🍀Sept🍀

●Ruelle - War of Hearts●

Das hin und her Schwappen des Weines in dem oval förmigen Glas, war das Einzige was Amira seit fünf Minuten fasziniert betrachtete. Zwanzig Minuten waren seit jeher vergangen, als Maya Kian zu den Kunden gerufen und sie anschließend in ein hitziges Gespräch miteinander versunken waren. Derweilen hatte Amira nichts Weiteres getan, als mit ihren Fingerspitzen langsame Kreise über ihr Weinglas zu malen und sich dabei seelenruhig in der Umgebung umzuschauen. Doch auch die Lust daran verging ihr recht schnell, denn es war immer wieder dasselbe Bild, was sie zu sehen bekam. Menschen, die tranken, Menschen, die sich amüsierten, Menschen, die sich gegenseitig eine Maske vorenthielten. Ein Maskenball wäre angemessener gewesen, ging es Amira just in dem Augenblick durch den Kopf und sie musste über ihre Gedanken leicht schmunzeln, ehe sie angestrengt Luft aus ihrer Luge ausstieß. Sie mochte solche Anlässe überhaupt nicht, da diese Leute aus Kians Branche stammen und sie so gesehen fast keinen kannte. Zwar galt sie als Kians Assistentin und hatte die letzten Jahre viel Papierkram oder sonstiges für ihn organisiert, sodass sie ausreichend über jeden einzelnen informiert war und doch war sie keineswegs wie sie. Zudem erheiterten sie die Gespräche mit diesen Menschen nicht. Sie sprachen über belanglose Themen und lachten über Dinge, die ganz und gar nicht witzig waren. Was Amira aber am meisten an diesen Menschen gestört hatte, war der intensive analysierende Blick gewesen, wie, als würden sie sich bemühen nur den mickrigsten Fehler an ihnen ausfindig machen zu können, um diese dann geschickt gegen sie zu verwenden. Diese Menschen waren Perfektionisten.

Genervt, aber doch ihr Lächeln wahrend, stieß Amira ein weiteres Mal die Luft aus, ehe sie anfing die Tischdecke anzustarren und jedes kleinste angefertigte Detail mit den Perlen in sich aufzunehmen. Langsam fuhr sie mit den Fingerspitzen über die Strickereien und sie konnte nicht anders, als über die Schönheit dieser kleinen Feinheiten zu stauen. Amira hatte es sich bei solchen Anlässen zu einem kleinen Spiel gemacht. Wenn sie sich zu sehr langweilte, erriet sie entweder den Designer der Kleider, die die einzelnen Frauen in ihrem Blickfeld trugen, betrachtete die schönen Wandmalereien oder sie analysierte den Stoff des Mobiliars, wie sie es jetzt auch tat, indem sie sich nun auf die Tischdecke konzentrierte. Denn während ihres Studiums hatte sie gelernt, dass der eigentliche Grundbaustein nicht die Skizze für ein Modell war, sondern es viel mehr darauf ankam, welchen Stoff man wählte. Sollte es Satin sein ? Baumwolle oder Seide ? Selbst in der Lederstoffauswahl musste man äußerst vorsichtig sein. Leder war nicht gleich Leder und Lackleder konnte man keineswegs mit Veloursleder in eine Schublade stecken. Amira musste fast schon kichern, als ihr die Worte ihres damaligen Professors einfielen, der jede Stunde solche ähnlichen Anmerkungen von sich gegeben hatte.

»Wow, meine Feier muss ja wirklich öde sein, wenn selbst die Tischdecke dein Interesse mehr ankurbeln konnte, als der Tausend Euro teure Wein vor dir.«

Amiras Kichern erstarb auf halben Wege, als sie die Stimme erkannte und errötend hob sie den Blick, um niemand geringerem als Maya ins Gesicht zu blicken, die sie, wie auf frischer Tat ertappt, anlächelte.

