Kapitel Zehn: Erinnerung
H E A T H
Vor zwei Jahren
Erstarrt sehe ich Faith mit großen Augen an. Ihre Haare sind zerzaust, ihre Wangen mit einer süßen Röte bedeckt und der Geschmack ihrer weichen Lippen ist noch immer in meinem Mund. In mir drinnen herrscht ein absolutes Durcheinander. Ich weiß gar nicht, was ich denken soll. Mir ist klar, dass ich es sowas von verkackt habe, jedoch muss ich erst diese Bilder aus meinem Kopf bekommen, die versuchen die Überhand zu ergreifen. Zudem verpasst mir Faiths Anblick einen Stich im Herzen. Ich bin schuld daran, dass ihre Augen einen traurigen Ausdruck angenommen haben. Gleichzeitig kann ich die nicht vergossenen Tränen darin erkennen, die mir die Luft zum Atmen nehmen.
Wir starren uns seit einigen Minuten an. Faith runzelt die Stirn, sucht, mit ihren Augen, die Antworten in meinem Gesicht, nach denen sie sich sehnt. Nur findet sie nichts darin. Das einzige, was sie an meiner Mimik ablesen kann, ist Bedauern und Schmerz. Ich habe den Kuss so schnell unterbrochen und mich an die andere Seite gesetzt, um so viel Distanz zwischen uns zu bringen wie möglich. Ihre Nähe würde mich um den Verstand bringen, da ich selbst durch mein Chaos muss. Faith würde nur alles verschlimmern, auch wenn sie nicht diese Absicht hat. Aber sie würde es nicht verstehen. Egal, ob ich es versuchen würde, es in Worte zu fassen. Ich verstehe es nicht mal selbst.
In ihren Augen kann ich die Enttäuschung und den Schmerz sehen, die ich aber versuche nicht an mich heranzulassen.
»Das Klischee wurde erfüllt.«
Bevor ich es verhindern kann, dringt der Satz über meine Lippen und macht es nicht gerade besser. Nein, ich Vollidiot verschlimmere die Situation noch mehr und stoße sie von mir. Aber ich kann nichts dagegen unternehmen. Mein Unterbewusstsein handelt von selbst, um mich zu schützen.
Faith räuspert sich, streicht ihre Haare wieder glatt und wendet den Blick von mir ab. Ja, ich könnte mich in diesem Moment auch nicht ansehen, deswegen kann ich es ihr nicht verübeln. »Da hast du recht. Wir sollten es dabei belassen.«
Ihre Stimme hört sich erstickt an und meiner Schuld völlig bewusst, schließe ich meine Augen. Es fühlt sich falsch an und doch weiß ich, dass es das Beste ist. Zwischen mir und Faith darf niemals mehr werden. Auch wenn dieses Kribbeln, welches ich bei jeder Berührung fühle, was anderes versucht zu sagen.
»Wir sollten nur Freunde zu sein«, fährt sie fort. Noch immer sieht sie mich nicht an, jedoch reiße ich bei ihren Worten die Augen auf.
Ungläubig sehe ich sie an. Diese Worte aus ihrem Mund schmerzen mehr, als ich es für möglich gehalten habe. Ihre Haltung hat sich verändert. Mit einem Mal habe ich das Gefühl, dass es hier in der Gondel um einiges kälter geworden ist. Faith strafft ihre Schultern und wendet sich mit einem eisigen Blick zu mir. Sie wirkt im Moment nicht wie das verspielte Mädchen, dass noch vor wenigen Minuten Spaß hatte. Mein Verstand gibt ihr recht und doch zögere ich, bevor ich meine Hand ausstrecke.
»Sollten wir.«
Bevor Faith ihre Hand mit meiner verschränkt, flüstert sie leise, aber fest entschlossen:
»Abgemacht.«
Niemand von uns hat die Absicht, unsere Hände zu lösen. Unsere Augen wenden den Blick nicht ab und unsere Knie berühren sich fast, während wir uns langsam vorbeugen. Das ist falsch. Wir dürfen uns nicht nochmal näher kommen. Wer weiß, was dieses Mal passieren könnte und ich will sie nicht noch mehr verletzen, als ich es bereits getan habe.
Plötzlich schießt ihre Hand nach vorne und bevor ich sie aufhalten kann, umschließt Faith den Anhänger, der um meinen Hals hängt. Die Kette, die sie nicht hätte sehen sollen, da ich sie immer unter meinem Shirt trage. Irgendwie hat Faith sie entdeckt, womit ich nicht gerechnet habe. Meine ganze Anspannung kehrt ruckartig zurück. Im ersten Moment kann ich mich nicht bewegen, weswegen Faith die Chance nutzt und sie genauer betrachtet.
