39. Ein blutiger Tod

Willhelm ist tot. Der kleine Junge ist nicht mehr aufgewacht, nachdem er die ganze Nacht zuvor verzweifelt geschrien hatte. Ich wollte ihn trösten, aber die Lehrer haben mir harsch befohlen zurück in meine Gemächer zu gehen. Ebenso kränklich sind Polly und Cornilius. Ich bin mir nun sicher, dass der lieblose Umgang mit ihnen die Ursache für das körperliche Gebrechen ist. Nach Willhelms tragischen Tod wird Meister Bärenstein II hoffentlich auf mich hören und etwas ändern. Ich bin der Meinung, dass die Henotellos bei ihren Familien bleiben müssen bis sie die Umstellung auf eine militärische Erziehung überleben können. Die Mutter muss sehr traurig über den Verlust ihres Erstgeborenen sein. Ich kann sie gut verstehen. Ariellas verlust schmerz mich noch heute. In der Nacht höre ich sie manchmal weinen. Vor wenigen Tagen ist ein weiteres Kind hier eingetroffen. Ein kleines Mädchen namens Sarah, ihr Vater John Henotello hat sich nach ihrem Verlust das Leben genommen. Seine Tochter sofern sie die Akademie überlebt wird ihn nie kennenlernen. Mein Vertrauen zu Meister Bärenstein wird schwächer, seit Wochen spiele ich mit dem Gedanken von hier zu fliehen und das kleine Mädchen mitzunehmen. Sie soll nicht das Schicksal ihrer Verwandten teilen.
Aber noch fehlt mir der Mut, noch fehlt mir die Stärke. Aufzeichnungen von Schwester Constanze

"Das ist verdammt gefährlich. Wenn wir das verpatzen, sind wir tot und zwar alle.", meinte Stella stirnrunzelnd nachdem Kyrie ihnen ihren Plan zur Ermordung der ranghöchsten Person ihres Landes vorgelegt hatte.

Stella, Darwin und Antonio. Diese drei würden ihr bei ihrem Plan helfen. Sie befanden sich in einem kleinen Besprechungszimmer der Kaserne. Ein kleiner runder Tisch stand in ihrer Mitte, darauf lagen unzählige Papiere von Loke. Es gab nur ein einziges Fenster durch das die Sonne schien. Es war kurz nach acht Uhr morgens und laut Loke würden sein Vater und er um etwa zwölf das erste Meeting haben. Davor musste Bärenstein sterben. Ihnen blieb nicht viel Zeit.

"Das ist unsere einzige Chance frei zu sein. Loke garantiert uns Autonomie, aber nur wenn wir vorher seinen Vater töten."

Stella sah stirnrunzelnd zu Darwin, dieser studierte die Lagerpläne und zeigte schließlich auf ein Gebäude neben dem Hochhaus der Bärensteins. Seine roten Haare hingen ihm in wilden Locken ins Gesicht.

"Ich könnte dort in Position gehen, euch von der weite aus Rückendeckung geben." Kyrie nickte, dies war auch ihr Gedanke gewesen. Darwin war in einem Nahkampf nicht zu gebrauchen.

"Warte,..... warte. Nava, bist du dir sicher, dass wir Loke trauen können? Vielleicht lügt er dich an und am Ende werden wir für Bärensteins Ermordung hingerichtet.", warf Stella misstrauisch ein. Kyrie hatte Verständnis für ihre Unsicherheit, schließlich wusste sie nicht über Kyries Verbindung zu Loke. Gegen jede Vernunft vertraute sie ihm. Er brauchte sie ebenso sehr wie sie ihn.

"Ich glaube ihm und falls er uns verrät, wird euch nichts passieren. Versprochen."

Kyries Versprechen ließ zumindest einen Teil der Anspannung aus Stellas Körper entweichen. Zufrieden freute Kyrie sich über ihr Vertrauen. Darwin würde Stella überall hin folgen und ihrer Entscheidung nachkommen. Antonio glich in den letzen Tagen ihrer Reise mehr einem Schoßhund als eines Teamkameraden, er würde sich ebenfalls nicht gegen Kyries Plan stellen. Eine Sache hatte sie jedoch verschwiegen. Lokes Gedanken waren für sie nicht zu lesen. Beim Aufstehen an diesem Morgen hatte sie versucht seine Gedanken zu sehen, doch schaffte sie es nicht. Es irritierte sie ein wenig, war ihr aber im Grunde egal. Sie hatte sich zeitlebens auf ihre Menschenkenntnis und nicht auf ihre geringe Gabe der Telepathie verlassen. Sie würde jetzt damit nicht anfangen.