Sie machte einige Schritte weiter vor und setzte sich ebenfalls an den Tisch. Amira wollte gerade höflich lächelnd auf eine Antwort ausholen, doch da griff Maya nach der Weinflasche vor ihr und schüttete sich etwas ein, ehe sie das Glas hebend und durch die Runde blickend sagte:

»Glaub' mir, ich bin auch nicht wirklich begeistert davon, aber was sein muss, muss sein«, sagte sie und Amira hob verwundert die Augenbrauen, da sie von solch einer Offenheit seitens Maya nicht ausgegangen war.

Nun war es Maya, die laut losprusten musste, als sie Amiras Gesichtsausdruck zu sehen bekam. Die zahlreichen angeregten Gespräche drumherum und die leisen melodischen Klänge der Geige im Hintergrund, übertönten diesen Laut jedoch recht schnell.

»Warum wundert dich meine Wortwahl, Amira ? Wir wissen doch beide, dass ich hier die offenere von uns beiden bin.« Amira horchte auf und nahm die Tonlage ihrer Stimme aufmerksam in sich auf. Es war weder Spott, noch jegliches kritisierendes in ihrem Ton vorzufinden und sie klang auch keineswegs beleidigt. Nein, wohl eher gab sie ihre Feststellungen bekannt, was Amira noch stutziger werden ließ. War das wirklich so ? Ließ sie sich wirklich nicht gerne in die Karten schauen ? War sie dermaßen abgeneigt von den Menschen, dass selbst Maya es mitbekommen hatte ? Amira spürte, wie ein ungutes Gefühl sich in ihre Gedanken schlich, wie der Schatten sie jeden Augenblick einzunehmen bestrebte. Bevor ein Windzug jedoch über sie herbeiwehte, die Kälte ihr Herz erschüttern und erfrieren lassen würde, entschied sie sich das Thema zu wechseln.

»Wo ist Kian ?«, fragte sie ihr Lächeln wahrend und Maya antwortete ebenfalls mit einem wissenden Lächeln, der kenntlich machte, dass sie Amira diesbezüglich nicht weiter ausfragen würde.

»Wo wohl ? Die Kunden waren wie immer begeistert von deinem Mann. Er hat einfach dieses charmante Lächeln und eine Überredekunst drauf, die ich bei niemanden sonst je zu sehen bekommen habe.« Sie deutete einige Tische weiter vor ihnen, wo Kian sich angeregt mit drei Männern unterhielt, die in verschiedenen Altersgruppen von jung bis alt auseinandergingen. Kian hingegen stach aus all diesen Männern hervor. Amira wusste nicht warum. Vielleicht lag es an seinen attraktiven Gesichtszügen, an seiner lockeren Körperhaltung, als er das Glas hob und den Männern zuprostete oder an den kleinen Grübchen die hervorstachen, wenn er lachte...

Amira war so sehr verankert in die dunkelsten Ecken ihrer Gedanken, dass sie kaum bemerkte, wie sie unverwandt zu Kian starrte, bis sich ihre Blicke trafen. Kians Grübchen verschwanden, seine unbekümmerte Haltung nahm ab, wurde angespannt, hart und die zuvor funkelnden Augen füllte eine so tiefe Leere, dass Amira das Gefühl hatte sich mitten im Nichts zu befinden. Als Kian seinen Blick über ihr Gesicht huschen ließ und erneut an ihren Augen ankam, brach Amira den Blickkontakt ab. Ihr Puls hatte sich auf Anhieb beschleunigt, ihre Hände waren auf unerklärliche Weise plötzlich schwitzig geworden und ihr Atem verlief schwacher denn je. Doch als sie bemerkte, dass Maya immer noch neben ihr saß, schluckte sie schwer, schloss einen Moment lang die Augen und hob ihre Mundwinkel nur mit Mühe in die Höhe, ehe sie mit fester Stimme antwortete:

»Kian liebt seinen Beruf sehr. Er macht das mit großer Freude.« Sie spürte, wie der Klotz in ihrem Hals langsam dahinschmolz.

Maya nickte eifrig und nahm einen Schluck aus ihrem Weinglas.

