Kapitel 5

Cleo
07:00 Uhr

Das Klingeln meines Handyweckers erschreckt mich.
Ist es wirklich schon 7 Uhr?
Ich haue blind auf mein Handy und quäle mich aus dem Bett. Meine Muskeln und Knochen tun mir weh, meine Schläfe schmerzt, sodass ich mir sicher bin, dass mein Auge blau und dick ist.

Ich ziehe die weißen Vorhänge auf und schaue nach draußen.
In der kleinen Siedlung ist nicht viel los, die meisten sind arbeitslos und schlafen bis Mittags. Ich strecke mich etwas, doch die Verspannung in meinem Nacken verschwindet nicht.

Wie wäre mein Leben wohl, wenn meine Mutter nicht krank geworden wäre? Würde ich dann ganz normal aufs College gehen oder sogar zur Universität?
Könnte ich mir dann ein schöneres Leben leisten?
In den Urlaub fahren?

Ich verdiene nicht schlecht, mit dem Gehalt vom FBI sind es um die 9000$, aber 8000$ muss ich jeden Monat ans Krankenhaus schicken, damit Mama gut versorgt wird. Abgesehen, von den Schulden, die ich noch habe.

Ich fahre mir erschöpft durchs Gesicht, dann gehe ich ins Bad und stelle mich unter die Dusche. Das kalte Wasser jagt mir eine Gänsehaut über den Rücken und obwohl es zu meinem Alltag geworden ist, habe ich mich noch immer nicht dran gewöhnt.

Wahrscheinlich gewöhnt man sich nie dran.
Ich wasche mir das Shampoo aus den langen Haaren und stelle das Wasser ab.
Ich merke, dass ich nervös bin, aber versuche das nicht an mich ranzulassen.

Ich muss das heute durchziehen, sonst endet das Mädchen so wie ich. Das darf auf keinen Fall passieren. Auch, wenn Diego mich umbringen wird. 

Ich muss dieses Mädchen retten.

Ich schaue mich im Spiegel an.
Braune Haut, dunkle Haare, Sommersprossen. Mir fällt auf, dass ich in den letzten Wochen abgenommen habe. Meine Schlüsselbeine sind deutlich zu erkennen. Ich greife nach einem Handtuch und trockne mich ab. 

Meine Haare lasse ich an der Luft trocknen.

Mir wird übel, als ich in meine Schuhe schlüpfe. Mir geht die ganze Zeit durch den Kopf, wie Diego mich abknallen wird und niemand wird mir helfen können.

"Dios, reiß dich zusammen, Cleo!", zische ich zu mir selber und binde meine weißen Schuhe zu. Ein letztes Mal betrachte ich mich im Spiegel.

Weiße Schuhe, dunkelgraue, enge Jeans, weißes, großes Shirt. Die goldene Kette, die meine Mutter mir vor ihrer Krankheit geschenkt hatte, blitzt um meinen Hals. Das kleine Kreuz zieht meine Aufmerksamkeit auf sich.

Ich nehme es zwischen meine Finger.
"Dios. Por Favor. Steh mir bei.", bete ich kurz. 

Ich greife nach meinem Handy, verstaue es in meiner Hosentasche. Schnell greife ich nach dem Haustürschlüssel und eile aus der Wohnung.

Ich bin schon viel zu spät dran. Egal.

Wenn ich jetzt sterbe, habe ich es wenigstens versucht.


08:28 Uhr

Mein Blick fällt zuerst auf die halbnackten Frauen an dem langen Tisch. Erleichterung macht sich in mir breit, als ich das zierliche Kind zwischen den Erwachsenen finden kann.

"Da bist du ja.", reißt mich Diegos Stimme aus meiner Trance. 

"Ja, sorry, war ne lange Nacht.", entschuldige ich mich.
Er nickt und gibt den Weg frei. Ich eile an ihm vorbei. Heute bin ich bei der Falschgeldherstellung eingetragen.

Es ist bereits halb neun.
In einer Stunde werde ich mir Leia schnappen und sie hier raus bringen.

"Du siehst so angespannt aus, was führst du im Schilde?", spricht mich einer von Diegos Handlangern an.
Ich erschrecke mich und lasse den Stift fallen.

Irritiert schaue ich ihn an.
"Ich hab die ganze Nacht gearbeitet. Ich bin einfach nur müde.", lüge ich ihn an und hebe den Stift auf.

Er zieht die Augenbrauen hoch, lässt mich dann jedoch in Ruhe.

"Ron!", ruft ihm jemand zu.
Der Typ schräg hinter mir winkt den Unbekannten zu ihm. Er ist außer Atem, als er bei uns ankommt.

"Die Waffenlieferung kommt schon morgen. 4 Uhr in der Früh, am Hafen. Harbour Island.", flüstert er ihm zu, doch ich verstehe alles ganz genau.
Wenn ich Raphael auch noch diese Information liefere, dann muss er Leia hier raus holen.

Ich lege das Geld zusammen und stapel es. Immer wieder schaue ich zu Leia rüber, die seelenruhig zwischen den großen Frauen steht.
Es tut mir Leid, dass sie mit 10 schon so etwas erleben muss.

Im Minutentakt schaue ich zur Uhr, damit ich auch bloß die Uhrzeit nicht verpasse. Als der Minutenzeiger auf der 30 steht, lege ich den Stift und die Geldbündel an die Seite. 

Langsam gehe ich durch die Lagerhalle auf Leia zu.

"Kommst du kurz?", lächle ich sie an und halte ihr eine Hand hin. 

Sie greift sie, sodass ich sie mitziehen kann.
"Hör zu, du hast dich verletzt und ich bringe dich jetzt zum Arzt, ja? Wenn dich jemand fragt, dann sagst du das.", erkläre ich ihr. 

Sie nickt.

Dann ziehe ich sie hinter mir zum Ausgang. Mein Puls ist hoch, als wir uns dem großen Hallentor nähern.

Draußen scheint die Sonne. Draußen herrscht eine andere Welt. Eine, die vielleicht nicht perfekt ist, aber definitiv besser, als die in dieser dreckigen Halle.

"Wir gehen jetzt da zum Bus, ja?", deute ich auf die Bushaltestelle. Ich kann mein Glück kaum fassen, als genau in dem Moment das grün-weiße Fahrzeug um die Ecke fährt.

"Komm!", sporne ich sie, damit wir rennen können und den Bus auf jeden Fall noch kriegen.

Ich setze die Kleine auf einen freien Platz und bleibe vor ihr stehen.
"Wo fahren wir denn hin?", fragt sie mich neugierig. Ihre blauen Augen strahlen.

Ich beuge mich zu ihr runter und streiche ihr eine Strähne aus dem Gesicht.
"Zu Raphael, er ist ein Freund von mir und wird dir helfen.", lächle ich ihr zu.
Sie lächelt.

"Kriege ich eine richtige Familie?", fragt sie mich freudig.

Ich schlucke meine Tränen runter.
"Ja, ja das wirst du. Du wirst eine richtige Familie kriegen.", verspreche ich ihr, obwohl ich das eigentlich nicht tun sollte.

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