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»Und? Hast du dich schon an deinen neuen Posten gewöhnt?«

Caya lachte. »Das sollte ich wohl eher dich fragen.«

Sie saßen beim versprochenen Abendessen, einem Dinner bei Kerzenlicht im Speisesaal des Palasts, der wie immer ein wenig zu groß für sie beide wirkte. Er war für viel mehr Gäste ausgelegt, aber auf Reans Wunsch hin hatte man die anderen Tische hinausgetragen, sodass jetzt nur noch ihrer in der Mitte des Raumes stand. Rean wäre es lieber gewesen, hätten sie auswärts essen können – oder sich mit Fastfood in Cayas Wohnung vor den Fernseher setzen, wie damals. Aber das war nicht mehr möglich.

»Na ja«, nahm er das Gespräch wieder auf. »Nicht wirklich. Ich denke nicht, dass ich mich je daran gewöhnen werde.«

Seine Verlobte schnitt das Fleisch ihres Hamburgers klein. Sie hielt nicht viel von ausgefallenem Essen, aber der Etikette Willen aß sie stets mit Messer und Gabel. Unter anderen Umständen hätte der Anblick Rean wahrscheinlich zum Lachen gebracht. »Komm schon. Ein paar Tage, dann wirst du auch wieder schlafen können. Und wenn nicht, dann geh eben endlich mal zum Palastarzt und verlang Schlaftabletten!«, sagte sie.

Rean seufzte. Er wollte diese Diskussion nicht schon wieder führen, nicht während ihres romantischen gemeinsamen Abends. Nicht jetzt, wo sich seine Gedanken immer noch um das neue Gesetz drehten, obwohl er Caya versprochen hatte, das Dokument nicht zu unterzeichnen. »Du kennst meine Einstellung dazu«, sagte er deshalb nur.

»Ich weiß, ich weiß. Schlaftabletten machen abhängig, du willst die Kontrolle nicht verlieren, bla bla bla. Du bist paranoid, Rean Alves, das sage ich dir. Paranoid.« Sie gestikulierte mit ihrer Gabel, während sie sprach, und einige kleine Tropfen Ketchup spritzten auf die weiße Tischdecke.

Er musste bei dem Anblick grinsen. »Das Wort verwendest du heute ganz schön oft.«

»Weil es stimmt.«

Kopfschüttelnd trank Rean einen Schluck von seinem Wein. »Reden wir nicht mehr darüber«, wechselte er das Thema. »Erzähl lieber etwas von dir. Wie war dein Tag?«

Sie lächelte. »Nicht schlecht. Mit drei Bodyguards zusammen durfte ich sogar shoppen gehen.«

»Wie viele Leute haben dich erkannt?«

»Ich weiß es nicht. Keiner hat es gewagt, mich auch nur eine Sekunde zu lang anzusehen.« Sie tunkte eine Gurke in Mayonnaise und steckte sie sich in den Mund. »Also an was ich mich sicher schnell gewöhnen kann, ist das Essen.«

»Das Essen ist genau gleich, wie es vorher schon war.« Rean selbst hatte keinen Hunger, schob das Brot und das Fleisch auf seinem Teller nur von Seite zu Seite.

»Dann habe ich mich sogar schon daran gewöhnt. Umso besser.«

Er schwieg.

»Jetzt hör doch mal auf mit der Melancholie! Du hast mir diesen Abend versprochen und jetzt sitzt du nur hier rum und siehst aus, als müsstest du mich begraben, statt mit mir zu essen.«

Rean biss sich auf die Unterlippe. Sie hatte recht; er war schlecht drauf und vor allem viel zu sehr in Gedanken versunken. Gedanken über ein Gesetz, über das er nicht mehr nachdenken durfte.

Aber die Vorstellung ließ ihn nicht los. Die Vorstellung einer besseren, weniger kriminellen Welt. Einer Welt, in der er sich nicht um sein Leben fürchten musste, wann immer er den Palast verließ.

Doch das konnte er Caya nicht sagen. Sie war so glücklich gewesen, als er nachgegeben hatte.

»Ich frage mich nur nach wie vor, ob ich den Pflichten eines Königs gewachsen bin«, sagte er deshalb nur.

Caya lächelte. »Du rutschst da schon noch rein. Und jetzt lass uns über etwas anderes reden als über Politik. Ich habe heute die neue Folge von Of Death and Drama geschaut.«

Rean ließ sich nur zu gern ablenken. »Ohne mich?«, fragte er schockiert. Of Death and Drama, oder ODAD, wie sie es nannten, war ihre gemeinsame Lieblingsserie, eine leicht abstruse, aber doch relativ unterhaltsame Mischung aus Schnulze und Krimi.

