Neunundzwanzig

𝒜 𝓁 ℯ 𝒶
ᴡɪʟʟɪᴀᴍs

Als ich wach wurde, spürte ich sofort, dass Kyson bereits hellwach war. Er veränderte stetig den Druck seiner Arme um meinen Körper und ich hörte ihn flüstern. Irritiert schlug ich die Augen auf musterte verschlafen sein Gesicht. Die dunklen Bartstoppeln waren meiner Nasenspitze sehr nah.

»Na dann...ich werde mich jetzt nochmal schlafen legen. Oder soll ich euch frühstück machen?«, fragte jemand, dessen Stimme auch sehr nah war. Ich wollte den Kopf heben, doch dann wäre ich mit Kysons Kinn kollabiert und ihn von dieser Position zu beobachten, gefiel mir. Die Stimme erkannte ich auch, es war Ann. Ich hoffte, dass es Miles gut ging.

»Geh du ins Bett und schlaf dich aus, Mom. Wir schaffen das Frühstück schon ohne die Küche in Brand zu setzen«, sagte Kyson zuversichtlich, während er sie offenbar ansah und nebenbei mit meinen Haaren spielte.

Ohne es zu wollen, schmunzelte ich und grinste breit, als Kyson zu mir herab sah und die Augenbrauen hochzog.

»Stalken liegt dir im Blut, oder?«, fragte er und mein Grinsen verschwand. Ich hob meinen Kopf um Ann anzusehen, doch da schloss sich die Tür bereits.

Vorsichtig blickte ich ihn an und überlegte, was ich auf diese Frage antworten könnte. Kyson bemerkte, dass ich noch nicht so fit für Kontra war und piesackte mich selbstverständlich weiter.

»Du sprichst im Schlaf. Über grüne Äpfel und schwarze Raben«

Ich nickte nur und wollte das nicht genauer erläutern. Dass ich mit grünen Äpfeln und schwarzen Raben höchstwahrscheinlich Kysons Augen- und seine Haarfarbe beschrieben hatte, während ich schlief, lag auf der Hand.

»Und du hast dich wie ein Äffchen an mich geklammert«, fügte er noch hinzu. Unsicher, ob er das gut fand, wollte ich meine Beine aus unserer Verknotung ziehen und meine Hände von seinen Schultern nehmen, doch Kyson hielt mich, nachdem er verstand, was ich tun wollte, sofort fest.

Er lächelte sanft und sah auf einen Punkt hinter mich. »Ich wollte damit nicht andeuten, dass es mir nicht gefällt. Ich finde es sogar ziemlich gemütlich so«

Um seine Aussage zu unterstreichen, löste er seine Hand aus meinem Haar und fuhr meinen Rücken entlang, bis zu meinem Hintern und ließ die Hand an meiner Hüfte ruhen.

Mein Herz schlug Saltos, doch ich traute mich nicht zu sprechen, da der morgendliche Mundgeruch mich zum schweigen zwang. Also schlüpfte ich so schnell, dass Kyson mich nicht erwischte aus seinen Armen und krabbelte aus dem Bett.

»Habe ich was Falsches gesagt?«

Ich stand mit dem Rücken zu ihm und drehte mich leicht in seine Richtung. Die Decke war von seinem Oberkörper gerutscht und die Arme hatte Kyson entspannt hinter seinem Kopf verschränkt, während er mich ausgiebig in meiner engen Jeans und seinem Shirt begutachtete. Die Narben auf seinem Körper sah ich jetzt aus anderen Augen. Sie machten Kyson noch einzigartiger und schöner.

Er war so wunderschön. So verdammt schön.

Statt ihm zu antworten, holte ich tief Luft und verließ ich sein altes Kinderzimmer.

Die Tür ließ ich offen, durchquerte den kleinen Flur und bahnte mir meinen Weg in das Badezimmer, dessen Tür ich diesmal hinter mir schloss.

Im Bad befand sich nur eine kleine Dusche, eine Toilette und ein Waschbecken mit hängendem Spiegel, der außen rum beleuchtet war.

