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„Du willst ernsthaft auf eine Stadtführung? Dir von Mafiosi die Sehenswürdigkeiten zeigen lassen?" Fernanda schaute mich an, als ob ich mich in einen dreiköpfigen Drachen verwandelt hatte, der ein rosa Ballettröckchen trug.

„Warum denn nicht? Gina meinte, dass Las Vegas gerade vom geschichtlichen Standpunkt sehr interessant sei." Zumindest, was Gesetzlosigkeit und Mafia betraf. Darüber hatte ich so viele Legenden gehört, dass ich die Gelegenheit jetzt nicht ungenutzt verstreichen lassen wollte. Zwar hatte sich die Wahrscheinlichkeit, der Stadt einen Besuch abzustatten, durch mein Leben in einem Mafiahaushalt um ein Vielfaches erhöht, aber selbst dann würde er nach den Vorstellungen Stefanos oder seines Bruders ablaufen. So viel Freiheit wie in diesem Moment, bekam ich so schnell nicht wieder.

„Und du hältst das für sicher?", hakte sie skeptisch nach. „Ich meine, unser Zuhause wurde angegriffen und du willst in der Stadt der Verbrecher herumlaufen."

„Sagt diejenige, die aus Brasilien stammt, wo Bandenkriminalität nun wirklich zum Alltag gehört", erwiderte ich trocken. „Was soll uns denn hier schon großartig passieren, wenn die Mitglieder einer befreundeten Mafiafamilie auf uns aufpassen? Ist ja nicht so, dass wir mutterseelenallein losziehen. Das würde ich auch nicht machen."

„Aber Lucius würde es nicht gefallen", gab Fernanda zu bedenken. Ausgerechnet sie, die bis vor kurzem noch ständig mit ihm gestritten hatte.

„Dass du dir deswegen einen Kopf machst." Ich schaffte es nicht, ein Schmunzeln zu unterdrücken. Sie, die sonst so viel furchtloser war als ich. Hatte die Entführung etwa einen Anteil an ihrem Zögern? „Du kannst natürlich auch hierbleiben", schlug ich vor. „Maria und Inès leisten dir bestimmt gern Gesellschaft. Dann nehme ich nur Juan und José mit." Unter Garantie schleppten die zwei mich nicht nur durch die Stadt, sondern auch zum Familiensitz, damit ich etwas Leckeres zu essen bekam. In Erwartung verschiedener Köstlichkeiten leckte ich mir über die Lippen.

„Denkst du etwa schon wieder ans Essen? In dieser Situation?" Fernanda schüttelte irritiert über mich den Kopf. Sollte sie nur.

„Warum nicht? Unseren Männern geht es gut, sonst wären wir längst informiert worden." Ich seufzte verhalten. Natürlich, meine übliche Art, mit Problemen umzugehen, war es nicht. Aber was nützte das Versteckspiel? „Unsere Feinde haben es auf Lucius und notfalls Stefano abgesehen. Wir können hier nur abwarten. Ich möchte mich nicht mein Leben lang verstecken müssen, vor lauter Angst, dass mir etwas zustößt. Du hast keine Ahnung, welchen Ärger ich mit Lucius hatte, weil er mich nicht zu Stefano ins Krankenhaus lassen wollte."

Fernanda nickte. „Er hat mir ein wenig erzählt und dass er sich dafür schämt."

Überrascht hob ich eine Augenbraue. Das war mir neu. Zumindest der Teil, dass er mit der Brasilianerin über solche Angelegenheiten sprach.

„Guck nicht so. Nachdem er mich befreit hat, haben wir geredet. Hauptsächlich über die Familie, weniger über uns. Allerdings hat er durchblicken lassen, wie wichtig ich ihm bin. Das war mir vorher nicht bewusst." Sie senkte das Kinn auf die Brust. „Ich hatte wirklich geglaubt, dass er mich in Gefangenschaft versauern lassen würde."

