Achtundzwanzig

𝒦𝓎𝓈ℴ𝓃
ᴇᴠᴀɴs

Nachdem wir gemeinsam auf dem Weg zurück waren, war ich noch immer außer Atem.

Hayley hatte mich nach dem Antrag gegen den nächsten Baumstamm gepresst und mich an Ort und Stelle verführt. Ihre Küsse waren intensiv, leidenschaftlich, glücklich und stellenweise auch salzig. Wer von uns beiden vor Glück Tränen vergossen hatte, wusste ich nicht so genau.

Anschließend aßen wir unser mitgebrachtes Essen und nun sprang sie glücklich und wie ein junges Kind den Weg vor mir entlang. An ihrer Schreibhand steckte am Ringfinger mein Verlobungsring und sah aus, als wäre er genau für diese Frau erschaffen worden.

Mein Herz schwoll stolz in meiner Brust an und alles was ich empfand war Glück und pure Liebe zu dieser Frau. Sie war alles für mich und ich wusste ganz genau, dass diese 20jährige da vor meinen Augen die Frau meines Lebens war. Sie würde unsere Kinder gebären und die beste Mutter werden. Unser Leben würde wunderschön werden.

Und ich würde jeden künftigen Tag ihr meiner Dankbarkeit zeigen, dass sie mich an diesem Tag und jeden anderen Tag zum glücklichsten Mann gemacht hatte.

Gerade als ich zu ihr joggen wollte um die zierliche Blondine in meine Arme zu ziehen, sie zu küssen und ihr zu sagen, dass ich sie liebte, erkannte ich, dass ich es nicht rechtzeitig zu ihr schaffte.

»Hayley!«, schrie ich panisch und rannte los, doch da war sie mit ihrem Smartphone bereits an den steilen, bewaldeten Hang getreten und hatte ihre Hand mit dem Ring vor sich gestreckt, um ein Foto zu knipsen.

Das war zu gefährlich, viel zu gefährlich. Der Hang war tief und steil, überall lagen spitze Felsbrocken und Geröll herum, Bäume die dort wuchsen und all die Büsche mit den Dornen und spitzen Ästen...das würde tödlich enden, wenn ich sie nicht gleich-

Sie trat einen Schritt zu weit nach vorne mit ihren schwarzen Ballerinaschuhen und alles was in den nächsten Sekunden passierte, geschah so verdammt schnell.

Meine Verlobte rutschte aus, ließ einen lauten, schrillen Schrei los, der mir durch Mark und Seele ging und ihr weißes Smartphone blieb am Wegrand liegen, während ihr zierlicher Körper die Böschung hinunter rollte.

Reflexartig griff ich nach ihr, konnte sie aber nicht rechtzeitig packen und rannte ihr stattdessen hinter her.

Schon beim ersten Sprung, knickte ich meinen Fuß um und hörte es Knacken. Aber die nächsten Schritte folgten und der Schmerz war nicht zu verspüren.

Egal wie sehr ich mich bemühte...sie fiel so schnell. Als würde ich mich durch eine Wand von Wasser kämpfen, die mich ausbremste.

Hayley fiel nicht nur schnell, auch so unkontrolliert.

Immer wieder schrie sie und etliche Male blieb Hayley an Ästen oder spitzem Geröll hängen.

»Halte dich wo fest!«, schrie ich lauthals, so dass meine Stimme nachgab.

Mein Körper krachte gegen Baumstämme, die an mir vorbeizogen. Ich spürte meinen Körper nicht mehr, während ich mir einen Weg nach unten bahnte. Ich hörte nur mein Shirt reißen und darunter gab auch meine Haut nach. Doch der Schmerz kam nicht bei mir an.

Wo genau Hayley lag, konnte ich nicht gleich sehen, aber sie lag.

Sie lag in einem kleinen Abschnitt mit wilden Blumen. Für den Bruchteil einer Sekunde sah es so aus, als würde sie auf dem Bauch liegen und schlafen. Friedlich und entspannt, doch dieses trügerisch schöne Bild verwandelte sich in einen Alptraum. Hayley bewegte sich nicht und meine natürliche Körperfunktion setzte aus.

Keuchend schrie und brüllte ich ihren Namen: »Hayley!«

Die letzten Meter fiel ich und landete vor ihrem Körper auf den Knien. Sofort griff nach ihrem schmächtigen Körper. Das hübsche Kleid war nur noch ein Fetzen Stoff mit braunen, grünen und vor allem roten Flecken. Ihr Rücken war zerkratzt, ihre sonst so weiche und makellose Haut war voller Blut und Blessuren vom Sturz, aber so schlimm sah es von hinten nicht aus.