"Stella kannst du deine Tarnung auf andere Menschen ausweiten?", fragte sie nun auf den Plan bezogen.

"Ja, es kostet zwar mehr Kraft, ist aber möglich."

"Für wie lange könntest du die Tarnung von zwei Menschen aufrechterhalten?"

Nachdenklich fasste Stella sich ans Kinn und blickte auf die Blueprints, die Loke Kyrie ausgedruckt hatte.

"Kommt drauf an?"

"Worauf?" Stella blickte auf, spielte nervös mit einem der beiden Zöpfe in die sie ihre Haare nach dem Training geflochten hatte.

"Was du mit dieser Tarnung vorhast." Kyrie lächelte nachsichtig. Ihre Freundin war von jeher eher vorsichtig gewesen. Die Arme verschränkend sah Kyrie ihr Team an.

"Mein Plan ist einfach. Der einzige Weg in sein Büro führt über den Aufzug. Davon gibt es nur einen und der wird auch nur von Bärenstein und Loke benutzt. Er ist mit Kameras ausgestattet und relativ klein. Sobald Bärenstein in seinem Büro ist, kommen wir nicht mehr an ihn ran. Unmöglich. Sein Büro und die Privaträume daneben sind eine einzige Festung. Also müssen wir ihn davor kriegen. Im Aufzug. Antonio wird ein Ablenkungsmanöver in der Eingangshalle des Gebäudes machen."

Antonio nickte begeistert und strich über seine braunen Haare. Sie waren gewachsen und reichten nun bis zu seinen Schultern. Soweit Kyrie feststellen konnte, war er motiviert in der Nahrungskette Beerellons aufzusteigen. Er erhoffte sich Reichtum und Macht, gleichzeitig war er bereit auch ihr zu dienen.

"Stella und ich schleichen uns neben den Aufzug und warten dort auf Bärenstein." Schockiert sah Stella sie an.

"Aber das kann Stunden dauern. Du erwartest von mir uns so lange zu tarnen?"

"Nein, wir timen das Ganze mit Bärensteins ankommen. Fünf bis zehn Minuten vor ihm müssen wir in Position sein. Wenn er einsteigt dann tun wir es auch. Schaffst du das?"

Natürlich wusste Kyrie wie viel sie verlangte, aber sie war sich auch sicher den einzigen Weg gefunden zu haben. Seufzend bejahte Stella ihre Frage.

"Perfekt, dann an die Arbeit." Schnell packte sie alle Pläne von Loke und verbrannte sie in ihren Händen zu Asche. Bereits vor dem gläsernen Hochhaus griff Stella nach Kyries Hand und hielt diese fest umschlossen. Sie waren durch enge Gassen und Hinterhöfe zum Hochhaus gegangen. Ihr Ziel war es so wenig wie möglich aufzufallen.

Ihre Militärkleidung diente ebenfalls zur Tarnung. Sankt Sandrina war voll von Soldaten und Henotellos. Als sie an einem Platz vorbeigekommen waren, hatten eiserne Käfige ihre Aufmerksamkeit angezogen. Schockiert hatten die beiden Frauen die Personen in diesen Käfigen angesehen. Blutig zerstörte Körper, abgemagert und geschoren. Kaum menschlich. Das Schild daneben hatte die Gefangenen eindeutig als untreue Henotellos ausgewiesen. Nach diesem Erlebnis konnte Kyrie Stellas Angst nachvollziehen. Henotellos wurde keine Gnade entgegengebracht. Sie waren zu gefährlich. Sie waren weitergelaufen, getrieben von Furcht und dem Zeitdruck bis sie schließlich das Hochhaus vor ihnen aufragen gesehen hatten. Nun warteten sie händchenhaltend davor in den Schatten einer Seitengasse auf Antonio. Kyrie spürte die Schwielen an Stellas Hand und begriff wie lange die Frau neben ihn bereits im Militärdienst war. Wie viele Kämpfe musste sie überlebt haben.

