Kapitel Neun: Gin Tonic
F A I T H
Wie konnte es nur so weit kommen, sodass der Mann den ich über alles liebe vor mir flüchtet? Hat er nicht bemerkt, wie er mich damit verletzt? Wie er mit seinem schnellen und dramatischem Abgang das Durcheinander noch verschlimmert? Vielleicht wäre es besser gewesen, ihm dieses kleine Detail nicht zu verraten. Aber wie könnte ich sauer auf ihn sein, da ich genau dasselbe getan habe? Durch meine Frage habe ich ihn in auf eine Gefühlsachterbahn geschickt, aus der er schwer wieder rauskommen wird. Ich habe den Schmerz in seinen Augen gesehen und wie hart er darum kämpft, nicht unterzugehen.
Wieso musste ich auch noch so dumm sein und ihn nach seiner ersten Ehefrau befragen? Ich hätte wissen müssen, wie seine Reaktion darauf aussehen wird, weil er mir nicht ohne Grund kein Wort über sie gesagt hat. Ich war ziemlich schockiert, als ich das Foto zusammen mit dem Ring in einem Umschlag gefunden habe. Diese rothaarige Schönheit ist mir sofort ins Auge gestochen und ihr strahlendes Lächeln hat eine Eifersucht in mir geweckt, die ich vorher nie gespürt habe. Wer ist diese Frau, die ihm so viel Leid zugefügt hat?
Und wieso musste ich nur diesen Brief öffnen?
Ich hatte von Anfang an kein gutes Gefühl dabei. Aber eine solche Erkenntnis kommt immer zu spät und nun kann ich es nicht mehr ändern. Ich würde mir wünschen, die Zeit nochmals zurückdrehen zu können, um die Sache ganz anders anzugehen. Vielleicht wäre es jetzt komplett anders und nicht so verzwickt und verwirrend wie in diesem Augenblick. Aber darauf werde ich nie eine Antwort bekommen.
»Lass das.«
Ellas Stimme reißt mich aus meinen Gedanken und erst jetzt bemerke ich, dass ich noch immer an derselben Stelle stehe. Dass ich noch immer in die gleiche Richtung blicke, in der er weggefahren ist. Nur sehe ich ihn nicht mehr. Schon lange nicht. Er ist fort und hat mich hier allein gelassen. Ich weiß nicht, was ich darüber denken sollte.
»Er ist weg, Faith. Lass uns hineingehen und du erzählst Hails und mir endlich, was Sache ist.«
Ella packt meine Hand und zieht mich bereits mit, bevor ich darauf etwas erwidern kann. Anscheinend habe ich sowieso keine andere Wahl und wenn ich ehrlich zu mir bin, haben die beiden ein Recht zu wissen, was genau zwischen uns passiert ist. Viel zu lange habe ich das für mich behalten, auch wenn wir geschworen haben, immer ehrlich zueinander zu sein.
Zumindest, was die Hochzeit betrifft.
Alles andere muss warten, denn ich will nicht irgendwas ausplaudern, was ich selbst noch nicht weiß oder verstehe. Wenn Heath mir bis jetzt noch nie was von der Rothaarigen erzählt hat, will er bestimmt nicht, dass es die anderen ebenfalls erfahren. Also muss ich wohl trotzdem meinen Freundinnen einen großen Teil verschweigen und nur die Hochzeitsbombe hochgehen lassen.
»Du hast recht, Pitbull. Aber für diese Enthüllung brauche ich was Starkes zu trinken«, offenbare ich ihr. Anders würde ich mich nicht trauen, weil ich weiß, wie die beiden reagieren werden. Der Alkohol ist nur gedacht, um meine Zunge zu lockern, wie es Heath vorhin formuliert hat.
»Ich kann dir einen Gin Tonic anbieten, Kampfzwerg.« Hunter steht vor der Eingangstür mit verschränkten Armen und sieht mich aus schmalen Augen an. Dieser Blick, der mir jedes Mal ein ungutes Gefühl beschert, weil er nichts Gutes bedeuten kann. Automatisch bleibe ich stehen. Seine Stimme ist eine Oktave tiefer geworden, weswegen ich genau weiß, dass es etwas Ernstes sein muss und er in diesem Moment keine Widerworte akzeptieren wird.
»Ella, kannst du bitte schon mal hereingehen? Ich muss noch was mit Faith besprechen.«
Die ganze Zeit über lässt er mich nicht aus den Augen. Ella bemerkt Hunters angespannte Haltung und lässt uns augenblicklich allein. »Was ist los?« Meine Stimme hört sich unsicher an, da ich nicht weiß, was ich verbrochen habe. Ich gehe alles in meinem Kopf durch, suche nach einem Grund, weswegen sich Hunter so verhält, aber da ist nichts. Ich komme nicht darauf, was ich hätte vermasseln können. Diesen Blick sagt mir jedoch was anderes. Denn diesen bekommen wir selten zu Gesicht und wenn es passiert, dann haben wir echt scheiße gebaut.
