32. Splitter
Liebe Nelenia,
ich bringe frohe Nachricht. Unsere Pläne einen unterirdischen Keller für die Rebellion anzulegen gedeihen. Ich habe einen vertrauenswürdigen Baumeister gefunden, der unsere Pläne finanzielle unterstützen möchte.
Endlich gibt es Fortschritte. Ich weiß seit Bärenstein II an der Macht ist, ist es für niemanden leicht. Seine Kontrolle ist sogar noch härter, aber ich will mich nicht geschlagen geben.
Wir können es schaffen!
Für Sandrine und all die anderen Ermordeten von diesem Wahnsinnigen.
Ich möchte, dass du diesen Baumeister kennenlernst, dir selbst ein Bild von ihm machst. Ich habe noch ein paar andere Sponsoren gefunden und Kämpfer.
Noch etwas, allerdings hat es nichts mit unserer Rebellion zu tun.
Ich werde heiraten. Kristof, der Sohn des Schmieds. Könntest du dabei sein? Ich weiß es ist gefährlich wenn man uns öfter zusammen sieht, aber du bist meine Schwester. Die einzige, die ich je hatte und ich möchte dich an diesem Freudentag bei mir haben.
Denk darüber nach. In Liebe deine Isla
Kyrie betrat den Ballsaal. Ihr Magen schmerzte wegen der Krämpfe, die Beine fühlten sich wacklig an. Dennoch hielt sie ihr Kinn in die Höhe und versuchte sich ihre körperliche Reaktion auf die Morde nicht anmerken zu lassen. Genugtuung durchströmte sie als ihr Blick über die am Boden liegenden Toten schweifte. Der Zorn hatte auf ihrem Weg zum Ballsaal nachgelassen, ihre Motivation war geblieben. Die Sonne war vollends untergegangen, der Ballsaal wurde nur durch die elektrischen Kronleuchter erhellt.
Außer dem Brautpaar trugen alle Gäste Militäruniformen und einige hielten Waffen in ihren leblosen Händen. Ein Kampf hatte stattgefunden. Die Rebellen hatten wohl versucht sich gegen Kyries Teams zu wehren. Erfolglos. Der Boden war rutschig vom roten Blut, das langsam aus den Leichen der Hochzeitsgäste sickerte.
Padme saß am Buffettisch und aß Torte während neben ihr eine Leiche lag. Padmes Grinsen nach zu urteilen, war sie über die Maßen glücklich. Eine Gänsehaut wanderte über Kyries Arme als sie an dem blutbesudelten Mädchen vorbeiging. Stella und Darwin hatten sich in den hinteren Bereich des Saales verzogen, wuschen sich mit nassen Lappen das Rot von ihren Gesichtern.
Ein Blutbad, eine Monstrosität, doch Kyrie ignorierte all dies.
Ihre Aufmerksamkeit galt Leon, der grinsend vor einem jungen, schreienden Mann stand. Seine Schreie hallten durch den Ballsaal, waren ohrenbetäubend und nervenzerreißend zugleich. Antonio verbrannte gemächlich die Haut des Teenagers, versuchte dabei keine tödlichen Wunden oder Schock auszulösen. Das Ziel waren Schmerzen, unvorstellbare Qualen. Offenbar war dies ein Verhör. Mit präzisen Schritten stieg Kyrie über die toten Körper der Braut und des Bräutigams. Die beiden Verliebten hielten einander selbst im Tode fest umschlungen.
"Warum hilft Padme nicht?", fragte Kyrie als sie bei Leon ankam.
Schließlich war diese von dem Foltermeister Mr. Good persönlich ausgebildet worden. Kyrie wusste zwar nicht ob sie ihre Ausbildung beendet hatte, bevor sie an die Front geschickt worden war, doch müsste sie trotzdem eine Hilfe in diesen Situationen sein. Leon wandte sich sofort ihr zu, warf die Arme um ihren Oberkörper und wirbelte sie lachend herum.
"Du warst fantastisch!! Schnell, effizient und wunderbar!! Nicht schlecht für deinen ersten Einsatz."
