ich mich zuvor nicht bewegt hatte. Wozu auch, ich war immerhin auf der guten Seite, ich hatte nie Grund zum Zweifel gehabt.
"Dafür, dass du so lange als Mensch gelebt hast, scheinst du wenig von ihnen gelernt zu haben. Wo Zwiespältigkeit herrscht, gibt es keine perfekten, gerechten Systeme, egal wie übersinnlich. So denkt Yongguk."
Ich blinzelte ihm nur verworren zu und Yongnam erhob sich lächelnd, streckte seine trainierten Glieder aus.
"Ich glaube das ist genug Verwirrung für heute. Lass uns zu meinem kleinen Brüderchen gehen. Oder warte, ich rufe ihn her."
Er wanderte in die Küche davon, vermutlich um Yongguk anzurufen und trotz aller Verwirrung und der nagenden Zweifel, die sich wie ein düsteres Geschwür in meinem Kopf eingenistet hatten, schaffte ich es immerhin noch die Feststellung zu machen, dass Yongnam neben all den anderen Unterschieden zu Yongguk außerdem auch eine wesentlich wohlgeformtere Kehrseite hatte, als der andere.
Ich schlug mich selbst für den Gedanken, bevor ich mich mit einer heißen Röte auf den Wangen unserem Service zuwandte, begann hektisch alles zusammen zu sammeln.
Yongnam war auf jeden Fall mit mehr Gründen zum Dämon geworden als Yongguk. Er wirkte gefährlicher, näher an der Verschlagenheit, die normal für diese Art von Geschöpf waren. Er könnte gelogen haben, einen Plan ausgeheckt haben, um mich zu ihnen in die Hölle hinab zu reißen, aber über so etwas würde ich nicht nachdenken. Mein Job war es das Gute in ihnen zum Vorschein zu bringen und das war eine Geschichte zwischen mir und Yongguk, nicht seinem Zwilling.
Yongnam telefonierte noch, als ich mich zu ihm in die Küche gesellte und einen größeren Bogen als nötig um ihn zog, um das Geschirr am Waschbecken abzustellen. Seine Stimme war nicht so tief wie die von Yongguk, während er sprach, aber sein Lachen klang ähnlich dem des schüchternen Dämons. Ich beschäftigte meine Hände schweigsam mit dem Geschirr, versuchte noch meine neuen Gedanken voller Korruption und Revolution zu sortieren und eine sinnvolle Zusammenfassung zu finden, die ich Daehyun geben könnte.
Yongnam beendete sein Gespräch relativ zeitig und ging mir dann zur Hand, zwinkerte mir bloß zu, als ich fragend die Augen zu ihm hob.
"Er ist bald wieder hier. Du solltest darüber anchdenken, wie du deine Zeit hier gestalten willst, da du ihn auf jeden Fall nicht mit dir nehmen wirst."
Eine gute Frage, aber vorerst war etwas anderes wichtiger.
"Hey, Yongnam.", begann ich langsam und er verräumte die Tassen in das hohe Regal, warf allerdings einen fragenden Blick auf mich herab.
"Was hat er getan? Um zum Dämon zu werden meine ich." Meine Finger verdrehten nervös den Stoff des Handtuchs in meinen Händen, mein Magen sagte mir, dass mich etwas unangenehmes erwartete, aber ich wusste nicht, ob es seine Reaktion oder seine Worte wären.
"Oh nichts weiter, das unter Geschwistern nicht vorfallen könnte." Er schloss den Schrank wieder und verschränkte die Arme, das Grinsen wieder auf seinem Gesicht, als er sich mit der Hüfte gegen die Anrichte lehnte, wartete, bis ich den letzten Schritt machte.
Ich schluckte tapfer.
"Und das wäre?"
"Er hat mich getötet, Baby. Mich und sich."
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