Kapitel Achtzehn: der Morgen danach
H E A T H
Vor zwei Jahren
Durch das Geräusch der öffnenden Türe werde ich wach. Aufmerksam lausche ich den dumpfen Schritten, die meinem besten Freund gehören, während Faith noch immer neben mir liegt und tief und fest schlummert. Am liebsten würde ich dieses niedliche Geschöpf noch länger beobachten, aber augenblicklich bin ich auf den Beinen als ich höre wie etwas in der Küche zerbricht, gefolgt von einem Fluchen, was nichts Gutes bedeuten kann.
Mein Blick wandert zu meiner Kommode, auf der eine Uhr steht. Es ist halb 6 Uhr in der Früh. Anscheinend ist Hunter endlich nach Hause gekommen. Ob er so lange mit Haylee unterwegs war? Wieder klirrt es und ohne darüber nachzudenken, springe ich auf, öffne ich die Tür und haste nur in Boxershorts bekleidet in die Küche.
Sobald ich sie erreiche, bleibe ich im Türrahmen stehen und runzle meine Stirn bei diesem Anblick. Verdammt, was ist mit ihm passiert?
Hunter steht mit dem Rücken zu mir bei der Spüle. Auf der Ablage, wie auch auf dem Boden und in der Spüle kann ich Scherben erkennen, die vor einigen Minuten einige Tassen gebildet haben. Seine Hand ist blutbefleckt. Er muss sich geschnitten haben, als er all diese Tassen zerstört hat. Die karminrote Flüssigkeit tropft auf die Theke, was mich aus meiner Starre befreit.
»Hunter«, spreche ich leise seinen Namen aus. Sein Körper zuckt zusammen. Durch den ganzen Lärm, wie auch seine inneren Dämonen, hat er nicht bemerkt, wie ich in die Küche gekommen bin. Außerdem sind seine Muskeln zum Zerreißen angespannt. Gleichzeitig kann ich erkennen, dass sein gesamter Körper vibriert.
Was ist nur los? Oder besser gesagt, was ist geschehen, dass es eine solch heftige Reaktion in ihm auslöst?
»Verschwinde, Heath«, zischt er wütend und bedrohlich leise. Zudem kann ich den Schmerz darin erkennen, den er versucht, vor mir zu verbergen. Wenn er möchte, dass ich verschwinde, kann er noch lange darauf warten. Ich denke nicht mal daran, da er mich in diesem Moment braucht. Wir geben einander den Halt, den wir immer mal wieder benötigen. Und ganz offensichtlich geht es meinem Freund nicht gut.
»Was ist los?«
Langsam nähere ich mich meinem besten Freund, als wäre er ein verschrecktes Reh im Scheinwerferlicht. Auch wenn er mich im Moment am liebsten zum Teufel jagen will, möchte ich für ihn da sein. Ich habe ihn schon lange nicht mehr in einer solchen Verfassung erlebt und ich kann nicht verhindern, dass sich Sorge in mir breit macht. Enorm große Sorge.
»Kannst du nicht einfach wieder gehen?«, brüllt er mich an, weswegen ich sofort meinen Blick zu meiner Schlafzimmertür richte. Ich will nicht, dass Faith Wind davon bekommt. Es wäre besser, wenn sie noch einige Stunden schläft und ich das mit Hunter durchkauen kann. Außerdem hat sie den Schlaf nötig, da ich sie gestern nochmals geweckt habe und unser Liebesspiel fortgeführt habe. Bei dieser Erinnerung breitet sich ein Grinsen auf meinem Gesicht aus, welches ich mit einem gekünstelten Husten versuche zu verbergen.
»Sei leise, Hunter. Faith schläft noch und ich will sie ungern aufwecken. Zudem glaube ich nicht, dass sie dich in diesem Zustand sehen soll. Das willst du bestimmt nicht.«
Ruckartig dreht er sich um und sieht mich aus zusammengekniffenen Augen an. Sie blitzen gefährlich auf, als er sich mir einen Schritt nähert. Ich weiß, dass diese Reaktion nicht ihr geschuldet ist, jedoch muss er diese Wut, die er in sich trägt, irgendwo herauslassen. Im Augenblick bin ich der einzige, der vor ihm steht, weshalb die Wahl natürlich auf mich fällt. Trotzdem hebe ich abwehrend meine Hände in die Höhe und entferne mich immer weiter.
Verdammt, ich hätte das nicht so sagen sollen, wenn er gerade so aufgelöst ist.
»Hast du gerade gesagt, dass Faith hier ist?«
»Ähm … ja?«
Sein Blick durchbohrt mich und beobachtet jeder meiner Bewegungen. Wenn ich nicht aufpasse, wird er mich schnappen können, bevor ich blinzeln kann. Und ich habe im Moment keine Lust, eine Faust in meinem hübschen Gesicht zu spüren. Im Übrigen tut das verdammt weh und ich würde Faith gerne in nächster Zeit zum Essen einladen. Mit einem gebrochenem Kiefer geht das leider nicht.