"Lass ja nicht meine Hand los, sonst kann ich dich nicht tarnen." Nickend spürte Kyrie wie sich Stellas gesamter Körper an ihre Umwelt anpasste und ihren Körper mit in die Camouflage zog. Es war nicht schmerzhaft, aber auch nicht wirklich angenehm. Als würden Ameisen über Kyries Körper krabbeln. Mit diesem Gefühl auf ihrem ganzen Körper konnte sie sich kaum konzentrieren.

Angespannt warteten sie auf Antonio, der in diesem Moment mit einem großen schwarzen Auto vorfuhr und mit einer aggressiven Bremsung vor dem Hochhaus hielt. Selbstsicher mit einer Sonnenbrille auf der Nase stieg er aus. Die Haare waren zu einem Pferdeschwanz gebunden und ein leichtes Lächeln lag auf seinen vollen Lippen. Er sah gut aus, sogar Kyrie musste das zugeben. Schlendernd ging er auf die gläserne Tür zu. Er war kein besonders guter Schauspieler und sah sich verdächtig lange nach ihnen um, bevor er in die Eingangshalle schritt. Stella und Kyrie waren dicht hinter ihm, liefen dann an ihm vorbei in Richtung des Aufzugs.

Laut Kyries Informationen müsste Bärenstein in den nächsten zehn Minuten kommen. Vanessa kam hinter ihrem Tresen hervor. Bestens gekleidet und vorteilhaft geschminkt bat sie Antonio sich auszuweisen. Während also die Frauen neben dem Aufzug hockten und auf Bärenstein warteten, versuchte Antonio bei Vanessa zu landen. Er machte die wohl bescheuertsten und Machohaftesten Anmachversuche, die Kyrie jemals gesehen hatte. Es war peinlich und absolut unangenehm anzusehen. Fremdschämen pur.

"Oh Gott.", flüsterte Stella neben ihr und verkniff sich ein ungehaltenes Lachen. Antonio fragte Vanessa gerade ob ihr der Sturz vom Himmel wehgetan hätte. Seufzend verdrehte Kyrie die Augen. Beinahe, aber nur beinahe tat ihr der junge Mann leid, besonders als Vanessa ihn so kalt abblitzen ließ.

Antonio machte eine Szene, schrie herum, bettelte um Aufmerksamkeit. Die Frauen waren sich nicht sicher ob der den verschmähten Liebhaber nur spielte oder tatsächlich sauer war, weil er nicht bei Vanessa landen konnte. So oder so erfüllte er seine Aufgabe perfekt. Als Bärenstein einige Minuten später begleitet von doppelt so vielen Wachen wie Loke die Eingangshalle betrat, waren seine Bodyguards und er selbst viel zu sehr von Antonios Brüllen abgelenkt um sich aufmerksamer umzusehen. Stellas Tarnung war gut, doch da sie zwei Menschen tarnen musste und dies nun bereits einige Minuten lang, würde ein genaueres Hinsehen sie vielleicht verraten. Bärenstein, gebückt gehend und sich auf einem Elfenbeistock stützend, ließ sich von Antonio nicht beeindrucken und lächelte den jungen Mann herzlich an.

"Was ist das Problem, Junge." Schmollend verschränkte Antonio die Arme und nickte Richtung Vanessa.

"Sie meint, sie würde eher Sterben als mit mir auszugehen. Hat ein paar sehr miese Ausdrücke verwendet."

Ohne Frage war Vanessa deutlich gewesen, aber Kyrie hatte ihr Verhalten angesichts Antonios Standhaftigkeit durchaus als angemessen empfunden. Bärensteins Blick wanderte zu Vanessa. Diese stand mit herunterhängenden Kopf und hochgezogenen Schultern da und schien den Tränen nahe. Sie wagte es nicht Bärenstein anzusehen.

"Hmn, das war nicht besonders nett von dir Vanessa. Schließlich ist dies einer meiner Henotello-Soldaten. Sie sind etwas Besonderes. Du wirst mit ihm ausgehen."

Ein klarer Befehl. Vanessa schwieg. Antonio grinste. Angewidert beobachtete Kyrie die Entwicklung dieser Situation. Sie gab sich keinen Illusionen hin, was Antonio mit dieser jungen Frau tun würde. Er war ein grausamer Mann, hatte seine Bereitschaft sich zu nehmen, was immer er wollte bereits mehrfach unter Beweis gestellt. Obwohl ihr Vanessa relativ egal war, mochte sie Bärensteins Verhalten überhaupt nicht. Hätte er es gegen sie oder Stella gerichtet, würde es ohne Zweifel Tote geben. Zufrieden mit sich und seiner Entscheidung schlenderte Bärenstein zum Aufzug.