»Oh ja, aber bedenke, dass hinter jedem starken Mann eine ebenso starke Frau steht. Wenn du nicht bei ihm wärst, wäre er aufgeschmissen. Er schätzt dich sehr.«

Amiras Herz machte einen Sprung, doch mit einer recht belanglosen Handbewegung fegte sie diese Aussage schnell weg. Amira war nicht stark, sie fühlte sich nicht stark... Maya irrte sich.

»Ach, was mache ich denn schon ? Ich erledige nur hier und da Mal Papierkram für ihn, mehr ist das nicht.«

Maya schüttelte belustigt den Kopf.

»Du bist wirklich zu bescheiden, Amira. Aber nun kommen wir zu dir. Hast du endlich Mal vor, dir eine eigene Boutique zu eröffnen. Du bist so talentiert, nutze es aus !«

»Ach ich weiß nicht«, gab Amira wahrheitsgetreu von sich, ehe sie mit Bedauern zu Ausdruck brachte:

»Du weißt ja, ich habe mein Studium nicht beendet und...«

»Aber du bist gut ! Verdammt gut sogar. Kian hat mir gesagt, dass du davor einige erfolgreiche Praktika absolviert hast.«

»Kian spricht von mir ?«, fragte Amira verwundert.

»Natürlich tut er das. Auch er würde es befürworten, wenn du diesem Traum nacheifern würdest. Kian spricht von nichts anderem.«

Irritiert wusste Amira nicht was sie daraufhin erwidern sollte. Dass Kian über sie auf der Arbeit sprach, wäre ihr niemals in den Sinn gekommen und da Kian sich mit Maya ein Büro teilte, war sie sich mehr als sicher, dass Besagte sie nicht anlog. Bevor sie ihre Aufwühlung mit jeder Sekunden, an der die Stille anhielt, bestätigte, antwortete sie:

»Ich werde es mir überlegen. Danke Maya.«

»Nichts zu danken«, gab sie in einem sanften Ton von sich, anschließend sie ihre dunklen Wellen nach hinten warf und somit einen offenen Ausblick auf ihr gewagtes Dekolleté gewährleistete. Für Amiras Geschmack war es zwar zu tief ausgeschnitten, aber sie wusste, dass Maya keineswegs von de Sorte Frau war, die man auf ihr Äußeres reduzieren sollte. Zwar brachte die kleine feine Dame gerne ihre sinnlichen Kurven zur Schau, aber trotz dessen hatte sie es Faust dick hinter den Ohren und erkämpfte sich einen guten und ansehnlichen Platz in der Männerbranche. Dies war auch der Grund, weshalb Kian sie nicht nur als Arbeitskollegin sehr wertschätzte, sondern auch als normaler Freund auf Mayas Feten mit Amira in Begleitung auftauchte. Amira, die zu Beginn nicht begreifen konnte, wie ihr Ehemann Freundschaften mit solchen Leuten schließen konnte, realisierte sehr schnell, dass sie zu voreingenommen war. Denn Maya war von Anfang an sehr nett und offen zu ihr gewesen. Sie hatte ihr nach dem Vorstellen auch direkt ihre Nummer gegeben, damit sie sich Mal verabreden konnten, doch letztlich war Amira immer diejenige, die ihr absagte.

»Wir sollten...«, fing Maya ein weiteres Mal das Gespräch an, bis sie von einem Kellner unterbrochen wurde.

»Miss, der Herr dort drüben verlangt danach mit Ihnen zu sprechen«, sagte er sachlich und gleichzeitig schossen Amiras, als auch Mayas Blick zu einem Mann mittleren Alters, der sich angeregt mit einem Kellner über verschiedene Weinsorten zu unterhalten schien. Maya nickte dem Kellner zu, der sich im Anschluss vom Tisch entfernte, ehe sie sich erneut Amira zuwandte.

»Schätzchen, die Pflicht ruft Mal wieder«, gab sie seufzend von sich und rückte ihr körperbetontes Kleid zurecht, derweilen sie sich von ihrem Stuhl erhob.

