Trois

Irgendwann schaffte Sam es, sich von dem jungen Mann zu lösen und ihn wieder anzusehen. Er nutzte die Freiheit um noch ein paar Pommes zu essen.

"Pardon, aber ich hatte noch kein Abendessen heute."
Er zog verlegen einen Mundwinkel hoch. Himmel, grinste dieser Junge eigentlich immer? Sam konnte sich nur zu gut vorstellen, wie er vor einer Prüfungsaufgabe saß und sie verzweifelt anlächelte. Der Gedanke war so absurd, dass sie lachen musste.

"Kein Problem.", erwiderte sie und stibitzte sich mit einem frechen Zwinkern auch eine Pommes.

"Sollen wir uns hinsetzen?"
Sie machte eine ausladende Geste in Richtung der Bänke am Ufer.

"Klar, warum nicht?"
So saßen sie da und schwiegen eine Weile den Sonnenuntergang an. Jacques kaute seine Pommes, und langsam bekam Sam richtig Hunger. Warum war sie nicht auf dieselbe Idee gekommen?
Achja - weil sie vor Nervosität nicht mal ein Glas Wasser runter bekommen hatte...
Sie langte nochmal nach einer Pommes, belud sie mit einem Klecks Mayonnaise und ließ sie, von Jacques genau beobachtet, in ihrem Mund verschwinden. Sein Lächeln wurde noch etwas breiter, bevor er anfing zu lachen. Sam brauchte einen Moment, bis sie realisierte, warum er lachte. Pommes mit weißer Soße... Und dann verschwand die auch noch in ihrem Mund. Sie verdrehte die Augen, musste aber schmunzeln. Er war eben noch etwas... Unreif. Ja, das traf es gut. Aber was sollte man von einem Siebzehnjährigen erwarten? Um sein Kopfkino etwas zu provozieren, wiederholte sie das Ganze mit einer weiteren Pommes. Er verfolgte die Pommes mit seinem Blick.
Sam zog eine Augenbraue hoch und grinste ihn schief an. Er spiegelte ihre Mimik mit glitzernden Augen, bevor er ihr noch eines der frittierten Kartoffelstückchen in den Mund schob. Sie kaute langsam, dann folgte die nächste. Währenddessen unterbrachen weder sie noch Jacques den Augenkontakt.
War er ihr inzwischen näher gekommen? Sie wusste es nicht. Tatsache war, dass das nächste, was ihren Mund traf, keine Pommes war, sondern Jacques' Lippen. Sie reagierte prompt, rutschte näher an ihn heran und erwiderte den Kuss mit einer Hingabe, die sie in ihrem ganzen Leben noch nie erlebt hatte. Er hatte eine Hand in ihren Haaren vergraben, die andere lag an ihrer Taille. Sie konnte nicht mehr denken. Sie wollte nur mehr, immer mehr. Mehr von dem Gefühl, dass er ihr gab.
Inzwischen hätte nicht mal mehr ein Blatt zwischen sie beide gepasst, und Sam saß halb auf seinem Schoß. Die restlichen Pommes standen schon längst irgendwo hinter Jacques, waren genauso vergessen wie der Rest der Menschheit, der hätte auftauchen können.
Sie war es, die ihn irgendwann hochzog und in Richtung ihrer Wohnung dirigierte. Sie liefen schnell, alle beide, in Erwartung dessen, was folgen würde.
Als Sam die Wohnungstür aufschloss, zitterte ihre Hand. Sie schaffte es kaum über die Türschwelle, als Jacques und sie schon wieder aneinander klebten. Sie tastete sich rückwärts, ohne eine Sekunde von ihm abzulassen. Aber leider bedachte sie dabei die Stufe vom Flur ins Schlafzimmer nicht und stürzte der Länge nach auf den Boden, wobei sie Jacques mit sich riss. Einen Moment lagen sie beide da und starrten sich verblüfft an, bevor sie herzhaft anfingen zu lachen. Danach versuchte sie, ihn wieder zu sich zu ziehen, doch Jacques richtete sich auf und schob die Arme unter sie. An der Art, wie er die Muskeln anspannte, bemerkte sie, dass er sie für schwer hielt - wer würde das bei einer zwei Meter großen Frau nicht tun? Umso lustiger war sein Gesicht, als er sie relativ leicht hochheben konnte. Sein Gesichtsausdruck war unmissverständlich, als er sie aufs Bett packte und sich über sie beugte. Sie verzog die Mundwinkel nach oben. In einer einzigen Bewegung hatte sie ihm die Beine weggezogen und sich auf ihn gerollt, bevor sie mit einem tiefen Seufzen den Kuss fortsetzte.

