36. Die Akademie Teil 1

Meine geliebten Kinder
Apollonia, Cornilius, David, Sarah. Ich schreibe diesen Brief um mich von euch zu verabschieden. Ich verlor euch, bevor ich die Chance hatte euch kennenzulernen. Bevor ihr die Chance hattet mich kennenzulernen. Lasst mich euch erzählen wer ich bin. Mein Name ist John Henotello.
Ich bin Briana Henotellos drittes Kind. Ich hatte zwei ältere Schwestern, Nelenia und Sandrine, und zwei jüngere Schwestern, Claudette und ein Neugeborenes, das nie einen Name bekam.
Alle meine Schwestern sind tot. Meine Nichten und Neffen ebenso wie ihr, meine lieben Kinder, sind in den Händen Meister Bärenstein II.
Eine Armee steht zwischen uns. Ich wünsche mir verzweifelt euch zu sehen, ich wünsche mir meinen Nichten und Neffen trost zu spenden. Warum konnten wir keine Familie sein, fragt ihr euch? Nun mein Name hat mich an ein Schicksal der Sklaverei gebunden und damit auch euch. Ich wollte nichts davon würde euch passieren, aber es gibt keinen Weg. Bärenstein wird seine Henotellos niemals gehen lassen.
Als ich jünger war, fragte ich mich oft warum Sandrine unser Leben als Sklaverei bezeichnete, heute ist der Tag an dem ich es wahrhaftig verstehe. Niemals wieder werde ich ein Kind zeugen, niemals wieder werde ich versuchen eine Familie zu haben.
Bärenstein kann euch, meinen geliebten Kindern, den Vater rauben, doch ich kann ihm zukünftige Henotellos vorenthalten.
Lebt wohl meine süßen Kinder. Ich werde euch ewig lieben.
Euer Vater.

Brandon träumte immer noch von der Befreiung Ohamas. Seit zwei Wochen träumte er von nichts anderem mehr. Sie waren nach der offenen Rebellion in Ohama mit Transportern aus der Stadt geflohen. Mit ihnen die Sklaven von Ohama. Brandons Plan hatte perfekt funktioniert.
Die Kinder streuten die Saat und die Erwachsenen ernteten sie.

Traurigerweise hatte es besonders gut funktioniert, weil die meisten der Rebellenkinder ihre Eltern auf der Flucht verloren hatten. Zwar waren deren Verwandte und Freunde immer noch gegen Brandons Befehl, folgten ihm aber dennoch. Ein paar der Kinder kamen mit blauen Flecken zurück, eine Tatsache die Brandons Schuldgefühle noch vergrößerten, aber niemand starb. Er hatte kein Kind auf dem Gewissen, aber etwas wichtiges über sich selbst und seine neue Rolle gelernt. Krieg ließ die Grenze zwischen Gut und Böse verschwimmen, brachte das Schlimmste in deren Teilnehmern zum Vorschein. Reina war es möglich gewesen Deaktivierungscodes im Hauptarchiv zu finden und mit einem Mal alle Chips auszuschalten.

Einige Reden in Schlafsälen und Cafeterien später stand ganz Ohama auf Brandons Seite. Die Menschen waren begierig nach Freiheit, verlangten nach Rache und waren bereit Brandons Hoffnung zu folgen. Sie verließen die Stadt brennend. Einer der Sklaven war eine junge Frau namens Viktoria. Die beinahe achttausend Arbeiter machten sie nach der Befreiung zu ihrer Sprecherin. So begrüßte Brandon ein weiteres Mitglied in seinem Kommandostab. Viktoria war Anfang dreißig, groß, athletisch gebaut und besaß langes weinrotes Haar, das sie zu zwei Zöpfen flocht. An dem Tag als Ohama brannte, war sie an vorderster Front, kämpfte für ihre Freiheit wie eine Wilde. Brandon bewunderte diesen Einsatz.

