Achtzehn
𝒜 𝓁 ℯ 𝒶
ᴡɪʟʟɪᴀᴍs
Es war mitten in der Nacht, als ich das erste Mal die Augen aufschlug und mich im stockfinsteren Zimmer versuchte umzusehen und nichts erkennen konnte. Stattdessen hörte ich schnelles, ersticktes atmen und war augenblicklich in Alarmbereitschaft.
Ich drehte mich in die Richtung, aus der das Geräusch kam und blinzelte einige Male, während ich mit der Hand nach Kyson tastete. Mein Kopf war wie leer gefegt und dennoch wusste ich, dass er neben mir lag und wieder Mal einen Alptraum hatte. Mit den Fingern berührte ich etwas Weiches und rutschte näher an seinen Körper, der unendlich viel Hitze verströmte.
Meinen Arm legte ich behutsam um Kysons Bauch und mein Ohr platzierte ich auf seiner Brust, um seinem Herzschlag lauschen zu können, der unnormal schnell war. Dabei spannte und juckte die verbrühte Haut an meinem Dekolleté unangenehm stark. Ich biss die Zähne zusammen und versuchte, keinen Mucks zu machen.
Wenn ich mir vorstellte, wie gestresst sein Körper war...tagsüber und auch nachts, dann wunderte es mich nicht, dass er so erschöpft jeden Tag aussah.
Vorsichtig hob ich meinen Kopf wieder an und stellte fest, dass sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten und ich bereits Umrisse im Raum erkannte. Aus Kysons Zimmerfenster schien schwaches Mondlicht, welches sein Gesicht ein bisschen erhellte und ich ihn ansehen konnte.
Seine Augen waren geschlossen, die Augenbrauen angestrengt zusammengekniffen. Sein Bauch bewegte sich noch immer hektisch unter meinem Arm, den ich noch nicht zurückgezogen hatte.
Ich kämpfte mit mir selbst. Mein Herz gegen meinen Verstand und obwohl ich übermüdet war und der Wein noch immer in meinem Blut präsent war, strich ich ihm mit ruhiger Hand sein Haar, das weich in seine Stirn hing, aus dem Gesicht. Anschließend fuhr ich zögernd mit dem Zeigefinger über seine hohen Wangenknochen und über seine Bartstoppeln, die meine Fingerkuppeln kitzelten. Seine Augenlidert zitterten leicht.
Ich stellte fest, dass Kyson nun ruhiger atmete und auch er sah nicht mehr so nachdenklich im Schlaf aus. Erleichtert zog ich meine Hand zurück und wollte mich wieder umdrehen. Ich wollte es wirklich, aber ich brachte es einfach nicht zu Stande, also kuschelte ich mich an seine Brust, so sanft wie möglich, um ihn nicht zu verletzen und schloss die Augen. Meine Haut brannte leicht, weil sich der Stoff von Kysons Shirt das ich trug, dagegen presste.
Kurz bevor ich wegdämmerte, nahm ich am Rande meines Bewusstseins war, dass sich ein Arm um mich schlang und Lippen auf meiner Stirn zum Ruhen kamen und dort verweilten. Ich lächelte leicht und flüsterte seinen Namen.
Als ich die Augen ein zweites Mal aufschlug, musste ich schmerzhaft feststellen, dass es zu hell im Zimmer war, also schloss ich sie wieder und die Erinnerungen von letzter Nacht durchfluteten meine Gedanken.
Wir hatten uns geküsst. Nicht nur kurz, sondern sehr lange und wirklich intensiv. Ich konnte noch deutlich das Gefühl seiner Lippen an mir spüren und wagte einen zweiten Versuch, mich umzusehen.
Doch was ich sah, hinterließ in mir ein bekanntes Gefühl. Enttäuschung.
Kyson lag nicht neben mir und auch, als ich mich aufsetzte und mich umsah, fand ich ihn nicht. Die Tür war geschlossen und ich konnte nichts hören. Nur leise Bewegungen und Stimmen von unten.
Seufzend fuhr ich mir durch mein zerzaustes Haar und ließ mich wieder zurück ins Bett fallen.
»Was hast du dir auch dabei gedacht...«, sagte ich zu mir selbst und bedeckte meine Augen mit meinem kalten Handrücken, der noch ganz taub war, weil mein Arm während ich geschlafen hatte, aus dem Bett hing.
An alles konnte ich mich erinnern. Auch an die Tatsache, dass Kyson gesagt hatte, er würde nicht viel Alkohol vertragen.
