Acht

𝒦𝓎𝓈ℴ𝓃
ᴇᴠᴀɴs

»Kyson, warte noch einen Moment«, rief mir mein Coach hinterher, weswegen ich stehenblieb und Clio, sowie Ryan eine Weile nachblickte, bis sie außer Sichtweite waren.

Tiefatmend drehte ich mich nach dem Trainer um und schlenderte zurück auf das riesige Footballfeld, welches so gut wie leer war. Nur der Coach und ich waren hier.

»Was gibt's, Coach?«, wollte ich wissen und zwang mir ein Lächeln auf die Lippen. Seine kurzgeschnittenen braunen Haare waren feucht, weil er bei der brütenden Hitze genauso schwitzte, wie der Rest meines Teams, wobei er wesentlich weniger Bewegung hatte. Er hatte nur dagestanden und Befehle gebrüllt.

Seine braunen Augen schimmerten freundlich, während sich ein besorgtes Lächeln auf seine Gesichtszüge legte.

»Du wirkst in letzter Zeit etwas unkonzentriert. Ist alles in Ordnung bei meinem Kapitän?«, fragte er und ich hatte das seltsame Gefühl, als hätte er recht. Ich bekam in dieser Sekunde Bauchschmerzen und meine Atmung kam ins Stocken, bis meine Lunge ihren Job ganz verweigerte. Perplex griff ich mir an meine Kehle, spürte den rasenden Puls meines Herzens unter meinen Fingern und bekam Panik. Verflucht, was passierte hier mit mir?

»Ist es das schlechte Gewissen, Kyson?«, zischte der Coach wütend und kam mir bedrohlich nahe. Ich wollte nochmals nach Luft schnappen, aber nichts funktionierte. Ich stand einfach nur da und sah in die dunklen Augen meines Coaches, der mich hasserfüllt anstarrte. Mein Mund öffnete sich, schloss sich und ein Keuchen entfloh mir, das letzte bisschen Sauerstoff war verbraucht.

»Du weißt, dass du schuld bist, Kyson...du weißt es und trotzdem tust du so, als wäre nichts passiert«, knurrte er, riss meine Hand von meinem Hals, um selbst zuzupacken.

Schmerzen kontrollierten meinen Körper, ich zuckte unter seiner Kraft zusammen und röchelte, wollte Luft. Einfach nur Luft! Mir wurde schwindlig und irgendwann war es vorbei, ich fiel unter seinem Griff zu Boden und drang in eine Dunkelheit ein, die mich für Sekunden verschluckte.

Und dann öffnete ich die Augen, saugte den Sauerstoff in mich ein, den ich dringend benötigte. Mein Hals schmerzte noch immer, meine Lunge stach qualvoll, meine Augen brannten verdächtig.

Ich blinzelte, blickte die triste Decke über mir an. Bewegte meinen Kopf zögernd, sah von links nach rechts. Musterte die mir vertrauten, blauen Spinde, bis ich Schritte hörte und zu Salzsäure erstarrte.

Im Augenwinkel drangen Füße in mein Sichtfeld. Die Sneaker waren beige, die blaue Jeans zerrissen und voller Dreck. Die Beine waren schlank und lang, sahen aus wie die einer jungen Frau. Verwirrt sah ich nach oben und erkannte sie sofort wieder. Ihr blondes Haar, ihre grünen Augen, ihre kleine Nase, ihre Sommersprossen...

Doch das eigentlich so hübsche Gesicht meines Mädchens sah...schrecklich aus. Sie hatte tiefe Schnittwunden an ihrem rechten Augenlid, so, dass sie dieses Auge geschlossen hielt.

Ihre Wangen waren mit getrocknetem Blut verschmiert und ihre Lippe schien aufgeplatzt zu sein. Ich schluckte, als mein Herzschlag sich immer und immer weiter beschleunigte, als gäbe es kein Limit.

Mit den Füßen und den Händen schob ich mich weg von ihr, wollte dem allen entfliehen, während sie nur dastand und mich ansah, als wäre ich ein Rätsel.
Sie lächelte und öffnete ihren Mund dabei ein Stück. Es schoss augenblicklich schwarze Flüssigkeit über den Rand der Unterlippe, das in einem dünnen Rinnsal über ihr Kinn lief und auf den eiskalten Flurboden der Highschool tropfte.

Es roch wie frisches Blut, doch es war so schwarz wie Obsidian.
Ich setzte mich auf und starrte Hayley entgegen. Sah ihr direkt in die dunkelgrünen Augen und bebte am ganzen Körper.

