11. Himchan
"Er ist nach Hokkaido gegangen.", war die schlichte Antwort des dunkelhaarigen Mannes, nachdem Daehyun ihn auf Yongguk angesprochen hatte. "Er findet dort immer Ruhe, die Locals in einem der kleineren Dörfer sind bereits vertraut mit ihm. Normalerweise geht er dorthin, um seine Gedanken zu sammeln, Musik zu schreiben. Ich dachte nach dem Vorfall vom letzten Mal würde er nie wieder dorthin zurückkehren wollen, aber ich bin mir sicher, dass es der einzige Ort, an dem ihr ihn momentan finden könnt."
Himchan hatte seine Augen danach auf mich gerichtet, sein Blick verschlossen aber ganz klar achtsam, forschend.
"Ich wüsste allerdings nicht, warum er vor euch davon rennen sollte. Seine vergangenen Liebschaften haben ihn sicher mal in sein Zuhause verbannt, aber nie bis nach Japan." Seine Mundwinkel zuckten bei der Erinnerung verdächtig und Daehyun erwiderte mit einem warmen Lächeln.
"Keine Liebschaft. Bloß ein Missverständnis. Sicherlich eines, aus dem man auch kreative Ideen schöpfen kann.", rettete er uns charmant und Himchan nickte bloß, die gepflegten Finger sanft um seinen Kaffeebecher, als er über den Park vor uns hinaus sah.
"Ihr solltet ihm nicht dorthin folgen. Aus Privatssphäregründen, aber auch weil... Hmm, wie sage ich das?" Er sah kurz leer über die Wiesen hinaus, direkt durch tobende Kinder hindurch. Ihr Lachen füllte unbesorgt die Luft, machte den lauen Frühling noch etwas lebhafter.
"Der Yongguk, der letztes Mal aus Japan zurück kam... Er war nicht er selbst. Yongguk verliert sich oft in seinem eigenen Kopf, aber das war nicht er. Er war... wie besessen. Wahnsinnig."
Ich schob neugierig meine Hände unter meine Oberschenkel, lauschte seinen abwesenden Worten mit gespitzten Ohren.
"Das ist normalerweise der Punkt, an dem ich sagen würde, dass euch der Rest nichts angeht und ihr euch bloß zurück halten sollt, aber... Was auch immer da drüben ist... Sollte er damit zurück kommen, braucht ihr eine Vorwarnung."
Ich sah besorgt zu Daehyun an seiner anderen Seite hinüber, der andere Engel mit großen, besorgten Augen und den Lippen lose um seinen Strohhalm liegend. Als er meine Augen auf sich bemerkte, warf er mir bloß einen unruhigen Blick zu, dann fokussierte er wieder aufmerksam Himchan.
"Inwiefern... war er anders? Besessen mit der Arbeit, oder...?", grub ich behutsam tiefer, besessen konnte schließlich alles bedeuten.
Himchan tat sich deutlich schwerer damit Worte zu formen als zuvor, das Gesicht leer. Ich griff mir zögerlich seinen Becher aus der Hand, fürchtete mich davor, dass er sich damit verbrannte.
"Wie als sei er ein anderer Yongguk. Seine Worte, seine Gedanken, der Ausdruck seiner Augen... Es war nicht er. Es war ein Dämon, der aussah wie Yongguk."
Daehyun und ich zuckten unisono zusammen, als wir das befürchtete Wort hörten, aber es warf nur mehr Fragen auf, als es Antworten lieferte.
"Bei wem bleibt er, wenn er in Japan ist?"
"Seine Schwester lebt dort. Früher auch sein Großvater, aber... das ist eine andere Geschichte." Es wurde wieder, seine Hände nicht mehr ganz so klamm auf seinem Schoß und die Augen langsam an Fokus gewinnend, statt panisch in weite Ferne zu starren.
"Ich kann euch die Adresse geben, wenn ihr erpicht darauf seid ihm zu folgen. Ich weiß nicht, was er getan hat, aber ich kann mir denken, dass es nicht besonders gesund für ihn ist. Solltet ihr etwas retten können, rettet es. Aber es könnte auch bereits zu spät sein."
-
Daehyun würde es vehement abstreiten etwas seiner Magie benutzt zu haben, um Himchan die benötigten Antworten zu entlocken, aber derzeit hatten wir keine Zeit über diesen moralischen Fehltritt nachzudenken. Yongguks Geschwister schwebten gerade in Lebensgefahr und wenn ich alles richtig interpretiert hatte, so konnte sein Dämonendasein mit dem Ableben seines Großvaters zusammenhängen.