Die Nachricht von der befreiten Stadt griff schnell um sich und schon ein paar Tage danach erkannte Brandon das seine Armee stetig wuchs. Aber sie waren zu groß umso durch das Land zu ziehen. Bärenstein konnte sie zu leicht erwischen. Am vierten Tag nach der Befreiung hatte Brandon daher alle Teamleiter zu sich gerufen. Unter ihnen: Reina, Crow, Rami, Viktoria, Cassandra, Emilio und noch ein paar mehr. Brandon hatte zusätzlich Nate geholt um Crow zu unterstützen.

Schweren Herzens teilte er seine Teamleiter und seine Armee auf, schickte sie auf unterschiedlichen Routen zu demselben Ort. Sankt Sandrina. Nur Reina würde bei ihm bleiben und mit den übrigen Henotellos der Armee, die Akademie angreifen. Danach wäre die Hauptstadt des Landes ebenfalls ihr Ziel.

Durch Funkgeräte würden die Teamleiter miteinander Kontakt halten können und Brandon gab zusätzlich den Befehl diese Funkgeräte niemand anderem zu zeigen und sie im Falle einer Gefangennahme sofort zu zerstören. Es überraschte ihn immer wieder wie gehorsam die Teamleiter waren, keiner suchte Streit, keiner versuchte seine Autorität in Frage zu stellen, selbst Emilio kooperierte. Sicherlich machte er keine Freudensprünge, aber durch den Sieg in Ohama schien sogar er Hoffnung zu hegen. Müde sah Brandon aus dem fahrenden Auto. Blinzelte in die untergehende Sonne, die das Grün des Waldes zum Leuchten brachte. Ein Mann namens George saß am Fahrersitz und sang ein altes Sklavenlied. Die anderen Arbeiter von Ohama sangen leise mit.

"Wade in the water...", vor Brandons Augen erstreckte sich unendlich viel Wald, aber hier und dort konnte er die elektrischen Zäune der Akademie sehen.

"Halte an. Ich glaube, der Ort passt.", meinte er und wartete bis der Wagen stehen geblieben war, bevor er ausstieg. Seine fünfzig Mann starke Armee stieg leise aus. In Ohama waren auch Waffen produziert und gelagert worden. Bärensteins Waffen waren nun in OneSheeps Händen.

"Was machen wir jetzt Boss?", fragte George gespannt. Der Riese Mitte dreißig packte sein Riffle fester.

"Ich brauche die Henotellos. Alle Henotellos mit Gabe sollen vortreten." Schüchtern traten zehn Menschen vor. Von knapp dreizehn bis zu fünfzig war alles dabei. Neugierig und Ängstlich starrten sie Brandon an. Dieser musste sich wieder klarmachen, dass er nun ein Anführer war, er musste selbstsicher wirken oder ihr Vertrauen würde verschwinden ähnlich seiner Chancen seine Schwestern je wiederzusehen.

"Hinter diesem Zaun sind hunderte unserer Brüder und Schwestern gefangen. Sie werden da drinnen gefoltert und gebrochen. Wir müssen sie da rausholen und ihnen klarmachen, dass sie ihr Schicksal selbst in der Hand haben. Gibt es unter euch jemanden der den elektrischen Zaun lahmlegen könnte?" Ein Mann mitte vierzig, mit Halbglatze und dicker Brille trat vor.

"Ich kann Strom manipulieren, ihn umleiten und aufhalten. Dann müsstest du nur noch den Zaun kappen und ihr wärt drinnen." Brandon nickte. Perfekt.

"Das ist sehr gut. Wie heißt du?"

"Willy."

"Gut, also Willy und ich erledigen den Zaun. Wir werden aber nicht alle durchgehen. Ich nehme fünfzehn Leute mit, der Rest schaltet die Wachen um das Gelände herum aus. In genau einer halben Stunde müsst ihr sie gleichzeitig erledigen. Das ist genug Zeit. Vor Ablauf dieser halben Stunde, darf niemand Verdacht schöpfen."