»Erkennst du mich denn nicht wieder, Ky?«, wisperte sie leise und ging ein paar Schritte auf mich zu.

Ihre sonst so warme Stimme war kalt und scharf, wie ein heftiger Platzregen in einer kalten Herbstnacht.

Hier stank es nach Verwesung - nach Tod und Verderben.
Mein Kopf dröhnte und das Brennen meiner Augen wurde mit jedem Schritt, den sie auf mich zu ging, schlimmer.

»Das ist nicht sonderlich nett, wenn du wegläufst. Vor allem wenn man bedenkt, dass du Grund für das bist«, sagte sie, deutete mit dem rechten Zeigefinger auf ihr Gesicht und lächelte emotionslos. Ihre weißen Zähne waren schwarz und blutrot gefärbt, was einen Schauder über meinen Rücken jagen ließ. Hayley kniete sich vor mir nieder und strich sich ihr stumpfes, blondes Haar aus dem zerschrammten Gesicht.

Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Zu sehr war ich von dem Anblick geschockt, also starrte ich ihr nur mit offenem Mund und tränenden Augen entgegen. Ich hatte Angst, war panisch... aber vor allem zerfraßen mich meine Schuldgefühle, wenn ich sie sah.

Sie hatte recht. Es war meine Schuld. Das alles.

Ich senkte meinen Blick, während glühend heiße Tränen meine Wangen hinabliefen, sich wie Racheversprechungen auf meine Haut brannten.

Es dauerte keine Sekunde, da starrte ich auf ihren Bauch und dachte, ich hätte genug schreckliche Dinge gesehen.
Doch dann erkannte ich den klaffenden Riss in ihrer Haut, der unter dem zerrissenen Shirt zum Vorschein kam und würgte. Mein Magen verkrampfte sich – aber nichts kam.

»Es sieht schlimm aus, habe ich recht, Ky? Glaub mir, wenn ich dir sage, dass es schmerzt. Es schmerzt so sehr«, sie flüsterte es mit erstickter Stimme.

Aus der Wunde sickerte Blut, ungewöhnlich wenig Blut. Es verwirrte mich. Das alles hier...es war so verstörend. So angsteinflößend. Ich zitterte. Keuchte und als sich Hayley an den Bauch fasste und direkt in die Wunde griff und aufschrie, zuckte ich zusammen und stemmte die Füße in den Boden, um ihr zu entfliehen. Das war zu viel für mich. Ich ertrug es nicht. Nicht noch einmal.

Ich rannte durch den Flur, rannte, bis ich die Umkleiden fand und setzte mich atemlos und schwitzend auf die Bank. Mein Schweiß war eiskalt und die Gänsehaut auf meinen Armen, beunruhigte mich.

In dem Raum war nur mein Schluchzen zu vernehmen, die kleinen Fenster spendeten spärliches Licht, aber meine Sicht war verschwommen.

Es war meine Schuld.

Ein Schluchzen, das nicht meines war, brachte mich dazu, meinen Atem anzuhalten. Hatte Hayley mich gefunden? Würde sie...würde sie mich umbringen?
Würde ich nochmals davonlaufen oder mein Schicksal akzeptieren?

Mein Herz warf sich wie ein tollwütiger Hund, der in einem viel zu engen Käfig eingesperrt war, gegen meinen Brustkorb.
Mein Herz schmerzte. Es schmerzte und war so laut, dass ich die Schritte überhört hatte. Das leichte Kratzen an der Wand, bis ihre Nägel die Spinde der Sportumkleide erreichten.

Mein Blick schnellte nach links, dahin, wo das Geräusch herkam und da stand sie. In ihrer zerrissenen Jeans, die voller Blut war. Ihr Körper wirkte völlig verstümmelt und ihr Blick schweifte von ihren blutigen Fingern, mit denen sie den Spind berührte, zu mir.

»Es tut mir leid«, platzte es heiser aus meinem staubtrockenen Mund. Hayley legte den Kopf zur Seite und es schien so, als würde sie diese Worte auf sich wirken lassen. Es tat mir so unglaublich leid.

»Was tut dir leid, Ky?«, wollte sie mit rauer Stimme wissen und verweilte die vier Meter von mir entfernt. Irgendwo tropfte etwas. Gleichmäßig. Ein Tropfen...zwei, drei, vier, fünf. Und sie wurden immer schneller. Sechs, sieben, acht...

Ich sah zu Hayleys Wunde am Bauch. Das Blut sickerte aus diesem.
Ich fühlte mich taub. Nutzlos. Schuldig. Wertlos. Gebrochen.

Es war meine Schuld.