»Was für eine schöne Kette.«
Eine Kette, die für keine Augen bestimmt sind. Ich habe immer dafür gesorgt, dass sie vor allen anderen verborgen bleibt, da sie etwas ganz Besonderes für mich ist und ich sie wie ein Schatz hüte. Mein Verstand schreit mich an, die Kette aus ihren Händen zu schlagen, weil ich Angst habe, dass sie kaputtgehen könnte. Doch bevor ich irgendetwas dagegen tun kann, katapultiert mich Faith mit einer einzigen Geste in die Vergangenheit zurück.
Ihr glockenhelles Lachen hallt durch das Zimmer, während sie ihre Arme nach mir ausstreckt und mich liebevoll dabei anlächelt. Nicht um sonst nenne ich sie mein Sonnenschein, da ihr Lächeln der Sonne die größte Konkurrenz macht. Ihre feuerroten Haare fallen ihr ins Gesicht und ganz automatisch schießt meine Hand nach vorne, um sie ihr aus dem Gesicht zu streichen. Ihre Haut fühlt sich dabei so weich an. Ich könnte sie den ganzen Tag lang so ansehen und meine Welt wäre in Ordnung. Ich kann es noch immer nicht fassen, dass ich dieses Glück habe, sie in meinem Leben haben zu dürfen.
»Was ist, Liebling?«, fragt sie leise nach. Dabei legt sie ihre Hände um mein Gesicht und streichelt mit ihren Daumen zärtlich über meine Haut.
Ihre Augen mustern mich ganz genau, wollen keine Regung in meinem Gesicht verpassen. Jedoch sieht sie nur den glücklichsten Mann auf dieser Welt vor sich. Ich brauche nichts anderes, außer diese Frau vor mir, um mich vollkommen zu fühlen. Mit ihr ist mein Puzzle vollständig.
»Nichts. Ich bin einfach nur glücklich, dich zu haben. Wenn du nicht wärst, wüsste ich nicht, was ich tun sollte.«
Meine Antwort lässt ihre Augen leuchten. Aber das, was ich gesagt habe, ist die Wahrheit. Sie ist mein ganzes Glück auf dieser Welt und seit sie meinen Heiratsantrag angenommen hat, grinse ich die ganze Zeit über wie ein Vollidiot. Das ist schon fast gruselig.
»Du machst mich glücklich und so lange du diese Kette um deinen Hals trägst, wird es immer so sein«, fahre ich fort und drücke ihr einen Kuss auf die Stirn.
Meine Hand greift um den Anhänger, den ich ihr zu unserer Verlobung geschenkt habe. Sie ist kein Fan von Ringen, da sie viel im Garten arbeitet und dieser Schmuck sie dabei nur stört. Deswegen habe ich ihr etwas anderes gekauft. Eine Kette, die unsere Liebe symbolisiert.
Das Unendlichkeit-Zeichen.
»Ich liebe dich, Heath. Für immer.«
Mit einem Schlag kehre ich in die Gegenwart zurück. In meinen Augen haben sich Tränen gebildet und blinzelnd versuche ich sie zu unterdrücken. Ich will nicht, dass Faith mich weinen sieht. Diesen erbärmlichen Anblick würde ich ihr gerne ersparen. Meine Hand schlägt die von Faith weg, sodass sie mich mit geweiteten Augen ansieht. Ich habe nicht über mein Handeln nachgedacht, sondern aus purem Reflex so reagiert. Aber egal wie ich es wende, ich reite mich immer mehr in die Scheiße rein.
»Fass diese Kette nicht an«, fahre ich sie an und schließe dabei meine Augen. Ich hoffe nur, dass mir das irgendwann verzeihen wird.
Meine Stimme hat eine Härte angenommen, die mir zwar leid tut, jedoch notwendig ist. Ich habe die Kette nicht umsonst unter meinem Shirt an. Sie ist nur für mich bestimmt. Tief atme ich ein, versuche die Erinnerung in meiner Schublade zu verschließen, wo sie auch hingehört. Zwar gehört sie zu meiner Lieblingserinnerung und doch verpasst sie mir jedes Mal ein Messerstich, wenn ich an eine solche Szene mit ihr denke. Ehrlich gesagt, ist es aber auch lange her, dass mich ein Flashback so unerwartet getroffen hat.