"Wer geht mit dir rein?", fragte Reina. Sie trug eine schwarze, weite Hose und ein enges schwarzes T-shirt. Die dunklen Haare fielen ihr in Wellen um das Gesicht. Ein Traum in Schwarz. Er biss sich in die Wange und lenkte seine Gedanken auf Reinas Frage.

"Ich nehme acht der Henotellos und sieben Soldaten, die besonders gut schießen können.", die Soldaten sahen sich gegenseitig an und entschieden dann beinahe ohne Reden die beste Wahl. Brandon vertraute auf diese Wahl, er kannte nur sehr wenige von seiner Armee beim Namen und auch wenn er sich bemühte alle kennenzulernen so war es doch bei einer wachsenden Armee vollkommen unmöglich. Entschlossen sah er jedem der Soldaten ins Gesicht.

"Eure Aufgabe ist es die Henotellos zu schützen. Wenn wir die Gefangenen dazu bringen wollen zu kämpfen, brauchen wir sie um jeden Preis. Sucht euch einen Henotello aus und seid deren Bodyguard."

"Dann wäre das ja geklärt, los geht's.", meinte Reina und griff nach ihrer Waffe. Brandon hielt sie auf.

"Du bleibst draußen. Ich brauche dich für die Koordination der Angriffe von außerhalb."

"Aber.."

"Nein. Das ist deine Aufgabe. Deshalb hab ich dich mitgenommen." Reina seufzte.

"Na gut.", sie legte ihre Händen an ihre wohlgeformten Hüften und zog die Augenbrauen fragend nach oben.

"Nur deshalb?" Mit einem schiefen Lächeln auf den Lippen zog Brandon sie an sich, küsste sie vor versammelter Truppe und flüsterte:

"Und deshalb, natürlich. Ich liebe dich." Sein Herz füllte sich mit Liebe als er in ihre dunklen Augen sah. Er konnte sein Gesicht in ihnen sehen, konnte spüren wie seine Gefühle erwidert wurden.

"Ich liebe dich auch. Pass auf dich auf." Brandon nickte.

"Du auch." Er wandte sich wieder seinen Leuten zu.

"Macht euch bereit. In fünf Minuten gehen wir los. Reina um 18:00 legst du los. Keine Sekunde früher." Pflichtbewusst salutierte sie vor ihm.

"Verstanden, Schatz. Wird gemacht." Als sie den Zaun wenig später erreichten, hatten sie das verräterische Summen bereits Meter vorher gehört. Unbehaglich sah Brandon seine Henotellos an. Unter ihnen waren zwei Jugendliche von etwa sechzehn Jahren, drei in ihren Zwanzigern, einer in seinen Dreißigern und zwei Mitte vierzigjährige, darunter Willy. Sie alle trugen Kleider in bedeckten Farben wie braun und grün, doch war es keinesfalls Tarnkleidung. Sie würden auffallen und Brandon wusste noch nicht mal was er dagegen tun konnte. Er blickte einem unausweichlichen Kampf entgegen, führte diese Menschen wissend hinein. Das schlechte Gewissen plagte ihn wieder. Willy legte zitternd eine Hand auf den summenden Zaun.

"Hui, das sind eine Menge Volt. Wir müssen uns beeilen.", meinte er und nickte dann Brandon zu. Dieser benutzte die Drahtschere um ein Loch in den Zaun zu schneiden.

