🍀Neuf🍀

●Maroon 5 ft. Future - Cold●

Eineinhalb Wochen waren verstrichen seit das Ehepaar Barroso das Büro von Mrs. Gielow verlassen und in ihren Alltag zurückgekehrt war. Seit jeher war nichts Ungewöhnliches geschehen. Zum großen Erstaunen des Ehepaares, gab es keine allzu großen Streitereien und selbst kleine friedliche Gespräche kamen zwischen ihnen zustande, sobald beide anfingen miteinander zu sprechen. Amira, so auch Kian waren äußerst bestrebt, sich angemessen auszudrücken, als auch vorab über ihre Wortwahl nachzudenken, bevor sie ihre Sätze vervollständigten. Denn beide erweckten recht schnell den Eindruck, als hätten sie nicht den nötigen Nerv für einen erneuten Streit aufzubringen, sodass sie dem aus dem Weg zu gehen bestrebten.

Kian nämlich, war die letzten zehn Tage damit beschäftigt, die Verhandlungen mit den Geschäftspartnern in Tokio auf die Beine zu stellen, weshalb er selbst beim Nachhause kommen Stunden lang an seinem Schreibtisch saß, um Projekte, Verträge und Skizzen hintereinander durchzugehen. Amira auf der anderen Seite, die seit Monaten den Job als Kians Assistentin nicht mehr nachgegangen war, hatte nur hin und wieder, sich nicht zurückhalten könnend, unauffällig über die Projekte geschaut und ein paar Kleinigkeiten verbessert, falls Kian zu müde gestimmt, auf dem Schreibtisch eingeschlafen, war. Ansonsten hatte Amira,nach dem letzten Meeting mit Mrs. Gielow, jeden Morgen nach Kians Aufbruch zur Arbeit, sich mit ihrem alten Notizblock an den Tisch gesetzt und angefangen einige neue Skizzen anzufertigen. Am Anfang als sie eine ihrer spitzen Bleistifte in die Hand nahm und zum Zeichnen ansetzte, beschlich sie die Angst, dass sie ihre Begabung nach all den Jahren verlernt haben könnte, doch je mehr sie mit dem Stift über das makellose Blatt Papier fuhr, desto schneller huschte dieser nach einer Zeit über die gemachten Linien und angesetzten Schattierungen. Unwillkürlich schweiften dabei ihre Gedanken immer wieder zu Maya und der Idee mit der Boutique, doch bevor sie diese verfeinern konnte, schüttelte sie den Kopf und konzentrierte sich erneut auf das Wesentliche. Das Zeichnen tat Amira gut, wie sie bemerkte. Es gab ihr, wie früher in ihrer Jugend, die Möglichkeit einen freien Kopf zu bekommen und sich zu entspannen. Wie auch jetzt der Fall war. Denn seit Tagen war sie ruhiger gestimmt, wie seit längerer Zeit nicht mehr.

Am heutigen Tag, ein Tag vor dem nächsten Meeting mit Mrs. Gielow, hatte Amira Kians Lieblingsessen, Nudeln mit Champignonsauce zubereitet, da dieser morgen vor der Eheberatung das große Treffen mit den Kunden aus Tokio haben würde, für dessen Aufträge er die letzten Tage kaum ein Auge zugemacht hatte. Amira wusste, wie aufgeregt ihr Ehemann innerlich sein würde, weshalb sie das unbändigende Bedürfnis verspürt hatte, genau an diesem Tag dieses Gericht für ihn herzustellen, um ihn, wenn auch nur eine kleine Freude zu bereiten, zumal sie selbst keinen großen Appetit hatte.

Als Amira in dem Augenblick den am Herd stehenden Topf an beiden Seiten mit einem Lappen anhob, drangen Schlüsselgeräusche in ihre Ohren und als die Tür ins Schloss fiel, wusste sie, dass Kian von der Arbeit zurückgekommen war. Nachdem einige Fußschritte erklungen waren, machte sich seine Statur am Türrahmen der Küche bemerkbar und Amira blickte ihn Sekunden darauf von der Seite aus an, als sie die Nudeln auf einem Teller entleerte.