»Wir sollten auf jeden Fall Mal einen Mädelsabend vereinbaren und uns treffen«, sagte sie auf sie herunterblickend.

»Schreib oder ruf mich einfach Mal an, sobald du die Zeit zu findest«, fügte sie winkend hinzu, ehe der Blickkontakt abbrach und Maya von der Menge verschluckt wurde.

Amiras Lächeln verblasste, sobald sie nicht mehr da war und frustriert seufzte sie auf. Obwohl Maya wusste, dass Amira dies nie tun würde, gab sie niemals auf, sie bezüglich eines Treffens anzusprechen und Amira tat es im Herzen weh sie auf diese Weise von sich fernzuhalten, doch sie konnte nicht anders.

Als einige Sekunden durch ihren inneren Monolog verstrichen, setzte Amira erneut zur Beobachtung an. Ihr Blick huschte unmittelbar auf das riesen Buffet auf der linken Seite des Saales, welcher durch auffällig dekorierte Ausschmückungen fantastisch aussah und den Kleinigkeiten eine zusätzliche Schmackhaftigkeit verlieh. Als Amira selbst aus der Entfernung heraus, die kleinen Verzierungen auf den Macarons, die übereinandergestapelt waren, ausfindig machen konnte, musste sie augenblicklich an Tia denken. Wäre sie nur hier gewesen, dann hätte sie sich um die Schar hier im Saal nicht geschert und hätte alle Macarons verspeist. Erst da bemerkte Amira ein weiteres Mal, wie sehr sie ihre beste Freundin eigentlich vermisste und sie wünschte sich, sie hätte ihr die Mail von vor zwei Wochen zugeschickt. Je mehr nämlich diese Funkstille anhielt, desto mehr würde die Distanz untermauert werden.

Von der Sehnsucht gepackt, starrte Amira in die Ferne, doch als sich plötzlich sanfte melodische Klänge langsam an sie herantasteten, horchte sie auf und blickte sich verwundert um. Sekunden darauf entdeckte sie auch schon den Pianisten, der am Flügel mitten im Saal Platz genommen und mit den Fingern zu spielen begonnen hatte. Rhythmisch und wie als würden seine Fingerkuppen, die über die weißen Tasten strichen, sie liebkosen. Doch das war nicht der Grund, weshalb dies bei Amira ein Lächeln und gleichzeitig eine Gänsehaut auslöste. Es war das Stück, was er spielte. Chopin Nocturne Op.9 No.2. Das Lieblingsstück von Kian und das erste und letzte Stück wozu sie auf ihrer Hochzeit getanzt hatten. Auch wenn Kian im Nachhinein seine Differenzen mit seiner Familie hatte, war er dennoch mit solchen Stücken groß geworden. Theateraufführungen auf den bekanntesten Bühnen hatte er gesehen und die weltweit talentiertesten Pianisten mit seiner Familie besucht. Kian hatte zwar keinen Kontakt mehr zu seiner Familie, aber er war immer noch ein Barroso und die Barrosos liebten die klassische Musik, genauso, wie Kian es tat.

Amira schloss einen Moment lang die Augen und versuchte sich an den Tanz mit Kian zu erinnern, an seine ruhige glückliche Haltung, an seine freudestrahlenden Augen sich festzuklammern, doch ehe sie endgültig in diese Welt abtauchen konnte, hörte sie plötzlich einen Laut neben sich und erschrocken zuckte sie zusammen.

»Ein wunderschönes Stück, nicht wahr ?«, sprach eine männliche tiefe Stimme zu ihr und als sie den Kopf hob, sah sie, dass sich ein junger Mann, welcher im Alter von Kian sein musste, neben sie gestellt und sich mit der einen Hand am Stuhl neben ihr abgestützt hatte. Er hatte einen grauen Anzug an, der seine gleichfarbigen Augen unterstrich und die kantigen attraktiven Gesichtszüge stark hervorhob. Ein anzügliches Lächeln legte sich um seine Lippen, als er auf Amira hinabblickte und seine Wangenknochen stachen unmittelbar, wie kleine Äpfel hervor. Amira zuckte einen Moment zusammen, da sie den Mann nicht kannte, aber trotz, dass sie nicht in Redelaune war, erwiderte sie sein Lächeln höflich.