Voller Panik aber mit einem aufkeimenden Funken Hoffnung, griff ich nach ihrer steifen Schulter und zog Hayley auf den Rücken, sah ihr in die Augen und oh mein Gott...

»Du lebst«, wimmerte ich und waren das Tränen, die auf ihr bleiches, aber lebendiges Gesicht tropften? Wann hatte ich angefangen zu weinen?

Ich spürte gar nichts, das Adrenalin betäubte mich. Es war, als hätte ich was eingeschmissen. Als hätte mein Geist meinen Körper schon lange verlassen.

Hayleys Körper zog ich auf meine Beine, die ich ausstreckte und lehnte mich über ihr Gesicht. Ihre grün-braunen Augen waren alles, was ich jetzt brauchte um darauf zu vertrauen, dass wir das schafften.

Es roch nach Blut, Tränen und überall war diese Angst zu vernehmen. So viel Angst, dass sie kurz davor war, mich zu lähmen.

»Ky...Kyson...«, keuchte sie und meine Augen weiteten sich, als ich Blut an ihren geraden, weißen Zähnen erkannte und diese metallisch riechende Flüssigkeit aus Hayleys Mund quoll. Das war nicht gut, gar nicht gut.

Sie musste...

Mein Blick wanderte ruckartig zu meiner nassen Hand, die auf ihren Bauch lag, der sich seltsam anfühlte.

Mein Atem setzte aus, mein Kopf war wie leer gefegt und ich wollte mich einfach nur noch übergeben, als ich das sah, worauf meine Hand gelegen hatte.

Offenes Fleisch, eine klaffende tiefrote Wunde aus der immer mehr Blut floss. Die Blumen um Hayleys Körper färbten sich bereits rot. Das konnte nicht real sein. Das konnte einfach nicht echt sein.

»Ky, sieh mich an. Sieh mich an, Ky. Ky, sieh mich an«, stöhnte sie qualvoll und so leise, dass ich sie beinah nicht gehört hätte. Mein eigenes Blut rauschte so laut und dominant in meinen Ohren, dass ich Hayleys Stimme erst wahrnahm, als sie einen weiteren erstickten Laut von sich gab.

Starr sah ich in ihr wunderschönes, blasses Gesicht. Ihre Augen waren gerötet, so viel rotes Zeug überall...was passierte hier nur?

»Ruf den Notarzt, sonst stirbst du. Sag ihnen genau, wo du bist...Ky, du musst durchhalten, okay? Versprich mir, dass du durchhältst. Du musst leben, versprich es mir«, flüsterte sie kraftlos und ich schüttelte den Kopf energisch, nachdem sie das gesagt hatte. Mir fehlte doch nicht Mal was.

Ihre Augenlider begannen zu flattern und mein Unterbewusstsein wusste genau, dass das kein gutes Zeichen war.

»Halt die Augen offen, Hayley. Wenn hier einer durchhalten musst, dann du«, sagte ich mechanisch, während ich mit einer Hand mein Handy aus der Hosentasche zog und den Notruf wählte. Es dauerte länger, weil das Blut auf meinem Display alles verdeckte.

»Versprich es mir Ky, versprich es mir. Du lebst, versprich es!!«, flüsterte sie immer und immer wieder, bis ich »Ich verspreche es«, erwiderte.

Mit der anderen Hand griff ich nach meinem Shirt und zog es aus. Es war so, als wäre ich programmiert. Meine Gedanken drehten sich stetig im Kreis.

Hayley würde durchhalten. Meine Verlobte würde leben. Wir würden das gemeinsam schaffen.

Mein zerrissenes, blutiges Shirt drückte ich auf das...Loch und sah gar nicht richtig hin, weil ich sonst ohnmächtig geworden wäre. Ob es mein oder ihr Blut war, spielte keine Rolle mehr. Alles was meine Augen erfassten, war dieses tiefrote Blut, dass Hayley vielleicht das Leben kostete, wenn es weiterhin so erbarmungslos aus ihrem Körper floß.

»Sie haben den Notruf gewählt. Wie kann ich helfen?«, ertönte eine Stimme und ich traute mich aufzuatmen, doch der Atem blieb mir im Hals stecken, als ich auf Hayleys leblose Augen sah, die ins Nichts gerichtet waren.