Er war älter als Kyrie gedacht hatte, weiße Haare, runzliges Gesicht, Altersflecken auf Wangen und Händen. Selbst der maßgeschneiderte blaue Anzug konnte seiner Gestalt nichts furchterregendes mehr geben. Dieser alte Mann war der allseits gefürchtete Lothar Bärenstein? Wie konnte ganz Beerellon vor einem alten Tatagreiß erzittern?

"Vielen Dank, Meister Bärenstein. Ich komme dich um sechs abholen, Vanessa. Zieh dir was Hübsches an.", meinte Antonio noch und verschwand aus der Eingangshalle. Laut Plan sollte er um die Ecke warten, falls es Probleme gab. Die Aufzugtüren öffneten sich langsam und schnell folgten die Frauen ihrer Beute in die kleine Aufzugkabine. Den Atem anhaltend drückten sie sich an die beigefarbene Aufzugwand und warteten bis dieser sich in Bewegung gesetzt hatte. Nervosität ließ Kyrie schwitzten. Vielleicht war es auch Angst. So genau wollte sie es nicht wissen. Als das Fenster im Aufzug ihnen einen Blick auf die wunderschöne geschäftige Stadt zeigte, wusste Kyrie, dass es Zeit war.

"Na komm. Egal wer du bist. Sicherlich hast du keine Angst vor einem alten Herren.", meinte Bärenstein mit einem faltigen Grinsen und kam ihr damit zuvor. Er sah sich aufmerksam in der Kabine um. Stella ließ ihre Tarnung verblassen und langsam kehrte wieder Gefühl in Kyries kribbeligen Körper. Überrascht lächelte Bärenstein sie an.

"Ah, die berühmte Nava, nehme ich an. Ich habe Berichte über dich erhalten. Du scheinst eine Menge Ärger zu verursachen und gleichzeitig zu beheben. Was kann ich für dich tun?"

Kyrie lächelte und schüttelte ihre hibbeligen Hände. Stellas Tarnung wirkte noch etwas nach.

"Ich habe vor Sie zu töten." Bärenstein nickte verständnisvoll und stützte sich auf seinen Gehstock.

"Aha, auf Anordnung meines lieben Sohnes nehme ich an?" Kyrie sah keinen Sinn in Lügen, sollte er ruhig wissen, wer seinen Tod zu verantworten hatte.

"Richtig. Aber keine Sorge ich mache es schnell." Ruhig blickte Bärenstein zu Stella, seine Augen blieben auf ihr, selbst als er das Gespräch mit Kyrie weiterführte.

"Gibt es eine Möglichkeit dich umzustimmen, Nava?" Ärgerlich versuchte Kyrie seinen Blick auf sich zu lenken, schließlich war sie sein Gesprächspartner und Stella wurde zunehmend nervöser.

"Wohl kaum. Sie haben nicht die Kraft uns gegen diese Revolution anzuführen. Loke ist stärker, jünger."

"Und ungeduldig, ohne Weitblick und emotional. Der Junge ist noch nicht so weit. Aber sag mir warum möchtest du gegen OneSheep vorgehen, nachdem sich so viele von euch Henotellos in der Akademie für die Seite der Aufrührer entschieden haben."

Schon wieder diese Frage. Zeus hätte sie sicherlich für sie beantworten können, aber Kyrie konnte sich beim besten Willen nicht an ihren Grund erinnern. Sie wollte OneSheep mit all ihren Mitgliedern einfach tot wissen und gleichzeitig endlich frei sein. Für eine Sekunde dachte sie an Zeus grüne Augen, sein Verständis, die Art wie er "Kyrie" gesagt hatte. Zweifel kamen hoch und unsicher fragte sie sich ob es richtig war einen alten Mann zu töten. Ob diese Tat sie gut oder böse machte. Ihre Zweifel verschwanden als ihre Gedanken weiter zu Loke wanderten. Natürlich war es richtig. Nur durch Bärensteins Tod würde sie kriegen was sie wollte. Nur das zählte.