»Was macht sie hier?«, hakt er weiter nach.
Seine Stimme ist tief und bedrohlich und auffordernd hebt er eine Augenbraue in die Höhe, als würde er es nicht bereits wissen oder ahnen. Durch seine Haltung sind meine Sinne geschärft und doch versuche ich so cool wie möglich rüberzukommen. Damit er meine Defensive nicht sofort bemerkt.
»Sie schläft in meinem Bett, Hunter. Du kannst dir ja denken, was wir noch vor einigen Stunden getrieben haben.« Ich zucke mit den Schultern und verschränke die Arme vor der Brust. »Ist ja nicht so, als hättest du noch nie deine Zimtschnecke vernascht.« Gefährliches Terrain, in dem ich mich gerade befinde. Aber Provokation ist meine beste Waffe.
Hunters Muskeln sind angespannt, seine Hände ballen sich zu Fäusten, bis seine Knöchel weiß hervortreten und ich weiß genau, dass er jeden Moment in die Luft fliegen wird. Er hätte auch so schon wütend reagiert, auch wenn er vor einigen Tagen etwas anderes behauptet hat. Faith gehört jedoch zu seiner Familie und die wird beschützt. Egal vor wem. Obendrein ist er durch sein eigenes Gefühlsdurcheinander wie eine tickende Zeitbombe. Es fühlt es sich an, als würde gleich alles in die Luft gehen.
»Treib es nicht zu weit, Heath Thompson.«
»Nein, keine Sorge. Ich treibe es nur mit Faith.«
Meine Aussage mag zwar arschig klingen und ich meine das in keinster Sekunde abwertend. Diese Frau hat mich um den Finger gewickelt, wie keine andere. Nur habe ich das Gefühl, dass mein bester Freund es auf keine andere Weise verstehen wird und ich will, dass er das zwischen uns beiden akzeptiert.
Hunter ist uns beiden wichtig und ich wäre unendlich froh, wenn er unserer Beziehung zustimmen würde. Warte mal, was? Was habe ich da gerade gedacht? Beziehung? Das kann doch nicht wahr sein!
Zu tief in meinen Gedanken versunken, sehe ich nicht, wie sich Hunter mir nähert und meinen konfusen Zustand schamlos ausnutzt.
Plötzlich liege ich auf dem Boden und lege die Hand auf meine pochende Wange. Des Weiteren schmerzt mein Rücken von dem Aufprall, sodass ich qualvoll aufstöhne. Was zur Hölle? Mit geweiteten Augen blicke ich nach oben und sehe Hunter an. Seine Faust ist noch immer in der Luft und als auch er erkennt, was er da gerade angestellt hat, steht ihm der Schock ins Gesicht geschrieben. Zum Glück kann ich keine Wut in seinen Augen sehen, sondern Bedauern. Dass es ihm leidtut, steht ihm buchstäblich ins Gesicht geschrieben.
»Was ist hier los?«
Faith steht, nur in meinem Hemd vor uns, verschlafen im Raum und sieht uns mit gerunzelter Stirn an. »Nichts«, antworten wir beide synchron. Skeptisch zieht sie ihre Augenbrauen zusammen und verschränkt die Arme vor der Brust. Sie glaubt uns kein Wort, aber ich werde ihr bestimmt nicht sagen, dass mir Hunter ihretwegen eine reingehauen hat. Zudem hat sie die Scherben bereits entdeckt, die unsere Lüge sofort entlarvt.
»Faith, es ist schön, dich zu sehen. Wirklich. Aber ich denke, dass es wäre besser, wenn du dir etwas anderes anziehen würdest.«
Hunter sieht ihr dabei die ganze Zeit mit einem gezwungenem Lächeln in die Augen und als ich meinen Blick nochmals nach unten wandern lasse, weiß ich auch wieso. Mein Hemd verdeckt wirklich nur das Nötigste und ist ziemlich kurz. Wirklich sehr kurz. Mir gefällt der Anblick sehr, aber ich kann meinen besten Freund absolut verstehen. Ich könnte seine Zimtschnecke auch nicht ansehen.
»Ähm … ja, du hast recht. Bin gleich wieder da.«
Faith dreht sich blitzschnell um, sodass ihre Haare schwungvoll durchgewirbelt werden und verschwindet wieder im Zimmer. »Und du, Freundchen, kannst gerne ein Frühstück für uns zaubern, während ich dieses Chaos beseitige«, wendet sich Hunter mir zu, bevor er direkt wieder zur Spüle eilt.
Noch immer verwirrt, stehe ich auf und blicke als Erstes in den Spiegel. Ich kann kein Blut erkennen, jedoch wird sich bestimmt ein blauer Bluterguss bilden. Spätestens dann wird Faith erkennen, dass wir sie angelogen haben. »Dein Gesicht ist noch immer hübsch. Mach dir deswegen keine Sorgen«, spottet Hunter.
