Kapitel Dreiundzwanzig: Krankenhaus

F A I T H

Durch ein piepsendes Geräusch werde ich wach. Benommen reibe ich mir die Augen, bevor ich sie einen Spalt öffne, nur um sie eine Sekunde später wieder zu schließen. Verwirrt versuche ich meinen Wecker auszuschalten, da dieser nervige Laut nicht anzuhören ist. Ich kann mich nicht einmal daran erinnern, dass ich den Alarmton gewechselt habe. Außerdem ist mir ebenfalls schleierhaft, wieso Hails in meinem Bett ist, da ich ihre Hand an meinem Bauch spüren kann.

»Hails, wach auf«, murmle ich noch immer verschlafen und versuche ihre Hand von meinem Körper wegzuschieben.

Durch ihre Berührung ist mir siedend heiß und zudem kribbelt es überall auf meiner Haut. Eigentlich ein Gefühl, dass nur ein Mensch in mir auslösen kann. Schlagartig öffne ich meine Augen und blicke auf eine langweilige Wand, die ich nicht kenne. Automatisch wandert mein Blick weiter und langsam aber sicher schleichen sich kleine Erinnerungsfetzen von gestern in mein Gedächtnis. Ich muss wohl im Krankenhaus sein und dieses nervige Piepgeräusch kommt nicht von meinem Smartphone, sondern von einem Herzmonitor.

Während ich versuche mich daran zu erinnern, was letzte Nacht genau passiert ist, lasse ich meinen Blick durch das Zimmer gleiten. Jedes noch so kleine Detail fällt mir auf. Die Wände könnten einen neuen Anstrich vertragen, da ich überall Risse erkennen kann, die nicht sein dürfen. Des Weiteren wären ein paar bunte Bilder nicht schlecht, um das Zimmer ein wenig gemütlicher zu machen. Immerhin sollte der Patient sich hier wohlfühlen, sodass er schnell wieder gesund wird. Mit einem solch trostlosen Zimmer ist das gar nicht so einfach.

Außerdem sind die Schränke nicht besonders funktional und zu weit weg. Jemand der Mühe hat aufzustehen, müsste jedes Mal einen Krankenpfleger rufen, was ihnen die Arbeit nicht einfacher macht. Sie haben doch bereits genug zu tun.

Ein Tisch mit einem Blumenstrauß in der Mitte bekommt meine Aufmerksamkeit. Die bunten Farben, die mich an lange Sommertage erinnern, lassen ein kleines Lächeln auf meinem Gesicht erscheinen. Wer ihn auch immer mitgebracht hat, wusste, dass ich ihn mögen würde. Er ist wunderschön.

Nachdem ich alles haargenau in Augenschein genommen habe, wende ich meinen Blick nach unten, um Hails zu wecken. Ich will endlich wissen, was genau passiert ist. Sie hatte genug Zeit, um endlich aufzuwachen, während ich dieses öde Krankenhauszimmer unter die Lupe genommen habe. Nicht ohne Grund habe ich mir zuerst alles andere angesehen.

Erschrocken quieke ich auf, als ich feststelle, dass nicht meine beste Freundin mit mir im Zimmer ist. Mein Körper ist zusammen gezuckt, bevor sich jeder Muskel darin anspannt. Ozeanblaue Iriden starren mich an, verfolgen jeder meiner Reaktionen. Ich weiß gar nicht, wie lange er mich schon ansieht, da er noch kein Wort gesagt hat.

Hat er mich etwa die ganze Zeit beobachtet, seit ich wach bin?

So viele Fragen schwirren mir im Kopf, die sich nach einer Antwort sehnen und doch bleiben meine Lippen verschlossen. Kein Laut dringt aus meinem Mund. Viel zu überrascht bin ich über die Tatsache, dass mein Ehemann wirklich bei mir ist. Nach allem, was ich ihm angetan und ihn somit verletzt habe.

»Wie geht es dir?«, fragt Heath und durchbricht die Stille in diesem Raum.

Er sieht müde aus, als hätte er tagelang nicht geschlafen. Dunkle Augenringe kann ich in seinem Gesicht erkennen, während ein dunkler Bartschatten seine Wangen ziert. Seine Haare sind ein wildes Durcheinander, als wäre er ununterbrochen mit seiner Hand durchgefahren. Außerdem ist sein Hemd zerknittert, weshalb ich dadurch schlussfolgere, dass er es seit einer längeren Zeit anhat.

Es tut weh, ihn so zu sehen, weil ich genau weiß, dass es meine Schuld ist. Durch meine Dummheit ist das alles geschehen und ich bin mir nicht sicher, ob er mir das irgendwann verzeihen wird. Ob ich mir selbst überhaupt verzeihen kann.