Leon ließ sie wieder runter, schuf jedoch keinen Abstand zwischen ihnen. Im Gegenteil, vor versammelter Truppe, küsste er sie leidenschaftlich. Kyrie ließ es zu, sah zu den Kronleuchtern und dachte an Roses totes Lächeln. Da war kein Interesse in ihr, auch keine Erregung. Sie spürte weniger als an diesem Morgen. Ein Teil von ihr war im Keller gestorben und erst danach hatte sie begriffen, dass sie ihn verlieren könnte. Leons schien zu merken, dass Kyrie ihm nicht mit ebenwürdiger Erregung entgegenkam und ließ sie los. Aufgeregt wie ein Schuljunge zog er sie dennoch zu seinem Gefangenen, weigerte sich ihre schlaffe, eiskalte Hand loszulassen.
"Er will nicht brechen. Padme verhört ihn telepathisch, Antonio sorgt dafür das der Schmerz von außen Druck erzeugt, aber noch hält er dicht."
Mit mäßigem Interesse besah Kyrie sich den jungen Mann näher. Er hatte braune, schulterlange Haare und eine dunkle Hautfarbe. Die Augen waren unter den Schmerzen zusammengepresst, ebenso war der Mund zu einer angestrengten Linie verzogen. Er schwitzte, zitterte, weinte.
Kyrie schätzte ihn auf etwa achtzehn, selbst die Uniform schien ihm noch zu groß. Wie aus dem nichts blitzte das Bild ihres Bruders vor Kyries geistigem Auge auf. Er würde ebenfalls bald achtzehn werden. Ohne den Blick von dem Jungen zu nehmen, sprach sie Leon an.
"Wieso folterst du ihn? Ich dachte, der Befehl war es keine Gefangenen zu machen."
Leon nickte, hockte sich vor seinen Gefangenen und strich ihm beinahe liebevoll über die Wange. Der Junge zuckte zusammen, schien nur die Schmerzen von Antonio und Padmes Folter zu spüren.
"Ich weiß, aber normalerweise ist ein Kampf auch nicht so einfach und schnell beendet. Wer hätte ahnen können das die hier so dämlich sind eine Hochzeit zu veranstalten. Wir haben hier ein tolles Exemplar, dass uns vielleicht noch etwas erzählen kann."
Leon stand wieder auf, sah Kyrie fordernd ins Gesicht.
"Wo ist die Leiche des Henotellos?" Abwehrend verschränkte Kyrie die Arme.
"Im Keller. Der Henotello hat etwas merkwürdiges gesagt. Sie meinte sie würde lieber in eine unterstützende Einrichtung was soll das bedeuten?" fragte Kyrie, den Kopf schräg gestellt. Es gab so vieles dass sie noch nicht wusste. Wenn sie ihr Ziel erreichen und alle Rebellen ins Jenseits bringen wollte, würde sie mehr über deren Organisation herausfinden müssen. Unwissen konnte tödlich sein.
"Oh ja das. Offenbar teilen die bei OneSheep ihre Lager in militärisch und unterstützend ein. Du siehst es ja hier. Nur ein kleines Essenslager, viele Waffen, nur eine kleine Notkrankenstation. Kein großes Lager für Material, Equipment. Keine Kinder oder Jugendliche. Rein militärisch."
Unsicher sah sie den Jungen vor sich an. Er kam ihr sehr wohl wie ein Kind vor. Dicke Tränen rannen ihrem Gefangenen über die schmutzigen Wangen.
"Er kommt mir noch sehr jugendlich vor.", meinte sie deshalb abschätzend.
"Mein Gott, du wirst doch kein weiches Herz hinter diesen mörderischen Tendenzen verbergen, oder?", giftete Padme während sie vom Buffettisch zu ihnen schlenderte. Kyrie zuckte nur mit den Achseln, sie war sich nicht sicher ob sie überhaupt ein Herz besaß.
"Leon, ich glaube er ist gleich soweit." Padme lächelte zufrieden.
"Bitte, bitte, aufhören, bitte.", bettelte der junge Mann vor Kyrie und schniefte laut. Selbstzufrieden gab Leon Antonio ein Zeichen aufzuhören und räusperte sich.
"Ich bin Pythonissam-Teamführer Leon Bärenstein und wie heißt du?"