Vorsichtig schlüpften sie hindurch und liefen durch den stillen Wald. Als sie zur Baumgrenze kamen befahl Brandon in Deckung zu gehen. Neugierig sah er sich die Akademie an. Mehrere graue Gebäude standen auf der Lichtung. Kaum jemand war außerhalb der Gebäude zu sehen. Es war verdächtig still. Hier also lebte seine Schwester, endlich würde er sie wiedersehen. Das Herz hämmerte nervös in seiner Brust, Aufregung und Angst ließen ihn schwitzen. Geräuschlos umrundeten sie die Gebäude nahe der Baugrenze bis Brandon zwei Männer im Schatten eines der Gebäude sah. Sie trugen beide die Uniform von Bärensteins Armee. Der eine war Blond, der andere Rothaarig.

"Sollen wir sie überwältigen?", fragte Willy zittrig. Brandon sah den Mann an und wusste, dass er niemanden überwältigen konnte. Willys Bodyguard, eine junge Frau mit einem entschlossenen Gesichtsausdruck schon ihn stumm hinter sich. Brandon hatte nun mehrere Optionen, er konnte die Männer überwältigen, sie töten oder mit ihnen reden. Aber er musste sich schnell entscheiden, die Zeit lief. Sein Griff um die Waffe wurde fester, doch dann sah er wie sich die jungen Männer zärtlich küssten. Sie hielten einander fest wie Ertrinkende im weiten Meer. Brandon erkannte so viel Verzweiflung und Liebe in ihrer Umarmung. Kurzerhand traf er eine Entscheidung, trat aus dem halbdunkle des Waldes und lief immer im Schatten der Gebäude versteckt auf die Männer zu.

Diese waren so miteinander beschäftigt, dass sie das Herannahen von Brandons kleinem Trupp erst bemerkten, als sie bereits umzingelt waren. Sie erschraken und stellten sich Seite an Seite gegen die Angreifer. Brandon hob die Faust, gab damit seinen Leuten das Zeichen ruhig und wachsam zu bleiben.

"Wer seid ihr!?", zischte der blonde Mann ärgerlich. Seine Hand lag in der des Rotharrigen. Gerührt betrachtete Brandon sie. Homosexualität war in Bärensteins Diktatur nicht erlaubt und wurde streng verfolgt. Was diese Männer taten war unglaublich gefährlich, denn selbst ihr Henotellostatus würde sie nicht vor einer Exekution schützen. Dennoch wagten sie es zu lieben. Der Mut hinter dieser Aktion war beinahe so groß wie die Dummheit. Aber was wusste Brandon schon über verbotene Liebe. Seine Liebe zu Reina war niemals gefährlich oder verboten gewesen. Möglicherweise hätte er so wie sie gehandelt, wäre sie es. Er konnte sich nicht vorstellen Reina nie wieder zu küssen oder zu halten.

"Ich heiße Wolf. Wir sind von OneSheep und haben vor euch zu befreien." Die Männer starrten ihn ungläubig an. "Uns befreien?", fragte der blonde zögerlich. Hörte Brandon da Hoffnung in seiner Stimme? Er nickte zustimmend.

"Wie heißt ihr?" Der Blonde warf einen Blick auf seinen Freund und wandte sich dann wieder an Brandon.

"Mein gegebener Name ist Viktor. Das ist Sergei. Wir haben von dir gehört. Du hast Ohama befreit." Brandon lächelte schief.

"Nicht ich alleine. Wir haben zusammengearbeitet."

"Und jetzt hast du vor uns von hier wegzuholen? Du und dein kleiner Trupp hier? Bist du verrückt?"

"Ein bisschen sicher. Die Hälfte der Leute hier bei mir sind Henotellos mit Gaben. Und meine restliche Truppe ist draußen und schaltet in zwanzig Minuten alle Wachposten aus. Ich möchte mit den Henotellos sprechen und sie davon überzeugen sich uns anzuschließen. Macht ihr mit?" Viktor und Sergei sahen einander kurz an und nickten dann gleichzeitig.