Also musste ich jetzt erstmal herausfinden, was Kyson von der Sache hielt.
Wollte er es vergessen, oder hatte es ihm genauso gut gefallen, wie mir?
Verdammt, ich vermisste schon jetzt seine Berührungen.
»Alea?«
Ich hörte auf zu atmen und lauschte stattdessen, von wo seine Stimme kam.
Vielleicht könnte ich mich schlafend stellen, aber ich verwarf den Gedanken.
Mittlerweile sollte ich alt genug sein und zu meinen Handlungen stehen. Ich bereute es nicht, ihn geküsst zu haben, denn es hatte mir gefallen und etwas in mir ausgelöst, was ich lange nicht mehr gespürt hatte.
»Ja?«, erwiderte ich also und wartete auf eine Reaktion, doch es kam nichts. Ich hörte Schritte und spürte, wie die Matratze neben mir nachgab und die Federdecke sich für eine Weile von meinem Körper entfernte und sich dann wieder um mich legte.
Er hatte sich wieder ins Bett gelegt und atmete gleichmäßig. Ich nahm meine Hand von meinem Gesicht.
»Wir sollten darüber reden, was gestern passiert ist, richtig?«
Wieder kam keine Antwort, weswegen ich die Augen fest zusammenkniff und meinen Stolz über Bord warf und mich zu Kyson umzudrehen, der auf dem Rücken lag und die weißgestrichene Zimmerdecke über uns anstarrte.
Kurz folgte ich seinem Blick, stellte aber fest, dass ich lieber sein markantes Profil und seine verwuschelten Haare betrachtete. Die Sonnenstrahlen, die durchs Fenster brachen, ließen seine Haare dunkelbraun und nicht schwarz wirken. Seine Wimpern warfen leichte Schatten auf seine Wangen. Dieser Anblick war wie aus einem Märchen. Er war der Prinz, doch konnte ich die Prinzessin sein?
»Tatsächlich wollte ich genau das Gegenteil sagen, ehrlich gesagt«, meinte er und warf mir einen knappen Seitenblick zu, den ich nicht deuten konnte.
Stumm musterte ich ihn.
»Du willst nicht darüber sprechen, dass wir uns...geküsst haben? Kurz davor waren-«
Ich unterbrach mich, als seine grünen Augen so plötzlich und intensiv auf mich gerichtet waren, dass ich alles vergaß, was mir im Kopf schwirrte.
Vielleicht sollte ich enttäuscht sein, dass Kyson alles totschweigen wollte.
Doch ich war eigentlich nur wütend, wie er mich einfach nur ansah und schweigend wartete.
»Kurz wovor waren wir?«, fragte er durchdringend und verengte seine Augen ein wenig. Ich presste die Lippen aufeinander, um nicht genervt zu schnauben.
»Ich möchte nicht, dass du dir Hoffnungen machst«, sagte er weiter und klang mit einem Mal liebevoll. Ich verdrehte die Augen, um die aufkommenden Tränen im Zaun zu halten.
»Versteh mich nicht falsch, Kyson, aber du hast mich geküsst«, meinte ich und blickte ihn herausfordernd an. Es genügte langsam mit den Männern, die es entweder nicht ernst mit mir meinten, oder mir gar keine Chance gaben.
Kysons Blick huschte für eine Sekunde auf meine Lippen.
Stand diese Reaktion nicht im totalen Wiederspruch zu seiner Aussage?
Was zum Teufel nochmal tat er da?
»Ich-«
»Gefalle ich dir nicht?«
»Das ist es nicht«, schoss er zurück und sah mich empört an. Er sah wirklich so aus, als verstünde er nicht, wie ich so etwas behaupten konnte.
»Kennen wir uns nicht lang genug? Weißt du, ich finde es gibt keine perfekten Zeitvorgaben, was sowas angeht«, sagte ich und versuchte herauszukitzeln, warum er wieder diese Mauer hochfuhr.
»Das ist es nicht«, murmelte er erneut die selben Worte und wirkte müde.
Genervt erhob ich mich vom Bett und funkelte ihn von Gefühlen überrumpelt an. Meine Füße kitzelten, weil sie mit dieser unerwarteten Bewegung nicht gerechnet hatten. Ich schwankte leicht, fand aber schnell mein Gleichgewicht.
»Schön, dass dich das langweilt, Kyson«
»Das tut es nicht«
»Ach nein?«
»Nein. Ich finde nur, dass ich dir keine Rechenschaft schuldig bin. Ich habe dir gesagt, ich vertrage nur wenig Alkohol. Das hast du übrigens auch behauptet«
Drehte er jetzt den Spieß um?