"Das ist jetzt egal. Zeit zu sterben, Alter.", meinte sie abschätzig und freute sich darauf Bärenstein tot zu prügeln. Sie wollte ihre Hände verwenden, außerdem würde vermutlich sowieso ein Schlag reichen um dem alten Mann umzubringen. Bärensteins Lachen begann leise und wurde dann immer lauter. Stella drückte sich ängstlich in eine Ecke. Bärensteins durchdringender Blick war noch immer auf sie gerichtet. Kyrie wurde wütend, offenbar wurde sie von ihrem Gegner nicht ernst genommen und nebenbei auch noch ignoriert. Der Alte lächelte Stella freundlich an und flüsterte:

"Auf Wiedersehen."

Wie ein Sack Kartoffeln fiel Stella in sich zusammen und blieb reglos liegen. Erschrocken blickte Kyrie von Stella zu ihrem Gegner. Sie erkannte die Gefahr und schlug sofort zu, er sollte sie nicht auch mit seiner Gabe erwischen. Loke hätte sie auch warnen können, dachte Kyrie wütend während sie versuchte dem Alten den Todesstoß zu geben, doch wich er sehr geschickt ihren Schlägen aus. Kyrie hatte seine Kraft unterschätzt. Ein Kinnharken schlug sie zu Boden. Als sie ihre Wange berührte spürte sie frisches Blut. Bärensteins Ringe hatten einen tiefen Kratzer hinterlassen.

"Und du kleines Mädchen glaubst mich töten zu können. Ich habe schon gemordet als du noch gar nicht auf der Welt warst." brüllte er atemlos und mit schmerzverzehrtem Gesicht. Ein speichelfaden hing aus seinem wütend verzogenen Mund und sein roter Kopf glich einer zornigen Tomate. Er war stark, ohne Frage, aber wie lange war er in der Lage durchzuhalten?

"Stimmt. Aber du bist noch nie jemanden wie mir begegnet!"

Kyries Wut kochte über. Telekinetisch hielt sie den Aufzug an, hob sich vom Boden und drang mit ihrer Telepathie gezielt in die Gedankenwelt Bärensteins ein. So viel Tod und Verderben. Er hatte die Henotellos, obwohl er selbst einer war, ausgebeutet und verraten. Allerdings wehrte er sich, drängte Kyries Geist zurück und schlug um sich.

Zu spät erkannte er seinen Untergang. Mit einem zornigen Aufschrei und der Hilfe ihrer Gaben durchstieß sie seinen Brustkorb mit bloßer Hand. Blutverschmiert und mit Stücken seines Fleisches behaftet, kam sie an seinem Rücken wieder zum Vorschein. Bärenstein röchelte, stöhnte, blutete. Vorsichtig ließ Kyrie ihn zu Boden gleiten, zog ihre Hand zurück und setzte sich tief ausatmend auf den Boden neben der bewusstlosen Stella.

Telekinese verbrauchte so viel Energie. Absolut unpraktisch für einen längeren Kampf, erkannte Kyrie. Ihr Gegner verblutete langsam vor ihren Augen, ein Tod der ihrer Meinung nach verdient war. Mit zittrigen Händen strich sie über Stellas Arm. Sie trug nur ein schwarzes T-Shirt wie Kyrie. Zusammen mit der dunkelgrünen Hose und den Stiefeln glichen sie jedem Soldat in Sankt Sandrina. Ihre Freundin sah schlimm aus.

Ihre Haut war bleich und ungesund, ihre Brust hob sich nur sehr unregelmäßig. Beunruhigt versuchte Kyrie ihren Geist zu wecken und fand sich in absoluter Leere wieder. Erschrocken fuhr sie zusammen. Bärenstein lachte leise in seiner Ecke, seine Gedärme langsam aus seinem zerstörten Brustkorb rutschend.

"Sie ist..... so gut wie tot.", flüsterte er schwach. Wütend wandte sie sich dem alten Mann zu.

"Was hast du getan?" Schwach zuckte dieser mit seinen Schultern.

"So genau konnte mir das.....das niemand sagen. Meine...meine Gabe war schon immer etwas einzig...artiges."

Er keuchte und schien große Schmerzen zu haben. Sein Blut füllte langsam den immer noch stehenden Aufzug. Ohne es zu bemerken, saß Kyrie bereits darin. Ihre Hose weichte sich langsam auf, der metallische Gestank war übelerregend. Möglich das sich Bärenstein eingeschissen hatte. Die Nase rümpfend konzentrierte sie sich darauf Stella senkrecht zu halten.