Langsam macht er mich echt wütend, sodass ich mit zwei großen Schritten bei ihm bin und ihn an den Schultern packe. »Was ist dein verdammtes Problem?«
Mein bester Freund zuckt zusammen, bevor seine Haltung in sich zusammen sackt und seine Augen mir eine Leere zeigen, die mich zum Frösteln bringt. Verdammt. Was ist heute Nacht nur passiert? Er sollte besser mit der Sprache rausrücken, bevor ich in den Wagen steige und zu Haylee fahre, um sie selbst zu fragen.
»Ich …«, beginnt er und stoppt kurz darauf wieder. »Ich kann nicht.«
Mein Verstand beginnt auf Hochtouren zu rattern, währenddessen ich versuche irgendetwas aus seinem Gesicht zu lesen. Hunter hat jedoch seine Maske aufgesetzt, die es für mich unmöglich macht. Fluchend wirble ich herum. Ich bin in diesem Moment komplett ratlos.
»Ich erzähle es dir, sobald Faith weg ist. Sie muss das nicht wissen«, lenkt er ein, sodass ich erleichtert aufseufze. Verständnisvoll nicke ich ihm zu. Er hat recht und wenn ich ihn mir so ansehe, muss etwas gewaltig schiefgegangen sein. »Aber ich will alles wissen und ich glaube, es würde dir guttun, wenn du es dir von der Seele sprichst.«
Unsere Konversation endet augenblicklich, nachdem Faith angezogen die Küche betritt. Sie sieht uns erneut mit gerunzelter Stirn an, sagt aber nichts und setzt sich hin. Hunter dreht sich um und entsorgt die Scherben im Mülleimer, während ich uns Kaffee koche und Eier mit Speck aus dem Kühlschrank hervorkrame.
Die Stimmung ist angespannt, niemand sagt ein Wort. Eine unangenehme Stille breitet sich zwischen uns aus, nur das Räuspern von Faith hört man. »Was genau läuft da zwischen euch?«, will mein bester Freund von meinem Zuckerdöschen wissen. Er versucht, ein Thema anzuschneiden, um von sich selbst abzulenken. Und ich muss sagen, dass es funktioniert. Faith springt sofort darauf an.
Ihre Wangen laufen rot an und sie versucht sie mit ihren Haaren zu verdecken, jedoch haben wir es beide bereits gesehen. Ein wirklich süßer Anblick. »Wir lernen uns gerade kennen, Muckibär.«
Laut lache ich los als ich den Spitznamen höre. Da hatte ich mit meinem Kosenamen noch Glück gehabt. Auch wenn beide ziemlich bescheuert sind. Hunter rollt nur mit seinen Augen, bevor er Faith fixiert.
»Lass das«, warnt er sie vor.
»Wieso? Du bist und bleibst mein Muckibär. Früher oder später hätte er es sowieso erfahren, also stell dich nicht so an.«
Schnaubend wendet er sich ab und holt die Teller aus dem Schrank. Während ich das Frühstück zubereite, bereitet Hunter alles vor. Faith sitzt nur am Tisch und beobachtet uns dabei mit funkelnden Augen.
»Ihr seid echt ein Team. Ihr versteht euch ohne Worte, genau wie Haylee und ich.« Hunter spannt sich augenblicklich an, sobald ihr Name gefallen ist und schließt dabei die Augen. Faith bekommt von all dem nichts mit, weil er ihr den Rücken zugedreht hat.
»Willst du Kaffee oder Saft?«, mische ich mich ein und versuche das Thema zu umgehen. Erneut. Er wird mir später vieles erklären müssen, denn seine Reaktion darauf ist nicht normal.
»Saft.«
Während ich ihr das gewünschte Getränk einschenke, versucht sich mein bester Freund zu beruhigen und atmet tief ein und aus.
»Komm, setz dich hin. Das Essen ist fertig«, befehle ich meinem ehemaligen Sergeant und stelle das Frühstück in die Mitte des Tisches. Als wir alle Platz genommen haben, schaufelt sich jeder eine Portion auf den Teller. Faith sieht uns nur an, da auch sie endlich bemerkt hat, dass etwas mit ihm nicht stimmt.
»Nur dass du es weißt, Kampfzwerg«, beginnt Hunter. »Wenn ich diesem Mistkerl in den Arsch treten sollte, sag mir Bescheid.« Ein kleiner Versuch die Stimmung zu retten und es klappt tatsächlich. Faiths Augen funkeln belustigt auf.
»Das kann ich schon allein tun, Muckibär. Oder hast du meinen Kinnhaken bereits vergessen?«
Hunter schmunzelt und schüttelt dabei den Kopf. »Nein, habe ich nicht. Du sorgst ja dafür, dass es nicht in Vergessenheit gerät.«
»Da hast du recht. Das wird dich dein Leben lang verfolgen.«
Ausgelassen reden wir weiter, genießen diesen Morgen. Die Ruhe vor dem Sturm, da das Gespräch mit Hunter bestimmt kein Zuckerschlecken wird.
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