Mit hochgezogenen Augenbrauen verschränkte ich die Arme vor meiner Brust.
Sollte er doch haben, was er wollte.
Zumindest vorerst.
»Ich würde gerne etwas essen und dann Nachhause. Ist das in Ordnung oder mache ich mir dabei zu große Hoffnungen?«
Ich kannte mich mit Körben aus, auch wenn dieser schmerzhafter war, als alle, die ich bisher bekommen hatte, wollte ich Kyson jetzt nicht die Pistole an die Brust setzen.
Ich hatte mir selbst noch vor einiger Zeit gesagt, dass ich geduldig mit ihm sein würde.
Kyson beobachtete mich wachsam, er sah aber auch mitgenommen aus. Als würde er neben sich stehen.
Nahm ihn sein Alptraum noch mit?
Hatte ich jetzt wirklich Mitleid oder waren das Sorgen, die sich in mir breit machten?
Ich wollte wissen, was er träumte. War es immer der gleiche Traum?
»Es tut mir leid«, meinte er und ich nickte nur, ohne es ernst zu meinen.
Der Mann mit den schönen Augen merkte das natürlich und seufzte. Er schob die Decke von seinem Körper und kletterte auf die Bettseite, auf der ich noch vor kurzem gelegen hatte. Dort setzte er sich in einen Schneidersitz und faltete die Hände unter seinem Kinn, während er mich ansah.
»Ich hoffe du denkst jetzt nicht schlecht von mir, aber genau das wollte ich vermeiden. Es hat nichts mit dir zu tun, Alea«, versicherte er mir. Ich erwiderte seinen Blick und fand nichts als ehrliche Reue.
Meine Schultern sackten nach unten und meine Arme baumelten schlaff neben meiner Hüfte.
»Worum geht es dann, Kyson? Ich würde es gerne verstehen«
Er schüttelte den Kopf - nur ganz leicht aber deutlich genug.
»Ich bin nicht bereit dafür.«
»Es geht um sie, habe ich recht?«, flüsterte ich und schluckte, mein Hals brannte so.
Kyson sah mich so lange und intensiv an, dass ich nach 15 Sekunden wegsehen musste und die Zimmertür anstarrte, während ich gegen diese lächerlichen Tränen ankämpfte.
Warum sagte er nichts? Warum sah er mich einfach nur an?
Wenn er dieses Mädchen noch immer liebte, dann sollte er mir das sagen. Es war doch prinzipiell so einfach, so leicht.
»Ich geh nach unten und frage meine Eltern, ob sie mit frühstücken möchten, danach können wir aufbrechen. Du kannst dir ruhig ein neues Shirt oder so nehmen und dich frisch machen«, erklärte er, stand vom Bett auf und ging an mir vorbei. Sein Shirt war ein Stück an der Hüfte hoch gerutscht und seine Hose hing tiefer, als sonst. Ich konnte seine helle Haut darunter erkennen und noch etwas, wesentlich dunkleres, was ich jedoch nicht beschreiben konnte.
Er sah so mitgenommen aus, als hätten wir einen zweistündigen Sportmarathon hinter uns.
Doch ich schüttelte meine Hände kurz, ballte sie zu Fäusten und sagte noch bevor er die Tür erreichte: »Ich bereue es dennoch nicht, damit du es weißt«
Er blieb stehen und sein Kopf drehte sich ein Stück in meine Richtung.
»Ich auch nicht Alea«, dann verließ er das Zimmer, nicht Mal die Tür schloss er richtig und ich blieb völlig verwirrt in seinem alten Kindheitszimmer zurück und fragte mich, ob ich die kommende Zeit wirklich ertragen konnte.
Er bereute es nicht, wollte aber nicht darüber sprechen?
Ihm in die Augen zu sehen, mit dem Wissen, dass er es nicht bereute und dennoch nicht wollte...
Kopfschüttelnd unterbrach ich mich und sagte zu mir selbst: »Gib ihm Zeit. Mehr kannst du nicht tun, wenn er dir wirklich wichtig ist.«
• • •
»Wie geht es dir, Liebes? Hat sich deine Haut beruhigt?«, fragte mich soeben Kysons Mutter, die die angespannte Atmosphäre zwischen ihrem Sohn und mir nicht bemerkt hatte oder gewissenhaft ignorierte. Ich war ihr dankbar deswegen, auch wenn ich im Augenwinkel erkannte, wie Kyson sich direkt neben mir verspannte.