Noch einmal versuchte sie ihren Geist zu finden, sie zu erwecken und wieder starrte ihr gähnende Leere entgegen. In Stellas Geist war nichts, kein Bewusstsein, keine Erinnerungen. Nichts. Alles weg. Ihr Körper lebte noch, aber würde sie wieder aufwachen? Da musste ein Mediziner ran, eindeutig. Mithilfe eines telekinetischen Schlags fuhr der Aufzug wieder los und Bärenstein starb. Seine blauen Augen wurden stumpf und leer, die bleiche Haut nahm die übliche Leichenblässe an. Der mächtigste Mann Beerellons, der Schrecken seiner Untertanen, der Züchter der Henotellos war tot. Ermordet von niemand anderem als Kyrie Henotello. Stolz zog sie ihr Messer hervor und begann den Kopf des Alten abzutrennen. Er hatte hart gekämpft, aber sie war nun mal stärker.

Wie immer nach einem gewonnenen Kampf fühlte Kyrie sich mächtig und unbesiegbar. Stellas Verletzung war furchtbar, aber die Ärzte würden sie schon wieder hinkriegen. Sie war sich dessen sehr sicher. Der Gedanke ihre Freundin zu verlieren schien viel zu abwegig und wurde in Kyries aufgeregtem Verstand nicht akzeptiert. Stella würde es gut gehen, ganz sicher. Als Bärensteins Kopf endlich vor ihr lag, griff sie nach ihren Funkgerät.

"Darwin, Antonio. Es ist erledigt. Kommt in die Eingangshalle und bringt einen Arzt mit. Stella ist...ähm verletzt."

"Was? Wo ist sie verletzt? Was ist passiert?", kam Darwins panische Antwort. Kyrie seufzte ungeduldig. Der Aufzug kam zu einem Stopp auf Lokes Etage, dort würde das Meeting stattfinden. Langsam schwappte das Blut aus dem Aufzug und mühsam zog Kyrie Stella daraus hervor und legte sie auf den trockenen Flur.

"Es ist nichts. Glaub ich. Das wird schon. Bring einfach einen Arzt mit. Ich stell euch jetzt ab. Hab noch was zu tun." Sie schaltete das Funkgerät ab und ging mit Bärensteins Kopf in der Hand den Flur entlang. Loke musste sie über die Monitore sehen, musste wissen, dass sie ihren Teil erfüllt hatte. Vorsichtig lehnte sie sich gegen die Tür und lauschte.

"Meine Herren, Sie sind die wirtschaftliche, intellektuelle und militärische Elite unseres Landes. Ich bin froh sie einmal alle an einem Tisch zu haben. An meinem Tisch. Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass mein Vater heute nicht an der Besprechung teilnehmen kann. Nava, kommst du bitte herein und bringst mein Geschenk mit."

Ungewollt kicherte sie, den tropfenden, blutigen Kopf eines Mannes hätte sie nie als Geschenk bezeichnet. Sie hatte Loke letzte Nacht von ihrem perfekten Gehör erzählt und war froh so einen vollendeten Auftritt hinlegen zu können. Selbstbewusst lächelnd trat sie ein, hielt den Kopf hoch und setzte sich neben den Stuhl den Loke ihr bereitgestellt hatte. Die Männer vor ihr sahen entsetzt auf das verzehrte Gesicht Bärensteins.

"Was?...Was hast du getan?", flüsterte ein Mann ende vierzig in einem teuren Anzug.

"Worum ich sie gebeten hatte.", erwiderte Loke selbstgefällig und legte Kyrie eine Hand um die Schultern.

"Darf ich Ihnen meine Freundin Nava vorstellen? Sie wird demnächst die Kontrolle über die Henotellos in meiner Armee übernehmen."

Ein Mann in einer militärischen Uniform starrte sie wütend an und schlug mit der Faust auf den Tisch.

"Das ist ja wohl ein Witz. Ich bin der Chef des Generalstabes und werde nicht zulassen das ein Bastard unseres großartigen Meisters und seine Hure die Kontrolle über unser Reich an sich reißen. Niemals." Einige andere stimmten ihm kleinlaut zu. Wenn Loke die Situation nicht unter Kontrolle brachte, würde sich aus dem Machtvakuum ein Nachfolgekrieg entwickeln.
Kyrie blickte zu Loke, er musste gewusst haben, dass diese Reaktion eine Möglichkeit war. Was würde er tun? Statt nervös oder gar furchtsam zu wirken lächelte er Kyrie verheißungsvoll an.