»Du warst ja nicht da.« Caya reckte gespielt provokativ das Kinn.

»Weil ich dieses Land regiere!«

Sie grinste. »Tja.«

»Wehe, du spoilerst mich ...«

»Wie willst du mich davon abhalten?«

In einer fließenden Bewegung stand er auf, beugte sich über den Tisch und küsste sie auf den Mund, um sie am Sprechen zu hindern. Ein Weinglas kippte um und der rote Fleck breitete sich auf der weißen Tischdecke aus wie Blut, aber es war ihnen egal.

»Rean, ich würde gerne fertig essen«, nuschelte Caya lachend zwischen zwei Küssen.

»Nur wenn du mich nicht spoilerst.«

»Mach ich nicht. Versprochen.«

Er lehnte seine Stirn an ihre. »Ich habe dich vermisst.«

»Ich dich auch«, erwiderte sie leise und er spürte ihren Atem auf seiner Haut. Einen Moment lang verharrten sie in dieser Position, bevor Caya sich langsam zurückzog. Sofort stürmten Angestellte herbei, um das Tischtuch auszuwechseln, aber Rean schickte sie mit einer Handbewegung weg. Diese paar Momente, die ihnen blieben – diese paar Momente, in denen er einfach nur Rean war und nicht der König von Lacraine – wollte er mit Caya allein verbringen.

Sie redeten über Belanglosigkeiten, während sie aufaßen, und zogen sich dann ins Schlafzimmer zurück. Und kaum war die Tür hinter ihnen zugefallen, vergaß Rean endgültig, dass das Schicksal des Landes in seinen Händen lag. Das Einzige, was in diesem Moment noch zählte, waren Cayas Lippen auf seinen, ihre Hände in seinem Haar. Ihre Kurven unter seinen Händen, ihre weiche Haut auf seiner. Sie fühlte sich an wie eine ganze Welt, aber nicht eine, von der er Angst hatte, sie zu zerstören. Im Gegenteil – Caya machte ihn ganz.

***

»Du bist so schön«, flüsterte Rean, als sie einige Zeit später nebeneinanderlagen. Obwohl es dunkel im Zimmer war, konnte er nicht aufhören, in ihre Richtung zu sehen. Immer wieder ihren Blick zu suchen.

Caya strich mit der Hand seinen Arm entlang. Sie schwieg, weswegen Rean die Stille füllte. »Bitte versprich mir, dass du mich nie verlässt.«

Sie lachte leise. »Warum sollte ich dich verlassen?«

»Ich weiß es nicht. Versprich mir einfach, dass du es nicht tust.« Die Worte wogen schwer in der Dunkelheit des Zimmers, aber die Antwort darauf schien Caya leichtzufallen.

»Versprochen«, sagte sie mit einem leisen Lächeln, bevor sie sich mit einem kurzen Kuss von ihm wegdrehte. Wenig später war sie eingeschlafen.

Rean hingegen lag wach. Wahrscheinlich für Stunden, aber die Zeit schien nicht mehr zu existieren. Selbst im Dunkeln des Zimmers konnte er den Schreibtisch in der Ecke sehen. Und den Stapel Papiere, der immer noch darauf lag.

Jetzt wo Caya schlief, hinterfragte er seine Entscheidung erneut. Und dann noch einmal und noch einmal. So lange, bis er sich nicht mehr sicher war, was Realität war und was Illusion. So lange, bis alles nur noch eine Geschichte zu sein schien, die er sich selbst erzählte.

Was, wenn er einen schrecklichen Fehler machte?

Und da waren sie wieder, die Explosionen der Bomben. In seinen Erinnerungen, in seinen Ängsten.

Er war ein König. Er musste Entscheidungen treffen können.

Aber bereits bei dieser – bereits bei seiner ersten Entscheidung im Amt – war er sich nicht sicher.

Seufzend sah er zu Caya hinüber. Caya, die friedlich schlief. Die ihm vertraute.

Er konnte ihr das nicht antun. Sie würde ihn hassen, wenn er sein Versprechen brach.

Aber dann stellte er sich ihre Beerdigung vor. Wie er an ihrem Grab stand, in einem schwarzen Anzug, der Himmel bewölkt, denn wenn jemand wie Caya starb, konnte das Wetter gar nicht sonnig sein.

Wie er an ihrem Grab stand und wusste, dass er versagt hatte. Dass er sie nicht beschützt hatte, obwohl er es ihr immer und immer wieder versprochen hatte.

Rean warf seiner Verlobten einen letzten Blick zu, schlug die Decke beiseite und stand auf.

»Tut mir leid, Caya«, flüsterte er.

Dann ging er zum Schreibtisch, nahm seinen Kugelschreiber und setzte seine schwungvolle Unterschrift unter das Dokument.

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