»Was genau wirst du ihnen erzählen?« Jetzt ist der Groschen bei mir gefallen. Es geht hier um Heath und seine Vergangenheit. Das hätte mir klar sein sollen.
»Nur, dass wir beide verheiratet sind. Nichts weiter.« Angespannt blicke ich ihm in die Augen und warte auf seine Reaktion. Hunter hingegen sieht überhaupt nicht überrascht aus, weshalb meine Augenbrauen in die Höhe schießen. »Du wusstest davon?« Fassungslos schüttle ich meinen Kopf darüber und kann nicht glauben, dass er es Hunter wirklich erzählt hat. Wir haben abgemacht, dass wir beide den Mund halten und es ihnen irgendwann gemeinsam erzählen.
»Er ist mein bester Freund, Faith. Was hast du erwartet? Ich finde es eher schockierend, dass es Hails noch nicht weiß und du es auch mir mit keiner Silbe erwähnt hast.«
Wieso begreifen sie nicht, dass ich es nicht konnte? Wie hätte ich Hails erzählen sollen, dass sie meine Hochzeit verpasst hat, weil ich betrunken war und nichts Besseres zu tun hatte, als in diese Kapelle zu gehen und Heath zu heiraten? In Las Vegas wohlgemerkt. Anstatt dass ich eine Traumhochzeit erlebe, heirate ich den Mann, den ich über alles liebe, in einer verdammten Kapelle und nicht ganz bei Sinnen.
»Weil ich es nicht konnte, Hunter. Wieso versteht ihr das nicht? Heath hatte seine Traumhochzeit mit dieser rothaarigen Schönheit, während ich mich nicht mal mehr daran erinnern kann«, bricht es aus mir laut heraus.
Meine Augen werden groß, als ich mein Gesagtes nochmals durchgehe. Bis zu diesem Zeitpunkt war mir nicht klar, was mich genau an der ganzen Sache stört. Ja, Heath war verheiratet, und jetzt? Klar, tut die Tatsache weh, dass er mir nie ein Sterbenswort gesagt hat, aber es gehört seiner Vergangenheit an. Ich bin seine Zukunft, oder war es noch bis vor einigen Minuten.
»Er hat dir von Rachel erzählt?«, hakt Hunter schockiert nach.
Seine Augen sind so groß, wie Teller und langsam bekomme ich Angst vor diesem Anblick. Trotzdem entgeht mir ein Detail nicht. Etwas, dass ich bisher noch nicht wusste.
»Rachel?«
Das muss ihr Name sein. Die Frau, die ihn beinahe zerstört hat. Hunter erkennt seinen Fehler sofort, denn auch wenn ich von ihr weiß, kannte ich ihren Namen nicht.
»Diesen Namen wirst du nie in seiner Gegenwart erwähnen, hast du mich verstanden?«
»Was hat diese Frau ihm nur angetan?«, murmle ich leise vor mich hin, ohne auf eine Antwort zu hoffen. Mir ist klar, dass mir mein bester Freund nichts weiter verraten wird. Dafür ist er viel zu loyal.
»Du hast keine Ahnung, Faith. Stell keine Vermutungen an, bis er es dir nicht selbst erzählt. Vergiss den Namen und lass ihn damit in Ruhe. Sobald er so weit ist, wird er es dir sagen.«
Mit diesen Worten lässt er mich stehen und betritt wieder das Haus. Am liebsten würde ich einfach nach Hause gehen und mich in mein Bett verkriechen. Dieser Tag war schon anstrengend genug, aber ich kann nicht noch länger meine beste Freundin im Unwissen lassen. Das ist ihr gegenüber nicht fair.
Tief atme ich ein und folge Hunter ins Innere. Lewis spielt mit Finn im Wohnzimmer und deutet mir mit dem Kopf an, dass die Lane Schwestern in der Küche sind. Anscheinend sind alle informiert, dass wir ein Mädels-Gespräch führen werden, wo die Männer nicht anwesend sein dürfen.
Tausende Szenarien schwirren mir im Kopf und eine innere Aufregung bildet sich rasant in mir aus. Meine Hände streife ich an meiner Jeans ab, da sie schwitzig werden und meine Atmung überschlägt sich. Bis vor fünf Minuten habe ich mich auf etwas anderes konzentriert, sodass mich die Nervosität auf einen Schlag einholt.
