Kapitel 6
Cleo
9:57 Uhr
Der große Detective reißt seine glänzenden Augen auf, als er mich mit dem kleinen Mädchen an der Hand sieht.
"Ist das Raphael?", spricht mich Leia an, als ihre Augen auf den Mann im Anzug fallen.
Ich nicke schnell und weiche seinem durchdringenden Blick aus.
"Das ist Raphael.", bestätige ich gleichzeitig ihre Vermutung. Erleichtert klammert sich das kleine Mädchen um Raphaels Bein, während sein Blick fast angeekelt auf ihr liegt. Er schaut sie genauso abwertend an, wie mich.
Starr, wie ein Stock steht er im Raum, während seine Hände distanziert in den Taschen seiner pechschwarzen Anzughose liegen.
"Danke, dass du mir hilfst.", flüstert Leia ihm zu und schaut lächelnd zu ihm auf, obwohl er überhaupt gar nicht freundlich ist und es keinen Grund zum Lächeln gibt.
Ich hingegen erkenne, dass er versucht, sich mächtig zusammenzureißen.
Mit einer gezielten Bewegung löst er ihre kleinen Hände von seinem muskulösen Bein, während er mich gleichzeitig mit seinen Augen fixiert und kniet sich schließlich zu ihr herunter kniet.
"Kleines, magst du einmal draußen vor meinem Büro warten? Ich muss kurz was mit Cleo besprechen. Dann hole ich dich wieder herein.", lächelt er sie tatsächlich leicht an und überspielt anscheinend seine Wut auf mich.
Mich überrascht, wie sanft seine Stimme klingen kann.
Fröhlich nickt Leia und lässt sich ohne Widerworte von ihm auf den Flur führen. Draußen hebt Raphael sie vorsichtig auf einen der Stühle, bevor er wieder zurück ins Büro kommt. Die Tür schließt er mit einem lauten Knall und lässt es sich zusätzlich nicht nehmen, mich auf eine verachtende Art und Weise an der Schulter anzurempeln.
"Was hast du dir dabei gedacht?", brüllt er plötzlich mit tobender Stimme und haut mit der flachen Hand wütend auf den Schreibtisch.
Ich zucke zusammen.
"Bitte, Sie müssen ihr helfen!", flehe ich ihn dennoch an.
"Einen Scheiß muss ich!", schreit er außer sich vor Wut.
Tränen schießen mir in die Augen.
"Ich gehe auf deine Forderung ein und gebe dir verschissene 3750$ mehr, als du verdient hast, und dann bringst du sowas! Hintergehst mich!"
Er tritt gegen das Tischbein und fährt sich über die kurzen Bartstoppeln an seinen Wangen.
Während er sich kontrollieren muss, nicht noch wütender zu werden, muss ich mich kontrollieren, nicht gleich laut los zu weinen.
"Ich rufe jetzt das Jugendamt an und erkläre denen die Situation. Wenn die nichts machen können, dann hast du ein echtes Problem. Das schwöre ich dir!" , faucht er mir entgegen und greift nach dem Telefon auf seinem Schreibtisch.
"Dank-"
"Halt den Mund!", herrscht er mich an und macht eine eindeutige Handbewegung, die mir signalisiert, dass ich besser still bleibe.
Unwohl bleibe ich mitten im Büro stehen, während er mit der Frau vom Jugendamt telefoniert.
Als er nach fünf Minuten auflegt, springt mir mein Herz fast aus der Brust.
"Was willst du machen, wenn sie mitkriegen, dass sie nicht mehr da ist.", beginnt er und schaut durch die Glastür an mir vorbei auf das kleine Mädchen, das seelenruhig und gut gelaunt auf einem der viel zu großen Stühle sitzt.
"Sie werden dich töten, wenn sie mitbekommen, dass du der Grund für ihr Verschwinden bist.", stellt er fest.
Er ist noch immer wütend, doch diesmal reißt er sich zusammen.
Leia beobachtet die Leute im Flur und scheint unseren Streit gar nicht mitzubekommen.
Besser so.
"Dann ist das so. Dann habe ich wenigstens sie gerettet." entgegne ich.
Er schnauft.
"Das Jugendamt kommt vorbei und nimmt sie mit.", informiert er mich und lehnt sich gegen den Schreibtisch.
"Wirklich?", freue ich mich und will Luftsprünge machen, als er mich unterbricht.
"Das ist eine Ausnahme. Das nächste Mal schmeiße ich dich raus. Ich bin doch kein Samariter, der sich um die Kinder von Leuten kümmert, die ihr Leben nicht im Griff haben.", spottet er abwertend und verschränkt die Arme vor seiner breiten Brust.
"War ja klar, dass Sie von sowas keine Ahnung haben.", fauche ich den arroganten Mistkerl an.
Mit großen Augen schaut er mir ins Gesicht.