Ich knipste die Lichter an und sah mich eine Weile lang an. Ich sah zwar ungeschminkt nicht ganz so fit wie mit Makeup aus, aber ich konnte mich ansehen, ohne mich hässlich zu fühlen.

Stumm griff ich nach meiner rosafarbenen Zahnbürste, die ich letztens hier liegen gelassen hatte, etwas Zahncreme drauf machte und meine Zähne putzte.

Da ich die Tür hinter mir ja geschlossen war, rechnete ich nicht damit, dass Kyson hier einfach so herein spazierte. Doch genau das tat er. Die Tür ging auf und er lehnte im Rahmen. Perplex sah ich in seine grünen Augen, die mich durch den Spiegel wachsam anblickten.

Neugierig drehte ich mich zu Kyson, nebenbei putzte ich in gleichmäßigen Kreisen meine Zähne weiter.

»Du...«, fing er an und schüttelte kurz danach den Kopf, als könnte er nicht glauben, was er da sah.

»Du überraschst mich wirklich andauernd«, meinte er und schlenderte in Shirt und enganliegender Boxershorts hinter mich. Augenblicklich stand mein Körper unter Storm und ab diesen Zeitpunkt achtete ich auf jede kleine Berührung. Ich richtete die Augen wieder auf sein Spiegelbild vor mir.

Als er beispielsweise den Arm ausstreckte und seine eigene Zahnbürste vorbereitete, trat er noch dichter an mich heran. Mein Becken stieß gegen das Waschbecken vor mir, während sein Bauch meinen Rücken wärmte. Mein Puls raste und ich vergaß kurz, die Zahnbürste in meinem Mund zu bewegen.

Kurz bevor er anfing, sich die Zähne zu putzen, lagen seine Augen auffällig lange auf meinen Lippen und er grinste verwegen.

»Wenn du fertig bist, kannst du mir ja einen Blasen«

Ich verschluckte mich unverzüglich an der Zahnpasta, fing unruhig zu husten an und anschließend angewidert zu würgen. Im Hintergrund vernahm ich sein raues, hemmungsloses Lachen und spülte dann instinktiv den Mund aus. Dabei presste sich mein Hintern gegen Kysons Schritt und das Lachen erstarb abrupt.

»Das war ein Witz, so ganz nebenbei«, sagte er eine Spur undeutlicher und stellte sich neben mich, nachdem ich mich wieder aufrichtete. Heilige Scheiße, was war das für eine Aktion von ihm? Ich starb hier gerade vor Scharm und er reinigte sich hier seelenruhig seine Zähne?

Mein Gesicht war knallrot, meine Augen gerötet und ein teil der aufgeschäumten Zahncreme lag mir nun im Magen.

»Das war nicht witzig«, murmelte ich heiser und sah ihn böse an. Alles, was er tat, war mir zu zuzwinkern. Er zwinkerte und in meiner Brust begannen die Schmetterlinge zu tanzen.

Kyson Evans war so ausgelassen...sogar seine dunklen Augenringe wirkten heute nicht so dunkel, wie sonst. Fasziniert fuhr ich mit dem Daumen über seinen rechten Augenring.

»Kann es sein, dass du etwas mehr Schlaf erwischt hast?«, versuchte ich diese Situation zu überspielen und Kyson ging darauf ein. Er nickte leicht und sah sich zwischenzeitlich im Badezimmer um.

»Steht dir gut, war es ein Sextraum?«, fragte ich ihn und hoffte darauf, dass ich ihn damit ebenfalls aus der Fassung bringen konnte. Doch er zog nur einen Mundwinkel hinauf.

Als ich ihn so vor mir stehen sah, fragte ich mich, ob so meine Zukunft aussehen könnte. Jeden Morgen neben ihm aufzuwachen, mit ihm Zähne zu putzen und über unanständige Dinge zu sprechen.