"Auf jeden Fall. Außerdem hast du Glück. Wegen Ohama gibt es eine Notversammlung aller Henotellos im Speisesaal. Die meisten Kommandeure wurden nach Sankt Sandrina beordert um über eine Strategie für einen Gegenangriff zu feilen. Eine Frau namens Magenta hat den Vorsitz bei der Notversammlung, aber soweit wir wissen ist sie noch nicht dort. Wir können sie aufhalten und du kannst mit den Menschen drinnen sprechen. Ihr müsstet vorher nur die Wachen vor und im Saal töten. Aber danach steht dir nichts im Weg. Bärenstein hält diese Einrichtung für unantastbar."

Glücklich lächelte Brandon. Die Situation könnte nicht besser sein. Nun hoffte er nur so charismatisch zu sein, wie alle sagten und die Henotellos überzeugen zu können. Viktor schlüpfte langsam aus seiner Jacke und gab sie Brandon.

"Die Wachen achten nur auf diese Jacken, noch nie hat jemand die Akademie angegriffen, mit diesen Jacken habt ihr einen Überraschungseffekt. Der Speisesaal ist das dritte Gebäude von links, es ist das einzig Runde Gebilde weit und breit. Reinkommen müsst ihr über den Verwaltungstrakt, der ist wieder eckig. Es gibt überall Schilder, also keine Sorge." Dankbar nahm Brandon die Jacke entgegen, zog seine eigene aus und gab sie Viktor. Sergei gab seine Jacke einer der Jugendlichen aus Brandons Team. Das Mädchen nahm sie schüchtern entgegen. Zweifelnd sah Viktor die zwei Jugendlichen an.

"Bist du sicher, sie wissen wie ihre Gaben funktionieren?" Der zweite Jugendliche, ein Junge namens Bass nickte vehement. Er war sechzehn und damit ein Jahr älter als das Mädchen.

"Meline und ich können unsere Gaben beherrschen." Viktor schüttelte den Kopf, als wüsste er das dies nicht wahr war und schwieg trotzdem. "Viel Glück.", sagte Viktor ruhig und wandte sich zum gehen, doch Brandon hatte noch eine wichtige Frage. Etwas das seine Seele brennen ließ.

"Kennt ihr ein Mädchen namens Kyrie? Wisst ihr wo sie ist?" Sergei schüttelte den Kopf und erhob das erste Mal seine Stimme. Ein tiefer Bariton, eine Wohltat für die Ohren.

"Wir bekommen neue Namen, wenn wir die Tests bestehen. Nur die Vorgesetzten kennen unsere richtigen Namen. Uns wird verboten sie jemals wieder auszusprechen."

"Wir müssen los, sonst ist Magenta vor uns im Speisesaal. ", gab Viktor zu bedenken und drängte seinen Freund zu einem grauen Gebäude, das etwas außerhalb stand. Ein Schild mit dem Wort "Reproduktionshaus" versprach Albträume. Schweren Herzens führte Brandon seinen Trupp zu dem Gebäude auf dessen Schild "Verwaltung" stand und trat ein.

Meline konnte Illusionen erschaffen und nutze ihre Gabe nun um die Wachen davon zu überzeugen, dass sie gar nicht da waren. Die Soldaten seiner Truppe mordeten sich dann von Wache zu Wache. Es war keine schöne Aufgabe und Brandon spürte die Schuldgefühle beim veranlassen der Morden und konnte doch keine Alternative finden. Es herrschte Krieg. Mit den Schuldgefühlen seiner Taten könnte er sich beschäftigen, wenn der Krieg vorbei war und endlich Frieden herrschte. Ihre Taktik war gut und niemand schlug Alarm oder verwickelte sie in einen unnötigen Kampf. Unbehelligt erreichten sie den Speisesaal. Ein Mann Mitte zwanzig trat vor.

"Ich kann durch Wände sehen, ist vielleicht in einem Kampf nicht so hilfreich, aber ich könnte sehen, was uns hinter der Tür erwartet."