»Es tut mir leid«, wiederholte ich.

»Was tut dir leid, Kyson?«, flüsterte sie meinen Namen.
»Dass du meinetwegen tot bist, Hayley...«
Meine Tränen wurden mehr und mein Blick verschwamm erneut.
Das war meine Schuld, alles meine Schuld.

Schritte erklangen.

Meine Schuld.

Ich hörte ihren rasselnden Atem.
»Ist okay, Ky. Du musst mir nur folgen, dann verzeihe ich dir«, murmelte sie und klang im Vergleich zu vorhin, liebevoll. Sie klang wie mein Mädchen. Mein Mädchen bevor-

Es legten sich kalte Finger um mein Kinn. Die Finger von ihr waren klein und klebten. Es war das Blut, ihr Blut, dass nun an mir haftete.

Meine Schuld, alles meine Schuld.

»Du musst mir nur folgen, Kyson. Sieh dir nur an, was du gemacht hast«, murmelte sie bekümmert und hob mein Kinn an.

Ihre grünen Augen waren gerötet. Sie sah mich so intensiv an, dass ich fast nicht bemerkte, wie ihr dunkelrotes Blut aus der Nase tropfte.

»Es tut mir leid. Alles. Du weißt, dass ich dich liebe. Ich wollte das nicht. Könnte ich die Zeit zurückdrehen...Es tut mir so leid«, schluchzte ich wiederholend und sah sie wehmütig an.

Ihre eiskalten Hände schlossen sich nun beide um meine Wangen. Sie setzte sich neben mich, so, dass ich den Blick senken musste.

»Aber du hast es getan, Ky. Und jetzt bin ich hier und du lebst dein Leben weiter. Das ist nicht fair«, wisperte sie unglücklich und ihr Gesicht näherte sich meinem.

Meine Wangen glühten, während ihre Finger mich kühlten. Das Blut ihrer Hände mischte sich mit meinen salzigen Tränen. Alles klebte und roch nach dem unverkennbar metallischen Blut.

Doch als Hayley mir so nah war, dass unsere Nasen sich berührten, roch sie nur noch nach Orange. So wie früher.
Kein Blut, das stank. Kein Geruch nach Verwesung. Kein Tod.

Sie roch gut, lebendig und das nächste Mal, als ich blinzelte, sah sie aus, wie früher.
Ihr blondes Haar war gelockt. Ich erkannte es, weil ich mich entsetzt zurücklehnte und sie ehrfürchtig anblickte.

Ihre Wunden waren verheilt, nur kleine Narben ließen sich erkennen. Sie lächelte und ihre Zähne waren weiß. Ich sah ihre Klamotten an, die frisch und gepflegt wirkten. Da war kein klaffender, tödlicher Riss in ihrer Bauchdecke.

Das vor mir war meine Hayley. Mein Mädchen. So verflucht lebendig und bildschön. Sie lächelte zart.

»Du musst mir nur folgen«, wiederholte sie leise, bevor sie mich wieder zu sich zog und mich küsste.

Ihre Lippen auf meine drückte und alles ganz plötzlich ganz friedlich war.
Ihr Mund fühlte sich weich an.
Es war faszinierend, wie sie meine Lippen spaltete und mit ihrer Zunge über meine Unterlippe glitt, um unseren Kuss zu intensivieren, so wie sie es immer tat. Ihre kleinen Hände legten sich um meinen Hals.
Streichelten mich und gerade als ich dachte, sie half mir beim heilen, krallten sich ihre dünnen Fingernägel in meinen Hals und sie drückte mir die Luft ab.

Doch diesmal rannte ich nicht fort, sondern hielt ganz still, damit sie mich von diesem Alptraum erlösen konnte.

Es war meine Schuld.

Keuchend setzte ich mich auf und sah mich orientierungslos um, bis ich erkannte, dass ich in meiner neuen Wohnung war. Ich lag in meinem neuen Bett. Meinem neuen Schlafzimmer.

Die Laterne von draußen warf ein helles Licht in meinen Raum, so, dass ich erkannte, wo ich war.
Mein Atem ging stoßend und der Schweiß auf meiner Stirn, meinem Nacken und meiner Brust verriet mir, dass ich das gerade wirklich geträumt hatte. Schon wieder.

Ich schluckte und fuhr mir mit der linken Hand durch meine Haare, als ich bemerkte, dass Tränen an meinen Wangen klebten.
Das war zu viel für mich.

Ich konnte unmöglich wieder einschlafen. Denn jetzt war ich hellwach.
Dieser Traum hatte mich ziemlich auseinandergenommen. Ich fühlte mich schwach und müde, aber es war die Angst, diesen Traum nochmal zu träumen, der mich vom schlafen abhielt.