»Was ist passiert?«, stelle ich ihm die Gegenfrage, was Heath ein Schmunzeln entlockt.

Trotzdem verschwindet die Sorge um mich, wie auch der Schmerz, nicht aus seinen Augen. »Kannst du einmal eine Frage nicht mit einer Gegenfrage beantworten?«, will er wissen und streicht mir unbewusst über meinen Bauch.

Die ganze Zeit über hat er seine Hand dort gelassen und den Hautkontakt nicht unterbrochen. Es ist, als würde er wissen, dass seine Berührung mich in diesem Moment beruhigt. Sie hält mich davon ab durchzudrehen, weil ich mich nicht an alles von gestern Nacht erinnern kann. Und das ist etwas, dass mir Sorgen bereitet. Etwas nicht zu wissen, was man selbst erlebt hat, ist für mich persönlich ganz schlimm.

»Mir geht es gut.«

»Wirklich?«, hakt er fürsorglich nach. »Hast du keine Schmerzen oder so?«

Mit seiner anderen Hand zeigt er auf meine Arme, die mit einem Verband umwickelt sind, weshalb ich sie mit großen Augen anstarre. Als wäre das nicht genug, kann ich noch einen weiteren erkennen, der um meinen Unterbauch geschlungen ist. Gleich darüber kann ich Heaths Finger spüren, die kleine Kreise auf meiner Haut zeichnen. Wie konnte ich das nicht spüren oder sehen? Ich habe zwar keine Schmerzen, jedoch hätte ich es trotzdem bemerken sollen, oder etwa nicht?

Schockiert öffne ich meinen Mund, nur um ihn eine Sekunde später zu schließen. Tausende Fragen kreisen in meinem Kopf, weswegen ich nicht weiß, mit welcher ich anfangen soll. Mein Ehemann scheint mein Dilemma zu erkennen, da er mir alles sagt, was ich wissen will.

»Du bist gestern Abend vom Sofa auf deinen kleinen Glastisch gefallen. Durch den Sturz ist er zerbrochen und viele Glassplitter, wie auch Scherben, haben sich in deine Haut gebohrt. Sie haben dich stundenlang behandelt, bis sie jeden einzelnen entfernen konnten.«

Kleine Erinnerungsfetzen tauchen vor meinem inneren Auge auf. Ella und Hails waren bei mir, aber mehr weiß ich nicht. »Vielleicht hast du wegen der Medikamente keine Schmerzen«, fährt er fort, als ich noch immer nichts gesagt habe. Ich muss erstmals diese Informationen verdauen. Noch immer haftet mein Blick auf diesen Verbänden, währenddessen ich versuche mich an irgendetwas zu erinnern.

»Anscheinend warst du gestern Nacht betrunken«, kommentiert er weiter und schaut mich weiterhin prüfend an.

Ich muss ihn nicht ansehen, um das zu wissen. Sein Blick brennt auf meiner Haut. Trotzdem schaue ich auf. Seine Iriden durchbohren mich und mir ist bewusst, dass er bereits weiß, was genau in mir vorgeht. Er hat meine Maske schon immer durchschauen können, ohne viel dafür tun zu müssen. »Ella hat meine Weinflasche in das Spülbecken geleert«, platzt es aus mir heraus, als mich diese Szene überrollt. »Ja, sie hat mir das gestern bereits erzählt.«

Peinlich berührt senke ich meinen Blick wieder. Irgendwie ist es mir unangenehm. Eigentlich wollte ich nie, dass er von meinem Absturz erfährt, weil er genau wissen wird, dass das nur wegen unseres Streites geschehen ist. Ich dachte, dass ich es dieses Mal für mich behalten kann, nur hat dieser Sturz dafür gesorgt, dass alle Bescheid wissen. Trotzdem erwärmt seine Anwesenheit mein Herz. Auch wenn wir in diesem Moment unsere Differenzen haben, so hat er sich Sorgen um mich gemacht und wie es scheint, die Nacht hier verbracht.

»Danke«, murmle ich leise, aber bestimmend.

Für mich ist das nicht selbstverständlich und irgendwie flimmert in mir ein kleiner Hoffnungsschimmer auf, auch wenn sich gleichzeitig ein mulmiges Gefühl in meinem Bauch ausbreitet. Ich kann nicht sagen warum, aber sein Gesichtsausdruck lässt mich etwas erahnen, was ich lieber nicht erfahren will. Mein Bauchgefühl hat mich noch nie im Stich gelassen, aber dieses Mal hoffe ich, dass es falsch liegt.