„Das dachte ich auch, als ich in seinem Keller saß", kommentierte ich trocken. „Erst habe ich meine beste und einzige Freundin verloren, weil er sie gefangengehalten hat. Dann meine Freiheit, als ich sie befreite und mich für sie opferte, damit sie das Flugzeug erreichte. Danach meinen freien Willen, als Lucius mir seine Regeln aufzwingen wollte. Wochen später mein Herz, als Stefano es stahl." Ich schmunzelte. Letzteres hatte sich als Glücksfall entpuppt. Ich wurde wieder ernst. „Und dann habe ich ausgerechnet ihn fast wegen dieser verflixten Gang verloren. Ich habe die Nase gestrichen voll und möchte jetzt einfach das machen, was mir gefällt."

Sie fing zu meiner Überraschung an zu lachen. „Ich glaube, da hat Gina auch ihren Teil zu beigetragen, dass du dich so entwickelt hast. Lucius meinte, als er dich fand, warst du ein unschuldiges graues Mäuschen, von dem er annahm, das es brav im goldenen Käfig sitzen würde."

Ich stöhnte genervt. Das klang sehr nach dem dickköpfigen Mafiaboss, dem ich mich auf dem Flughafen in den Weg geworfen hatte. Wenigstens hatte ich ihn seitdem ein wenig umerzogen. Ebenfalls mit schlagkräftiger Unterstützung von Gina. Sonst wäre es noch weitaus chaotischer verlaufen. „Wie du siehst, habe ich schon einige Verluste einstecken müssen. Ich könnte mich jetzt verkriechen, die Außenwelt nicht mehr an mich heranlassen. Doch damit würde ich nur mir selbst schaden. Schon allein deshalb werde ich das Angebot der Spanier nicht ablehnen."

Ich hatte sie endlich überzeugt und eine Stunde später diskutierten wir im Mafiamuseum vor einer Schautafel. Sehr zur Erheiterung der uns begleitenden Mafiosi. So lernten wir die verschiedenen Arten der nonverbalen Kommunikation kennen. Zum Beispiel, wie man verdeutlichte, dass ein Mafioso ein Verräter war und wie ein Vögelchen gesungen hatte. Aber auch die übrigen Informationen waren aufschlussreich. Vieles davon kannte man aus Hollywoodfilmen, anderes wiederum nicht. Begeistert las ich mir alles durch und ließ mir einige Dinge von unseren Begleitern erklären. Bis mein Magen lautstark protestierte.

Juan legte einen Arm um mich. „Komm, Raubtier. Lass uns mal zur Villa fahren. Der Boss wird mittlerweile etwas zu essen für euch organisiert haben."

Fernanda drehte sich abrupt zu uns um. „Warte. Bedeutet das, dass wir nicht zu Ginas Villa zurückfahren?"

„Heute Abend nicht mehr. Ihr seid unsere Gäste beim Spieleabend. Unser Familienoberhaupt ist der Meinung, dass wir uns einmal im Monat ein gemütliches Beisammensein verdient haben", erklärte Juan.

„Schade, dass Gina keine Zeit hat. Das würde garantiert lustig werden", ergänzte José breit grinsend.

„Du meinst, wenn sie euch nicht wieder eine Knarre unter die Nase hält und euch wie Vieh vor sich her treibt?" Ich erinnerte mich noch genau daran, wie ich die zwei Spanier kennengelernt hatte.

„Sich an Gina heranzuschleichen ist schier unmöglich. Das haben wir in deiner Heimatstadt gelernt." Juan schob mich Richtung Ausgang. José folgte mit Fernanda.

Der Rest des Abends gestaltete sich als angenehm. Kartenspiele, Gesellschaftsspiele und die unterschiedlichsten Tapas versüßten uns die Zeit. So war es nicht verwunderlich, dass wir das Angebot zur Übernachtung in einem der vielen Gästezimmer annahmen und todmüde ins Bett fielen, dass wir uns für die Nacht teilen würden.

„Danke, Sarah", murmelte Fernanda schläfrig. „Wärst du nicht so ein Dickkopf, wäre unser Abend nicht so abwechslungsreich gewesen."

Ich grinste zufrieden. Hatte sich mein Entschluss, die Einladung nicht abzulehnen, als richtig erwiesen.

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