Es war 40 Monate her und dennoch ließ sie mich nicht los. Meine Angst, die Schuldgefühle und meine verfluchte Vergangenheit holten mich jede verdammte Nacht ein.
Ich warf einen Blick auf den Wecker.

In eineinhalb Stunden musste ich aufstehen und zur Arbeit, also blieb ich wach, obwohl ich wenn es genügte, gerade einmal drei Stunden Schlaf hatte.
Aber ich würde mich nicht nochmal hinlegen. Verflucht nein. Stattdessen erhob ich mich und spürte, wie angespannt meine Muskulatur war.

Ich atmete tief ein und streckte mich, schloss für einen Moment die Augen und sah sie wieder, weswegen ich keuchend die Augen aufschlug und mir hektisch durch mein feuchtes Haar fuhr.
Langsam erhob ich mich, schlurfte unter die Dusche und stöhnte erschöpft auf, als das viel zu heiße Wasser meinen Körper umspülte und der Angstschweiß von meiner Haut gewaschen wurde.
Währenddessen ließ ich jedes Detail des Traumes nochmal Revue passieren.

Sie sagte, ich solle ihr folgen. War es das, was ich wirklich wollte? Den Tod? Nein, es waren meine Schuldgefühle, die mich dazu drängten. Meine Angst.

Aber mit einer Aussage hatte Hayley in jedem meiner Alpträume recht...Es war alles meine Schuld.

• • •

Warum auch immer, aber mein Weg an diesem Montag führte mich mal wieder zum Anderson.
Ich glaubte zu meinen, das würde mein neues Ritual werden. Früher ging ich eine halbe Stunde spazieren, bevor ich arbeitete und nun war es mein schwarzer Kaffee und die dreißig Minuten sitzen, um aus ihrem Lieblingsroman zu lesen.

Clio und Ryan hatten mir davon abgeraten, das Buch mitzunehmen, aber ich konnte es nicht zu Hause in der alten Wohnung liegen lassen.
Also packte ich es in den Karton mit dem Titel ›privat‹ und schmuggelte es heimlich mit. Es war vielleicht nicht gut, diesen Liebesroman jedes Mal aufs erneute zu lesen, aber es brachte mich ein Stück näher an Hayley heran und das war es wert. Ich brauchte sie. Nicht nur in meinen Träumen.

Die Klingel über meinen Kopf erklang, als ich durch die Ladentür trat. Mein Blick glitt wie selbstverständlich zu dem dunklen Tresen, hinter dem die braunhaarige Frau mit den blauen Augen gerade ihr Gespräch mit dem blonden Kerl unterbrach, um mich anzusehen.

Dass der Kerl jedes Mal verschwand, wenn ich kam, war skurril. Aber es interessierte mich nicht weiter, weswegen ich zu Alea lief und ihr leichtes Lächeln still in mir aufnahm, ohne es zu erwidern.

Ihre Haare trug sie zusammen, was mir einen Blick auf ihre Ohrringe verschaffte. Fünf Ringe auf der linken Seite, zwei auf der rechten. Sieben Ringe. Hatte dies eine Bedeutung, oder fand sie die Verteilung einfach nur schön?

Ihr Lächeln wurde etwas weniger, als sie fragte: »Kaffee?«

Ich nickte langsam und fügte hinzu: »Ohne alles«

Alea nickte und drehte mir den Rücken zu. Sie trug etwas Schminke, die dafür sorgte, dass ihre blauen Augen noch größer wirkten, als sie es bereits waren. Ich verdankte es Hayley, die mir die wahre Funktion von Makeup erklärte.

Als die Tasse mit dem dampfenden, heißen Getränk darin vor mir abgestellt wurde, passierte etwas, mit dem ich nicht gerechnet hatte.

»Stört es dich, wenn ich mich eine Weile zu dir setze? Um die Uhrzeit ist nie etwas los«, fragte die braunhaarige Frau vorsichtig. Ihre rosafarbenen Lippen verzogen sich zu einem unsicheren Grinsen.

Störte es mich, wenn sie bei mir sitzen würde? Nun, ich könnte höchstwahrscheinlich nicht lesen, weil ich abgelenkt war, aber... vielleicht war das ganz gut so.

Ich spürte noch immer die Nachwirkungen meines Traumes, denn meine Finger zitterten leicht, als ich die Tasse hochhob und schlussendlich wieder senkte, weil der Inhalt gefährlich hin und her schwappte. Ob sie bemerkte, wie seltsam ich mich benahm?

