Kapitel Sechsunddreißig: Gespräch unter Geschwistern
H E A T H
Vor einem Jahr
Lynn und Kira sehen mich beide mit einem prüfendem Blick an. Wir haben den ganzen Tag unten im Wohnzimmer verbracht, bis meiner Mutter die Augen zufielen und mein Vater sie ins Bett gebracht hat. Protestierend hat sie mit ihm geschimpft, da sie sich nicht von mir trennen wollte. Ich musste ihr hoch und heilig versprechen, dass ich auch am nächsten Tag da sein werde, weshalb sie am Ende eingeknickt ist.
Ich habe mir unten bereits gedacht, dass meine kleinen Schwestern noch einiges von mir erfahren wollen. Dinge, die sie vor meinen Eltern nicht erwähnen wollten. Jetzt sitze ich da und warte gespannt auf ihre erste Frage, die sie mir stellen wollen.
»Spuckt es schon aus. Was wollt ihr wissen?«, frage ich nach, da sie noch immer den Mund halten und in ihren Köpfen abwägen, mit welcher sie beginnen sollten.
Ihre Augen sind jede einzelne Sekunde auf mich gerichtet und verfolgen gebannt jeder meiner Bewegungen. Sie denken bestimmt, dass sie mich auf diese Weise nervös machen können, nur täuschen sie sich. Ich habe keine Angst, auch wenn sie bestimmt ein Thema ansprechen werden, von dem ich kein Wort darüber hören möchte.
Die ganze Zeit über versuche ich alles locker zu sehen, mir nichts anmerken zu lassen, weil es ein wirklich schöner Tag mit ihnen war. Trotzdem war es nicht einfach für mich, weil ich überall ihr Gesicht sehe, als wäre sie bei uns. Die Erinnerungen sind da, jedoch noch nicht ganz an der Oberfläche und ich hoffe sehr, dass das so bleibt.
»Wie geht es dir wirklich, Heath? Du kannst uns nicht erzählen, dass du keine Nachwehen vom Krieg spürst«, beginnt Kira langsam und schaut mich besorgt an.
»Immerhin bist du seit Monaten zurück und trotzdem hast du es nicht für wichtig empfunden, deine Familie zu besuchen oder sie gar darüber zu informieren«, fährt Lynn fort und greift nach meiner Hand, um sie sanft zu drücken.
Laut seufze ich auf und lasse meinen Kopf in den Nacken fallen. Mit diesen Fragen habe ich gerechnet, nur nicht mit dem Schmerz, der sich dahinter verbirgt. Ich hätte nie gedacht, dass mein Verschwinden solche Emotionen hervorrufen würde. Außerdem hatten wir nicht mehr so regen Kontakt, seit sie nicht mehr da ist. Was aber eher an mir liegt, da ich mich von allen abgeschottet habe.
»Hört zu, ihr beiden. Ihr wisst genau, wieso ich damals die Flucht ergriffen habe. Ich konnte es hier keine Sekunde mehr aushalten, weil mich die Erinnerungen daran beinahe zerfetzt haben.«
Dass diese Gefühle noch immer in mir schlummern, erwähne ich besser nicht. Ich will sie nicht noch mehr in Sorge versetzen, da ich gerade erst wieder zurück bin. Meine Schwestern schenken mir einen mitfühlenden Blick, weil sie zumindest diesen Punkt nachvollziehen können.
»Trotzdem hättest du nicht dein Leben riskieren sollen. Du bist unser Bruder und ich weiß nicht, ob dir bewusst war, was für eine große Angst wir um dich hatten.«
Schuldbewusst schließe ich meine Augen und lehne mich zurück. Lynn lässt meine Hand los, weswegen ich mir durchs Gesicht fahre. »Ich habe das verdrängt. Tut mir leid, Leute.«
Meine Antwort fällt kühler aus, als ich es beabsichtigt habe. Aber ihre Worte hören sich für mich wie ein Angriff an, auch wenn sie es nicht böse meinen. Ich kann den Schmerz in ihren Augen erkennen und auch die Sehnsucht. Mir ist klar, dass ich sie mit meinem Verhalten verletzt habe. Dass ich mich dann einige Tage später bei der Army beworben habe, hat sie alle schockiert. Aber durch diesen Verlust, der mich in die Knie gezwungen hat, konnte ich nicht anders reagieren. Ich musste verschwinden und das so schnell wie möglich.
»Daran ist bestimmt Hunter schuld. So wie bei all deinen gefährlichen Missionen, wo du beinahe draufgegangen bist.« Lynn wedelt mit ihren Armen und trifft beinahe Kira am Kopf. Sie hat ihre Meinung über meinen besten Freund nicht geändert.