»Gut, ich hab' es mittlerweile total vergessen, so beschäftigt waren wir. Es spannt vielleicht etwas«, ich wählte meine Worte absichtlich so, um Kyson auch zum Sprechen zu animieren, denn bisher hielt er sich komplett zurück.
Miles und Ann sahen zu ihrem Sohn, der mir einen Seitenblick zu warf.
»Womit denn beschäftigt?«, fragte Ann ihren Sohn, als wäre er noch ein Teenager und nicht ein erwachsener Mann. Sie versuchte angestrengt ein Lächeln zu unterdrücken und wenn ich mich nicht täuschte, waren ihre Augen glasig. Sie wirkte glücklich und ich wünschte mir, ich könnte es auch sein.
Ich schmunzelte dennoch und sah ebenfalls Kyson an, dessen Wangen rot schimmerten. Er mied meinen Blick.
»Ich habe ihr das Kleid gegeben und anschließend hat Alea mir ein paar Dinge über den Ball erzählt, zu dem ich sie auf ihre Bitte hin begleite.«
Er schoss zurück, interessant. Ich kniff die Augen ein bisschen stärker zusammen und erkannte, dass Kyson Evans Mundwinkel auffällig zuckten.
Ihm gefiel es, dass seine Aussage bei mir und seinen Eltern fruchtete, denn jetzt blickten beide mich überrascht an.
»Wie schön, dass deine Wahl auf Kyson gefallen ist, Alea. Hat das spezielle Gründe?«, bohrte diesmal Miles nach, der mich interessiert und mit einem väterlichen Lächeln betrachtete.
Er wirkte stolz und so nett wie er mich anblickte, war ich kurz davor, die Wahrheit zu sagen.
Wäre da nicht Kyson gewesen, dem ein kleines Lachen aus dem Mund schlüpfte.
Mein Blick galt ihm und seiner Hand, die er sich auf die Lippen drückte, um sein breites Grinsen zu kaschieren.
Na warte.
»Naja, ich liebe Herausforderungen und als ich erfahren habe, das Kyson nicht-«
»Mach dich jetzt nicht lustig über mich, nur weil ich nicht tanzen kann. Du kanntest ja nicht Mal den Ablauf eines Footballspieles, bevor ich es dir gezeigt habe«, unterbrach mich Kyson, der mit einem Male wieder sehr sachlich und ernst war.
Ich hob die Augenbrauen hoch. Miles und Ann blickten abwechselnd zwischen uns beiden hin und her.
»Dennoch habe ich mich besser geschlagen, als du dich bei ein paar einfachen Tanzschritten«, entgegnete ich ihm. Ich würde jetzt nicht aufgeben.
Kysons Kiefer spannte sich immer wieder an, wahrscheinlich biss er die Zähne zusammen.
»Wie geht es denn deinem Fuß, nachdem du dich so gut angestellt hast?«, sein linkes Auge zuckte angespannt.
»Dein Fuß?«, mischte sich Ann wieder mit in unser Gespräch, worüber ich dankbar war.
Denn als Kyson und ich uns so unterhielten, war der Blickkontakt langsam echt...intensiv geworden.
»Sie ist umgeknickt, bei einem Footballspiel mit Clio und Ryan«, erzählte ihr Kyson.
»Ach, du hast ihr deine Freunde vorgestellt?«
Miles klang überrascht, was mich hellhörig werden ließ.
War es also eher unüblich, dass er anderen seine Freunde vorstellte?
Da war er wieder. Dieser Funke von Hoffnung, der bereit war, zum Feuer zu werden.
Ich freute mich darüber, dass er ein Eigentor geschossen hatte.
»Sie haben sich eher selbst vorgestellt, gleich am ersten Tag«, sagte Kyson und zuckte mit den Schultern, nachdem biss er in ein Croissant.
»Wie habt ihr euch denn kennengelernt?«
Ann beobachtete mich wachsam.
Ich erinnerte mich an den Tag und musste ungewollt Lächeln.
»Meinem Fuß geht es gut, Kyson. Er war Kunde bei mir und nach meiner Schicht habe ich erfahren, dass er mein neuer Nachbar wird. Clio wäre beinahe der Karton aus den Armen gefallen, also habe ich ihm geholfen«
Ann nickte und lächelte mich nur an. Ich wollte wissen, woran sie gerade dachte, aber sie blieb still.
Stattdessen lenkte Miles das Gespräch auf etwas Belangloseres.
Nichtsdestotrotz fiel mir auf, wie oft Kyson mich ansah.
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