Kian stach, wie immer, wegen seines guten Aussehens unmittelbar hervor, was Amira, wie auch jetzt, eine Gänsehaut bescherte. Zwar hatte er einen seiner Anzüge an, die er auf der Arbeit trug und die ihn strenger wirken ließen, aber der lange dunkle Trenchcoat und die aufgrund des Windes leicht zu allen Seiten herab stehenden Haare, ließen ihn so unbeschwert wirken, dass er trotz seiner Erschöpfung, die der Tag mit sich brachte, einfach nur perfekt und makellos wirkte.

»Hallo«, sagte er ruhig und aufmerksam zugleich, während er sich am Türrahmen anlehnte und Amira betrachtete, die sich eine rosa Schürze um die Hüfte gebunden hatte. Kian musste bei ihrem Anblick unwillkürlich schmunzeln.

»Hast du Hunger ?«, fragte Amira ihn stattdessen, weil sie es verhindern wollte, dass, nachdem seiner Begrüßung Einheit geboten wurde, eine peinliche Still eintrat.

»Ja«, antwortete Kian, der jede ihrer Bewegungen mit den Augen zu verfolgen schien und stellte anschließend seine Aktentasche an der Wandseite auf den Boden ab.

»Ich habe Nudeln mit Champignonsauce zubereitet. Wo soll ich dir den Tisch decken ? Willst du am Esstisch im Wohnzimmer essen, oder lieber in der Küche ?«

»Die Küche reicht aus«, antwortete Kian und Amira nickte, während ihr Blick auf den Topf vor ihr gerichtet war. Nur hier und da hatte sie sich getraut Kian einige flüchtige Blicke zuzuwerfen, derweilen seiner, seit er sie erblickt hatte, kein einziges Mal von ihr gewichen war. Die Stille legte sich daraufhin für einige Sekunden um sie, welcher Kian zu überbrücken bestrebte, indem er sagte:

»Ich gehe mir kurz die Hände waschen. Bin gleich wieder da.«

Amira, die nun wieder alleine in der Küche war, atmete tief aus und schloss einen Augenblick lang die Augen. Sie hatte sich bemüht die letzten Tage ruhig zu bleiben und ihn nicht anzufahren, doch trotz all dieser Bemühungen verschwand die Unruhe, die in ihr herrschte keineswegs. Was auch immer sie tat, sie wurde diese Spur auf einfach nicht los.

Während sie den Tisch für Kian deckte und das ordentlich zuvor polierte Besteck neben seinem Teller platzierte, hörte sie Schritte, die von den Dielen aus bis zur Küche durchdrangen. Das war schließlich auch der Grund weshalb sie keineswegs überrumpelt war, als Kian die Küche ein weiteres Mal betrat. Amira setzte einige Schritte vom Tisch zurück und lief auf den Herd rüber, derweilen Kian seinen Trenchcoat auszog, die Ärmel seines Hemdes hochkrempelte und sich auf den Stuhl niederließ.

Amira überlegte stark, was sie nun mit ihm besprechen sollte, als sie das Essen auf den Teller entleerte. Ihr war es nie so schwer gefallen ein Gespräch mit Kian zu führen, was womöglich daran liegen musste, dass all die Gespräche in den letzten Monaten immer in einem Streit gemündet waren. Bei diesem Gedanken zog Amira scharf die Luft ein.

»Wie kommt ihr mit dem Projekt voran ? Seid ihr mit allen wichtigen Einzelheiten durch ?«

Kian, der erstaunt von Amiras Fragen über seine Arbeit war, blieb einige Sekunden lang still. Für ihn war es schon zu lange her, dass sie ihn bezüglich seines Jobs angesprochen hatte, zumal sie auch die Stelle als seine Assistentin nicht mehr fortführte. Sehr lange hatte er schon gedacht, dass sein Job sie nicht mehr interessieren würde, er sie nicht mehr interessieren würde, weshalb er just in dem Augenblick bemerkte, wie ihn eine Freude bei ihren ausgesprochenen Worten packte.

»Ja alles bestens.« Und derweilen Kian die Bauprojekte und die Strategie, die er sich mit Maya ausgedacht hatte, erläuterte, hörte Amira ihm aufmerksam zu, stellte den Teller vor ihm ab und nahm gegenüber bin ihm auf den anderen Stuhl Platz.

»Das hört sich sehr gut an«, antwortete sie, als Kian seinen Satz beendete und sich bemühte zusätzlich auch noch ein kleines Lächeln zustande zu bringen, was Kian ebenfalls eins entlockte, ehe er den Blick senkte und mit der Gabel nach den Nudeln zielte, die er sich anschließend in den Mund schob.