Am nächsten Morgen wachte sie in seinen Armen auf. Sie hatte das Gesicht in seiner Halsbeuge vergraben und beide Arme um ihn geschlungen. Seine Hände hingen irgendwo in ihren Haaren. Der Kerl schien einen echten Tick damit zu haben, aber es störte sie nicht sonderlich. Ihre Beine waren irgendwie mit den seinen verknotet, und seine Nase hing ebenfalls in ihren Haaren.
Mit einem Blick auf die Uhr entschied Sam, dass sie genug geschlafen hatte, und entzog sich Jacques vorsichtig. Dann trat sie ihre Klamotten von gestern in eine Ecke, zog sich an und tappte in die Küche. Rührei oder Pfannkuchen? Ihr knurrender Magen schrie nach beidem, also stand sie kurz darauf vor zwei brutzelnden Pfannen.
Als sie gerade den Herd abdrehte, schlurfte Jacques herein.

"Guten Morgen."
Er zog sie kurz in seine Arme, dann wendete er sich der Kaffeemaschine zu.

"Morgen. Auch Frühstück?"
Sie hob die Pfanne mit dem Rührei an.
Er nickte nur, aber ihr entging nicht, dass er sie anschielte. Dabei wüsste sie nicht, dass irgendetwas besonderes an ihr war... Hm.
Sie stellte zwei Teller auf den Tisch und belud sie mit Rührei, keine Minute später kam Jacques mit seiner Kaffeetasse dazu. Nach dem ersten Kaffee wurde er etwas wacher und entsprechend gesprächiger. Sam bekam heraus, dass er eigentlich Chaqueruisseausousciel hieß, sieben Geschwister hatte und in knapp zwei Monaten achtzehn wurde. Er ging noch zur Schule, der türkishaarige Leander war sein bester Freund und er hatte seinen Führerschein so gut wie in der Tasche.

"Und die Ohren? Und die Hörnchen?", fragte Sam beiläufig.

"Elfen-Herkunft. Aber du, wenn du das siehst, du bist doch auch kein Mensch?"

Sie schüttelte den Kopf.
"Wir bezeichnen uns als Daeunga."

Er sah sie mit gerunzelter Stirn an.
"Nie gehört."

"Überrascht mich kein bisschen. Wir leben eigentlich nicht hier auf der Erde. Obwohl mein Vater hier Geschäftsmann ist, er hat irgendeine große Firma in New York. Er hat Unmengen an Geld, aber er war schon lange nicht mehr hier."

Er riss die Augen auf.
"Du kommst von einem anderen Planeten?"

Sie nickte.
"Geboren bin ich lustigerweise hier auf der Erde, aber aufgewachsen drüben auf Life. Bis vor zehn Jahren war ich noch nie zu Besuch hier."

Wieder starrte er sie an. Er schien nachzudenken.
"Wie alt bist du denn?"

Sie dachte nach.
"In Erdjahren ungefähr.... 210."

Wenn seine Augen noch größer werden konnten, dann waren sie es jetzt.

"Zwei-hundert-zehn?"

"Das ist für uns kein Alter. Ich bin eine Großmacht, wir sind unsterblich."
Damit hatte sie ihn endgültig verblüfft. Er klappte den Mund mühsam wieder zu. Dann grinste er sie frech an.

"Naja, ich hatte schon immer eine Vorliebe für reife Frauen."

Sie konnte nicht anders, sie streckte ihm die Zunge heraus. Dann lachten sie beide.
Sie unterhielten sich noch eine ganze Weile weiter, bis Jacques sich irgendwann auf den Heimweg machte. Als er weg war, warf sie sich auf ihr Bett und starrte die Decke an.
Chaqueruisseausousciel. Was für ein bescheuerter Name.

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