»Hayley?«

Den Schmerz, den ich in diesem Moment spürte, er würde mich mein Leben lang begleiten.

»Nein, nein. Hayley, macht die Augen auf. Verdammt!«

Dieses Bild würde mich in meine Träume verfolgen und Hayley Marshalls verstümmelter Körper war nicht nur in meinen Kopf gebrannt, auch mein Herz würde nie wieder so lieben können, wie ich diese Frau liebte.

»Hayley, komm schon, mach sie auf. Mach die Augen auf«

Sie war in meinen Armen verblutet, weil ich ihr nicht einfach einen anständigen Antrag am Strand oder in einem Restaurant machen wollte.

»Hayley...Was soll ich ohne dich tun?«, keuchte ich heiser, meine Stimme versagte wenig später.

Ich wünschte mir, ich hätte an der Stelle mit ihr tauschen können. Sie verdiente es zu leben.
Ich nicht, denn ich hatte versagt, als sie mich am dringendsten gebraucht hätte.

»Bitte. Bitte mach deine Augen wieder auf.«

𝒜 𝓁 ℯ 𝒶
ᴡɪʟʟɪᴀᴍs

Nachdem ich vor dem Bett auf die Knie gegangen war und Kyson mir die Geschichte von Hayley Marshalls tragischem Tod erzählte, starrte ich Kyson Evans sprachlos an. Alles, was ich sagen könnte, konnte nicht ansatzweise das beschreiben, was dieser Mann da miterlebt und erlitten hatte.

Egal was ich sagen oder tun könnte, es würde ihm nicht den Schmerz nehmen, den ich Kyson am liebsten genommen hätte. Er hatte die wichtigste Person auf die schlimmste Weise verloren. Seine Welt hatte sich innerhalb weniger Sekunden verändert und nun lebte er ohne sie, ohne wirklich zu leben.

Ich verspürte keine Eifersucht, während er mit diesem Funkeln in den Augen von ihr erzählte, alles was ich spürte, war Trauer und tiefes Mitgefühl.

»Ich lebe nur noch, weil ich es ihr versprochen habe«, flüsterte er, nachdem wir uns eine Ewigkeit einfach nur in die Augen gesehen hatten. Erst schluckte ich, dann dachte ich über das Gesagte nach und holte anschließend tief Luft. Irgendwas musste ich ja sagen.

Aber was? Ich war total durch, nachdem, was ich gerade erfahren hatte. Die perfekte Antwort hatte ich dementsprechend nicht parat.

»Wenn du es ihr nicht versprochen hättest...«, fing ich an, doch traute mich nicht, den Satz zu einer Frage zu formulieren.

Doch Kyson wusste genau, was ich im Begriff war zu fragen.

Er senkte den Blick und ich erkannte, dass sich eine einzelne Träne aus seinem rechten Augenwinkel löste. Er war aufgewühlt, sowas von aufgewühlt.

»Kurz nach ihrer Beerdigung wollte ich ihr Versprechen sofort brechen, aber Clio und Ryan haben das geahnt und alles Weitere verhindert. Die Therapie ging nur wenige Tage später los«

Er wollte lieber sterben, als getrennt von ihr zu sein. Ich musste erst einmal schlucken, als ich mir dessen bewusst wurde.

Diese Therapie konnte seinen Schmerz nicht ansatzweise lindern. Und dann kam ich daher und wollte auf biegen und brechen eine Beziehung mit Kyson Evans.

»Ich bin froh, dass wir uns kennenlernen durften, Kyson«, murmelte ich hilflos und suchte seinen Blick, doch der Mann mit den schwarzen Haaren, den apfelgrünen Augen und dieser prägenden Vergangenheit, sah mich nicht an.

»Du willst wirklich gehen, oder?«, fragte er stattdessen und ich verstand nicht sofort, was er meinte.

Dann schüttelte ich peinlich berührt den Kopf.

»Nein, ich bleibe bei dir, bis du mich fortschickst. Es tut mir leid, dass ich das einfach alles hinwerfen wollte. Ich bin deine verloren geglaubte Hoffnung auf bessere Zeiten, schon vergessen?«, ich lächelte schwach und erhob mich, kroch auf allen vieren neben ihn und zog Kyson in meine Arme, die sich wie Pudding anfühlten.

Aus meinen Augen quollen heiße Tränen und bahnten sich ihren Weg auf Kysons nackte Schulter. Er legte seine starken Arme um mich, zog mich auf seinen Schoss und vergrub sein Gesicht tief in meine Halsbeuge.