Tief einatmen und wieder tief ausatmen. Immer wieder wiederhole ich das Ganze, bis ich merke, dass es mir ein wenig hilft. Ich bin ein Meister der Verdrängung und auch dieses Mal sind es nur wenige Minuten, die mich verletzlich zeigen. Es ist zwar nicht gesund für mich, sowas jedes Mal durchzuziehen, aber würde ich alles auf mich einprasseln lassen, würde ich durchdrehen. Das sind noch so viele Emotionen, die ich nie verarbeitet habe und die mich in den Wahnsinn treiben würden. Da wäre es besser, wenn ich mich direkt in eine Klapse einsperren lasse.
Nur ganz leise dringt Faiths Stimme zu mir durch, sodass ich meine Augen öffne und sie ansehe. Sie scheint schockiert zu sein, was mir ihre geweiteten Augen zeigen. Sie hat mich in einem sehr ungünstigen Zeitpunkt gesehen, jedoch muss ich das wohl akzeptieren. Ich hoffe nur, sie wird keine Fragen stellen und es einfach beruhen lassen. Das wäre das Beste.
»Tut mir leid«, stammelt Faith verlegen.
Ihre großen Augen sehen mich schuldbewusst an, auch wenn sie keine Ahnung hat, weshalb das so ist. Den Grund dafür werde ich ihr nicht verraten und doch muss ich mich für mein Verhalten entschuldigen. Etwas anderes wäre ihr gegenüber nicht fair. Vor allem, da ich ihr keine Erklärung geben kann. Ich hoffe, dass sie das verstehen wird. Auch wenn es in diesem Moment eher verwirrend für Faith ist. Instinktiv lehne ich mich nach vorne und nehme ihre Hand in meine.
»Tut mir leid, aber diese Kette ist für alle tabu. Ich wollte es nicht so harsch klingen lassen.«
Bevor ich noch etwas hinzufügen kann, werden wir plötzlich unterbrochen, als die Tür aufgeht und ich erst jetzt bemerke, dass wir noch immer auf dem Riesenrad sind.
»Alle aussteigen«, kommt es gelangweilt von dem Mann davor. Faith steht ruckartig auf und flüchtet beinahe aus der kleinen Gondel. Ich folge ihr langsam nach draußen. Ich behalte einen gewissen Abstand zu ihr, um mich nochmals kurz zu sammeln.
Sobald ich ausgestiegen bin, sehe ich mich um. Ich kann sie nirgendwo erblicken. Faith scheint spurlos verschwunden zu sein. Panik breitet sich in mir aus, sodass ich sofort in eine Richtung laufe, um sie zu suchen.
Verdammte Scheiße!
Ich habe ihr wohl doch mehr Angst eingejagt, als ich wollte. Meine Augen suchen nach ihr, während meine Beine sich wie von selbst bewegen. Jeden Winkel spüre ich auf, halte Ausschau nach ihr, jedoch kann ich sie nirgendwo sehen. Eine innere Unruhe macht sich in mir breit, lässt mich meine Hände zu Fäusten ballen, sodass meine Knöchel weiß hervortreten.
Wieso ist sie vor mir geflüchtet? Ich habe mich doch bei ihr entschuldigt. Sie kann nicht von mir fordern, dass ich ihr mein Herz öffne und ihr alles erzähle. Dafür kennen wir uns zu wenig. Ich meine, sie hat mir auch kein Wort über ihre Vergangenheit offenbart, da kann sie das nicht von mir verlangen. Wo ist diese kleine Schwarzhaarige hin?
Mein Handy vibriert, weshalb ich es aus meiner Hosentasche hervorhole, um den Anruf entgegenzunehmen. Ich achte nicht mal auf das Display, weil ich noch immer alles nach ihr absuche.
»Hallo«, nehme ich den Anruf genervt entgegen.
»Heath«, dringt die Stimme von meinem besten Freund zu mir durch. »Ich habe gerade keine Zeit, Hunter«, lasse ich ihn wissen und will gerade den Anruf beenden, als ich abrupt stehen bleibe, bei seinen nächsten Worten.
»Wenn du nach Faith suchst, dann kannst du damit aufhören. Sie ist nach Hause gegangen. Der Kampfzwerg hat mich gebeten, es dir zu sagen, als sie mich vorher angerufen hat.«
Sofort atme ich erleichtert auf, da sie in Sicherheit ist. Trotzdem kann ich nicht glauben, was ich da höre. »Du musst mir eine Menge erklären, wenn du keinen Arschtritt von mir bekommen willst, Heath«, warnt mich Hunter vor und legt mit diesen Worten auf.
Verdammt.
Hunter wird mir den Kopf abreißen.
Verdammte Scheiße.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top