3.1
Grummelnd setzte Rean sich im Bett auf. »Man bringe mir Kaffee. Sonst exekutiere ich jemanden.«
»Schlecht geschlafen?« Belustigung schwang in Cayas Stimme mit. Sie selbst stand bereits vor dem deckenhohen Spiegel an der Wand und richtete ihre Frisur. Ihre Haare waren von einer Angestellten hochgesteckt worden, aber Reans Verlobte legte noch mal selbst Hand an und zupfte einige dunkelbraune Strähnen heraus, damit sie ihr Gesicht einrahmten.
»Na ja, die zwei Stunden, die ich geschlafen habe, waren eigentlich ganz gut«, murmelte er. Er war erst in den frühen Morgenstunden zurück ins Bett gekrochen. »Warum muss der Morgen so früh beginnen?«
»Du kannst ja ein Gesetz dagegen erlassen. Aufstehen vor zehn Uhr verboten.« Caya riss ihm die Decke weg. »Aber das kannst du nicht vom Bett aus machen.«
»Ich hasse dich.«
»Du liebst mich.« Sie beugte sich zu ihm hinunter und drückte ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen. »Und jetzt steh auf. Ich hab Hunger.«
Widerwillig kroch Rean aus dem Bett, schlüpfte in seinen Morgenmantel und folgte seiner Verlobten die Treppe hinunter in den Speisesaal. Der Tisch war bereits gedeckt; eifrige Angestellte huschten um sie herum, um alles perfekt zu machen. Aber Rean war nur eines wichtig: der Geruch vom frisch aufgebrühten Kaffee.
Die Augen noch halb geschlossen ließ er sich auf einen Stuhl fallen und griff nach der Kaffeekanne auf dem Tisch. »Scheiße, Caya, wie soll ich ein Land regieren, wenn ich nicht einmal genug Schlaf kriegen kann?«
»Du gewöhnst dich sicher daran.« Caya fischte ein Brötchen aus dem Korb zwischen ihnen. »Die Könige vor dir haben sich auch alle dran gewöhnt.«
»Bevor sie umgebracht wurden, ja.« Rean trank die Kaffeetasse in einem Zug leer und stellte sie energisch auf dem Tisch ab.
»Mann, bin ich froh, dass du tagsüber nicht so schlecht drauf bist wie morgens«, kommentierte Caya trocken.
Trotz seiner schlechten Laune ließ er sich zu einem Lächeln hinreißen. »Tut mir leid. Ich bin kein Morgenmensch. Besonders nicht, wenn ich so wenig geschlafen habe.«
Sie lachte. »Darauf wäre ich in all den Jahren nie gekommen.«
Er setzte zu einer Antwort an, wurde aber von einem Boten unterbrochen, der in diesem Moment den Raum betrat, vor Rean stehenblieb und sich leicht verbeugte. »Votre Majesté? Verzeiht mir die Unterbrechung. Empfangt Ihr bereits Anfragen für Besprechungen mit dem Parlament?«
Der junge König griff erneut nach der Kaffeekanne. »Ich habe einen ziemlich vollen Terminplan. Aber wenn es etwas Wichtiges ist, hätte ich ein paar Minuten«, antwortete er ein wenig überrumpelt.
»Vasco de Lima hat gesagt, es sei ziemlich wichtig«, sagte der Bote.
Rean leerte die zweite Tasse Kaffee, obwohl dieser noch brühend heiß war, und stand mit einem Seufzen auf. »Also gut. Sagen Sie ihnen, ich werde gleich da sein.«
Als der Angestellte wieder verschwunden war, wandte sich Rean an Caya. »Tut mir leid.«
»Ist das der einzige Rean, den ich von jetzt an zu Gesicht bekomme?«, schmollte sie gespielt. »Der mufflige Morgen-Rean, der seinem Kaffee mehr Aufmerksamkeit schenkt als mir?«
»Natürlich nicht!« Schnell beugte er sich zu ihr hinunter, um ihr einen Kuss auf die Lippen zu drücken. »Heute Abend essen wir zusammen. Ein romantisches Dinner. Aber jetzt ...«
»Ich mach nur Spaß«, unterbrach sie ihn lachend. »Deine Pflichten als König gehen vor. Ich wusste, worauf ich mich einlasse, als ich mich mit einem Prinzen verlobt habe.«
»Aber mein Heiratsantrag war doch ziemlich gelungen.«
»Angeber.« Sie grinste. »Jetzt verschwinde. Ich will ja nicht schuld daran sein, wenn du das Parlament gleich an deinem ersten Tag als König warten lässt.«
»Das Parlament hasst mich sowieso. Die wollten selbst weiter regieren.« Er verdrehte die Augen, setzte sich aber dennoch in Bewegung. »Kannst du der Köchin sagen, sie soll noch einmal Kaffee für mich aufsetzen?«
»Höre ich da den Beginn einer Koffeinsucht?«
»Beginn? Die ist im Endstadium.« Mit übertriebener Dramatik machte er eine Geste, um die Flügeltüren zur Treppe zu seinem Zimmer aufschwingen zu lassen.
