Kapitel Neununddreißig: Familie Thompson
F A I T H
Mit großen Augen sehe ich dieses prachtvolle Haus an, nachdem ich aus dem Taxi ausgestiegen bin. Es ist wirklich riesig und wirkt auf den ersten Blick majestätisch. Trotz dessen sieht es sehr einladend aus. Vor allem gefällt mir die große Fensterfront sehr, da sie so viel Licht hineinscheinen lässt und die Räume dadurch bestimmt größer wirken. Hier würde ich mich wohlfühlen, auch wenn ich eher der schlichte Typ bin. Aber dieses Haus hat etwas an sich, dass ich nicht erklären kann.
Durch unser Gespräch wurde meine innere Aufregung ein wenig abgemildert, aber jetzt, wo ich vor Heaths ehemaligem Zuhause stehe, klopft mein Herz energisch gegen meine Brust. Außerdem werden meine Hände schwitzig, sodass ich sie an meinen Jeans abwischen muss, während sich eine unangenehme Gänsehaut auf meinem gesamten Körper bildet. Die negativen Szenarien tauchen wieder vor meinem inneren Auge auf, die mir das Gefühl geben fehl am Platz zu sein.
Bevor ich mich dazu entschließe, die Flucht zu ergreifen, atme ich tief ein, schließe dabei meine Augen und zähle in meinem Kopf bis zehn. Heath ist die ganze Zeit über ruhig geblieben und beobachtet mich dabei, wie ich alle Eindrücke auf mich einwirken lasse. Er würde bestimmt mit mir von hier verschwinden, wenn ich ihn darum bitten würde. Aber soweit will ich es gar nicht kommen lassen. Es wird Zeit, dass ich seine Familie kennenlerne.
»Hier bist du aufgewachsen?«, hake ich neugierig nach und blicke wieder zum Haus, weil ich mir etwas ganz anderes vorgestellt habe.
Heath zuckt mit den Schultern, als wäre das nichts Ungewöhnliches. »Das Unternehmen, das mein Vater aufgebaut hat, ist lukrativ und hat meiner Familie diesen Luxus ermöglicht.«
Nie habe ich darüber nachgedacht, in welchen Verhältnissen mein Ex-Ehemann aufgewachsen ist. Es wäre mir nie im Traum eingefallen, ihn danach zu fragen, weil es für mich nicht wichtig ist. Es sollte mir egal sein und trotzdem schleicht sich immer wieder ein Gedanke in meinem Kopf, der mich unsicher werden lässt.
Wieso hat er mir das nie erzählt? Oder gibt es einen Grund, weshalb ich seine Familie erst jetzt kennenlerne?
Lange kann ich darüber nicht nachdenken, da die Tür ruckartig aufgerissen wird, bevor sie sich mit einem Knall wieder schließt. Erschrocken zucke ich zusammen, als ich meinen Blick auf die große und schlanke Frau richte, die gerade aus dem Haus tritt. Mit einem breiten Lächeln, das ihre weißen makellosen Zähne zum Vorschein bringt, winkt sie uns zu. Ihre dunklen Haare hat sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, damit sie ihr nicht ins Gesicht fallen.
Skinny Jeans, die wirklich sehr enganliegend sind und eine schlichte dunkelblaue Bluse umschmeicheln ihre wunderschönen Kurven. Sobald ich ihr einen Schritt näher komme, kann ich die Ähnlichkeit erkennen, die sie mit ihrem Bruder teilt, der neben mir steht.
»Das ist Lynn. Meine jüngere Schwester«, haucht mir Heath leise ins Ohr und bestätigt damit meine Vermutung. Jedoch hätte ich es auch so bemerkt, da sie die gleichen Augen haben, die so viel aussagen können, dass jemandem schwindlig wird.