»Ja, sehr schön sogar«, ging sie auf seine Aussage ein und blickte wieder zurück auf die Fläche, wo die Symbiose zwischen Pianist und dem Klavier vonstatten ging. Des Weiteren bemerkte sie einen Augenblick danach, dass sich einige Paare erhoben und sich zur Mitte hin begeben hatten um gemeinsam zu dem Stück eng umschlungen zu tanzen.

Einige Sekunden lang blickten beide stumm geradeaus, ehe der junge Mann neben ihr tief ausatmete.

»Übrigens, ich heiße Lyon«, sagte er plötzlich, wandte sich zu Amira und reichte ihr die Hand entgegen. Amira stutzte einen Moment, aber dann rief sie sich in Erinnerung, dass sie nichts weiter tat, als sich nur ganz normal mit dem Mann zu unterhalten. Also gab es keinen Grund zur Panik.

»Amira«, sagte sie lächelnd und ergriff seine Hand. Doch bevor sie diese wieder aus seiner entziehen konnte, bückte er sich vor und hauchte ihr einen Kuss auf den Handrücken.

»Freut mich sehr Sie kennenzulernen. Sie haben einen sehr schönen Namen«, antwortete er und da erst gab er ihre Hand frei. Amira war nicht davon ausgegangen, dass er ihr mit solch einer Geste entgegenkommen würde, weshalb ihr unmittelbar die Röte ins Gesicht schoss.

»Dankeschön.«

»Sind Sie mit Maya befreundet ? Zugegeben, ich habe Sie gerade eben zusammen sprechen sehen und mich gewundert, dass mir Maya so eine reizende Dame, wie Sie, nicht vorher schon vorgestellt hat.« Er klang keineswegs aufdringlich bemerkte Amira, eher schien er aufrichtig verwundert darüber zu sein.

Amira lächelte aufgrund seines unterschwelligen Kompliments und wollte gerade antworten, doch da blieb ihr die Luft im Halse stecken, als sie einen stechenden Blick von der Seite aus auf sich spürte und ihr Körper sich aufgrund dessen versteifte. Sie wusste, wer sie mit den Blicken erdolchte, aber sie nahm sich fest vor, nicht zur Seite zu schauen, sondern geradewegs den Blickkontakt mit dem Mann vor ihr beizubehalten.

»Ja, das kann man so sagen.«

»Achso. Entschuldigen Sie meine Frage, aber sind Sie alleine hier ?«

Amira wollte gerade zur Antwort ausholen, bis sie durch eine Hand, die sich auf ihre Schulter legte, dabei unterbrochen wurde. Sie drehte sich von ihrem Stuhl aus leicht zur Seite um und blickte nach oben, um niemand geringeren als Kian ins Gesicht zu blicken, der Lyon mit zusammengebissenen Zähnen anblickte. Da Amira sich von den beiden Männern, die standen, wie eingekapselt fühlte, entschloss sie sich ebenfalls aufzustehen und bevor sie etwas sagen konnte, hatte Kian sie bereits fest an der Taille gepackt und sie von der Seite aus an sich gezogen.