Ich hatte heute in den Spiegel gesehen und fuck, ich sah schrecklich aus. Irgendwie war ich total blass und meine Augen wirkten total dunkel. Meine Augenringe waren auch schlimmer als sonst.

Und trotzdem nickte ich, ging an den Tisch in der hinteren Ecke und freute mich über ihr Angebot.
Ich hörte die Maschine, die lief und wahrscheinlich einen weiteren Kaffee für Alea machte.
Als ich saß und meinen Rucksack auf den Boden legte, kam Alea an meinen Tisch und setzte sich mir gegenüber.

Eine leise, nicht störende Musik klang sanft im Hintergrund des Cafés, während sie mich wiedermal analysierend betrachtete.

Gleich fragte sie, wie ich geschlafen hatte und ich würde lügen. Sie würde fragen, ob alles okay war oder was ich arbeitete. Oder sie würde mir sagen, dass ich fertig aussah.

»Warum schwarzer Kaffee? Ist der nicht total bitter? Ich trinke immer nur Milchkaffee«, sagte sie und lächelte, während sie mit dem silbernen Löffel in ihrem Getränk herumrührte.

Ich musste das Lächeln erwidern, weshalb auch immer, als ich ihr dabei zusah. Sie sah so ruhig und entspannt dabei aus. So glücklich mit ihrem Leben.
Ob sie je in ihrer Vergangenheit den Tod eines Menschen betrauern musste?

»Er hält mich wach«, sagte ich eine Spur zu ehrlich, denn ihre blauen Augen richteten sich verwirrt auf mich.

»Aber dafür schläft man doch, oder?«, sie wollte es witzig klingen lassen. Eigentlich hätte ich geschmunzelt, aber sie konnte ja nicht wissen, dass ich jede Nacht nur drei Stunden schlief. Wenn es gut lief vier.
Seit 40 Monaten - also ein bisschen mehr als drei Jahren.

»Ich kann nicht so gut schlafen nachts«, gestand ich, ohne dass ich es wollte. Schon wieder. Verdammt, ich sollte mich mit solchen Aussagen wirklich zügeln.

Gerade als ich dachte, Alea würde nachhaken, fiel ihr Blick auf meine Tasse.
»Willst du probieren?«, fragte ich vom Thema ablenkend und runzelte die Stirn.
Alea zuckte mit den Schultern und nickte dann zögernd.
»Ich habe es noch nie probiert«

»Wie kommt das?«, wollte ich erstaunt wissen.

»Was?«, ihre blauen Augen schimmerten verunsichert.

»Du arbeitest in einem Café und hast noch nie schwarzen Kaffee probiert?«, ich legte den Kopf zur Seite und kratzte mich an meiner Augenbraue. Die Narbe dort juckte etwas.

Die junge Frau mir gegenüber lachte leise und ihre Wangen röteten sich ein bisschen. Es stand ihr gut. Dadurch wirkte sie lebendiger und wacher.

»Mir wurde immer von Freunden davon abgeraten das zu trinken. Sie fanden es nicht gut und waren davon überzeugt, dass es mir nicht schmeckte, also hab ich's gelassen«

Ich nahm mir einen Moment, um ihr Gesicht genauer zu betrachten. Auch ihr Verhalten.
Sie war noch immer neugierig und stellenweise aufdringlich, aber ich konnte Alea Williams wirklich leiden. Sie war in Ordnung.

»Mach deine eigenen Erfahrungen. Probier's einfach und wenn's dir nicht schmeckt, dann weißt du es«, sagte ich und schob ihr meine Tasse entgegen. Meine Hand zog ich nicht sofort zurück, einfach um zu sehen, ob sie zögerte.

Doch sie tat es nicht. Alea griff nach meiner Tasse und berührte dabei meine Finger. Ich bemerkte, wie kalt meine im Vergleich zu ihren waren.

Sie nahm einen Schluck und stellte die Tasse vor mir wieder ab. Als sie den Kaffee heruntergeschluckt hatte, zog sie die Augenbrauen zusammen und meine Lippen formten sich zu einem kleinen Lächeln.

»Jetzt weißt du, dass schwarzer Kaffee nicht dein Fall ist«, schlussfolgerte ich, doch da schüttelte sie den Kopf und blickte von ihrem Kaffee zu meinem und dann in meine Augen.

Sie nahm einen weiteren Schluck und als sie die Tasse und deren Inhalt erstaunt betrachtete, murmelte sie ungläubig: »Ich finde ihn ganz gut so, ehrlich gesagt.«

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