Ich wünschte mir diese Zukunft. Nicht nur für mich, auch für ihn. Ich wünschte mir von ganzem Herzen, dass ich Kyson Evans glücklich machen konnte. Dass ich noch viel öfter in Genuss von diesem frechen Lachen kam oder dem Kyson, der Witze in meiner Gegenwart brachte.

»Danke«, murmelte ich nachdem er fertig war und mir scheinbar Überreste meiner Zahnpasta aus dem Gesicht entfernte mit den Fingern.

»Was isst du morgens so?«, fragte er mich und lief dabei um mich herum. Ich folgte seiner Gestalt und war verwirrt, als Kyson nochmals das Zimmer ansteuerte.

»Brot, Müsli, keine Ahnung. Ich würde wahrscheinlich alles essen«

An seinem Kleiderschrank angekommen, öffnete er diesen und sah sich kurz um, bevor er eine kurze Sporthose in meine Richtung warf, die vor mir auf die Füße flog.

»Warum hast du sie nicht aufgefangen? Der Wurf war echt gut, den hättest du echt gepackt«

Mit hochgezogenen Augen sah ich von der Hose zu ihm zurück und zupfte am Knopf meiner Jeans.

»Du bist gestern nicht auf die Idee gekommen, dass du mir statt einer Jogginghose auch die hättest anbieten können?«

Er verzog seinen Mund zu einer geraden Linie um nicht zu grinsen, sagte aber nichts mehr dazu.

»Ich mach dann mal das Frühstück und du kannst dir die Haare kämmen«

»Aber meine Haare-«

Beim vorbeigehen wuschelte er mir durch mein braunes Haar und verschwand dann eilig, da er bereits mit einem Schlag meinerseits gerechnet hatte. Ich schlug ins Leere.

»Idiot«, rief ich ihm mit einem Grinsen nach. Ich hörte Kyson die Treppen herunter poltern und er erwiderte: »Ich weiß, dass du jetzt gerade grinst«

Amüsiert schüttelte ich den Kopf und bückte mich, hob die Hose hoch und ging weiter in das Zimmer hinein.

Dort zog ich mich um, kämmte mir dann meine Haare und wollte zu Kyson gehen, als mir das Buch von Hayley am Nachttisch wieder einfiel.

Es lag noch immer dort und wie immer konnte ich meine Neugierde nicht im Zaun halten, näherte mich dem Taschenbuch und schlug eine Seite darin auf. Überall waren Stellen mit einem gelben Marker angestrichen. Eine Stelle davon lautete: »Wir bestimmen unser Schicksal selbst.«

Aufmerksam überflog ich ein paar Sätze und versuchte den Einband nochmal zu entziffern. Diesmal gelang es mir. Das Café am Rande der Welt. Eine Erzählung über den Sinn des Lebens.

Irgendwie passte der Titel ziemlich gut zu Kysons und meiner Geschichte. Wir hatten uns in einem Café kennengelernt und nun war er zu einem Teil meines Lebens geworden. Er wurde ein Sinn meines Lebens.

Ich beschloss, Kyson zu fragen, ob ich mir dieses Buch Mal ausleihen durfte.

• • •

Unten in der Küche angekommen, saß Kyson am Küchentisch. Um ihn herum lag aufgeschnittenes Obst und auf seinem Teller einige Stücke Pizza. Verwirrt betrachtete ich erst die exotischen Früchte, wie eine fein aufgeschnittene Mango, einige grüne Kiwistücke oder eine Ananas. Auch Erdbeeren und Weintrauben fand ich am Tisch wieder. Aber dieses Stück Käsepizza passte da nicht hinein. Trotzdem sah es am verlockendsten aus.

Als ich näher an Tisch herantrat, griff Kyson an die hölzerne Lehne des Stuhls zu seiner Linken und zog diesen ein Stück zurück. Eine offensichtliche Aufforderung, sich neben ihn zu setzten, der ich sehr gerne nachging.

»Also, lass mich raten. Das ganze Obst da vor meiner Nase, dass meine Mom scheinbar bevor sie oben war, schon für uns geschnitten hat, spricht dich an«, sagte er und ich nickte ehrlich.

