31. Kyries Angriff
Liebes Tagebuch,
ich habe beschlossen wie meine Mutter, meine Erlebnisse hier festzuhalten.
Ihr schien es zumindest ein wenig Trost gespendet zu haben. Also versuche ich es.
Ich heiße Briana Henotello und bin sechzehn Jahre alt. Vor etwa acht Monaten hat mein Bruder meine Mutter und meinen Vater getötet. Um den Vater trauere ich nicht, aber meine Mutter vermisse ich wirklich schrecklich. Ich kann Lothars Gründe immer noch nicht verstehen, aber ich glaube es hat was mit seinem Zuhause zu tun.
Vater hat ihn von klein auf in einem Kloster großgezogen. Mein Sohn Willhelm ist auch dort. Ich hoffe, er wird nicht wie sein Onkel, aber ich glaube da hoffe ich vergebens.
Es fühlt sich seltsam an, "mein Sohn" zu sagen. Immerhin habe ich von dem Jungen kaum etwas gesehen und schon hat ihn mir mein Vater weggenommen. Er meinte, das zweite dürfte ich behalten. Aber ich weiß nicht mal ob ich das will.
Mein Ehemann Fuchs ist begierig auf einen zweiten Sohn, einen den er selbst erziehen kann. Er zwingt mich jede Nacht Dinge zu tun. Ich tue sie in der Hoffnung schwanger zu werden und endlich meine Ruhe zu haben.
Ich will kein Kind, ich will keinen Ehemann. Ich will meine Mutter, meine Geschwister und Onkel John. Ich will nach Hause, weit weg von diesem brutalen Mann, der mir mit seinem schweren Leib, die Luft aus den Lungen drückt.
Aber zwischen all diesen "Ich wills", weiß ich doch, dass es dieses Wollen ist, das mich umbringen wird.
Deine stumme Briana
Nervös zitternd stand Kyrie an einer Busstation. Es war später Nachmittag, die Sonne ging langsam unter und färbte den Himmel Rot und Orange. Die Busstation wurde nur durch eine Stange mit dem passenden Symbol für ebenjenes Transportmittel gekennzeichnet. Es war nicht kalt aber auch nicht warm. Der Sommer reckte sein schönes Haupt. Verstohlen sah Kyrie sich um, ein Kontaktmann sollte sie hier abholen und in die Einrichtung bringen.
Dafür würde man ihm Amnestie zusprechen. Die Busstation befand sich kurz vor der Stadt Pierrou, nördlich von Ohama.
Beide Namen sagten Kyrie nicht viel, aber genauso nichts sagen war auch ihre Umgebung. Die asphaltierte Straße war brüchig und sollte dringend saniert werden. Zu einer Seite der Straße befand sich ein üppiger Wald, zur anderen ein goldleuchtendes Getreidefeld. Kyrie stand beim Getreidefeld, spielte mit den niedrigen Halmen, bewunderte ihre Bewegung wenn der Wind über sie bließ. Es gab sehr viele solcher verlassenen Orte in Beerellon.
Durch die zahlreichen Hinrichtungen gab es flächenmäßig sehr wenige Einwohner. Besonders am Land erkannte man dies durch vollkommen verlassene Dörfer. Geisterstädte nannte man diese. Kyrie hatte eine solche Stadt kennenlernt. Ihre Schulklasse hatte Clouk besucht, eine der berühmtesten Geisterstädte Beerellons.
Angeblich hatte Nelenia dort nach ihrer Flucht bis zu ihrem Tod gelebt. Bärenstein hatte diese Stadt sehr oft säubern lassen, bis schließlich keine Menschen mehr in ihr lebten oder leben wollten.
Die Natur holte sich zurück was ihr gehörte, wenn der Mensch nicht dagegen ankämpfte. Die Wälder überrannten Geisterstädte zahlreich und schnell. Kyrie hatte die Natur immer geliebt, fand trost in den sanften Tiergeräuschen und dem Geruch des Waldes. Sie erinnerte sich mit ihrer Familie viele Wanderausflüge gemacht zu haben, doch die Erinnerung war leblos, stumm, brachte keine Glücksgefühle in ihr zum klingen. Ein Wind kam auf, riss Kyrie aus ihren Gedanken und ließ ihr blaues Kleid wild flattern.