»Ja. Und außerdem haben wir dieses Jahr...«, fing er, nachdem er zu Ende gekaut hatte an, doch er stoppte abrupt mitten in seinem Satz, als er Amiras Tischseite zu sehen bekam.
Sie war leer.

»Isst du denn nichts ?«, fragte er die Stirn runzelnd, woraufhin Amira beschwinglich kund gab:

»Ich habe keinen großen Hunger. Außerdem habe ich schon, als du auf der Arbeit warst, eine Kleinigkeit zu mir genommen.«

Kian, der die Gabel hielt und in seiner Bewegung mitten in der Luft verharrte, ließ seine Hand sinken und die Falte an seiner Stirn gewann an Tiefe. Er schaute seine Frau an und konnte es nicht mehr verleugnen, seit Maya ihn auf der Feier darauf aufmerksam gemacht hatte, dass Amira stark abgenommen hatte. Mehr denn je stachen ihre hohen Wangenknochen hervor, ihre zu dünnen Armen wirkten äußerst zerbrechlich und ihr Schlüsselbein erweckte schier den Eindruck, als könne man einen kleinen Gegenstand dazwischen einklemmen, so auffällig waren sie. Kian war zudem aufgefallen, dass er Amira die Tage kaum etwas essen gesehen hatte und wenn er sie dann unauffällig darauf ansprach, erfolgte eine ähnliche Antwort, wie die, die sie jetzt abgegeben hatte. Ein ungutes Gefühl beschlich Kian jedes Mal dabei, denn er wurde den Gedanken einfach nicht los, dass sie ihn anlog. Einen kurzen Augenblick lang überlegte er, sie auf seine Beobachtungen anzusprechen, doch dann schluckte er auf Anhieb seine Worte runter, denn er wollte diese ausnahmsweise ruhige Atmosphäre, in der sie sich anständig unterhalten konnten, nicht zunichtemachen. Also entschloss er sich, ein neues Thema zu eröffnen.

»Übrigens, Mr. Harper bat mich darum nächste Woche mit ihm nach Georgien zu einer Dienstbesprechung zu fliegen. Da in der Woche aber unser Hochzeitstag ist ha-...«

»Schon gut«, unterbrach Amira ihn mit einem matten Lächeln und sie versuchte weiterhin im Sitzen eine aufrechte starke Haltung hinzulegen. Instinktiv vergrub sie dabei jedoch ihre Fingernägel an die Kante ihres Stuhls, was Kian aufgrund des Tisches zwischen ihnen nicht zu sehen bekam.

»Du kannst ihm zusagen. Du dachtest doch nicht im Ernst, wir würden noch einen Hochzeitstag feiern, wenn es sowieso der Letzte sein wird.«

Sie wollte es nicht so formulieren. Innerlich fluchend, ärgerte sie sich darüber, dass sie ihm unhöflich ins Wort gefallen war. Doch sie wusste, dass Kian diese Dienstbesprechung sowieso nicht hätte sausen lassen. Er hätte Amira am Ende um den Finger gewickelt und seinen Willen durchgesetzt. So war es immer bis jetzt gewesen und bevor sie sich dieser Leier aussetzen würde und dieses Gespräch unnötig in die Länge zog, platze sie lieber selbst mit der Tür ins Haus.

Kian, der durch Amira in seinem Gesagten unterbrochen wurde, wurde mit jedem weiteren Wort, welches ihren Mund verließ, wütender. Hätte sie ihn nämlich aussprechen lassen, hätte er ihr gesagt, dass er das Angebot seines Chefs nicht angenommen hatte, obwohl ihm das in seiner Position viele Pluspunkte eingebracht hätte. Er hätte ihr gesagt, dass er es ihretwillen nicht getan hatte, dass er ihren Hochzeitstag nicht verpassen wollte, aber Amiras Worte hatten all seine unausgesprochenen Worte achtlos zertrampelt. Kian wurde aufbrausend. Wie primitiv war er überhaupt, dass er dachte, auf diese Weise einen Schritt auf Amira zumachen zu können ? Sie selbst hatte sich bereits damit abgefunden, also warum bemühte er sich jedes Mal oder machte sich Hoffnungen, wenn diese Ehe sowieso aussichtslos war. Kian war frustriert und am Ende seiner Nerven. Während er dem emotionslosen Blick, den Amira nach ihren Worten wieder aufgesetzt hatte, standhielt, übermannte ihn solch eine Wut, dass er gar nicht mehr darüber nachdachte, was er als Nächstes von sich gab.