Vorsichtig tapse ich leise zur Küche. Hails fröhliches Lachen dringt zu mir durch und bringt mich selbst zum Schmunzeln, auch wenn mir gerade nicht danach ist. Schade, dass ich jetzt der Grund sein werde, für den traurigen Ausdruck auf ihrem Gesicht, der kommen wird, sobald ich den Mund öffne. Um ehrlich zu sein, habe ich sie gar nicht verdient. Sie ist die beste Freundin auf dieser Welt, während sie von uns belogen zu wird. Durch diesen Gedanken verrutscht mein Lächeln und eine Schwere bildet sich auf meiner Brust. Ich kann nur hoffen, dass sie mich versteht und mir nicht allzu lange böse sein wird.
»Hey Leute«, begrüße ich die beiden leise und mache sie somit auf mich aufmerksam. Beide schauen zu mir rüber. Hails sieht ahnungslos aus, während Ellas Augen neugierig zu funkeln beginnen. »Hier ist dein Gin Tonic. Ich habe mir auch welchen gemixt, während sich Hails mit Saft zufriedengeben muss.«
Ella reicht mir mein Glas, als Hails zu schmollen beginnt, auch wenn es nicht ernst gemeint ist. Ohne zu zögern, nehme ich einen großen Schluck und versuche damit meine innere Nervosität zu mildern. »Das ist mir egal. Ich freue mich schon sehr auf die kleine Nuss, weshalb es für mich keine Rolle spielt.«
»Oh, schwanger sein wird dir gefallen. Es ist etwas Besonderes und so wie ich dich kenne, wirst du es lieben.«
Hails und Ella sind vertieft in ihrem Gespräch, währenddessen ich sie nur beobachte und an meinem Getränk nippe. Ella weiß zwar, weshalb ich hier bin, wartet jedoch darauf, dass ich den ersten Schritt tue, vor dem ich mich fürchte. Bevor ich es mir anders überlegen kann, platzt es aus mir heraus und schockiere damit meine beste Freundin, die gerade einen Schluck von ihrem Saft genommen hat. Der Saft, der gerade den Weg in mein Gesicht findet.
»Heath und ich sind verheiratet.«
»Bitte was?«, kreischt Hails, während Ella mich mit großen Augen ansieht. Dass die beiden überrascht sind, ist leicht untertrieben. Ella hat es geahnt, jedoch ist es nochmals anders es aus meinem Mund zu hören.
»Wann, wo und wie?«, hakt Hails nach und kommt einen Schritt auf mich zu.
»Vor einem Monat in Las Vegas und das betrunken«, antworte ich brav auf alle Fragen.
»Vor einem Monat?«, hakt Ella nach, während Hails Tränen in die Augen schießen und sie mich enttäuscht ansieht. Meine Brust zieht sich zusammen, da ich genau davor eine Heidenangst hatte. »Ich wusste nicht, wie ich es euch sagen soll«, gebe ich ehrlich zu und sacke in mich zusammen. Mein schlechtes Gewissen zwingt mich dazu, meinen Blick auf den Tisch zu senken.
Ich kann ihre Reaktionen verstehen. Ich wäre auch enttäuscht darüber, aber ich wusste wirklich nicht, wie ich es ihnen sagen sollte. Hätte es Ella draußen nicht gehört, würde ich vermutlich nicht hier stehen und es weiter für mich behalten. Ich bin ein Feigling, ich weiß.
»Du hast in Las Vegas geheiratet? Betrunken?«, hakt meine beste Freundin nochmals ungläubig nach.
Sie kennt mich und weiß, dass sowas nicht meine Art ist. Ich habe für mich etwas anderes geplant. Als ich ihr zustimmend zunicke, bricht sie in schallendes Gelächter aus. Verdattert sehen wir sie beide an. Was ist nur los mit ihr?
»Glaub mir, ich bin sowas von wütend und enttäuscht. Aber diese blöden Hormone bringen mich noch um, sodass ich nicht anders kann, als zu lachen.«
Mit schnellen Schritten kommt Hails auf mich zu und nimmt mich in ihre Arme. »Aber egal wie wütend ich gerade bin, ich bin immer für dich da. Und jetzt setz dich hin. Ich will jedes Detail darüber wissen.«
Lachend und weinend zugleich setze ich mich hin, halte dabei noch immer ihre Hand und erzähle ihnen genau, wie alles passiert ist. Die ganze Zeit über bleiben sie mucksmäuschenstill und lassen mich alles von der Seele reden. Auch wenn ich es noch immer nicht realisieren kann, so hat mir dieses Gespräch mehr als gutgetan.
Egal, wie groß meine Angst gewesen ist. Diese zwei Frauen haben es geschafft, mir eine kleine Last von den Schultern zu nehmen. Alles andere muss ich mit Heath klären. Ich hoffe nur, er taucht bald wieder auf.
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