"Ich weiß sehr wohl wie das ist, spiel dich mal nicht so auf.", zischt er unfreundlich und winkt dann das kleine Mädchen rein.
Ich schaue ihn noch einen Moment fragend an und öffne dann die Tür, damit Leia reinkommen kann.
"Leia, setz dich da auf die Couch, es kommt gleich eine Frau vom Jugendamt. Die wird dir helfen.", klärt Raphael sie auf.
Dann landet sein Blick auf mir.
"Hast du sonst noch was zu erzählen?", will er genervt wissen und stützt sich auf dem Schreibtisch ab, während er mich abwartend ansieht.
"Ist das dein Freund, Cleo?", unterbricht Leia uns noch bevor ich über Raphaels Frage nachdenken kann.
Ich werde rot.
"Nein, bin ich nicht.", übernimmt Raphael für mich.
Einen Augenblick schaut er mich belustigt an, bevor er mir den Stuhl zurückzieht.
"Setz dich.", fordert er mich auf und schaut mich so lange an, bis ich Platz genommen habe.
"Also?", wiederholt er sich und sieht mir in die Augen, nachdem er sich zu mir herunter gebeugt hat.
Unwohl wende ich meinen Blick schnell ab.
"Morgen um 4 Uhr in der Früh gibt es eine Waffenlieferung auf der Harbour Island.", erzähle ich ihm leise, damit Leia nichts mitbekommt.
Der Detective runzelt die Stirn.
"Verarscht du mich?"
"Dios, nein! Ich habe es heute selber gehört, morgen 4 Uhr früh. Wirklich.", beteuere ich.
Er greift zu seinem Telefon und wählt eine Nummer.
"Wenn du lügst, dann kannst du dir deine 5000$ sonst wo hin stecken.", droht er mir leise, während er wartet, dass jemand abhebt.
"Ich würde Sie ni-
"Ja, Carter hier, geben Sie mir Mr. Smiths.", unterbricht er mich und schnappt sich einen Stift.
"Ich brauch das SWAT Team morgen früh um 4.", informiert er seinen Kollegen. "Waffenlieferung.", gibt er knappt von sich.
"Machen sie 50. Sicher ist sicher. Harbour Island.", redet er weiter.
Dann legt er auf.
"Muss ich dir ein Hotel besorgen?", will er von mir wissen, während er etwas aufschreibt.
"Warum?", frage ich irritiert und kann ihm nicht ganz folgen.
"Na wegen deiner Aktion mit dem Kind?", flüstert er verwirrt und deutet mit dem Stift auf Leia.
"Nein, das ist nicht nötig. Die wissen nicht, dass ich sie in Sicherheit gebracht habe.", erkläre ich ihm.
"Wenn sie das herausfinden, dann bleibt es nicht bei dieser Macke an deinem Auge.", informiert er mich und deutet mit dem Zeigefinger auf meine Augenbraue.
Mir wird warm.
Woher weiß er, dass die das waren?
"Das waren die nicht, ich hab mich gestoßen.", lüge ich ihn schließlich an.
"Klar waren die das.", kauft er mir meine Lüge anscheinend nicht ab.
"Also ein Hotel?", hakt er nach.
Ich schüttel den Kopf.
"Ich brauche kein Hotel. Wenn ich nicht wieder komme, dann werden sie mich erst recht umbringen.", zische ich ihm entgegen.
Er lehnt sich zurück, verschränkt die Arme vor der Brust und beobachtet mich. Das weiße Hemd betont seine Muskeln.
"Wie bist du an die gekommen?", fragt er mich nun.
"Was?", runzle ich irritiert die Stirn, weil es noch keinen einzigen Polizisten interessiert hat, warum ich das alles mache. Noch nie hat sich jemand darum gekümmert, warum ich dort gelandet bin.
"Meine Mama ist schwer krank. Sie braucht eine neue Leber. Sie liegt seit 2 Jahren im Krankenhaus und ich muss die Rechnungen begleichen. Wenn nicht, dann lassen sie sie einfach sterben.", offenbare ich ihm einen sehr privaten Teil von mir.
Einen Teil, den niemand kennt und den eigentlich auch niemand kennen sollte.
"Und da gibt es keine andere Möglichkeit?"
"Nein. Ich bin erst 18. Ich musste meine Schulausbildung selber zahlen, aber ohne eine richtige Ausbildung komme ich nicht an einen vernünftigen Beruf. Also nein. Es gibt keine andere Möglichkeit.", zicke ich ihn an.
Was ist das denn für eine bescheuerte Frage?
"Wenn du uns hilfst diese Gang zu stoppen, dann können wir dir dein Psychologie-Studium bezahlen."
Sein Satz jagt mir eine Gänsehaut über den Körper.
Meine Augen werden feucht.
Er hat es sich gemerkt?
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