Zuerst hatten wir aber ein anderes Problem zu klären.
Wir waren kaum von dem Treffen mit Daehyuns Vorgesetzten zurück gekommen, dann erwachte auch bereits Jongup.
Der Engel meldete sich vorerst gar nicht zu Wort, sondern starrte bloß minutenlang konfus an die Decke meines Ladens, aber als er dann seinen kleinen Finger bewegte, war Youngjae sofort über ihm, presste ihn mit seinem Körpergewicht in die Polster hinab, während eine Hand warnend den Hals des anderen Mannes gegriffen hatte.
Junhong rief eine Warnung aus, die auch mich und Daehyun darauf aufmerksam machte, von wo wir gerade in der Küche Reisepläne ausgeheckt hatten und alle schrien durcheinander, als wir uns im Wohnzimmer ansammelten.
"Youngjae, geh von Jongup runter!"
"Junhong, geh heim!"
"Halt still, sonst bricht dein Genick als erstes!"
"Bitte was war das gerade, du mieser, kleiner-"
Junhong beobachtete uns bloß mit großen Augen, dann schnappte er sich sein Skateboard und Mochii vom Boden und rannte hinaus, Tigger bellte ihm konfus hinterher. Wir hatten uns seiner und Katy Purrys angenommen, nachdem Yongguk verschwunden war und wir keine Möglichkeiten hatten seinen Bruder zu kontaktieren. Die armen Kleinen mussten alles hier drinnen mitmachen.
Jongups Blick war inzwischen mörderisch, von wo er absolut still unter Youngjae genagelt war, der Gefallene hatte zur weiteren Einschüchterung drohend die schwarzen Schwingen hinter sich entfaltet, wirkte schon nicht mehr ganz so schmal über dem wesentlich breiteren Jongup.
"Jongup!", beeilte Daehyun sich also dazwischen zu gehen, kam nah genug heran, dass unser alarmierter Freund ihn sehen konnte, er jedoch aus dessen direkter Reichweite war. Die sonst so schmalen und zusammengekniffenen Augen des Mannes wurden weit, als er den anderen erkannte und er machte bloß eine Handbewegung, dann purzelte Youngjae auch schon wenig eindrucksvoll über die Couchlehne davon und Jongup stand orientierungslos vor uns.
Mir fehlten alle Worte.
"Was ist passiert, Uppie?", lieferte dieses Mal Daehyun bessere Arbeit und seine entsetzte Stimme war leise, kaum mehr als ein Flüstern.
Jongup sah nicht minder ratlos aus wie wir und kurz war ich abgelenkt, als Youngjae mit einem empörten Laut wieder auf die Füße kam, sein dunkles Gefieder schüttelte.
"Lasst uns nachsehen. Halt dieses Mal still, Küken." Mit zwei Schritten war er bei dem verwirrten Jongup, der noch immer sein von schwarzem Blut beflecktes und einst weißes Hemd trug. Youngjae packte sich seinen Kragen und riss es halb auf, entblößte weitere Bandagen und ein dunkles Mal im Zentrum seiner starken Brust. Es wäre leicht mit einem regulären Tattoo zu verwechseln, wenn es sich nicht unter seiner Haut bewegen würde, andauernd Form und Farbe ändern würde.
"Acedia.", war alles, was Youngjae sagte und noch immer sah ich ungläubig von ihm zu Jongup und wieder zurück.
"Sie ist neben Luxuria am üblichsten für Engel... Sieht so aus, als würde hier bald ein Kollege von euch auftauchen." Youngjae grinste Jongup grausam zu und ließ ihn dann achtlos stehen, halb unbekleidet und verwirrt im lichtdurchfluteten Raum.
"Ich mache mich wieder an die Arbeit. Viel Glück mit deinem Mann.", endete Youngjae das Treffen seinerseits abrupt und schneite hinaus, ließ uns ratlos zurück.
"Verdammt.", kam es leise von Jongup und geschockt sahen wir zu ihm auf, kannten ihn schließlich als netten, hellen Engel.
Nervös warf ich auf einen Blick auf Daehyun, wusste nicht, was unser jetzt gefallener Freund wohl nun vor hatte, ob wir in Gefahr schwebten.
"Was war Acedia nochmal? Ich hätte im Unterricht besser aufpassen müssen."
Der Stein auf meinem Herzen musste hörbar auf den Boden fallen.
Er war noch der Alte.
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