Im Eiltempo zog er sich um, putzte sich die Zähne und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, um zumindest ansatzweise wach auszusehen. Im Gegensatz zu Caya verzichtete er auf Hilfe dabei; mit je weniger Menschen er morgens reden musste, desto besser. Ohne einen Blick in den Spiegel zu werfen, ging er die Treppe wieder nach unten.
Seine Leibgarde wartete bereits vor dem Palast auf ihn. Es waren ein paar neue Gardiens hinzugekommen, weil es das Protokoll nach der Krönung so vorschrieb, aber er nahm sich nicht die Zeit, nach ihren Namen zu fragen. Das konnte er ein anderes Mal tun.
Bereits während des kurzen Wegs zum Konferenzzentrum sammelten sich Schweißtropfen auf seiner Stirn, aber nicht nur wegen der Spätfrühlingssonne, sondern auch wegen der Angst vor dem Treffen mit dem Parlament.
Rean kannte das Parlament schon seit seiner Kindheit und nur die wenigsten der Parlamentarier waren seither ausgewechselt worden, da es keine vorgeschriebene maximale Amtsperiode gab, solange jemand bei den Wahlen alle vier Jahre wiedergewählt wurde. Über die Jahre hinweg hatte er mit vielen von ihnen Gespräche geführt, mit manchen sogar im großen Palastgarten gespielt, wenn sie gerade Pause von der Arbeit gemacht hatten.
Aber dennoch. Das hier war seine erste Sitzung mit ihnen, bei der er nicht mehr Prinz, sondern König war.
Vor der Tür zum Konferenzzentrum zögerte er kurz, dann hob er die Hände und wischte damit von innen nach außen. Die Bewegungssensoren erfassten die Bewegung, die Gesichtserkennung scannte sein Gesicht und innerhalb von Sekundenbruchteilen schwangen die Flügeltüren auf.
Kaum hatte Rean den Marmorflur durchquert und den Raum betreten, in dem die heutige Versammlung abgehalten wurde, stand das Parlament kollektiv auf und deutete eine Verbeugung an.
»Votre Majesté.« Vasco de Lima machte einige Schritte auf Rean zu, während seine Kollegen sich wieder setzten. »Schön, dass Ihr so spontan kommen konntet.«
»Was gibt es denn so Dringendes?«, wollte Rean wissen.
»Hat man Euch gesagt, es sei dringend?«
Er runzelte die Stirn. »Ja. Ziemlich wichtig, wurde mir gesagt.«
»Ach so. Wichtig, ja. Aber nicht dringend.« Der Sprecher des Parlaments schnipste ein paar Mal mit den Fingern, um die Klimaanlage zu bedienen und die Temperatur im Raum um einige Grad sinken zu lassen. »Aber nun, da Ihr ohnehin schon hier seid, kann ich Euch den Vorschlag ja gleich unterbreiten.«
Rean schnaubte. Das Parlament wusste genau, was sie tun mussten, damit er nach ihrer Pfeife tanzte. Nun hatten sie ihn hierher kommandiert, einfach nur, um ihm zu zeigen, dass sie es konnten. Dass er ihren Worten glaubte und sie interpretierte, ohne dass sie etwas so konkret sagen mussten, dass sie es nachher nicht wieder abstreiten konnten.
»Meinetwegen«, sagte er dennoch. Er spürte die Blicke des Parlaments auf sich, Blicke, die jede seiner Bewegungen beobachteten. Blicke, die nur darauf warteten, dass er einen Fehler machte. Zumindest kam es ihm in diesem Moment so vor.