»Aber die Pizza findest du geiler«, fügte er hinzu und ich lachte.

»Ich werde höchstwahrscheinlich einfach beides essen«, meinte ich und griff selbstbewusst nach einem Stück Pizza, doch Kyson war schneller. Er zog den vollbeladenen Teller von mir weg. Verständnislos legte ich meinen Arm auf der Tischplatte ab und drehte den Kopf nach rechts.

Dieses Spiel konnte er vergessen.

»Glaub mir, bei Essen verstehe ich keinen Spaß«, klärte ich ihn so bitter ernst, wie ich nur konnte auf.

Kyson fuhr sich mit der Zunge über die Unterlippe und blickte mich herausfordernd an. Er würde nicht nachgeben.

»Was muss ich tun, dass ich ein Stück abbekomme?«, gab ich nach. Aber auch nur, weil mein Magen gleich ein komplettes Konzert starten würde. Ich hatte Hunger, wirklich Hunger.

Kysons Augenbrauen zogen sich nachdenklich zusammen und meine Augen verengten sich. Er wusste schon längst, was er wollte. Er überlegte nur, ob er es wirklich sagen sollte.

»Wenn du ein Stück willst, beantwortest du mir eine Frage«, sagte er schließlich.

»Du willst eine kleine Wahrheit? Das ist alles?«, fragte ich ihn und er nickte. Schulterzuckend runzelte ich die Stirn.

»Einverstanden«

Das war eine einfach verdiente Pizza. Kyson schob mir den Teller wieder hin und die Pizza blieb diesmal an Ort und Stelle stehen, als ich mir ein Stück nahm. Ich nahm einen Bissen und unterdrückte ein genussvolles Aufseufzen.

»Warum fällt es dir so einfach, dein Herz zu verschenken? Ich meine, du hast diesen Zac offensichtlich ziemlich geliebt. Und deinen Ex-Freund ja auch. Aber trotzdem hast du keine Angst, dich auf mich einzulassen. Woher kommt das?«, fragte er und ich wurde automatisch immer langsamer mit dem Kauen und schluckte, nachdem ich den Bissen nur schwer heruntergewürgt hatte, obwohl er echt gut schmeckte.

Gut, diese Art von Frage hatte ich nicht erwartet. Und so eine richtige Antwort hatte ich auch nicht parat.

»Ehrlich gesagt habe ich noch nie darüber nachgedacht«, gestand ich Kyson, der die Pizza noch nicht angerührt hatte. Stattdessen lehnte er sich vor und stützte den Ellenbogen am Tisch ab.

»Dann denk jetzt darüber nach«, meinte er trocken. Alles klar, dann dachte ich eben jetzt darüber nach, warum ich mich schneller verliebte, als er.

Ich nahm noch einen Bissen und ließ mir mit meiner Antwort Zeit, bis das Stück nicht mehr in meiner Hand, sondern meinem Bauch war. Kyson bewegte sich kein Stück, was mich eigentlich unruhig werden ließ. Doch in diesem Moment dachte ich einfach nur an seine Frage.

»Ich habe nicht das erlebt, was du erlebt hast«, sagte ich und zog die Augenbrauen zusammen. Kyson dachte kurz darüber nach, nickte dann, schien aber nicht überzeugt zu sein.

»Du wurdest betrogen. Für eine Nutte gehalten und dein bester Freund hat dir dein erstes Mal genommen und dich danach abgeschossen«, zählte er sachlich auf und ich biss die Zähne zusammen. Hart, aber wahr.

»Trotzdem habe ich den Glauben an die wahre Liebe nie verloren, Kyson«, murmelte ich und fuhr mir mit den kalten Fingerspitzen über meine warme Stirn, unter der es zu pochen begann. Er hakte weiter nach.

