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»Kannst du auch nicht schlafen?«

Rean schüttelte den Kopf. Er lag mit weit geöffneten Augen da, starrte die Decke an. Obwohl bereits nach Mitternacht war, war er hellwach. »Ich kann die Bomben förmlich explodieren hören.«

Caya drehte sich auf die Seite, um ihm über die Brust zu streichen. »Ich bin auch nervös. Aber noch hat niemand versucht, uns wehzutun.«

»Ich weiß nicht, wie du immer so ruhig bleiben kannst.«

»Na ja.« Er konnte Cayas Grinsen in ihrer Stimme hören. »Wenn ich die Wahl habe, mich auf der Straße um mein Leben zu fürchten oder in einem Palast, dann ist mir dieses wahnsinnig bequeme Doppelbett hier doch lieber.«

Trotz der Situation musste Rean lachen. »Du hattest Glück, dass ich es in genau dieser Nacht in den leeren Fluren des Palasts nicht mehr ausgehalten habe.«

»Ich glaube eher, du hattest Glück, dass ich genau in dieser Nacht auf der Suche nach einer Bleibe für die Nacht war. Du Prinz, der eine Heldin brauchte.«

»Die brauche ich immer noch.« Rean griff nach Cayas Hand, die immer noch auf seiner Brust lag, und verschränkte seine Finger mit ihren. Es entsprach der Wahrheit. Er brauchte Caya. Er brauchte sie mehr, als er dieses ganze Königreich brauchte. »Ich weiß, dass du auf der Straße geschlafen hättest, wenn ich dir keinen Schlafplatz vermittelt hätte. Und dass es nicht das erste Mal gewesen wäre. Aber ich wäre wahrscheinlich wahnsinnig geworden ohne dich.«

Seine ganze Kindheit und Jugend hatten daraus bestanden, dass die Augen der Öffentlichkeit auf ihm lagen. Als Prinz von Lacraine war immer von ihm erwartet worden, dass er das Richtige tat. Das Richtige sagte. Das Richtige fühlte. Und so hatte er sich nachts manchmal rausgeschlichen und war durch die Straßen von Aera gewandert, wenn sonst kaum jemand mehr unterwegs war.

Niemand – außer Caya.

»Na ja, es wäre nicht das erste Mal gewesen. Aber es wäre kalt gewesen«, sagte seine Verlobte. Dann gähnte sie und ihre Augen fielen langsam zu.

Rean wollte nicht, dass sie einschlief. Wenn sie einschlief, war er allein. Allein in dem dunklen Zimmer, allein mit seinen Erinnerungen und Ängsten, die in den Ecken lauerten und nur darauf warteten, ihn anzugreifen.

»Mein Lieblingsmoment in der Geschichte ist ja immer noch der, als du erfahren hast, dass ich der Kronprinz von Lacraine bin«, sagte er deshalb.

Das riss Caya zumindest kurzfristig aus ihrem Halbschlaf und brachte sie zum Lachen. »Meiner nicht. Ich bin so was von erschrocken. Dabei habe ich gemerkt, dass du etwas vor mir verborgen hältst, aber ich dachte an Spielschulden, ein Drogenproblem, eine Affäre ... das normale Zeug halt.«

»Das normale Zeug«, wiederholte Rean trocken.

»Normaler, als die Krone eines Landes zu bekommen!«, verteidigte sie sich. »Und zu meiner Verteidigung, wenn ich den Nachrichtenscreens auf den Straßen nur ein bisschen mehr Aufmerksamkeit geschenkt hätte, wäre ich garantiert früher darauf gekommen. Schließlich wurde die ganze Zeit über dich berichtet.«

»Rean Alves, der gutaussehende baldige Herrscher des Landes Lacraine ...«, imitierte Rean die Stimme eines Nachrichtensprechers.

»Wohl eher der schrecklich eingebildete baldige Herrscher«, gab sie zurück.

»Aua.«

»Sei still. Du weißt, wie umwerfend du bist.«

»Nicht so umwerfend wie du.«

»Was für ein Charmebolzen.« Sie gähnte erneut und rollte sich auf die andere Seite. Caya war kein Fan der Löffelchenstellung; sie schlief lieber alleine auf ihrer Seite des Betts. Und prompt antwortete sie nicht mehr, als Rean versuchte, die Geschichte ihres Kennenlernens weiterzuerzählen. Er wusste, dass bereits nach Mitternacht war, aber er frage sich trotzdem, wie sie so leicht einschlafen konnte. Wie es ihr so leicht fallen konnte, die Gefahr auszublenden.

Er drehte sich auf die Seite und schloss die Augen, aber es hatte keinen Zweck.

Das würde eine lange Nacht werden.

Vorsichtig, um Caya nicht zu wecken, schob er die Decke zur Seite und stand auf. Als seine nackten Füße auf den kalten Boden trafen, sog er scharf die Luft ein. Eine seiner ersten Amtshandlungen würde das Einbauen einer Bodenheizung sein.

Er verließ den Raum, schlich ziellos im Palast herum. Betrachtete die Sterne durch die Fenster und tat so, als könne er sich in dem Labyrinth aus Fluren und Treppen verirren, obwohl er jeden Winkel davon kannte. Es war ein großes Gebäude, gebaut, als käme es aus einer anderen Zeit. Nur technische Neuerungen wie die Böden einiger Flure, die beim Betreten die Farbe wechselte, oder Wände, die aus Screens bestanden, verrieten, dass sie sich im 22. Jahrhundert befanden.

Rean mochte den Palast nicht. Er war hier aufgewachsen, aber es fühlte sich dennoch nicht wie sein Zuhause an, so imposant das Gebäude mit seinem vielen weißen Marmor und seinen komplexen Verzierungen auch war. Er fragte sich, wie es sein musste, woanders zu leben. Jemand anderes zu sein.

Er hatte nie König werden wollen.

Aber jetzt stand er vor einem der deckenhohen Fenster im Speisesaal des Palasts und schaute auf die Stadt hinaus, die ihm seit gestern offiziell gehörte. Aera. Die wohl größte Stadt des Landes – seines Landes.

All die Menschen dort draußen verließen sich auf ihn.

Ein Fehlentscheid und er würde ganz Lacraine in den Abgrund stürzen.

Und trotzdem, trotz all dem, fürchtete er sich um Caya um meisten.

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