Brandon nickte dankbar, er hatte bei der Auswahl der Henotellos nicht wirklich eine Wahl gehabt. Die zwei zurückgebliebenen waren ein Mann Mitte sechzig, der beinahe blind war und ein Junge von knapp zwölf Jahren, der seine Gabe noch nicht unter Kontrolle gehabt hatte. Brandon hatte wie immer auf sein Glück und natürlich die Eigeniniative seiner Leute gehofft.

Der junge Mann legte seine dunklen Hände an die Tür und schloss die Augen. Einige furchtbar lange Sekunden hielt Brandon den Atem an. Was würde hinter dieser Türe auf sie lauern? Hatten Viktor und Sergei die Wahrheit gesagt? Zweifel brannten darauf Brandons Geist zu überwältigen, doch wütend schluckte er sie hinunter. Er hatte fünfzehn Menschen die auf ihn zählten, er konnte sich weder Zweifel noch Angst erlauben.

"Ein runder Raum, voller junger Menschen. Acht wachen stehen um sie herum an den Wänden. Irgendwie wenig Sicherheitsmaßnahmen, wenn ihr mich fragt. In der ersten Reihe scheinen die einzigen Erwachsenen zu sitzen. Ein alter Mann, eine rothaarige Frau und ein Typ neben ihr.", erklärte der junge Mann und zog die Augenbrauen skeptisch nach oben. Brandons Hände umklammerten seine Pistole.

"Es ist wie Viktor gesagt hat; noch niemals zuvor hat jemand die Akademie angegriffen, zudem werden diese Wachen vielleicht Henotellos sein. Ihre Gaben werden sie doppelt gefährlich machen."

"Unser Plan?", fragte Willy unsicher. "Wir brauchen etwas, das schnell mehrere Leute außer Gefecht setzt." Brandon sah seine Henotellos an, wartete das einer seine Gabe vorschlug. Die etwa dreißig- jährige trat vor. Sie hatte leichtes Übergewicht und schwitzte stark. Die Nervosität ließ sie stottern.

"Ich...ich kann einen...einen Nebel erschaffen, der...naja der Leute zum...zum Schlafen bringt." "Kannst du ihn gezielt einsetzten?", fragte Brandon neugierig. Die Frau schüttelte den Kopf unsicher.

"Ich dachte, weil....naja weil die Wachen alle am Rand....des...des Raumes stehen, könnte ich den Nebel am Rand...entlang gleiten lassen und sobald....sobald die Wachen schlafen wieder einsaugen." Ein Plan formte sich in Brandons Kopf. Einer der tatsächlich funktionieren könnte. "Okay. Willy, du schaltest die Lichter aus. Dann kommst du dran, wie war noch mal dein Name."

"Mable."

"Also Mabel macht ihr Nebel- Ding. Zur Sicherheit sorgst du, Meline, dafür das die Wachen uns wirklich nicht sehen können. Alles klar. Soldaten macht euch gefasst. Sollte etwas schiefgehen, müsst ihr schnell und präzise schießen."

Alle nickten, alle vertrauten auf ihn. Brandon fühlte sich unglaublich mächtig und schwach zugleich. Mit wild klopfenden Herzen gab er das Zeichen zum Angriff.


Viktor und Sergei
"Glaubst du er schafft es wirklich?", fragte Sergei leise und griff nach Viktors Hand. Dieser erwiderte den Druck ermutigend.

"Ich hoffe es sehr, aber egal was passiert, wir haben für unser Leben gekämpft."

"Für unsere Liebe.", bestätigte Sergei und lächelte schüchtern. Viktor kam sich wie der glücklichste Mann auf Erden vor und auch wie der unglücklichste. Er stand mit der Liebe seines Lebens vor der Babyfaktory und wartete auf Magenta, die sie möglicherweise töten würde. Die Chancen aus dieser Aktion lebend rauszukommen, waren so groß wie das Gegenteil davon.