Ihr Gefangener öffnete langsam die Augen, sie waren von einem intensiven grün. Wunderschön, dachte Kyrie, als sie hineinsah.
"Dr...Drake. Ich heiße Drake. Bitte keine Schmerzen bitte." Drake begann wieder zu weinen und sah sogar noch jünger aus. Etwas in Kyrie regte sich, noch zu klein um sie zum Handeln zu zwingen, aber sie fühlte sich plötzlich unwohl in Drake Gegenwart. Ein gönnerhaftes Lächeln zeigte sich auf Leons Gesicht.
"Freut mich dich kennen zu lernen Drake. Tut mir leid das wir eure kleine Party gesprengt haben." Drake antwortete darauf nichts doch ein Fünkchen Wut zeigte sich in diesen wunderschönen grünen Augen.
"Ich würde gerne wissen wo ich deine Freunde finden kann. Denkst du, du könntest mir verraten wo sie versteckt sind?"
Hektisch schüttelte Drake den Kopf, sein zittern wurde heftiger. Da war ein wenig Schaum vor seinem Mund und die Hände verkrampften sich zu krallen. Leon gab Antonio wieder ein Zeichen. Bevor dieser seine brennende Hand auf das Wunde Fleisch des Gefangenen legen konnte, schritt Kyrie ein. Telekinetisch schubste sie Antonio weg und hockte sich vor Drake, nahm seinen Kopf zwischen ihre Hände. Sanft strich sie über seine nassen Wangen, hielt Augenkontakt und wartete bis der Junge sich genügend beruhigt hatte um ihren Worten folgen zu können.
"Sie mich an Drake. Ich heiße Ky..Nava. Ich werde dir nicht wehtun. Sie mich einfach an, alles wird gut."
Telepathisch erreichte sie ihn, erkannte das Trümmerfeld das Padme in seinem Geist hinterlassen hatte. Es war ein Wunder, das Drake überhaupt noch reden konnte. Vorsichtig um Padmes Verdacht nicht zu erregen, baute sie Drakes Geist auf. Verscheuchte die Angst und die Schmerzen, ließ ihn Geborgenheit spüren. Als er ihr vertraute, begann sie zu reden.
"Drake. Weißt du wo sich die Einrichtungen von OneSheep befinden?"
"Ja! Nein, bitte! Nichts verraten, nichts." Wieder flossen Tränen. Es war eine Gradwanderung, zu viel Druck und der Junge wäre nutzlos, zu wenig und er würde gar nichts sagen. Sein Geist war bereits unrettbar verloren, von Padmes Metzgerei ein dunkles Gebilde aus Schmerz und Wahnsinn. Leon knurrte ungeduldig. Aus den Augenwinkeln sah Kyrie Darwin und Stella zum Rest des Teams kommen.
"Lass mich,..", begann Padme und schob sich hinter Kyrie um wieder eine Verbindung zu Drake aufzubauen.
"Nein. Du hast schon genug angerichtet. Dich überlebt der Junge nicht nochmal."
Leon packte Padme an den zierlichen Schultern und schob sie wieder hinter sich, ließ Kyrie Raum zum arbeiten. Angespannt biss diese sich auf die Unterlippe.
"Drake. Wie wäre das: wir machen einen Kompromiss, okay? Du erzählst mir nur von einer Einrichtung. Nur einer, kleinen Einrichtung. Daran ist nichts schlimmes. Wir sind doch Freunde. Du kannst es mir verraten."
Kyrie hoffte ihr Lächeln war so freundlich wie sie es sich vorstellt und das Drake auf ihre sanfte Stimme ansprang. Tatsächlich atmete der Junge langsam und gleichmäßig durch und blickte ihr tief in die Augen. In seinem Geist, sah sie das Hochzeitspaar, ein Mädchen, dessen Lächeln zu strahlen schien und eine überdachte Lagerhalle, in der ein versteckter Tunnel in einen Bunker führte.
"Ohama, vor Ohama. Lagerhalle. Bunker. Fahrzeuge, Busse."
"Wir brauchen was Genaueres.", zischte Leon unbeherrscht. In Drakes Kopf sah Kyrie Koordinaten.