»Aber warum, du hattest immerhin allen Grund dazu«

»Ja, schon. Irgendwie. Aber niemand hat es geschafft, dass ich daran gezweifelt habe. Es gab eine Phase, in der ich ehrlich die Nase voll von Kerlen hatte, aber trotzdem habe ich die Hoffnung wegen dieser Männer nicht aufgegeben. Dann waren sie in diesem Augenblick einfach die falschen, okay. Es gibt aber dennoch diesen einen Menschen, der dein Herz im Sturm erobert. Vollständig, meine ich. Den du vermissen willst. An den du denken möchtest und für den du alles geben würdest. Der Mensch, den du irgendwann heiratest, du Kinder mit ihm bekommst oder nicht, keine Ahnung. Ich weiß es nicht. Ich habe einfach nie die Hoffnung aufgegeben, nie.«

Kyson schwieg lange, dann fragte er: »Hoffst du, dass ich die Person bin, die du vermissen und für die du alles tun würdest? Fällt das nicht bei mir ziemlich schwer aus, dass zu hoffen?«

Ich schüttelte den Kopf und seufzte.

»Du tust so, als könnte man die Liebe erklären. Oder Gefühle. Man weiß nie, in wen man sich verliebt. Das kann man nicht erzwingen, Kyson. Es passiert einfach«

»Und bei dir ist es passiert?«

»Ja«, gestand ich und sah in seine grünen Augen. Ich gestand ihm erneut, dass ich mich in Kyson Evans verliebt hatte.

»Hast du Angst, dass ich auch nicht der Richtige für dich bin?«, fragte er mich und seine Hand lag mittlerweile auf meiner.

Ich hätte stottern können, oder Herzklopfen verspüren sollen. Aber ich war tiefen entspannt.

»Ich habe keine Angst, weil ich daran glaube. Ich habe dir auch gesagt, dass ich bei dir bin, bis du mich fortschickst. Denn ich weiß jetzt schon, dass ich mich nach allem nicht so schnell erholen würde. Du bedeutest mir eine Menge, Kyson. Ich hatte keine Ahnung, dass mir jemand so viel bedeuten kann«

Nachdem ich auf eine Antwort von ihm wartete, aber nichts kam, holte ich durch die Nase tief Luft und sagte dann: »Das war ein bisschen viel von den kleinen Wahrheiten, oder?«

Er schüttelte den Kopf und griff nach einem Stück Pizza.

»Nachdem ich dir gestern das verraten habe, ist es nur fair, wenn jetzt du ein bisschen was erzählst«, sagte er.

• • •

»Mein ehemaliger bester Freund heiratet einen Mann«, platzte es, während Kyson und ich auf dem Weg zu unseren Wohnungen waren, aus meinem Mund. Ich hatte eine Nachricht von Willows Besitzerin bekommen, die ich heute für eine Stunde ausführen sollte, da sie spontan Besuch bekamen. Ich freute mich auf den Spaziergang mit der Pudeldame und Kyson hatte mir sogar angeboten, mich zu begleiten. Natürlich hatte ich sofort zugestimmt.

»Und wie findest du das?«

Ich zuckte mit den Schultern und trat auf die Bremse.

»Ich freue mich für ihn«

»Warum? Er hat dir das Herz gebrochen«, erwiderte Kyson und sagte das so, als könnte er meine Aussage ehrlich nicht nachvollziehen.

»Er hat mir wehgetan, das stimmt schon. Aber er hat sich entschuldigt und wenn ich damit abschließen will, dann ist es das Beste, mich für ihn zu freuen. Er ist durch die Sache zu keinem bösen Menschen geworden. Dieses Erlebnis hat ihn und mich geprägt, aber das macht uns im Nachhinein nur stärker«

Als die Ampel auf grün umschaltete, setzte sich mein Wagen in Bewegung.

»Du verzeihst ihm also, damit du selbst darüber hinweg kommst? Ist das nicht irgendwie ziemlich egoistisch?«

Wow, wie war er denn heute drauf? Er hinterfragte einfach jedes Wort, das meine Lippen verließ. Ich musste echt aufpassen, was ich da von mir gab.