Aber am Ende würden sie sagen können, niemals aufgegeben zu haben. Niemals. Seit einigen Monaten musste sowohl Viktor wie auch Sergei in der Babyfaktory mit einer Reproduktionspartnerin arbeiten. Es fiel ihnen beiden schwer dem Befehl nachzukommen. Sergei sehr viel mehr als Viktor. Viktor hatte das Glück Masako als Partnerin bekommen zu haben. Eine gute Freundin. Aber natürlich war auch sie nicht besonders glücklich über den Befehl. In genau diesem Moment befand sich Masako in der Babyfaktory und wurde untersucht, offenbar würde Viktor bald Vater werden und diese Tatsache feuerte seinen Kampfwillen noch zusätzlich an.

Masako war seine beste Freundin, ein guter Mensch, sie verdiente es nicht wie Zuchtvieh behandelt zu werden. Keiner von ihnen verdiente es. Wenn Wolf sein Wort hielt, könnten sie frei sein und zu dritt dieses Kind aufziehen. Ihm ein gutes und sicheres Zuhause geben.
Viktor lächelte seinen Freund hoffnungsvoll an. Sie hatten diese Chance verdient. Grinsend kam Magenta aus dem Albtraumgebäude, hinter ihr Mr. Good, in einem schwarzen Anzug, dessen rotbraune Flecken von getrocknetem Blut kündeten. Ebenfalls grinsend. Ihrem Aussehen nach zu schließen hatten die beiden gerade irgendeinen kranken Spaß gehabt.

Viktor wollte sich gar nicht ausmalen, was diese beiden Monster in der Babyfaktory getan hatten; Babys quälen oder werdende Mütter foltern. Kalt lief es Viktor den Rücken herunter, ließ ihn angewidert frösteln. Magenta bemerkte sie als erste und blieb auf den Stufen des Gebäudes stehen, bedachte sie mit einem verächtlichen Grinsen.

"Was habt ihr beide hier zu suchen? Ihr solltet längst mit den anderen im Speisesaal sein." Mr. Good stellte sich grinsend neben sie, sah begierig auf ihre verschränkten Finger.

"Ich glaube, die Zwei wollen dir etwas beichten, meine Liebe.", meinte er in dieser unerträglich rauchigen Stimme. Seine dunklen Augen schimmerten wild.

"Ah ihr seid zwei Schwuchteln. Seid ihr hier um eure gerechte Strafe zu bekommen. Das ist aber nett von euch."

"Nein, wir sind hier um euch aufzuhalten. Ihr werdet uns nicht länger wehtun!", schrie Viktor ihnen entgegen. Es war ein befreiendes Gefühl. Ohne weitere Worte an diese Unmenschen zu verschwenden, nutzte Viktor seine Gabe um die Luft aus dem Umfeld seiner Gegner zu ziehen und langsam ein Vakuum zu schaffen. Nach monatelangem Training beherrschte er seine Gabe im Schlaf. Er wähnte sich schon siegessicher als Magenta eines ihrer Messer warf und dieses trotz seines schnellen Ausweichens in seinem Bein stecken blieb. Glühender Schmerz zuckte durch seinen Körper und er verlor die Kontrolle über seine Gabe, hielt sich stattdessen sein blutendes Bein.

Das Messer steckte in seinem Oberschenkel, stoppe dadurch den Blutverlust, sorgte aber auch für immense Schmerzen. Viktor atmete zittrig ein und aus. Sergei reagierte sofort, erschuff ein Kraftfeld um Magenta und Mr. Good.

"Viktor, ich brauche dich.", gestand Sergei hektisch atmend. Er konnte bei weitem nicht so gut und flüssig mit seiner Gabe umgehen, wie es sein Ausbildungsstand eigentlich vermuten lassen würde. Während Magenta und ihr Geliebter wie wahnsinnig gegen das Kraftfeld kämpften, entzog Viktor ihnen die Luft. Es schien zu funktionieren. Ihre Gegner wurden blass und schrien ihre Wut unhörbar durch das schalldichte Kraftfeld. Viktor sah sich schon triumphieren, doch dann bemerkte er Mr. Goods Blick, folgte ihm mit einer bösen Vorahnung. Dieser Blick war auf Sergei gerichtet, der zitternd und schwitzend neben ihm stand.