"Sprich sie aus und du wirst nie wieder Schmerzen leiden müssen.", telepathierte sie dem verletzten Jungen vor ihr. Unsicher ratterte Drake die Zahlen hinunter. Darwin schrieb sie auf.
"Da geht noch mehr! Los frag weiter!", verlangte Leon und legte eine Hand auf Kyries Schulter. Er tat ihr nicht weh, übte aber genug Druck aus um seine Worte zu verdeutlichen.
"Ich muss geduldig sein."
"Scheiß auf Geduld. Sag mir was ich wissen will!", stieß Padme wütend hervor und drang mit einem einzelnen telepathischen Schlag tief in das Bewusstsein des Jungen ein.
"Nein!", schrie Kyrie während gleichzeitig der Junge schrie. Er brüllte lauter und leidvoller als je zuvor. Das Geräusch des entweichenden Lebens. Drake verkrampfte sich und wurde dann sehr still. Die Atmung war kaum wahrnehmbar.
"Was ist passiert?", fragte Padme verwirrt, hielt sich den scheinbar schmerzenden Kopf. Leons Blick wechselte von ihr zu Kyrie und dann weiter zu seinem wertvollen Gefangenen. Verwirrt öffnete Kyries Vorgesetzter seinen Mund, doch kein Laut kaum hervor. Die Augenbrauen zusammengezogen beobachtete er wie Kyrie sanft über Drakes Gesicht strich.
Dessen Augen waren geschlossen, sein Körper zusammengesagt. Da war keine Anspannung mehr in ihm. Sein Gesicht hatte fast etwas Friedvolles. Vorsichtig verband sich Kyries Geist mit seinem. Vor ihrem inneren Auge sah sie Drakes zersplittertes Bewusstsein. Padmes telepathischer Schlag hatte das davor schon sehr instabile Konstrukt von Drakes Verstand gesprengt. Überall erkannte Kyrie Splitter seiner einstigen Persönlichkeit, seiner Erinnerungen. In diesem Augenblick verspürte sie tatsächlich Traurigkeit. Das Gefühl war so intensiv, dass es ihr für einen Moment den Atem raubte. Die Übelkeit kam wieder, doch dieses Mal kämpfte Kyrie mit alles was sie hatte gegen den Drang sich zu übergeben. Sie konnte sich eine Schwäche gegenüber ihrer Kameraden nicht leisten. Ungelenk stand sie auf und drehte sich zu Padme.
Wie immer fand sie Kraft in ihrem Zorn.
"Du hast ihn nutzlos gemacht!", schrie sie das schmale Mädchen an. Diese sah ihr nur verwirrt entgegen. "Ich...ich hab doch nur getan was Leon wollte!"
"Und selbst dabei nicht nachgedacht. Er war schon am Rande des Wahnsinns. Dein telepathischer Schlag hat ihm den Rest gegeben."
"Was? Aber..." Kyrie schubste das Mädchen, hörte nicht auf, verlor sich im Sturm ihrer Wut.
"Was zur Hölle hat dir Mr.Good beigebracht? Wie man Gefangene unbrauchbar macht? Du bescheuerte kleine Sadistin!"
Padme wehrte sich immer noch nicht, ließ sich nur weiter schubsen, zu geschockt von ihrem Fehler, zu ängstlich wegen einer Bestrafung. Erst als Kyrie ihr eine schallende Ohrfeige verpasste, reagierte die kleinere Frau und schlug zurück.
"Das reicht jetzt.", versuchte Leon dazwischen zu gehen, erntete nur einen wütenden Blick und einen Telekinetischen Block von Kyrie. Diese stürzte sich auf Padme, knurrend und wild vor blindem Zorn.
Die jungen Frauen landeten auf dem ohnehin schon rutschigen Boden und schlugen brutal aufeinander ein. Padme war Kyrie körperlich unterlegen, wurde unbarmherzig zusammengeschlagen. Der Rest des Teams sah gebannt zu, dieser Konflikt hatte sich über Wochen hinweg gebildet und würde nun seinen Höhepunkt haben. Wer siegreich daraus hervorging würde in der Hierarchie der Truppe eine Stufe nach oben wandern. Antonio feuerte die Kämpfenden mit lauten Rufen an.