»Gut, da bin ich ja froh drum, wenn du auch dieser Ansicht bist. Ich hatte meinem Chef schon letzte Woche zugesagt.«

Lüge.

Kian lehnte sich, versucht einen unbekümmerten Eindruck zu übermitteln, in seinem Stuhl nach hinten und blickte auch Amira nun mit demselben kalten Blick an. Amira, die das Gefühl hatte, als wäre ihr ein Messer nach seinen Worten in die Brust gerammt worden, der sich immer tiefer in ihr Herz bohrte, starrte ihn wie eingefroren an.

Er hatte zugesagt, ging es ihr durch den Kopf. Er hatte schon längst zugesagt. War das nicht das, was du wolltest ?, fragte ihre innere Stimme sie daraufhin, doch unmerklich schüttelte die den Kopf. Ja, sie hatte ihn darauf angesprochen, aber ein kleiner mickriger Teil in ihr dachte wirklich Kian würde umsichtiger mit ihr umgehen... ihr das Gegenteil beweisen. Sie hatte sich geirrt, auch er hatte mit dieser Ehe abgeschlossen.

Kian derweilen, der weiterhin eine Reaktion von ihr erwartete, hatte die Arme ineinander verschränkt und saß still auf seinem Platz. Amira war ebenfalls ihrer Haltung treu ergeben, ehe sie die Lippen aufeinander presste und im Anschluss sagte:

»Gut. Dann sind wir uns ja einig. Außerdem wenn wir schon mal dabei sind...« Abrupt erhob sie sich von ihrem Stuhl, lief mit zielstrebigen Schritten in den Flur, öffnete dort die Kommode und nahm die gesuchten Unterlagen aus dieser heraus, ehe sie wieder in die Küche trat und diese auf den Tisch vor Kian ablegte. Irritiert schaute Kian zu Amira auf, doch sie hatte den Blick weiterhin auf den Umschlag vor ihm geheftet, sodass Kian von der Neugierde gepackt, die Hand danach ausstreckte und diese öffnete.

Nur Sekunden darauf, als er das beschriebene Blatt vor Augen sah und die Zeilen schnell nacheinander überflog, war es, als hätte ihm jemand einen Eimer kaltes Wasser über den Rücken geschüttet. Kian überkam ein Frösteln und ungläubig starrte er das Blatt Papier an, ehe er es wagte wieder zu Amira hinaufzublicken.

»Ich hatte mich vor einigen Wochen mit meinem Anwalt getroffen, um die Scheidungspapiere zusammenstellen zu lassen. Wie du siehst, möchte ich nichts von deinem Besitz haben, sondern nur mein Eigentum für mich beanspruchen. Somit würde die Scheidung schneller vonstatten sein und du, als auch ich, wären endgültig geschiedene Menschen.«

Kian erwiderte nichts daraufhin, sondern blickte sie geradewegs stumm an. In seinem Blick lag etwas Fremdes, wie als würde er eine unbekannte Person vor Augen haben, die er zu ergründen versuchte. Als er auch nach weiteren Sekunden nichts sagte und es Amira allmählich zu unangenehm wurde, räusperte sie sich und fügte ohne ihn dabei anzublicken hinzu:

»Wenn dir irgendwelche Bedingungen unklar sind oder unplausibel erscheinen, dann können wir uns gerne darüber unterhalten und uns auf etwas anderes einigen. Ansonsten würde ich gerne einen Termin mit deinem Anwalt vereinbaren wollen, damit wir dies so schnell wie möglich in die Wege leiten.«

Ohne auf Amiras Bemerkung einzugehen, stand Kian urplötzlich von seinem Stuhl auf und lief an Amira vorbei an den Küchenschrank, wo er diese öffnete und sich ein Glas herausnahm. Des Weiteren nahm er sich die Mineralwasserflasche, die auf der Theke vor ihm stand in die Hand und schüttete sich etwas ein. Er hatte Amira den Rücken zugekehrt, sodass sie seine Emotionen, aufgrund seines verborgenen Gesichtes, nicht erkennen konnte. Mit rasendem Herzklopfen umfasste Amira den Stuhlgriff und wartete darauf, dass er etwas sagte, doch als er sich geradewegs zu ihr umdrehte und das Glas anhebend seelenruhig daraus trank, atmete sie erleichtert auf.

