Rede/reden
Stefano kehrte am frühen Abend zurück. Dunkle Ringe unter seinen Augen zeugten davon, dass sein Tag anstrengender verlaufen war als meiner. Es überraschte mich dann nicht, dass er sich nach dem gemeinsamen Abendessen aufs Zimmer verziehen wollte. Genauso wenig verwunderte es mich, dass Lucius ihm die Tour vermasselte. Der Don bestand darauf, die Ergebnisse zu besprechen, um weitere Maßnahmen in Gang zu setzen. Ein Mafiahaushalt kam eben nie zur Ruhe.
Sowie die Männer dementsprechend im Büro verschwanden, huschte ich über die offenstehende Terrassentür in den Garten und wanderte ziellos umher. Mein Schritte brachten mich zu dem hohen Baum, den ich für den missglückten Fluchtversuch genutzt hatte. Nachdenklich lehnte ich mich an den rauen Stamm und schloss die Augen. Fieberhaft dachte ich nach. Hatte ich für meinen Plan alles bedacht? Die Eckpunkte aufzuschreiben, traute ich mich nicht. Vielmehr prägte ich mir den Ablauf ein. Was musste ich zuerst regeln, was zum Schluss? Würde ich es überhaupt schaffen? Alleine vermutlich nicht. Aber es gab da jemanden, von dem ich mir Hilfe erwartete. Doch das sollte kein Problem darstellen. Ich lächelte versonnen.
„Planst du schon wieder, über die Mauer abzuhauen?" Ryan tauchte wie aus dem Nichts neben mir auf. Der Puls schnellte nach oben, pochte unangenehm hart in meinem Hals. „Blödmann." Ich boxte den feixenden Mafioso gegen die Schulter.
Er stöhnte laut, mimte den sterbenden Schwan. „Gina hat dir wirklich zu viel Unfug beigebracht."
„Oder nicht genug", brummte ich. Hier benötigten ein paar mehr Männer eine Tracht Prügel. Vor allem derjenige, der mich im Moment nicht in Ruhe lassen wollte.
„Ich hab' gehört, dass der Boss dir deinen Pass zurückgegeben hat." Das klang zu beiläufig für meinen Geschmack.
„Und jetzt hast du den Auftrag, mich von einer erneuten Flucht abzuhalten." Passte zu Lucius. Mit Mühe unterdrückte ich ein Schnauben. Dabei hatte ich wirklich geglaubt, dass er mir jetzt vertraute.
„Nein, er hat uns gesagt, dass wir dich in Ruhe lassen sollen, weil er nicht davon ausgeht, dass du dich freiwillig von Stefano entfernst." Er stupste mich spielerisch an. „Was ist denn zwischen dir und dem Brüderchen des Dons vorgefallen, dass er nicht mehr an eine erneute Flucht glaubt?"
Das war es also. Dachte Ryan etwa, dass ich mit Stefano geschlafen hatte? Diese kleine Ratte. Dann wurde garantiert schon hinter unseren Rücken getuschelt. Die Kerle hier waren schlimmer als alte Waschweiber. „Abgesehen davon, dass ich ihm Kekse gebacken habe – was laut Italienern wohl ein verstecktes Heiratsversprechen ist – muss ich dich leider enttäuschen." Und selbst wenn, wäre es nicht für seine Ohren bestimmt.
„Stimmt, die Kekse." Er lachte vergnügt. „Die könntest du ruhig öfter backen."
„Hat Lucius mir verboten", log ich. „Er meinte, ihr werdet alle zu fett, wenn ich euch zu sehr verwöhne."
„Zicke." Er stützte sich mit dem Unterarm auf Kopfhöhe am Baum ab und neigte sich vor, sodass seine Lippen beinahe mein Ohr berührten. Seine Stimme war fast nur ein Hauch, als er weitersprach. „Das Lügen sollten wir noch mal ein wenig üben. Lucius würde dir das niemals verbieten. Dafür liebt er Süßkram viel zu sehr."