Durch ihre Wut funkeln ihre Augen auf und ich weiß ganz genau, was sie damit tut. Sie versucht den Schmerz zu verstecken, den sie mir nicht zeigen möchte. So ist Lynn.
»Woher hast du diese Informationen? Die sind strengstens geheim, Schwesterherz. Also, wie kommt es, dass eine Informatikerin sowas weiß?«
Erwartungsvoll sehe ich sie an und verschränke dabei meine Arme vor der Brust. Außerdem ziehe ich meine Augenbraue in die Höhe. Ich habe mich das jedes Mal gefragt, wenn ein neuer Brief gekommen ist, in dem sie mich beschimpft hat. Auch Hunter war ratlos und hat einen Gedanken geäußert, den mir nicht mehr aus dem Kopf ging. Was, wenn Lynn sich mit jemandem vom Militär eingelassen hat, der eine hohe Position genießt und sie mit Informationen füttert?
Wenn sich herausstellen würde, dass das stimmt, dann werde ich diesen Mistkerl finden.
»Hast du jemanden kennengelernt?«, hake ich scharf nach und will die Antwort darauf eigentlich gar nicht wissen. Trotzdem muss ich es hören und im schlimmsten Fall eingreifen.
Verdammter brüderlicher Beschützerinstinkt.
Während Kira über meine Worte schmunzelt und ihren Kopf leicht schüttelt, schlägt mir Lynn empört auf die Brust.
»Hey!«, protestiert meine kleine Schwester und zeigt anschließend mit dem Finger auf mich. »Stell mein Können nicht infrage, Bruderherz. Ich bin Informatikerin und ich brauche niemanden, der mich mit Informationen beliefert. Die hole ich mir natürlich selbst.«
Stolz reckt Lynn ihr Kinn nach oben. Auch in mir breites sich ein solches Gefühl aus, vermischt mit Unglaube und Fürsorge, da eine solche Tat wirklich gefährlich werden kann.
»Bist du bescheuert? Du könntest dafür ins Gefängnis kommen!«, rufe ich laut aus und fasse mir an die Schläfen. Ich kann nicht fassen, dass sie nicht an die Konsequenzen denkt. »Irgendwann wird die Polizei dich im Visier haben und was dann, Lynn?«
Es ist, als hätte sich nie etwas zwischen uns geändert, da sie mir noch immer Kopfzerbrechen bereiten. Beide von ihnen, weil sich Kira auch noch in die Diskussion einmischt.
»Dafür hat sie mich, Heath. Ich werde nicht zulassen, dass meine große Schwester ins Gefängnis wandert.«
Natürlich! Die Hackerin hat bereits für den schlimmsten Fall eine Anwältin.
»Ihr beide seid echt verrückt, wisst ihr das?«
Kira lacht laut auf, während Lynn mit den Schultern zuckt. »Das ist uns bewusst. Liegt an den Genen, Bruderherz. Aber erzähl uns etwas über deine neue Freundin.«
Die beiden haben bemerkt, dass ich ihnen kein Wort sagen werde und dadurch, dass es für Lynn schmerzlicher ist als gedacht, haben wir gekonnt das Thema gewechselt. Ich muss mit meiner kleinen Schwester unter vier Augen reden. Lynn zeigt nicht gerne Schwäche. Vor niemanden und auch wenn sie eine sehr innige Beziehung zu Kira pflegt, schließt das diese mit ein.
Um sie ein wenig aus der Schusslinie zu ziehen, versuche ich so offen wie möglich zu reden. Außerdem glaube ich, würde es Kira guttun. Meine Gedanken wandern zu Faith, weshalb ein kleines Lächeln auf meinem Gesicht erscheint. »Sie ist toll«, beginne ich zögerlich und als ich das Lächeln auf ihren Gesichtern sehe, hole ich nochmals aus. »Sie ist witzig, scharfsinnig, wunderschön und ehrgeizig. Sie steht mir in nichts nach und das liebe ich so sehr an dieser Frau.«
Kira seufzt verträumt auf, während Lynn mich mit einem ehrlichen Lächeln anblickt und nach meiner Hand greift. »Wann dürfen wir sie kennenlernen? Und nur dass du es weißt, ich mag sie jetzt schon, einfach, weil sie dich glücklich macht.«
Und wie meine Schwestern Faith mögen werden. Sie passt perfekt in meine Familie und ich bin auf das erste Treffen gespannt. Irgendwann werde ich sie hierher bringen und sie meiner Familie als meine Freundin vorstellen.
