Ich bin gerade dabei, an einem meiner Entwürfe übergemalten Bleistift auszubessern, als ich von den Rufen meiner Tante aufgeschreckt werde.
Zuerst ignoriere ich sie, denn diese Skizze raubt mir langsam den letzten Nerv.
Allerdings wurden ihre Rufe immer lauter und gleichzeitig auch nerviger, weswegen es sowieso für heute keinen Sinn mehr hatte. Und da meine konzentration jetzt so gut wie verpufft ist, trotte ich runter ins Wohnzimmer.
Tante Joyce sitzt am Wohnzimmertisch und tippt unruhig mit ihren Fingern auf der weißen spitzten Tischdecke hin und her.
Mit der rechten Hand umschließt sie irgendeinen Flyer, in den sie ihre Finger regelrecht bohrt.
Joyce scheint zu in Gedanken versunken um mich wahrzunehmen, weswegen ich mich laut räuspere.
„Schön, dass du mich mit deiner Anwesenheit beehrst, Azylia", sagt sie gereizt und sieht mich auffordernd an.
„Tut mir leid, Joyce", meine ich. Ich weiß, dass sie es hasst öfters nach mir zu rufen, aber manchmal kommt es eben vor.
Doch dieses Mal hält sie mir keine Ansprache wie sonst immer, sondern sagt stattdessen: „Schon gut, das ist jetzt sowieso nicht wichtig. Wir haben viel zu besprechen, setzt dich bitte."
Joyce macht eine kleine Redepause, in der sie einen ernsten Blick auf den Flyer wirft, als ob es ihre Entscheidung bestätigt.
„Du wirst auf die Akademie delle Decisioni gehen. Und bevor du durchdrehst, lass es mich bitte erklären, es gibt aussagekräftige Gründe!", fährt sie fort und schließt ihre Augen kurz, es sieht aus als hätte es ihr schmerzen bereitet, diesen Satz auszusprechen.
Geschockt darüber, wie sie diese Bombe einfach so platzen lassen kann, schweige ich einen Moment und versuche ihr meinen Magen Inhalt nicht vor die Füße zu entleeren.
Nach ein paar Sekunden ist es mir möglich, mich wieder zu sammeln.
Wütend sehe ich in ihr verschleiertes Gesicht und erläutere stur : „Ich hab dir schon oft genug gesagt, dass ich niemals auf diese Akademie gehen werde, Joyce!"
Ihre Augen sehen mich gleichgültig an, den Rest ihres Gesichtsausdrucks kann ich durch die Bedeckungen nicht ausmachen.
Das trieb meine Wut nur noch mehr voran.
„Ich habe mir geschworen niemals auf diese Akademie zu gehen, du kannst mich nicht zwingen!" wiederhole ich drohend, aber dennoch gefasst.
„Du hast recht, Azylia. Ich kann dich nicht zwingen, aber der oberste Rat kann es.", antwortet meine Tante und blickt mir nun mitleidig entgegen.
„Was?" frage ich und mir bleibt die Spucke weg.
Warum sollte dem Rat wichtig sein, was ein einfaches Mädchen aus der Stadt für eine Schulbildung hat.
Joyce atmet tief durch, bevor sie anfängt, mir alles zu erklären.
„Sie werden dich zwingen, auf diese Akademie zu gehen und ich selbst möchte, dass du dem nachgehst.
Seit dem Tot deiner Mutter, drohen sie uns mit der Verbannung aus Moonoria.
Uns ist es früher nur erlaubt gewesen hier zu leben, da deine Mutter im Palast, dem
Königshaus, gearbeitet hat.
Der Rat ließ sich auf ein Kompromiss mit deiner Mutter ein. Dieses erlaubt es dir 6 Semester an der Akademie delle Decisioni zu verbringen. Du wirst dort lernen, in dieser Welt zu leben, sie ist nicht so schön und friedlich wie es scheint."
Ihre Worte hören sich an wie abgelesen, als hat sie sich schon vor Wochen auf diesen Tag vorbereitet, um es mir möglichst schonend beizubringen.