Darwin und Stella hielten sich wie immer zurück, würden sich mit dem Ergebnis zufriedengeben, egal welchem. Leon wäre derjenige gewesen, der einschreiten hätte sollen, doch selbst er schien mit der Situation überfordert. Ungehorsam war er nicht gewohnt, sein Name hatte ihm immer die gewünschte Autorität verliehen. Außer diesem gab es nichts imposantes an ihm. Weder seine Führungstalente noch seine Henotello-Gabe hatten ihm seinen Posten beschert. Der Name >Bärenstein< war von klein auf seine einzige Waffe gewesen.
"Hört sofort auf! Ich befehle es euch!", schrie er seine Untergebenen an und wurde ignoriert. Kyrie hatte Padme unter sich, schlug wiederholt auf das blutige Gesicht ihrer Gegnerin ein, als diese zu einem telepathischen Schlag ausholte. Mit einem kleinen Lächeln parierte Kyrie ihn geistig und holte ihrerseits zu einem telepathischen Kinnhacken aus. Padmes Augen weiteten sich erschrocken wie schmerzhaft als sie getroffen wurde.
Endlich schien sie zu begreifen wie sehr Kyrie ihr überlegen war. Diese Erkenntnis kam gleichzeitig mit der Erkenntnis, dass Kyrie nicht aufhören würde. Kyrie wollte das kleine grausame Mädchen unter ihr nicht am leben lassen. Ihr rationaler Verstand war bei weitem nicht so mächtig, sich gegen ihre animalische Wut zu stemmen. Sie war bereits eine Mörderin, was machte ein toter mehr oder weniger aus?
"Nava! Nava, hör auf! Du bringst sie um! Hör auf!" Leon hatte sich aus seiner Erstarrung gelöst und versuchte nun den Kampf zu beenden. Vorsichtig näherte er sich Kyrie von hinten, riss sie von Padme herunter.
Kyrie wehrte sich nicht, holte nur zu einem letzten telepathischen Schlag aus, einem der Padme das kurze bösartige Leben nehmen würde. Diese schrie einen ebenso markerschütternden Schrei wie Drake kaum eine Minute zuvor und blies damit ihren letzten Atem aus dem sterbenden Körper. Gleichzeitig bildete sich ein zufriedenes Lächeln auf Kyries Lippen.
Sie wurde immer noch von Leon, der Padmes sterben mit unverhohlenem Grauen im Gesicht beobachtete, festgehalten.
"Du hast sie umgebracht?!", brachte Antonio heraus als Padmes Körper erschlaffte und stille im Ballsaal wieder einkehrte.
"Na und? Sie hat es verdient!", entfuhr es Kyrie wütend, sie riss sich von Leon los und strich ihr zerknittertes, blaues Kleid glatt. Es hatte Blutflecken, ähnlich denen die sie im Gesicht spüren konnte.
"Wieso?", fragte Antonio und blickte sie an. Kyrie erwiderte seinen Blick entschlossen.
"Du hast es doch gesehen! Ihre Inkompetenz hat uns den Gefangenen gekostet. Sie musste für ihren Fehler bezahlen."
Niemand erwiderte etwas darauf. Alle waren sich Kyries unglaublicher Fähigkeiten bewusst. Sie hatte nicht nur enorme Telekinese, wie sie es den Lehrern in der Akademie weiß gemacht hatte, ihre telepathische Schlagkraft war ebenso stark. Zusammen mit der zuvor bereits bemerkten Pyrokinese war sie die gefährlichste und mächtigste Person im Raum. Kyrie erfreute sich dieses Wissens.
"Was machen wir jetzt", fragte Darwin in die Totenruhe, knetete unwillkürlich seine Hände. Kyrie wandte sich ihm zu.
"Weißt du wo die Koordinaten sind, die Drake uns gegeben hat?"
Darwin nickte zögerlich während auf Kyries Gesicht ein breites Grinsen einzug hielt.
"Es ist sogar ziemlich nah."
"Dann wissen wir was wir zu tun haben."
