- Kapitel 73 -
Miguel
"Was möchtest du zum Mittagessen, Hugo?", frage ich ihn, bevor wir die Kirche verlassen.
Er winkt ab.
"Ich habe noch Brot hier, das muss reichen."
Ich seufze.
"Dann bringe ich dir einfach irgendwas."
Er lacht leise.
"In Ordnung, dann mach mal."
Amara winkt dem alten Mann lächelnd zu und greift dann nach meiner Hand, an der ich sie nach draußen vor die Kathedrale ziehe.
"Hugo ist ein enger Freund meiner Familie. Ich kenne ihn seit meiner Geburt, er war bei allen Taufen meiner Geschwister dabei und auch schon bei der Taufe meiner Mutter.
"Dann kennt er euch ja schon ewig.", kombiniert sie schnell.
Ich lache.
"Ja, kann man so sagen."
Während wir über den Kirchplatz runter zum Meer schlendern, zünde ich mir eine Zigarette an und genieße die Aussicht.
"Wo lebt deine Großmutter?"
"In Choix."
"Immer noch? Ich bin davon ausgegangen, dass du ihr ein besseres Leben ermöglicht hast."
"Ein besseres Leben? Du weißt doch gar nicht, was für ein Leben meine Großmutter führt.", runzelt sie die Stirn.
Stumm puste ich den Rauch aus und klopfe die Asche der Zigarette auf den Boden.
"Deine Großmutter hat einen kleine Obstladen auf der Ecke gegenüber von dem kleinen, weißen Hotel. Sie hat Probleme ihre Kunden zu halten, weil der große Supermarkt Ley Express das Obst und Gemüse zu Spottpreisen anbieten kann. Deine Großmutter ist empört, dass die Leute lieber billiges, verseuchtes Obst kaufen, als das frische und nicht gesundheitsschädliche aus ihrem Garten, der am Stadtrand liegt und regelmäßig vom Rio El Vado überflutet wird. Aber gerade das, macht ihr Obst so köstlich."
Amara bleibt stehen.
"Woher weißt du das alles?"
Ich zucke mit den Schultern.
"Kontakte."
"Hast du meiner Oma was angetan?"
Ich schaue zu ihr hoch und unterbreche mein Vorhaben, die Zigarette auszudrücken.
"Natürlich nicht. Was ist das für eine Frage."
"Woher weißt du dann, wo ihr Laden ist. Und woher weißt du, wo ihr Obstgarten ist.", wird sie nervös und kommt auf mich zu.
"Princesa, ich musste mich damals über dich schlau machen. Als du meintest, dass du aus Sinaloa kommst, musste ich sichergehen, dass ich nicht ausversehen die Tochter eines Feindes entführt habe.", erkläre ich ihr und setze sie auf die kleine Mauer neben mir.
"Woher weißt du, wie ihr Obst schmeckt."
"Weil ich es probiert habe. Ich war da."
"Wann.", ruft sie laut und springt auf.
"Amara, beruhig dich. Por Favor. Ich war einfach neugierig und wollte alles über dich wissen. Zuerst beruflich, dann privat. Wie gesagt, ich hab mir nicht ausgesucht mich in dich zu verlieben. Deine Oma hat mir ihr Obst und Gemüse verkauft und wir haben uns unterhalten. Mehr nicht. Sie hat mir von ihrer tollen Enkelin erzählt, aber dass sie leider gar nicht oft vorbeikommt.", ärgere ich sie.
"Das stimmt nicht, das hast du dir ausgedacht. Ich war erst vor der Hochzeit noch bei ihr.", verdreht Amara die Augen und haut mir gegen die Brust.
Lachend greife ich ihrem Arm und küsse ihren Handrücken.
"Vielleicht war mein letzter Satz etwas geflunkert.", gebe ich belustigt zu.
"Ich wollte ihr ein Bungalow am Strand kaufen. In der Nähe von Mazatlan. Aber sie möchte nicht. Was soll ich da tun? Sie hat nun mal ihren eigenen Kopf.", erklärt mir Amara seufzend, während sie in meinen Armen liegt.
"So sind Großmütter. Meine war auch so.", lache ich.
Bis zum Schluss hat sie in einem Bergdorf gewohnt. Ich hätte ihr alles kaufen können. Aber sie wollte nicht. Nicht mal ein Auto wollte sie, damit sie zum Einkaufen fahren kann.
"Lass und Mittagessen holen und uns an den Strand setzen.", schlage ich vor.
Sie nickt.
"Zugegebenermaßen macht es mir Angst, dass du so viel über mich weißt."
"Dir macht es Angst, dass dein Mann alles über dich weiß?"
Ich ziehe die Augenbrauen hoch und schiebe Amara die Treppe zum Strand herunter. Hier gibt das beste Restaurant in ganz Mexiko.
"Freund, Miguel. Freund.", verbessert sie mich und schaut sich neugierig um.
"Du hättest dir auch etwas leichteres anziehen können.", wechselt sie überraschenderweise das Thema und zuppelt an meiner schwarzen Anzughose. Ich entferne ihre kleinen Finger von dem schwarzen Stoff, weil viele Blick auf ihr und mir liegen.
Zuerst auf mir.
Dann auf ihr.
Nur auf ihr.
"Und wie soll ich herumlaufen?", frage ich sie auffordernd und lege meinen Arm um ihre Schultern, um sie näher an mich zu ziehen.
"Ganz normal eben. Kurze Hose und ein Shirt?"
Ich schnaube belustigt.
"Ich bin Miguel Jimenez. Ich laufe nicht mit einer kurzen Hose und einem Shirt durch die Gegend. Und erst recht nicht durch die Heimatstadt meiner Familie."
"Klar, hatte vergessen, wer du bist. Du wurdest wahrscheinlich auch im Anzug geboren.", macht sie sich leise über mich lustig und entfernt meinen Arm von ihrer Schulter. Erhobenen Hauptes marschiert sie auf der Strandpromenade entlang und genießt die Blicke der Einwohner.
Sie wissen wer ich bin und sie wissen auch, wer sie ist. Nur haben sie sie noch nie gesehen. Und vor allem nicht zusammen mit mir.
Einigen macht es Angst, das erkenne ich in ihren ratlosen Gesichtern.
Andere sind überrascht. Positiv überrascht.
Aber alle haben sie eins gemeinsam. Sie schwärmen für Amara und sie haben Respekt vor ihr. Während ich meiner Frau hinterher laufe, mustere ich erst ihren Körper und schaue dann über die vielen Menschen, die in den kleinen Bars und Restaurants sitzen. Guaymas hat 113.000 Einwohner und ich muss zugeben, dass ich sie nicht alle kenne.
Ich kenne die wichtigsten Menschen dieser Stadt.
Politiker, Bürgermeister, Lehrer, Ärzte und Priester.
Viel wichtiger ist, dass sie mich kennen.
Und das sie meine Frau kennen.
Alles andere hat sie nicht zu interessieren.
Es geht ihnen gut. Besser, als es ihn in anderen Landesteilen gehen würde.
Und das haben sie mir zu verdanken. Sie sollen also nicht meine Arbeit, meinen Beruf und meine Familie hinterfragen. Wir haben den Reichtum hergebracht und dafür sollen sie dankbar sein.
Ohne uns wären sie schon längst verarmt.
Keine Jobs, keine Wirtschaft, keine Touristen.
Keine Kinder, keine Schulen. Keine Bildung. Kein Geld.
So einfach.
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