Genervt hielt sie es fest und verfluchte den Spion für seine Unpünktlichkeit.
"Psst.", hörte sie jemanden aus dem Wald rufen. Neugierig reckte sie den Kopf um zu sehen wer sich da im Schatten der Bäume versteckte.
"Psst. Bisst du Nava?" Kyrie überquerte die Straße, trat in den düsteren Wald und fand die Person hinter einem knorrigen, alten Baum. Ein Mann, etwa fünfundvierzig mit Halbglatze und einem Buckel sah ihr misstrauisch entgegen. Seine Kleidung war dreckig und er stank nach Alkohol. Angewidert verzog Kyrie das Gesicht.
"Ja. Ich bin Nava. Bringst du mich rein?" Der Mann nickte hektisch und leckte sich über die dünnen Lippen. Seine dunklen Augen sahen ihr nie ins Gesicht.
"Komm mit.", wies er sie an und führte sie tiefer in den Wald. Sofort umfingen sie die Geräusche des Waldes. Vögel zwitscherten, Insekten zirpten und ein Geruch von Kompost stieg ihr in die Nase. Im Schatten der großen Bäume war es deutlich kühler und dunkler.
Nur hier und dort konnte sie Sonnenlicht durch das Blätterdach brechen sehen. Gespannt folgte Kyrie ihm, Angst hatte sie keine. Ihr Führer keuchte bereits nach wenigen Metern hörbar und schwitzte stark. Möglicherweise hing dies allerdings auch mit der Tat zusammen, die er im Begriff war auszuführen. Er würde seine Gefolgsmänner verraten, seine eigene Haut retten und alle die er kannte, dem Tode zuführen. Kyrie verabscheute diesen Mann.
Sie hatte kein Problem mit dem kommenden Morden, doch dieser Mann war ein Verräter und dies erschien ihr als tausendmal schlimmer. Immerhin waren es seine Freunde, seine Kollegen die er tötete nicht den Feind.
"Ess isst nicht weit. Dass Gebäude isst durch einen Henotello verssteckt, aber ich kann dich ssicher reinbringen. Ssobald du drinn bisst, bin ich rauss." Der deutliche S-Fehler in seiner Sprache machte es Kyrie noch schwerer dem Mann auch nur einen Funken Respekt entgegenzubringen. Es war als würde das Erscheinungsbild des Mannes sein Inneres wiederspiegeln.
"Gut.", erwiderte sie daher nur und beschloss, dass er mitsamt seinen Freunden sterben sollte. Ihr war die Amnestie egal, ihr waren die Regeln egal. Sie hatte mit dem Gehorsam abgeschlossen, würde nur noch tun was sie für richtig hielt. Und Verräter verdienten es nicht zu leben. Rebellen verdienten es ebenso wenig. Aufgeregt flatterte das Herz in ihrer Brust.
Ein kalter Windhauch ließ sie fröstelnd und schützend legte Kyrie sich die Arme um den Oberkörper.
"Wie sieht der Henotello aus?" Dies war Kyries Ziel, ein Henotello. Es war ein ziemlicher Schock für sie gewesen von rebellischen Henotellos zu erfahren. In der Bevölkerung Beerellons war es eine Tatsache, dass nur Bärenstein über Henotellos mit Gabe verfügte. Leon hatte nicht viel dazu gesagt, auch Stella und Darwin waren stumm geblieben. Padme und Antonio waren so überrascht wie sie selbst gewesen.
Aber irgendwie, irgendwann war es den Rebellen gelungen sich die Loyalität von einigen Nachfahren Brianas zu erschleichen. Bei diesem Gedanken verzog Kyrie angewidert das Gesicht. Desertierte Henotellos töteten mit dieser Entscheidung ihre gesamte Familie. Sie wurden zu Verrätern an denen, die sie liebten.