Mist. Das hatte ich nicht bedacht. Gina würde sich kaputtlachen, wenn sie von diesem kläglichen Versuch hörte. Ich brauchte definitiv noch ein wenig Training in ihrer Obhut. Nur dazu musste ich erst einmal Stefano überreden. Ich stieß mich vom Baum ab und lief zurück ins Haus. Ryan folgte mir auf Schritt und Tritt. Was für eine Klette! Mein selbsternannter Babysitter folgte mir bis ins Büro des Dons, wo ich mich aufs Sofa fallen ließ. Während mein Eintreten wohlwollend betrachtet wurde, erntete der Mafioso einen Blick, der töten konnte.
„Setzt du dich über meine Befehle hinweg, Ryan?" Lucius' Stimme war schneidend. Das gefiel mir mehr, als es sollte. So kostete es mich einige Anstrengung, keine triumphierende Miene aufzusetzen.
„Nein, Boss", verteidigte er sich schnell. „Ich wollte Sarah nur Gesellschaft leisten, weil du ihr Stefano vorenthältst." Ich zog eine Augenbraue hoch. Diese miese kleine Ratte. War das etwa die Rache dafür, dass ich ihn vor einigen Tagen aus Versehen in die Weichteile getreten hatte? Ich verschränkte mürrisch die Arme und erntete dafür den nachdenklichen Blick des Dons.
„Wir wollten eh gerade aufhören", erwiderte er schließlich, ohne mich aus den Augen zu lassen.
„Na endlich", brummte Stefano. Er stand auf und lief Richtung Tür. „Ich verzieh mich dann mal wieder ins Gästezimmer." Dorthin, wo er weiterhin brav jede Nacht schlief, während ich sein Schlafzimmer für mich allein hatte. Wenn ich meinen Plan in die Tat umsetzen wollte, sollte ich ihm jetzt folgen. Ich gähnte herzhaft und folgte ihm die Treppe hinauf. Oben angekommen hakte ich mich bei ihm ein und zerrte ihn zu seinem eigentlichen Zimmer.
Verwirrt sah er mich an. „Bedeutet das ...?" Er traute sich nicht, die Frage auszusprechen. Vermutlich aus Furcht, dass ich ihn erneut abwies.
„Ich kann dir doch nicht länger dein eigenes Bett vorenthalten." Ich lächelte zaghaft, wurde gleich darauf wieder ernst. „Aber nur nebeneinander schlafen. Okay?"
„Mehr erwarte ich auch gar nicht." Beschwingt trat er ein, zog mich summend mit sich. Er war in genau der richtigen Stimmung. Sollte ich ihn jetzt fragen? Oder war es besser, dies auf morgen zu verschieben? Ich entschied mich für Letzteres. Dann sah es vielleicht nicht so aus, als ob ich alles minutiös geplant hatte und seine gute Laune nur für die Verwirklichung meiner Ziele benutzte. Ein schlechtes Gewissen meldete sich zu Wort, doch ich begrub es tief in meinem Innern. Der Zweck heiligte schließlich die Mittel.
„Ich gehe schon mal ins Bad, dann kannst du dich ungestört umziehen." Stefano verschwand ohne zu zögern im Nebenraum. Ich seufzte verhalten, mir dessen bewusst, dass ich ihn nicht verdiente, wenn ich ihn so hinterging. Ich schob den Gedanken beiseite und bereitete mich vor auf die Nacht. Hoffentlich hielt er sich an sein Wort.
Wenig später, als wir zusammen im Bett lagen, lauschte ich seinen Atemzügen, bis ich davon überzeugt war, dass er schlief. Erst dann holte ich das Smartphone hervor, das ich unter meinem Kissen versteckt hatte. Mit zitternden Fingern tippte ich eine Nachricht ein und las sie zweimal durch, bevor ich sie abschickte. Sehnsüchtig wartete ich auf die Antwort, stellte noch schnell sicher, dass das Handy auf lautlos gestellt war. Niemand durfte mitbekommen, was ich plante. Sonst endete es in einem Fiasko, so wie mein Fluchtversuch. Schon bald schrieb mein Partner in Crime zurück. Lächelnd erläuterte in den Plan und freute mich, als er auf Zustimmung traf. Ich bemerkte, wie sich Entspannung breitmachte, meine Glieder schwer wurden. Sorgfältig las ich den Chatverlauf noch einmal durch, bevor ich ihn löschte und das Smartphone unter dem Kissen versteckte. Nicht mehr lange und ich würde nach Hamburg heimkehren. Und alles dank einer einfachen Nachricht.
Ich muss mit dir reden.
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