Zu früh hingegen, wie sie danach bemerkte, denn als er das Glas sinken ließ und er sie mit solch einem leeren Blick anstarrte, dass ihr unwohler denn je wurde, wusste Amira, dass diese Stille nichts Gutes zu bedeuten hatte. Kian war kein emotionsloser Mensch. Er war aufbrausend, impulsiv und äußerst sentimental, auch wenn er nach außen hin Unbekannten gegenüber ein anderes Gesicht vorenthielt. Nichtsdestotrotz hatte er nur Amira gegenüber die sanfte, zerbrechliche und warmherzige Person gezeigt, welcher er war. Er hatte sich bei ihr fallen lassen. Doch so, wie er sie jetzt anstarrte, beschlich Amira erstmal der Gedanke nach all den Jahren wo sie Kian kannte, ob nicht die anderen doch recht gehabt hatten. Steckte in Kian wirklich solch ein Mensch ?

»Gibt es da einen anderen Mann in deinem Leben ?«, unterbrach er abrupt ihren Gedankengang, woraufhin Amira ihn überrumpelt und verdutzt von seinen Worten, wie vom Blitz erschlagen, anblickte. Ihre Augen wurden riesig, ungläubig klimperte sie mit den Wimpern, doch die kalten, harten Worte waren nicht wegzuwischen, sie hafteten an ihr. Geschockt über seine Worte, stützte sie sich mit der Hand am Stuhl ab und sagte verärgert:

»Kian was... was redest du denn da ?«

Er legte sein Glas auf der Theke ab und verschränkte die Arme vor der Brust. Kian war nicht eingeschüchtert von ihrer Haltung und trotz, dass er ihre Verärgerung spürte und wusste, dass er einen Schritt zu weit gegangen war, schämte er sich nicht dies ausgesprochen zu haben. Er fühlte rein gar nichts mehr, ab dem Moment, wo er die Scheidungspapiere zu sehen bekommen hatte.

»Du hast mich schon verstanden.«

Amira schnaubte auf, fuhr sich durch ihre offenen Wellen und stemmte anschließend ihre Hände an den Hüften ab. Sie hatte ihre Verteidigungsposition angenommen, so viel stand für Kian fest.

»Hast du mir gerade ernsthaft die Frage gestellt, ob ich dir fremdgehe, Kian ? Ich, Amira, deine Frau ?«

Amira schnaubte ein weiteres Mal auf.

»Ich glaub's einfach nicht. Ich...«

Kian machte einen Schritt auf Amira zu und versuchte sie an der Hand zu fassen, doch Amira wisch schnell zurück. Ein verletzter und zugleich niederschmetternder Blick brach in Kians Zügen aus.

»Siehst du !«, sagte er nun etwas lauter.

»Siehst du, warum ich das von dir denke ! Ich, Amira, ich dein Ehemann, darf dich nicht berühren. Sei es auch nur die kleinste Berührung, der kleinste Kontakt und du flippst sofort aus. Es ist, wie als würdest du dich verbrennen, als würdest du...«, er versuchte die richtigen Worte zu finden, doch er war zu aufgelöst, um überhaupt noch einen Satz zustande zu bringen. Er hatte seine Stimme angehoben und schrie Amira geradewegs an, die bei jedem Wort seinerseits immer mehr in sich zusammenfiel.

Kian raufte sich die Haare und fluchte leise vor sich hin, als er sah, dass er Amira dadurch Angst gemacht hatte und der Hass sich selbst gegenüber wuchs dadurch stetig. Seine Gesichtszüge erweichten, er holte tief Luft und versuchte noch einen weiteren Anlauf.

»Warum... was habe ich getan, dass du so kalt zu mir bist ?«, fragte er und hob langsam seine Hand um erneut nach ihrer zu greifen und während er beobachtete, wie seine Hand ihrer immer näher kam, flüsterte er kaum merklich:

»Warum erlaubst du mir nicht, deine Körpernähe zu spüren, deine inneren Wunden zu heilen. Amira bitte...«, sagte er und kam fast mit ihrer Hand in Berührung, doch da wachte Amira aus ihrer Schockstarre auf und zuckte erneut zusammen.