Vasco klatschte in die Hände. »Sehr schön. Es wird Euch gefallen. Wir wollen Euch einen Vorschlag für ein neues Gesetz unterbreiten.«
»Worum handelt es sich?«
»Habt Ihr von den Nachforschungen unserer Wissenschaftler zum Thema Genetik und Kriminalität gehört?«
»Die Versuche, potenziell kriminelle Individuen mithilfe von genetischen Tests frühzeitig ausfindig zu machen? Natürlich. Waren sie erfolgreich?«, fragte Rean und hasste sich selbst dafür, dass man ihm seine Neugierde anhörte.
»Ja. Unsere Forscher haben ein Verfahren entwickelt, mit dem man herausfinden kann, ob jemand dazu neigt, ein Verbrechen zu begehen oder nicht«, antwortete Vasco. »Wir wollen nun ein Gesetz einführen, das die Durchführung eines solchen Tests obligatorisch macht.«
Rean ließ den Blick über das Parlament schweifen, suchte nach einem Anzeichen, dass das hier eine Farce war, ein Trick, der ihn dazu bringen sollte, eine falsche Entscheidung zu treffen. Aber die Gesichter der Parlamentarier waren ausdruckslos, verrieten keinerlei Emotionen.
»Klingt nach einer guten Idee«, sagte er nach ein paar Atemzügen. Auch wenn er Vasco grundsätzlich misstraute, fand er bei dieser Sache keinen Haken. Weniger Kriminalität würde nicht nur eine geringere Gefahr für das Volk, sondern auch eine geringere Gefahr für ihn selbst bedeuten. Eine geringere Gefahr, dass ein Anschlag auf ihn verübt wurde; dass er hinterrücks erschossen wurde oder einer Bombe zu Opfer fiel, genau wie seine Eltern und viele andere Könige vor ihnen.
»Danke.« Vasco nahm einen Stapel Papiere vom Tisch hinter ihm und reichte sie Rean. »Falls Ihr Euch die Details zum Gesetz und den Tests anschauen möchten, hier steht alles drin, was Ihr wissen müsst. Ansonsten warten wir auf Eure Unterschrift.« Er legte ein weiteres Blatt auf den Stapel – das obligatorische Dokument, das der König bei der Einführung eines neuen Gesetzes unterzeichnen musste. »Die technologischen Voraussetzungen sind gegeben, damit wir bereits in ein paar Wochen mit den Tests anfangen könnten.«
»In ein paar Wochen?« Rean blinzelte. Ein solches beschleunigtes Verfahren war ungewöhnlich. Aber als er das Papier überflog, das zuoberst auf dem Stapel in seinen Händen lag, passte es zu Vascos Worten.
»Nun, das Verbrechen muss gestoppt werden, und zwar so bald wie möglich«, sagte dieser.
»Danke«, murmelte Rean. »Ich werde es mir durchlesen, sobald ich Zeit dafür finde.«
»Natürlich.« Vasco klopfte auf seine Uhr. »Aber vergesst nicht, Votre Majesté, jede Minute fordert mehr Opfer.«
Rean brauchte einige Sekunden, um sich eine Antwort einfallen zu lassen. »Ich habe gesagt, ich werde es mir durchlesen, sobald ich Zeit dafür finde. Jede meiner Entscheidungen ist wichtig. Jede meiner Entscheidungen hat Priorität. Wenn Sie mich nun entschuldigen«, sagte er dann.
Ohne auf eine Antwort zu warten, drehte er sich um und verließ den Raum. Wenn er musste, konnte er genauso respektlos sein wie Vasco.
Dennoch dachte er bereits auf dem Weg zurück zum Palast über den Gesetzesvorschlag nach, überflog einige der Blätter im Gehen. Vasco hatte recht gehabt; das hier war wichtig. Sehr wichtig sogar. Es war das, worauf er die ganze Zeit gehofft hatte – eine Möglichkeit, das Verbrechen einzudämmen und sein eigenes Überleben zu sichern.
In Gedanken versunken brachte Rean sämtliche Termine dieses Tages hinter sich: eine Rede für einen lokalen Fernsehsender, Sitzungen mit Untergebenen, Handelsgespräche mit den Regierungen anderer Länder. Er schaffte es, ein Handelsabkommen mit Helvetien auszuhandeln, das für Lacraine von großem Vorteil sein würde, aber auch das konnte ihn nur für kurze Zeit von den Papieren ablenken, die in seinem Schlafzimmer auf dem Schreibtisch lagen. Während der ganzen Zeit hallten Vascos Worte in seinem Kopf wider. Jede Minute kostete mehr Leben. Jede Minute brachte ihn und Lacraine in größere Gefahr. Und Caya. Vor allem Caya.
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