»Irgendwie schon. Aber ich freue mich wirklich für ihn. Er war lange Zeit eine sehr wichtige Person in meinem Leben. Außerdem muss ich auch mal egoistisch sein, sonst werde ich im Leben womöglich nie glücklich«

»Gehst du zu seiner Hochzeit?«

Ich nickte und warf einen kurzen Blick in den Rückspiegel, da mir jemand ziemlich auffuhr.

»Vielleicht«

»Was lässt dich zögern, ich dachte, du willst ihm vergeben?«

»Ich will nicht allein aufkreuzen. Wäre schön, wenn mein Freund dabei ist«, äußerte ich mich.

Im Augenwinkel erkannte ich, dass Kyson mich irritiert ansah, also ergänzte ich ungerührt: »Zac denkt, du und ich wären ein Paar«

Jetzt zog der Mann mit den hübschen Augen die dunklen Augenbrauen in die Höhe.

»Und du hast ihn das glauben lassen?«

»Ja, bist du jetzt sauer?«, fragte ich und unterdrückte vergebens, dass sich mein Gesicht in ein rotes Warnschild verwandelte.

»Nein, bin ich nicht. Ich werde dich auch gerne begleiten«

Grinsend warf ich ihm einen kurzen Blick zu. Ich musste meine Dankbarkeit nicht in Worte fassen, Kyson konnte sie auch so schon mit den Händen greifen.

»Bist du gerade eben denn nicht glücklich, Alea?«

Kyson klang so ernst und vorsichtig, dass sich bei der Frage meine Armhaare aufstellten und ich froh war, als unser Wohnblock in Sichtweite kam. Meine Knie waren ganz weich.

»Es ist eine Mischung aus Glück und Trauer, die ich gerade eben empfinde. Auf der einen Seite bin ich froh, dass...dass du dich mir geöffnet hast. Auf der anderen Seite hast du Dinge erlebt, die mich sprachlos und ehrlich traurig machen. Ich empfinde Mitgefühl, aber werde dich jetzt nicht bemitleiden, keine Sorge. Aber jetzt verstehe ich, warum du Probleme hast, dein Herz jemandem zu öffnen. Jemanden zu lieben. Ich verstehe es und das beruhigt mich«

Ich sah Kyson erst nachdem ich das gesagt hatte an und blinzelte einige Tränen fort, die sich in meinen Augen gesammelt hatten.

»Ich bin froh, dass ich dir das erzählt habe, Alea. Seit Jahren fühle ich so etwas wie innere Ruhe. Das tut verdammt gut. Und glaub mir, wenn ich dir sage, dass ich es versuchen werde«, Kyson drehte sich auf dem Beifahrersitz in meine Richtung, als ich den Wagen geparkt hatte und wir sicher standen. Er griff vom Beifahrersitz aus zum Zündschlüssel, drehte ihn um und der Motor erstarb. Anschließend umfasste Kyson mein Gesicht mit seinen Händen.

»Was willst du versuchen?«, flüsterte ich.

Wollte er sich mir weiter öffnen? Mir mehr von sich erzählen? Wollte er weitere kleine Wahrheiten erzählen? Oder wollte er

»Ich will dir mein Herz schenken«

Er lehnte sich zu mir herüber und ich war vollkommen überfordert, als ich verstand, was er da gerade sagte.

»Du musst mir aber eines versprechen«

Ich nickte, ohne zu zögern. Mir war bewusst, dass egal was er jetzt von mir verlangte...ich würde ihm alles geben. Und das zeigte mir wiederum, wie sehr ich Kyson Evans eigentlich liebte.

»Pass gut drauf auf, ein zweites Mal würde ich ein gebrochenes Herz nicht überleben.«

Er sagte es zwar mit einem leichten Lachen in der Stimme, aber der Schauder, der über meinen Rücken lief, zeigte mir, dass ich ihn beim Wort nahm.

Das hier fing langsam an Ernst zu werden und ich war mehr als bereit für diese Liebesgeschichte.

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