"Sergei, egal was er dir zeigt es ist nicht real!", beschwor er seinen Freund durchzuhalten, aber es half nichts. Sergeis Kraft ließ nach und das Kraftfeld fiel in sich zusammen. Wie eine Salzsäule stand Sergei neben ihm, erstarrt, verletzbar. Auch Viktors Kraft reichte nicht aus um ohne Sergeis Unterstützung weiterzumachen. Wütend schnappte Magenta nach Luft und begann auf sie zuzugehen.

Ein grausames Lächeln im Gesicht. Sie hatten keine Waffen, eine Berührung Magentas und alles wäre aus. Ihre Gabe würde sie beide lahmlegen und damit ein Todesurteil verkünden. Panisch suchte Viktor nach einem Ausweg und fand ihn schließlich. Magentas Messer steckte immer noch in seinem Bein. Mit zusammengebissenen Zähnen zog er es aus seinem Fleisch und warf. Magenta war beinahe bei ihnen und blieb plötzlich stolpernd stehen. Alles war ruhig, die Welt blieb stehen. Viktor warf ihr einen triumphierenden Blick zu und sah dann zu Mr. Good.
Das Messer steckte bis zum Anschlag in seiner Brust. Röchelnd versuchte er es mit seinen schwachen Armen herauszuziehen, aber vergebens. Ein seltsames Lächeln im blassen Gesicht sah er zu seiner Geliebten. Magenta schrie. Sie schrie laut und lang, rannte verzweifelt zu Mr.Good, fing ihn auf als er zu Boden fiel.

"Sergei, wir müssen weg. Bitte hilf mir.", flüsterte Viktor und versuchte sich hochzustemmen, aber mit seinem verletzten Bein klappte das nicht. Blinzelnd kam Sergei aus seiner Erstarrung und half Viktor aufzustehen. Viktor stützte sich auf seinen Freund, bemerkte die blutigen Handflächen, in denen Sergeis Nägel seine Haut durchbrochen hatten. Mr. Goods Gabe war für viele ein Mysterium, aber jeder wusste, wer in seine Augen sah, erlebte nie gekannte Schrecken. Langsam, aber so schnell wie sie konnten liefen sie zum Speisesaal und hofften, dass sie Brandon genug Zeit verschafft hatten. Mehr ging nicht.


Jemand stand an einem Fenster der Babyfaktory und beobachtete den Kampf der vier schockiert. Als Mr. Good in Magentas Armen starb, freute sich dieser Jemand und beschloss, es Viktor und Sergei nachzumachen. Wütend wurden die Krankenschwestern und Hebammen überwältigt, schnell wurden Zellen und Räume geöffnet und entschlossen wurden die Schwangeren und jungen Mütter aus der Babyfaktory geführt. Magenta hatte bereits die Verfolgung ihrer Gegner aufgenommen und würde sie bald gefunden und getötet haben. Das durften sie nicht zulassen. Viktor und Sergei hatten sich gegen Magenta gegstellt, gegen das Regime. Sie hatten für sie gekämpft. Also würden sie nun für sie kämpfen. Mit festen Schritten liefen die Gefangenen der Babyfaktory Magentas Spur nach.

Der Speisesaal war ihr Ziel.

Anmerkung der Autorin: So wieder ein Teil geschafft. Sorry, aber das Kapitel ist einfach riesig, wenn ich euch das als ganzes vorsetze, ist das viel zu viel. Und ein bisschen Spannung muss ja auch sein. Bis zum nächsten Mal. Bussi LM

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