»Es tut mir so unendlich leid, Kyson«, flüsterte ich. Immer und immer wieder. Nur seine ungleichmäßigen Atemzüge verrieten mir, dass er überhaupt lebte. Er bewegte sich sonst nicht, sagte nichts, klammerte sich einfach nur kraftvoll an meinen bebenden Körper.

Kyson war nicht besessen von seiner Ex-Freundin gewesen, er war einfach noch nicht über diese verlorene Liebe hinweg gekommen.

Das würde er nie.

𝒦𝓎𝓈ℴ𝓃
ᴇᴠᴀɴs

»Du kannst mich nicht so vor versammelter Mannschaft küssen, Kyson«, flüsterte Hayley hektisch. Doch ihre Augen strahlten mir glücklich entgegen. Ich hatte das Footballspiel unterbrochen, nur um zu einem Mädchen zu rennen, in das ich mich verliebt hatte.

Die Leute auf der Tribüne fingen zu jubeln an und im Hintergrund hörte ich mein Team »Küss sie endlich!«, brüllen. Die lautesten davon waren Ryan Petrow und Clio Kingston, meine beiden besten Freunde.

»Ich will dich aber küssen, Hayley. Deshalb frage ich dich jetzt ein letztes Mal – darf ich dich küssen?«

Hayleys Augen sahen sich hektisch um und ihre Wangen wurden so rot, wie reife Tomaten. Die gesamte Aufmerksamkeit der Mitschüler, Eltern und Lehrer galt uns. Darunter waren selbstverständlich auch meine Alten, aber die wussten über meine Gefühle bescheid Und Hayley kannten sie bereits als eine gute Freundin, die bei mir zuhause bereits ein uns ausging, als würde sie dort leben.

Mein Herz überschlug sich, seit ich den Entschluss, sie hier vor allen zu küssen, gefasst hatte, bereits das fünfte Mal.

»Verdammt, ja. Küss mich doch einfach«, rief sie über den Lärm hinweg und ich begann breit zu grinsen, bevor ich meine Hände an ihre warmen Wangen legte, sie zu mir zog und ihre Lippen, von denen ich seit Wochen träumte, endlich küssen konnte.

Im Hintergrund wurde der Lärm immer lauter und die Leute tobten, doch alles was mich gerade eben wirklich interessierte, war, dass ich Hayley Marshall küsste. Das Mädchen, von dem jeder Typ an dieser Highschool schwärmte, dass küsste kein anderer als ich.

Ihre Lippen waren voll und weich, schmiegten sich perfekt an meine an, mit ihren kleinen Händen griff sie in mein schwarzes Haar am Nacken und brachte mein Gesicht noch näher an ihres, was alles in mir in Aufruhr versetzte. Wenn wir so weiter machten, vergaß ich tatsächlich noch, dass wir hier nicht allein waren. Und ich hörte auch die Rufe meines Teams, dass ich meinen Arsch wieder runterbewegen sollte, damit wir dieses beschissene Spiel gewinnen konnten.

So schwer es mir fiel, ich löste mich von Hayley und blickte in strahlend grün-blaue Augen, die mich so faszinierten, dass ich erst nach einigen Sekunden bemerkten, dass das nicht mehr Hayley war. Ihr Gesicht hatte sich verändert, es war fülliger geworden und reifer. Ihre Haare waren braun und fielen ihr nun über die Schultern.

Das vor mir war Alea Williams und egal wie seltsam das war...ich zog meine Hände nicht zurück und küsste diesmal Alea. Wie auch bei Hayley breitete sich eine unnormale Hitze in meinem Magen und meinem Brustkorb aus. Ich küsste Alea und ich wusste, ich könnte und wollte sie nicht mehr loslassen. Das Spiel war vergessen, sie jetzt hier bei mir zu haben war tausendmal besser, als unten auf dem Spielfeld zu stehen.

Mit einem Ruck öffneten sich meine Augen und ich stöhnte innerlich auf, da die Sonne direkt in mein Gesicht schien. Nachdem ich mich zurecht gefunden hatte, spürte ich einen kleineren, zierlichen Körper, der sich wie eine Schlange um mich gelegt hatte. Arme waren um meine Schultern geklammert und Beine mit meinen verschlungen.

Als ich die Augen ein weiteres Mal aufschlug, erkannte ich Alea Williams friedlich schlafendes Gesicht. Ihre Augenlider wirkten, obwohl sie geschlossen waren, angeschwollen und waren dicht am Wimpernkranz gerötet. Ihre Wangen waren ebenfalls rotbefleckt und ihre Nasenflügel blähten sich immer wieder. Und trotzdem sah sie aus, als wäre sie einem Roman entschlüpft.