»Keine Ursache. Als Hunter den Anruf bekommen hat, informierte er mich sofort darüber. Ich hätte es mir nicht verzeihen können, wenn ich dich jetzt allein gelassen hätte.«

Ein trauriges Lächeln erscheint auf seinem Gesicht, während er noch immer mit seiner Hand über meinen Bauch streichelt. Er hat mir noch nicht verziehen, was ich aber verstehen kann. Ich habe mich nicht einmal dafür entschuldigt und trotzdem ist er hier bei mir und kümmert sich um mich. »Es tut mir leid, Heath. Alles. Ich hätte nie mit Hunter darüber reden dürfen.« Zustimmend nickt er mir zu, bevor er tief Luft holt.

Plötzlich öffnet sich die Tür und Dr. Jones kommt in den Raum spaziert. Er ist Stammkunde bei uns im Café und außerdem kenne ich fast alle Leute in dieser kleinen Stadt, da ich hier schon mein Leben lang wohne. »Guten Morgen, Faith. Wie geht es dir?« Lächelnd sieht er mich an und nickt Heath kurz zu. Sie haben sich anscheinend bereits kennengelernt.

»Mir geht es gut, danke. Wann kann ich nach Hause?«

Auch wenn ich erst vor kurzem wieder wach bin, habe ich keine Lust noch länger hier zu bleiben. Dieses trostlose Zimmer wird mir bei meiner Genesung nicht unbedingt helfen und wenn ich noch länger diesem scheußlichen Geruch ausgesetzt bin, muss ich bald dem Badezimmer einen Besuch abstatten.

»Du kannst heute Nachmittag nach Hause gehen, wenn bei der Kontrolle alles in Ordnung ist. Ich will sichergehen, dass alle Splitter draußen sind, bevor wir dir den Verband wechseln. Aber ich bin zuversichtlich. Wir mussten dich gestern bereits fünf Mal nachträglich untersuchen, bis dein Ehemann damit einverstanden war, dich ins Zimmer bringen zu lassen.«

Automatisch schaue ich zu Heath rüber, der mich noch immer prüfend beobachtet. Er hat, seit ich wach bin, keine einzige Sekunde seinen Blick von mir genommen. »Haben sie rausgefunden, weshalb sie ohnmächtig wurde?«, will er mit zusammengezogenen Augenbrauen wissen. Verlegen schließe ich meine Augen, weil ich genau weiß, wieso das so ist.

Bevor Dr. Jones darauf antworten kann, sprudeln die Worte bereits aus meinem Mund. »Ich kann kein Blut sehen«, gebe ich beschämt zu. Mir war das schon immer unangenehm, dass ich bei einem kleinen Tropfen karminroter Flüssigkeit zusammenklappe. Leider kann ich das jedoch nicht ändern.

»Ja, das dachte ich mir bereits«, erwidert mein behandelter Arzt. »Wir sehen uns später, Faith. Falls du Schmerzen haben solltest, dann drück bitte diesen Knopf, damit dir die Krankenschwester etwas bringen kann, ja?«

»Geht klar. Und danke, Doktor.«

Mit einem Nicken verabschiedet er sich und lässt uns wieder allein. Ich habe noch so viele Fragen zu letzter Nacht, nur traue ich mich nicht mich danach zu erkundigen. Hails wird mir bestimmt alles erzählen und so lange muss ich wohl noch durchhalten.

»Ich habe über uns nachgedacht, Faith«, höre ich die Stimme meines Ehemannes. Er klingt zögerlich und die Worte lassen mich böses ahnen, da dieser Satz nie etwas Gutes bedeutet. »Ich nehme deine Entschuldigung an und auf eine Weise kann ich dich auch verstehen. Trotzdem denke ich, dass uns ein gewisser Abstand guttun wird, bis ich meine Dämonen bekämpft habe.«

Seine Hand verschwindet von meinem Bauch, bevor er sie zu Fäusten ballt, bis seine Knöchel weiß hervortreten. Seine Worte beruhigen mich kein Stück, da ich auf den Stoß warte, der mich noch weiter fallen lassen wird. Und ich bin mir sicher, dass dieser noch kommt.

»Auch wenn es vielleicht der schlechteste Zeitpunkt ist, um darüber zu reden, denke ich dennoch, dass es das Beste für uns beide ist.«

Tief atme ich ein und schließe meine Augen. Angespannt wappne ich mich bereits auf den kommenden Schmerz, der gleich erscheinen wird.

»Ich hab einen Anwalt kontaktiert, um die Scheidungspapiere aufzusetzen. Er wird dir die Papiere von der Annulierung unserer Ehe in den nächsten Tagen zustellen.«

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