»Ist sie genauso hübsch wie Rachel?«, hakt Lynn plötzlich nach, bevor sie mich mit schreckgeweiteten Augen ansieht, als sie ihren Fehler bemerkt. »Verdammt! Das wollte ich nicht. Es tut mir so leid, Heath! Wirklich!«
Augenblicklich ändert sich die Stimmung in Raum und die Temperatur wird um einiges kühler. Alles in mir spannt sich an. Mein Körper wird in Alarmbereitschaft versetzt, da er jede Sekunde auf das Schlimmste vorbereitet sein will. Mit diesen Worten verpasst mir Lynn einen unfassbar schmerzlichen Stich. Und in ihren Augen kann ich erkennen, dass ihr das bewusst ist. Die Reue ist unverkennbar.
Es fühlt sich an, als hätte mir Lynn ein Messer in die Mitte meiner Brust gerammt. Es blutet und schreit mich an, etwas dagegen zu unternehmen. Mein Atem stockt, während ich meine Augen schließen.
»Lynn! Wie kannst du sowas fragen? Besitzt du kein Feingefühl?«, schimpft Kira, was ich nur am Rande wahrnehme.
Viel zu sehr bin ich mit mir selbst am Kämpfen und versuche die Erinnerungen zu unterdrücken, die bereits den ganzen Tag an der Oberfläche geschlummert haben. Ich versuche zu atmen, meinen Körper zu beruhigen und dabei nicht an das Datum zu denken, welches in drei Tagen ist.
»Heath? Alles okay bei dir?«
Der Nebel um mich herum verdichtet sich, ist stärker als ich und bevor er mich komplett verschlingen kann, spüre ich etwas Nasses an meinen Wangen.
Weine ich?
Mit einem Schlag bin ich in der Realität zurück und blicke Lynn und Kira an, die mich mit großen Augen ansehen. Die jüngste von uns hält ein leeres Glas in den Händen, dessen Inhalt scheinbar in mein Gesicht gelandet ist.
»Was war das, Bruderherz?«, hakt Kira besorgt nach, als sie bemerkt, dass ich wieder voll und ganz anwesend bin. Mit meinen Händen wische ich das Wasser weg, dass mein Kinn hinabtropft und zucke achtlos mit den Schultern.
Verdammt! Was soll ich darauf antworten?
Lynn macht sich bereits Vorwürfe. In ihren Augen haben sich Tränen gebildet, die sie versucht zu unterdrücken. Trotzdem erkenne ich das Glitzern darin. Ich weiß, dass sie das nicht böse gemeint hat und als sie aufsteht, um im Raum auf und ab zu tigern, suche ich in meinen Gedanken nach einer Lösung, der ihre Schuldgefühle ein wenig abmildert.
Aber was genau sagt man in einer solchen Situation?
Faith habe ich angelogen, während Hunter mir immer beteuert hat, die Wahrheit zu sagen. Sollte ich den Versuch wagen? Was, wenn sie es unseren Eltern erzählen? Vielleicht muss ich ihnen deutlich sagen, dass das vorerst unser Geheimnis bleibt.
»Ein Anfang einer Panikattacke«, antworte ich ehrlich, aber emotionslos, da ich mich vor diesen Gefühlen schützen muss. Kira öffnet bereits ihren Mund, als ich den Kopf schüttle. »Lass es einfach. Bitte.«
Kraftlos stehe ich auf und marschiere zur Tür. Ich bin plötzlich so ausgelaugt und brauche dringend Ruhe. Außerdem denke ich, dass wir alle darüber nachdenken müssen, bevor wir uns weiter unterhalten. Ich will nicht kalt rüberkommen, aber bevor ich komplett in das Loch falle oder die Panikattacke zurückkehrt, muss ich hier raus. »Ich gehe ins Bett.«
Auf keinen Fall werde ich in meinem eigenen Zimmer übernachten. Das würde nur schlimmer werden und das ist nicht das, was ich in diesem Moment brauche.
»Tut mir leid«, wispert Lynn reumütig und voller Schuldgefühle. »Das wollte ich damit nicht auslösen.«
Mit einer Handbewegung winke ich ab. »Mach dir keine Vorwürfe. Du konntest es nicht wissen, dass ich damit zu kämpfen habe. Ich bitte euch nur, niemanden ein Wort darüber zu sagen.«
Sofort nicken mir beide zu, bevor ich mich von ihnen abwende und mir eine Ruhe gönne, die ich so sehr gebrauchen kann.
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