Sie war die makellose Frau, die jeder männliche Protagonist im Buch haben wollte. Und ausgerechnet sie lag in meinen Armen, oder ich in ihren, keine Ahnung.

Ihr braunes Haar lag sogar stellenweise in meinem Gesicht und verdeckte meine Wange.

Während ich sie so betrachtete, zog ich meinen Arm vorsichtig von ihrem Hintern weg und fuhr stattdessen mit der Kuppe meines Zeigefingers ihre perfekt geschwungene Unterlippe entlang. Mir kam in den Sinn, was sie gestern im Stande war zu tun.

Sie wollte sich mir entziehen, mich verlassen, einfach aus meiner Welt verschwinden, in die ich sie hatte eintreten lassen.

In meiner Verzweiflung, die Angst und all der Panik, fand ich es wohl das Beste, ihr von Hayley zu erzählen. Dass ich seit drei Jahren kein Wort mehr darüber verloren hatte, hatte ich offensichtlich verdrängt.

Und jetzt waren alle Narben wieder aufgerissen und ich fing bei null an. Das dachte ich zumindest, aber tatsächlich war ich verwundert.

Nach drei Jahren, war das der erste Traum, in dem es nicht ausschließlich um Hayley ging, die mich hasste. Ich hatte...eigentlich einen schönen Traum. Das machte mich echt ratlos. Nachdem ich gestern nur um Haaresbreite einem Zusammenbruch entkommen war, rechnete ich fest damit, dass mich Hayley in meinem Träumen heimsuchte. Doch es war genau das Gegenteil passiert.

»Ich wusste gar nicht, dass man so früh am Morgen über so vieles nachdenken kann«, hörte ich jemanden flüstern. Irritiert sah ich auf und entdeckte meine Mutter im Türrahmen, die uns mit einem liebevollen Blick beobachtete. Wie lange sie schon dort stand, wusste ich nicht.

Kurz dachte ich daran, einfach aufzustehen, allerdings wollte ich Alea unter keinen Umständen aufwecken. Ich war noch nicht bereit mit ihr über das zu sprechen, was ich ihr gestern anvertraut hatte.

»Wie geht es Dad?«, flüsterte ich zurück und Mom trat näher heran. Ich nickte auf das Bettende, wo sie sich an die Kante setzte und sich zu mir, oder irgendwie auch uns, drehte.

»Gut, er ist aufgewacht und die Ärzte meinen, es wird sich mit einer Reha gut erholen. Ich werde deinen Vater dann begleiten«, erklärte sie mir und deckte dabei Aleas Füße zu, die noch immer ihre Jeanshose trug. Dass sie deshalb nicht aufgewacht war? Mit so engen Klamotten könnte ich nicht schlafen.

Mom betrachtete die Decke, dann sah sie mich an und ihr Blick fiel dann wieder auf Aleas Gesicht, dass an meiner Schulter ruhte. Ich musste den Kopf anheben, um meine Mom überhaupt richtig sehen zu können. Mein Nacken tat schon weh, aber die Tatsache, Alea so dicht an meinem Körper zu spüren, ließ mich die Schmerzen besser ertragen.

»Warum bist du halb nackt und deine Freundin liegt in voller Montur neben dir?«, fragte Mom und mit einem Mal klang sie nicht mehr so ernst, wie gerade eben. Sie wirkte erleichtert und schlug eine Gesprächsrichtung ein, die wir früher häufig geführt hatten. Zu meiner Mutter hatte ich einen sehr engen Draht und ich war nie der Typ Mann, oder früher als Teenager auch, der sich schämte mit der eigenen Mutter über Gefühle und privates Zeug zu reden.

Wenn ich ein Problem hatte, wusste ich, dass sie mir zuhörte und dann gemeinsam mit mir nach einer Lösung suchte.

»Sie wollte gehen. Sie war kurz davor, aufzugeben«, erklärte ich und zog Alea dichter an meinen nackten Oberkörper. Sie bewegte sich nicht, weshalb ich wieder zu meiner Mom sah, die ein bestürztes Gesicht machte. Aleas Körper strahlte Wärme aus, die ich vollkommen in mir aufnahm.

»Und was hast du getan, um sie umzustimmen?«, fragte Mom, während sie Alea betrachtete, als wäre sie ein kleines Kätzchen, welches sie als niedlich ansah.