"Und was?", fragte Stella und trat näher. Sie war neugierig ebenso wie Antonio und Darwin. Alle drei warteten auf einen Befehl. Da sie ihn von Leon nicht bekamen, sahen sie Kyrie erwartungsvoll an. Sie waren Soldaten und würden der stärksten Person im Team folgen. Die Frage in diesem Moment war, wer dies war. Kyrie warf einen Blick auf ihren schockierten Vorgesetzten, dessen Selbstvertrauen und Autorität zusammen mit Padme gestorben zu sein schien.
Er sah ihr angstvoll entgegen, konnte den Blickkontakt nicht länger als eine Sekunde aufrechterhalten. Seine Schultern sackten zusammen, seine stramme Haltung verschwand im nichts. Er kapitulierte vor Kyrie, zog den Schwanz ein.
Die Hierachie hatte sich soeben verändert, jeder spürte es, nahm es unbewusst wahr und da niemand protestierte akzeptieren sie es vorbehaltlos. Kyrie atmete zufrieden lächelnd durch und verkündete ihren ersten Befehl.
"Alles zusammenpacken. Wir fahren dorthin und machen sie platt."
Sofort packte das Team ihre Sachen ein, verließ den Ballsaal ohne einen weiteren Blick auf die Toten zu werfen. Besonders Darwin und Stella hatten genügend dieser Massaker gesehen um blind für sie zu sein. Antonio schien aufgeregt ein neues Ziel zu haben, pfiff beim rausgehen eine fröhliche Melodie. Leon war in Sekunden mehrere Zentimeter geschrumpft, schlurfte mutlos den anderen hinterher. In Kyrie breitete sich ein neues Gefühl der Macht aus. Macht über sich selbst und ihre Zukunft. Sie konnte ihre Fähigkeiten dazu verwenden ihr Ziel zu erreichen, sie brauchte die Armee nicht, sie würde sich von dieser nicht einengen lassen.
Die Zeit nach den Spielregeln Bärensteins zu spielen waren vorbei. Sie würde nur dann gehorchen, wenn sie es wollte. Kyrie blieb alleine zurück im Ballsaal. Enttäuscht hockte sie sich vor Drake, strich dem jungen Mann über die schweißnassen Haare. Er reagierte nicht, konnte nicht. Sein Verstand war ausgelöscht, das Sterben des Gehirns hatte bereits eingesetzt, der restliche Körper würde folgen.
Wieder blitzte das Bild ihres kleinen Bruders auf. Brandon. Sie versuchte sich ihn an stelle Drakes vorzustellen, wollte herausfinden ob dies ein Gefühl bei ihr auslösen würde. Doch sie spürte alleine die gähnende Leere ihres Herzens, die emotionale Verkrüppelung hervorgerufen durch den Mann, den sie liebte. Es war ihr nicht möglich mehr als erdrückende Einsamkeit zu fühlen, wenn sie an Zeus und Brandon dachte. Beide waren Schatten in ihrer Vergangenheit und damit lange fort.
Sie würde keinen von ihnen je wieder sehen. Sie konnte hören wie Drakes Herz langsamer schlug, seine Atmung wurde ebenso unregelmäßig. Ratlos fragte sie sich was wohl gnädiger war; Drake langsam an dem telepathischen Todesstoß sterben zu lassen oder ihm einen schnellen, schmerzlosen Tod zu gewähren. Sie fragte sich was sie an seinem Platz wollen würde.
Tief durchatmend stand Kyrie auf und legte die Hände um Drakes Kopf.
Das Geräusch brechender Knochen hallte durch den Ballsaal. Der junge Mann kippte nach hinten, blieb dort reglos neben seinen toten Freunden liegen. Unweit von ihm lag Padmes geschundener Körper.
Sanft schloss sie beiden die Augen und verließ dann den Ort der Bluttat. Verschwendete keinen Gedanken an die Leichen dieses fröhlichen Festes. Sie war eine Mörderin wie es die Akademie und Meister Bärenstein von Anfang an von ihr verlangt hatten. Nun sollten sie sehen ob sie mit dem Monster, dass sie erschaffen hatten, umzugehen wussten.
Anmerkung der Autorin: Glaubt ihr Kyrie findet noch mal zu sich selbst und kann diesen mörderischen Wahnsinn entkommen? Was wird sie wohl in Ohama finden? LG LM
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