Heath hat mir im Flugzeug ein wenig von seiner Familie erzählt und dabei habe ich erfahren, dass Lynn nicht gut auf Hunter zu sprechen ist. Er wollte mich vorwarnen, damit wir nicht in eine Diskussion geraten, nur konnte ich ihm nichts versprechen. Ich mag es nicht, wenn jemand schlecht über meine Freunde redet, sodass ich mich bereits darauf vorbereitet habe, mit ihr aneinander zu geraten. Hunter hat es nicht verdient, dass jemand ein schlechtes Bild von ihm hat und das völlig ungerecht.
Mal sehen, ob ich sie dazu bringen werde, ihre Meinung zu ändern. Diese Herausforderung nehme ich gerne an. Egal, wie schwer sie auch ist.
»Hallo zusammen. Schön, dass ihr es geschafft habt. Wir haben euch bereits erwartet«, ruft sie uns zu und streckt mir die Hand aus, nachdem sie vor mir stehen bleibt. »Ich bin Lynn und es freut mich sehr, dich endlich kennenzulernen.«
Mit einem festen Händedruck begrüße ich Heaths kleine Schwester. »Die Freude ist ganz meinerseits. Ich bin Faith und ...« Unsicher beiße ich mir auf die Unterlippe und sehe zu dem Mann, der neben mir steht. Ich weiß gar nicht, wie ich mich vorstellen soll.
Ex-Frau?
Seine Freundin?
Oder nur eine Freundin?
»Meine Freundin«, ergänzt Heath für mich und lächelt mich dabei ultrasüß an. Damit hat sich die Frage erübrigt und durch seine Antwort schmelze ich dahin, da wir wieder ein Team sind. Jetzt müssen wir nur noch zusammenhalten und alle Steine gemeinsam aus dem Weg befreien.
Lynn beobachtet das Ganze mit einem amüsiertem Blick. »Wenn das nun geklärt ist, kommt rein.« Zusammen schreiten wir in das Haus und steuern direkt den hinteren Teil des Anwesens an, um in den Garten zu gelangen. Ich bekomme nicht die Möglichkeit, mich umzusehen. Nur von weitem sehe ich die Wand, die mit vielen Bildern geschmückt ist und mich brennend interessiert hätte.
Vielleicht erhasche ich später einen Blick darauf, wenn ich mal auf die Toilette muss oder so.
Heath hat seine Hand auf meinen unteren Rücken gelegt und schubst mich leicht vorwärts, damit wir endlich zu den anderen stoßen. Augenblicklich wird es mucksmäuschenstill. Alle Gespräche verstummen und die Köpfe drehen sich in meine Richtung, damit sie mich schamlos anstarren können. Meiner Nervosität tut dieses kleine Detail jedoch nicht gut, weil ich wieder rasantes Herzklopfen verspüre und bemerke, wie meine Wangen rot werden.
Sofort erhebt sich eine ältere elegante Frau und kommt auf uns zu, um mich in ihre Arme zu schließen. »Herzlich willkommen, Faith. Es freut mich so sehr, dass du unsere Einladung angenommen hast und wir dich endlich persönlich kennenlernen dürfen. Mein Sohn hat uns bereits viel von dir erzählt.«
Heaths Mutter entfernt sich ein kleines Stück, um mir in die Augen zu sehen, bevor sie mich wieder an sich drückt. Diese Frau ist herzlich und kein bisschen zurückhaltend.
»Hallo«, kommt es überfordert aus meinem Mund, nachdem ich meinem Schmuggelhasen einen hilfesuchenden Blick zugeworfen habe. Ihn kümmert das aber kein bisschen. Viel mehr amüsiert er sich darüber und lässt mich mit dieser Frau allein, um die anderen Leute zu begrüßen.
»Oh, entschuldige. Vielleicht sollte ich mich als Erstes vorstellen. Ich bin Samantha und die Mutter von Heath.«
Ihre Augen strahlen mich glücklich an, während ihre Lippen noch immer ein sanftes Lächeln umspielen. »Meinen Namen kennen Sie ja bereits.«
»Oh nein! Für dich bin ich Sam, meine Liebe.«
Bevor ich etwas darauf erwidern kann, erscheint eine junge Frau neben Heaths Mutter, die in einem klassischen Businesskleid gekleidet ist. Es wirkt dezent, jedoch sticht dabei besonders ihre feuerrote Mähne heraus, die in geschwungenen Locken über ihre Schultern fallen.