Ich spielte mit dem Gedanken, einfach nichts zu sagen, aber meiner Mutter gegenüber wäre das nicht fair. Sie hatte immer alles für jeden getan. Was war da schon eine kleine Wahrheit im Gegenzug?

Ein kleines Lächeln stahl sich auf meine Lippen, als ich an die »kleinen Wahrheiten« zwischen Alea und mir dachte, die uns helfen sollten, ehrlicher zu einander zu sein. Das letzte Nacht war mehr als nur eine kleine Wahrheit.

»Ich habe es ihr erzählt«, sagte ich gedankenverloren, da meine Augen wie von Zauberhand wieder bei der schlafenden Frau waren. Ich musste Mom nicht sagen, was ich ihr erzählt hatte, das wusste sie ohnehin bereits. Anhand ihrer geweiteten Augen und ihrer hochgezogenen Augenbrauen, wusste ich, dass ihr sehr klar war, welchen Teil meiner Vergangenheit ich preisgegeben hatte.

Und Mom wusste auch, dass das eine Premiere war, denn weder mit den Therapeuten, noch mit meinen Freunden oder meiner Familie hatte ich über den Vorfall gesprochen. Sie kannten die Geschichte nur vom Bericht der Sanitäter, ich selbst hatte danach nie mehr ein Wort verloren. Bis jetzt.

Meine Gedanken fuhren Achterbahn.

»Ich hatte so große Angst sie zu verlieren, dass ich es einfach gesagt habe, Mom. Ich habe ihr einfach alles erzählt und jetzt wache ich auf und erinnere mich an den ersten...halbwegs normalen Traum, seit drei Jahren«, erzählte ich darauf los.

Ich wollte ihr auch sagen, wie gut es mir den Umständen entsprechend eigentlich ging. Doch da rannen bereits einige Tränen über ihr ungeschminktes Gesicht, was mich dazu brachte, die Stirn zu runzeln.

Hatte ich was Falsches gesagt?

War es falsch, dass ich mich normal fühlte?

War es Hayley gegenüber unfair, dass ich mich nun einer neuen Frau öffnete?

Hätte sie das gewollt für mich?

»Du hast das Richtige getan. Dieses Mädchen da tut dir gut. Ich bin gerade einfach nur froh, dass es meinem Sohn und meinem Mann gut geht«, schniefte sie und ich hätte sie gerne kurz gedrückt, doch der Drang bei Alea zu bleiben war stärker. Sie brauchte mich jetzt am meisten und ich sie. Ohne Alea Williams wäre ich nie aus diesem Loch gekommen.

»Hayley wäre unglaublich stolz auf dich und ich glaube, Alea würde ihr gefallen. Sie tut dir gut, das war Hayley immer das wichtigste...das es dir gut geht«

Eine eiskalte Leere breitete sich in mir aus, als ich Moms Worte wie ein Schwamm in mir aufsaugte.

»Es fühlt sich dennoch irgendwie an manchen Stellen falsch an«, gestand ich und hoffte auf ein paar schlaue Sätze meiner Mom. Sie brachte mich mit ihren Worten häufig zur Vernunft, rüttelte mich wach oder tadelte mich manchmal auch einfach nur. Aber sie fand immer die richtigen Worte, egal wann. Eines ihrer heimlichen Talente.

»Natürlich, weil du Hayley geliebt hast. So sehr, wie ich es noch nie bei einem anderen Menschen erlebt habe. Mehr als alles andere. Aber ich kann erkennen, dass diese Frau da«, sie unterbrach sich und nickte Aleas schlafender Gestalt zu: »dir verdammt gut tut. Sie ist dir wichtig, wie sehr, dass musst du selbst noch herausfinden. Offensichtlich ist sie dir aber so wichtig, dass du sie nicht mehr gehenlassen kannst.«

»Denk einfach dran, dass du in der Gegenwart lebst und selbst in der Hand hast, wie deine Zukunft aussieht. Wenn du sie mit Alea verbringen möchtest...dann musst du auch hin und wieder was wagen. Sie kann das nicht alleine durchziehen, du musst dich auch für sie stark machen. Dabei darf dir deine Vergangenheit nicht im Weg stehen, denn die wird dich nicht glücklich machen können. Das schafft nur die Gegenwart, du selbst und wenn du es zu lässt...sie«, zum Ende hin wurde Mom immer leiser und ich verstand, weswegen.

Alea fing an, sich in meiner Umarmung zu strecken.

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