»Guten Abend Lyon. Wie ich sehe, hast du schon meine Frau Amira kennengelernt«, sagte er spitz, sein Lächeln dabei immer noch wahrend. Amira, die wie elektrisiert von seinen Berührungen war, hatte instinktiv, um nicht den Halt zu verlieren, eine Hand auf die Brust von Kian gelegt und wie sie Sekunden später bemerkte war es direkt über seinen Herzen, denn sie spürte das wilde Schlagen in ihrer winzigen Handfläche. Als ihre Hand mit seiner Brust in Berührung kam, brach Kian einen Augenblick lang den festen Blickkontakt mit dem Mann vor ihnen ab und warf Amira einen nicht zu definierbaren Blick zu. Seine Gesichtszüge wirkten verhärtet, seine haselnussbraunen warmen Augen hatte der Sturm verwüstet und ein Nebelschleier bedeckte diese. Amira wusste nichts daraufhin zu erwidern, außer ihn anzustarren und sich zu fragen, warum er sie anfasste. Ihr Atem prallte ungleichmäßig gegen seines und Amira sah, wie er kurz auf ihre Lippen starrte, ehe seine Hand anfing langsam ihre Taille runterzufahren. Sie hielt den Atem an.

»Sie ist deine Ehefrau ?«, fragte Lyon verwundert und blickte zwischen Amira und Kian hin und her, die sich wieder ihm gewidmet hatten. Ein spöttisches Lächeln legte sich auf Kians Lippen und unbemerkt wurde sein Griff um ihre Taille noch fester.

»Ja, vor dir steht Amira Barroso«, sagte er auf eine arrogante Art und Weise, die Amira an den alten Kian erinnerte und ungläubig warf sie ihm einen warnenden Blick zu. Was war denn nun in ihn gefahren ? Lyon hatte ihm nichts schlimmes angetan, da musste er doch nicht gleich so reagieren. Kian wandte sich erneut Amira zu, als wäre nichts gewesen und schmiegte sein Gesicht anschließend in ihre Halsbeuge, ehe er mit den Lippen an ihr Ohr ankam.

»Komm Liebling. Ich möchte mit dir tanzen«, raunte er ihr in solch einem Tonfall zu, dass selbst Lyon das noch mitbekam. Sie sah nur noch, wie Lyon die Augen verengte, doch versuchte Amira weiterhin ihr Lächeln beizubehalten. Als Kian sie hingegen plötzlich auf die Tanzfläche dirigierte, warf sie Lyon noch einen letzten entschuldigenden Blick zu und sagte:

»Hat mich gefreut Sie kennenzulernen«, ehe sie herumgewirbelt wurde und mit den Händen an Kians Oberkörper prallte. Seine beiden Händen legten sich zunächst auf ihre Hüften, ehe sie sich an ihren Rücken zusammenfanden und er sie mit einen Ruck noch weiter zu sich ran zog. Anschließend nahm er Amiras Hand in seine, derweilen ihre andere auf seiner Brust verharrte und begann sich im Takt hin und her zu bewegen. Amira tat es ihm gleich, um die anderen Tänzer nicht von ihrem Rhythmus zu werfen.

»Was sollte das Kian ?«, presste Amira mit zusammengebissenen Zähnen hervor, während sie ihm im Takt folgte. Kian blickte nur zu ihr runter und erwiderte einen Augenblick lang nichts.

»Lyon ist ein verdammter Mistkerl«, antwortete er daraufhin Zähne knirschend und Amira verdrehte verärgert die Augen.

»Er wollte nur höflich sein. Musstest du auf diese herabwürdigenden Weise mit ihm sprechen ?«, fragte sie, wobei ihre Stimme zum Ende hin brach, da Kian plötzlich mit seinen Fingerspitzen über ihren Rücken hoch und runter fuhr.

»Er wollte dich flachlegen«, erklang seine Stimme sachlich, kalt und distanziert, während er über ihre Schulter hingeschaute.
Empört über Kians Wortwahl, schoss Amiras Kopf in die Höhe und sie suchte erzürnt seinen Blick.

»Das ist Unsinn !«, gab sie immer noch wütend von sich, was Kian aufknurren ließ und er sie noch näher an sich zog. Ihre Nasenspitzen waren kurz davor sich zu berühren. Amiras Wangen erröteten, als sie, wie hypnotisiert, in seine Augen blickte, die sich erstmals vor ihr zu verbergen schienen.