»Lass ihr ein wenig Luft zum Atmen, Mom. Sonst flieht sie noch, bevor wir mit dem Essen beginnen können.«
Mit einem Hüftschwung bugsiert sie Samantha zum Tisch. Zwinkernd wendet sie sich an mich und streckt mir die Hand entgegen. »Bevor dich alle vollquatschen, dachte ich mir, dass ich die Zeit nutze und mich vorstelle. Ich bin Kira, die jüngste in der Familie.«
Sie wirkt auf den ersten Moment sympathisch, jedoch kann ich sie nur mit offenem Mund anstarren und ihr dabei zu nicken. Ich bin viel zu überwältigt von alldem, dass ich gar nichts dazu sagen kann. Diese ganze Familie ist so aufgestellt und fröhlich, dass sie mich ein klein wenig überfordern. Das Gute daran ist, dass ich mich auf so vieles konzentrieren muss, weshalb meine anfängliche Aufregung sofort wieder verschwindet.
»Hier entlang. Und glaub mir, du wirst dich daran gewöhnen.«
Mit ihren funkelnden grünen Augen blickt sie mich an und fordert mich auf, ihr zu folgen. Heath sitzt bereits am Tisch und unterhält sich mit einem älteren Herren, der bestimmt Mr. Thompson ist. Die Ähnlichkeit ist enorm und ein weiteres Indiz, dass ich mit meiner Vermutung sehr wahrscheinlich recht habe.
»Hast du es überlebt?«, fragt mich mein Schmuggelhase, als ich mich auf den Stuhl neben ihm fallen lasse. Er hat sein Gespräch kurz unterbrochen, um mich anzusehen. In seinen Augen kann ich die unausgesprochene Frage erkennen, weshalb ich seine Hand dankend drücke. Er muss sich aber keine Sorgen machen, da ich mich mit jeder Sekunde wohler fühle.
»Ja, habe ich. Sie sind auf den ersten Moment ein wenig zu enthusiastisch, aber ich mag sie.«
Und das entspricht der Wahrheit. Sie sind ganz anders, als meine eigene Familie. Aber es ist erfrischend und ich kann mir vorstellen, dass Heath eine tolle Kindheit hatte.
Nachdem Sam, Lynn und Kira das Essen serviert haben und dabei meine Hilfe ablehnten, haben sich alle hingesetzt, um diese Köstlichkeit zu verschlingen. Der Duft von Tomaten, Basilikum und Hühnchen durchflutet meine Sinne und lässt das Wasser in meinem Mund zusammenlaufen. Gebannt sehen mich alle an, als ich einen Bissen genommen haben. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie irgendeine Reaktion von mir erwarten. Nur weiß ich nicht genau, was sie von mir hören wollen.
Unsicher neige ich mich ein Stück zu Heath. »Habe ich etwas falsch gemacht?«
Er lacht nur leise auf und schüttelt dabei den Kopf. »Nein, sie wollen nur wissen, wie dir das Essen schmeckt. Meine Mutter traut sich aber nicht, dich danach zu fragen, weil es unhöflich herüberkommen könnte.«
»Oh, tut mir leid. Das Hühnchen schmeckt wirklich gut, Samantha. Du musst mir dein Rezept dafür geben, damit ich es zu Hause ebenfalls für uns kochen kann.«
Und mit dieser Antwort lachen alle herzlich auf. Den kleinen Test habe ich anscheinend bestanden, da die Gespräche wieder ihren Lauf nehmen und wir einen wirklich tollen Abend zusammen verbringen.
Ein Glück, dass mich seine Familie mag.
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