Ich blicke erneut in die Augen von meiner Tante.
Sie versucht immer mit aller Kraft ihre Emotionen auszudrücken, aber meistens wirken sie kühl und leer, das ist schon immer so gewesen.
Sie hat keine Bestimmung, nichts was sie erfüllen kann, sie ist eine von den vielen Ausgestoßenen.
Ausgestoßene sind Menschen, die bei den Spielen der Entscheidung keinen Rang zugeteilt bekommen.
In ihrer Blut Linie, fließt kein königliches Blut, jedoch kann man trotzdem einen hohen Stand bei den Spielen der Entscheidung erlangen.
Wer das nicht schafft, ist dreck für die anderen Menschen, die Ausgestoßenen werden schleichend und unauffällig von dem Rat ermordet.
Sie schaffen es immer die vielen Tode auf irgendeine schräge Art und Weise zu vertuschen, und niemand hinterfragt es.
Warum sollte man auch, es ist der Rat, er wird schon wissen was er tut, das Denken zumindest die meisten Menschen.
Das Volk verweilt lieber in seiner gewohnten Blase und sieht die Welt so, wie es ihnen gefällt.
Niemand wird es glauben, wenn man die Ausrottung der Ausgestoßenen ans Licht bringen würde.
Da die Welt dann nicht mehr friedlich wäre und die Menschen sich mit echten Problemen auseinandersetzen müssten.
Das will niemand.
Grübelnd Wippe ich auf meinem Stuhl hin und her, ich habe sowieso keine Wahl, man wird uns bestrafen, wenn ich nicht tue was der Rat anordnet.
„Ich gehe hin. Für Mutter und für dich Joyce, hoffentlich lassen sie viel Gnade mit dir walten", beschließe ich und kriege die Worte nur schwer über meine Lippen.
Joyce mag es nicht erwähnt haben, aber ich bin mir im Klaren, dass der Rat keine Ablehnung dulden wird und Joyce müsste dann für meine Sturheit bezahlen.
Ich will mir nicht ausmalen, was mit ihr passiert wenn ich fortgehe, allerdings wird ihr noch schlimmeres zustoßen, wenn ich nicht gehe.
Der Rat wird seine Wut an ihr auslassen.
Sie werden Joyce nicht gnädig mit dem Tode erlösen, wie sie es sonst bei ausgestoßenen tun.
Sondern sie bis ins unaufhaltsame Foltern, bis sie an den Folgen stirbt.
Ein dicker Kloß aus Panik, sammelt sich in meiner Brust und steigt unangenehm hoch in meinen Hals, so dass die Trauer ihre Möglichkeit nutzt um sich auf meinen Brustkorb zu setzen.
Ich gucke auf die spitzen Tischdecke und konzentriere mich darauf die kleinen Kreise zu zählen, damit ich meine aufsteigenden Tränen unter Kontrolle halten kann.
Der dicke Kloß in meinem Hals wird allerdings erst verschwinden, wenn ich anfange loszulassen.
„Es tut mir so leid."
Zerreißen die Worte von meiner Tante die unangenehme Stille.
Ich richte meine Augen zurück auf ihre umhüllte Gestalt, was sich als deutlichen Fehler herausstellt.
Der Kloß schwillt in Sekunden schnelle auf die doppelte Größe an und dicke Tränen fangen an sich über meine Wangen zu schleichen, um anschließend in meinen Schoß zu tropfen.
Tante Joyce erhebt sich von ihrem Stuhl und schließt mich im nächsten Moment schon in die Arme. Ich atme ihr blumiges Perfüm ein, was mir so vertraut ist, aber es verschlimmert meine tiefgründigen Gedanken umso mehr.
Ich lasse mich treiben, von der Trauer, der Wut und der Ungerechtigkeit.
Ein Schluchzer nach dem anderen verlässt meinen Mund, doch es tut gut.
Ich weine um mich, um meine Tante, um meine Mutter, um unser Schicksal.
••••••••••••••••••••••••••••••••••••
Kapitel 1 von der neuen Story ist geschafft ! <3
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top