»Willst du diesen Kerl auch noch in Schutz nehmen ?«, fragte er gequält langsam, derweilen sich seine vollen Lippen zu einer Linie verzogen und er die Kiefer anspannte. Erst da jedoch, genau aus dieser Nähe, nahm Amira erstmals den Geruch vom Alkohol wahr und ihr wurde schlagartig bewusst, dass Kian nicht bei dem ersten Weinglas geblieben war, den er, während sie ihn beobachtet hatte, zu sich genommen hatte.

»Bist du leicht angetrunken ?«, fragte sie ihn verwundert, doch die Missbilligung in ihrer Stimme schwang unterschwellig mit. Kian fing grundlos zu Grinsen an, ehe seine Konturen sich ein weiteres Mal verhärteten.

»Ich bin noch so gut bei Besinnung, um zu merken, wer meiner Frau an die Wäsche gehen möchte und wer nicht«, sprach er ungeniert aus, was Amira ein weiteres Mal scharf die Luft einziehen ließ, ehe sie versuchte ihre Hand aus seiner zu entziehen und dem Tanz somit ein Ende zu setzten. Kian, der bemerkt hatte, dass sie erneut den Abstand zu ihm suchte, hielt ihre Hand nun noch fester in seinem Griff und war dabei bedacht ihr damit nicht wehzutun. Des Weiteren schlang sich seine Hand auf ihrem Rücken, um ihre Taille und auch diesbezüglich gab es für sie keinen Fluchtweg mehr. Kian näherte sich mit seinem Gesicht an ihr Ohr und Amira bekam eine Gänsehaut, als seine Lippen kurz davor ihre Wange gestreift hatten.

»Renn nicht weg, Amira. Was sollen bloß die Leute denken, wenn du mich auf der Tanzfläche stehen lässt. Darauf gibst du doch sonst immer so viel acht«, entgegnete er spöttisch und Amira bekam noch ein kaltes leises Lachen seinerseits mit, was sie noch zorniger stimmte. Einige weitere Male wollte sie sich unbemerkt erneut seinem Griff entwinden, was jedoch nicht klappte und sie es aufgebend sich seinen Händen auf ihrem Körper hingab. Langsam schloss sie die Augen und bemühte sich einen gleichmäßigen Atem hervorzubringen, während sie seine Atmungen ebenfalls auf ihrer Haut zu verdauen versuchte. Die sanfte Melodie erreichte Sekunden darauf wieder ihren Hörsinn und fegte dezent die Anspannung von ihren Schultern, kontrollierte die Flammen, die sich bei jeder seiner Berührungen wie ein Brandfleck auf ihrem Körper legten, besänftigte ihre Seele, die sich in eine Ecke verkrochen hatte und lauthals flennte. Die Stille in seiner Gegenwart war wie ein Segen und eine Folter zugleich, wie Leben und Tod, wie als befände sie sich an der Schwelle zwischen der Hölle und des Paradieses.

»Erinnerst du dich noch...«, unterbrach Kians Stimme plötzlich diese Stille, während sich ihre Schritte den leitenden Klängen hingegeben hatten. Amira erschauderte. Nicht wegen seiner Nähe, sondern aufgrund seines Stimmtons. Er klang ruhig, sanft... sehnsüchtig.

»Erinnerst du dich an diese Melodie ?«, brachte er den Satz zu Ende, doch sein Atem ging schwer, das spürte sie regelrecht, als sie über seine Schulter hinwegschaute. Sie antwortetet ihm nicht.

»Du hattest deine Haare offen... Deine hellen Wellen dufteten so schön nach Kirchen«, sagte er, presste seine Nase an ihr Haar, trotz dass sie eine Hochsteckfrisur trug.

»Oder dein Kleid...«, sprach er weiter, fasste sie plötzlich an den Hüften und fuhr mit seinen Fingerspitzen sachte ihre Kurven hoch, bis er auf ihrer Brusthöhe stoppte und mit den Fingerspitzen wieder runter fuhren.