»Nein«, sagte sie und machte einige Schritte nach hinten. Als sie den Blick jedoch hob, wusste sie, dass sie mit dieser Abfuhr einen gewaltigen Fehler gemacht hatte, denn sie konnte für einen Moment den ungeheuren Schmerz in Kians Augen sehen, den er da nicht mehr zu unterdrücken wusste. Auch er trat einige Schritte zurück, blickte wachsam in ihr Gesicht und prägte sich jedes kleinste Detail ein, bis er erneut anfing zu sprechen.

»Und wegen so einer Frau wie dir, habe ich mich gegen meine Eltern gestellt.«

Totenstill erfolgte. Nichts war zu hören, rein gar nichts. Keine Bewegung, kein Mucks ertönte. Nur der Atem der beiden war dezent auszumachen, doch die Welt um sie herum schien wie eingefroren. Amira schnappte im nächsten Moment hörbar nach Luft und hielt sich nur schwer am Tisch fest. Es war, als würde man ihr all den Sauerstoff wegnehmen, all die Kraft, um aufrecht zu stehen und weiterzukämpfen. Tränen bannten sich ihren Weg nach außen hin und trotz, dass sie diese Tränen noch zurückhalten konnte, hatte ihr Herz schon innerlich damit anfangen, große schwere Tränen zu vergießen. Es weinte stumm vor sich hin, blutete aus.

Kian der überwältigt war von seinem Zorn, realisierte erst, als er das verzerrte Gesicht seiner Frau und ihre glasigen kummervollen Augen sah, was er da angerichtet hatte. Diese Worte glichen einer Ohrfeige, nur waren sie viel schmerzvoller.

»Wow...«, wisperte Amira mit zittriger Stimme, obwohl sie das Beben ihrer Unterlippen zu unterdrücken versuchte, was ihr deutlich misslang.

»Wow... dass du mir das an den Kopf wirfst... Wow, Kian.«Am liebsten hätte Amira in dem Moment gebrüllt, wild mit den Armen herumgeschlagen, gekreischt und die Sachen vom Tisch geworfen, aber sie konnte sich nicht rühren. Wie ein Vulkan brannte die glühend heiße Lava in ihr, aber zum Ausbruch kam sie nicht, während sie innerlich Höllenqualen litt. In dem Moment, als eine einsame Träne langsam ihren Weg über ihre makellose Haut fand, war es, als würde dies Kian die Augen öffnen und voller Unglauben vergrößerten sich seine Augen.

»Amira ich...« Reuevoll wollte er einige Schritte auf sie zu machen, wollte sie in den Arm nehmen, sich entschuldigen, aber dazu kam er nicht, denn Amira schrie bei seinem Vorhaben laut auf.

»Fass mich nicht an ! Fass mich nach diesen Worten bloß nicht an.«

Ihre Nasenlöcher weiteten sich, doch unbemerkt dessen tropften weitere Tränen ihr Gesicht runter, die Kian ihr nur zu gern selbst weggewischt hätte. Er war schuld daran, dass sie flossen. Er war schuld daran, dass sie zerbrach. Schuldgefühle trafen mit solch einer Wucht auf ihn ein, sodass seine Stimme nun flehentlich klang, als er anfing zu sprechen.

»Amira ich wollte nicht...«

»Du wolltest nicht ? Belüge dich nicht selbst, Kian. Du hast nur auf den Moment gewartet, bis du mir das endlich an den Kopf werfen konntest.« Kian schüttelte, keine Worte mehr für sein dümmliches Verhalten findend, verneinend den Kopf. Die Wut hatte ihm vom rechten Weg gebracht, ihn blind werden lassen.

Als Amira ihn ein letztes Mal betrachtete, das Gesicht vor innerlichen Schmerzen gekrümmt, sagte sie nur noch:

»Es ist aus.«

Nach diesen Worten stürmte sie auch schon an ihm vorbei aus der Küche. Kian hörte, wie sie im Flur am Haken nach ihrer Jacke und Tasche griff, ehe daraufhin ein lautes Zuschlagen der Tür erklang.

Sie war gegangen.

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