"Töte ihn.", flüsterte er kaum hörbar und eine Sekunde später sackte der Mann in seinem Sessel zusammen. Telekinese war vielleicht für längere Kämpfe ungünstig aber für sowas war sie wirklich brauchbar.

Nach dem Tod des Mann waren die anderen still. Keiner wagte zu sprechen oder sich gar zu bewegen. Sie waren Männer, alte wie junge, starke wie schwache, aber jeder von ihnen hing an seinem Leben. Kyrie konnte sich vorstellen wie sie auf andere wirkte. Eine junge Frau von oben bis unten besudelt mit frischem Blut, die blonden Haare teilweise mit dem rot gefärbt, einen abgetrennten Kopf vor sich und einen größenwahnsinnigen Bärenstein neben sich.

Sie musste wie ein Monster aussehen, tatsächlich fühlte sie sich auch so. Zeus grüne Augen tauchen wieder in ihren Gedanken auf, doch ein Blick von Loke und der Anflug eines Gewissens verflüchtigte sich wieder. Loke saß stolz da, glitzernde Augen und glückliches Lächeln im Gesicht. Fasziniert beobachtete sie ihn beim sprechen.

"Ich bin der neue Meister Bärenstein. Lothar Bärenstein der VI, Meister über das glorreiche Land Beerellon, erschaffen von meinen Vorfahren. Ich werde Beschützer und Lenker unserer großen Nation sein und als erstes gegen die Rebellen von OneSheep vorgehen. Sie werde unseren Frieden nicht länger gefährden! Wir werden sie ausrotten und jeden einzelnen Verräter grausam bestrafen. Sie werden sich noch wünschen nie mit dieser lächerlichen Revolution angefangen zu haben!"

Ein kollektives "Lang lebe Meister Bärenstein VI" war die Antwort auf diese Verkündung.
Seine Zuhörer schienen tatsächlich auf Lokes Rede anzuspringen, sie hatten den Tod ihres Kameraden schnell verwunden und stellten sich bereits auf die Herrschaft eines neuen Bärenstein ein.
Und wer weiß möglicherweise war einigen von ihnen bereits klar gewesen, dass der alte Bärenstein nicht länger seinem Amt gewachsen war. Loke verabschiedete die Herren und sperrte die Tür hinter sich zu. Grinsend von einem Ohr zum anderen zog er Kyrie auf die Füße und in seine Arme. Er lachte, schien ungeheuer glücklich, aber Kyrie konnte sich nicht von dem Gefühl befreien etwas falsch gemacht zu haben.

"Was ist denn los, Nava? Du solltest feiern! Immerhin haben wir bekommen was wir wollten."

Unsicher drückte sie sich in seine Arme, hörte sein starkes Herz schlagen. Er erwiderte die Umarmung fest.

"Bin ich böse?", fragte sie stirnrunzelnd. Verwirrt nahm Loke ihr Gesicht in seine Hände, führte es ganz nahe an seines, küsste sie standhaft.

"Du bist perfekt. Scheiß auf Gut und Böse. Vergiss diese bescheuerte Moral. Nur wir beide zählen, nur was wir wollen ist wichtig.", murmelte er an ihren Lippen. Sie hörte seine Worte nicht nur, sie fühlte sie.

Verstand tief in ihrem Inneren, dass sie um zu kriegen was sie wollte, ihr altes Ich vergessen musste. Nur Nava würde den aufkommenden Sturm überleben, Kyrie wäre zu schwach dafür.
Als Loke begann sie im Büro auszuziehen, verlor sie sich mehr und mehr. Wohin würde sie dieser blutige Pfad führen? Zwischen leidenschaftlichen Küssen hörte sie seine Worte nur undeutlich.

"Ich liebe dich Nava, heirate mich!"

Anmerkung der Autorin: Oh mann, jetzt ist mir die Stella abhanden gekommen. Wacht sie wieder auf? Shit, ich hätten den Charakter noch gebraucht. Bin ich blöd =( Naja dann muss ich mir was anderes überlegen. Nächstes Kapitel wieder Brandon....und Reina natürlich. Die beiden kriegt man ja nimmer auseinander :) Bussi LM


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