»Du hattest dieses eng angeschnittene weiße Brautkleid an... Du warst wie ein Engel.«

»Aber...«, sprach er ein weiteres Mal aus und als Amira den quälenden Ton in seiner Stimme hörte, bannte sich eine Träne auf ihrem Gesicht runter und sie wollte sich von ihm lösen. Auch da war er aber wieder schneller und hielt sie fest umschlungen. Wie als wäre sie sein Felsen und er würde von den Wellen, den schlimmen Seiten der Welt, mitgetrieben werden und ertrinken, wenn er sich nicht an Amira festklammerte.

»Aber weißt du, was ich nie vergessen werde ?«, fragte er und Amira gab ein Winseln von sich. Sie wollte es nicht hören. Er sollte es nicht sagen.

»Hör auf Kian«, flehte sie ihn leise an, doch er hörte nicht auf sie, sondern sprach mit fester Stimme weiter.

»Deinen Blick Amira... ich werde deinen Blick an diesem Tag nie vergessen. Mit was für einer Liebe, Entschlossenheit und Vertrautheit du mich angesehen hast. Du hast mich nicht nur angesehen, als wäre ich dein Ehemann, nein, an dem Tag, mit dem Blick, hast du mir gezeigt, dass ich alles für dich war. Mutter, Vater... dein Leben.«

»Bitte Kian... bitte hör auf.« Amira zitterte am ganzen Leibe, doch Kian hielt sie immer noch fest. Er war der einzige Grund, weshalb sie noch im Moment auf den Beinen stand, doch gleichzeitig war auch er derjenige, der sie so schwach werden ließ, sie runter zog.

»Du hast Lyon heute Abend angelächelt. Dein Lächeln war warm, aufrichtig. Warum lächelst du mich nicht mehr so an Amira ? Warum...«seine Stimme brach und er schnappte angestrengt nach Luft. Nun hatte seine Stimme angefangen zu zittern und das stimmte Amira noch schwächer. Sie biss sich auf die Lippen, um nicht laut aufzuschluchzen.

Kian näherte sich mit seinen Lippen an ihre Halsbeuge, berührte ihre Haut aber nicht, trotz, dass es nur einen Millimeter Abstand ausmachte.

»Warum bin ich nicht der Grund deines Lächelns ?«

Diese Sätze gaben Amira den Rest. Sie entzog ihre Hand aus seiner und platzierte diese neben ihre andere Hand, die auf seiner Brust verharrte. Kian hatte derweilen seine freie Hand auf ihre Hüfte gelegt und als Amira sich von ihm wegzudrücken versuchte, schmiegte er sich nun endgültig an sie und platzierte seinen Kopf in ihre Halsbeuge.

»Lass es mich genießen. Nur dieses eine Mal... in diesem angetrunkenen Zustand. Lass mich deine Nähe genießen.«

Amira atmete tief aus, ihre Augen waren gefüllt voller Tränen, die stark dagegen ankämpfen die Barriere nicht zu überqueren und wie sanfte Regentropfen auf ihr Gesicht zu fallen.

»Kian lass mich gehen«, sagte sie.

»Nur einige Minuten noch... bitte einige Minuten.«

Doch Amira wusste, dass sie dieser Bitte nicht entgegenkommen konnte. Das Meer voller Tränen in ihren Augen, nahmen ihr jegliche Luft zum Atmen und je mehr sie seine Qualen erleidende Stimme wahrnahm, desto mehr starb ein Teil in ihr.

»Bitte...«, flüsterte sie, doch er schmiegte sich noch mehr an sie.

»Sekunden... einige Sekunden nur noch«, presste er weinerlich hervor, aber da hatte sich bereits Amira aus seinem Griff befreien können und war unauffällig aus dem Saal gestürmt. Keiner der Gäste wurde Zeuge dessen, was sich auf der Tanzfläche abgespielt hatte. Jeder war nur auf sich selbst fokussiert.

Denn wenn sie aufmerksam gewesen wären, hätten sie erkannt, dass zwei verlorene Seelen beim Versuch sich gegenseitig zu retten in einen Seelenscherbenhaufen zerfallen waren.

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