Kyries Auftrag war es den verräterischen Henotello umzubringen. Sobald er tot war, konnte ihr Team das Versteck aufspüren und eindringen. Laut den Informationen sorgte der rebellische Henotello dafür, dass jeder der sich der Einrichtung unbefugt näherte sofort umdrehte und vergaß wo er war und was er in diesem Wald wollte. Ganze Armeen hatten versucht einzudringen, doch niemand hat es je geschafft. Ihr Führer drehte sich nur kurz um und drückte ihr ein Bild in die Hände.
Eine junge Frau mit kurzen braunen Haaren, grünen Augen und einem breiten Grinsen auf den vollen Lippen sah ihr entgegen. Sie war Mitte zwanzig und schön. Eine einfache schwarze Brille saß auf der Stupsnase, ließ sie niedlich aussehen. Beim Anblick der jungen Frau zog sich etwas in Kyries Herzen zusammen. Ein Gefühl. Panisch griff sie danach, versuchte herauszufinden was es wahr, das ihre Gedanken traurig werden ließ. Doch so schnell es aufgetaucht war, verschwand es auch wieder. Gleichgültigkeit legte sich wie eine Decke über ihre Gedanken.
"Ihr Name isst Rossemarie. Ssie arbeitet im Lager als Sschneiderin. Hier ein Plan." Auch diesen reichte er ihr ohne Augenkontakt. Schweigend nahm sie die Sachen entgegen, verstaute sie in den kleinen Taschen ihres Kleides. "Gleich da.", flüsterte der Mann vor ihr.
Plötzlich fühlte Kyrie das dringende Bedürfnis umzukehren, sie wollte fort von hier, musste gehen sofort. Stolpernd blieb sie stehen, sah sich panisch um. Der Wald war voller böser Schatten, sie lachten sie aus, würden ihr wehtun wenn sie blieb. Ängstlich hielt sie sich die Ohren zu und ging langsam rückwärts, hörte nichts außer dem hektischen Schlagen ihres furchtsamen Herzens.
"Ich muss hier weg", schrie es in ihrem Kopf immer lauter. Der Verräter seufzte dramatisch und griff nach ihrer Hand. Angewidert wollte sie sie wegziehen, doch sobald er sie berührte, stoppte das Gefühl und ihr rationales Denken setzte wieder ein. Der Wald wurde wieder zu einem gewöhnlichen Wald und die Angst verschwand, die Hand des Verräters jedoch nicht.
"Wenn ich losslassse, beginnt ess von vorne.", erklärte er sachlich und zog sie weiter. Etwa zehn Meter weiter erkannte Kyrie eine Lichtung auf der ein großes Herrenhaus stand. Ein einfacher Maschendrahtzaun umschloss das Anwesen, dessen Fenster mit Holzbrettern zugenagelt waren. Staunend lehnte sie an dem Zaun und wartete bis der Verräter durch das bereits geschnittene Loch gekrochen war. Nicht sehr einfach, da sich ihre Hände immer noch berührten. Die Hand des Verräters war feucht und kalt, es kostete Kyrie äußerste Anstrengung sie nicht abzuschütteln.
"Ssobald wir drinnen ssind, kannsst du losslassen.", meinte ihr Führer und folgsam ließ sie sich von ihm durch einen hübsch angelegten Gemüsegarten führen. Es war niemand da, weder in dem Garten noch draußen. Alles war still, doch aus dem inneren des großen Hauses konnte Kyrie viele unterschiedliche Stimmen hören. Sobald der Mann die Tür geöffnet hatte, schubste er sie hinein, ließ ihre Hand los und schloss die Tür wieder.
Kein weiteres Wort, keine Hilfestellung oder betteln um das Leben einiger weniger. Er war einfach verschwunden und Kyries Plan ihn ebenfalls umzubringen dahin. Seufzend drehte sie sich in dem hellen aber schmalen Flur um. Die Wände sowie der Boden waren aus Holz.
Alles sah unglaublich alt aus. Sie schien wohl im ehemaligen Dienstbotengang des Herrenhauses gelandet zu sein. Von außen waren die hohen Fenster vernagelt und ließen nur wenig Sonnenlicht hinein.
An den braunen Wänden waren daher nackte Glühbirnen angebracht. Vorsichtig ging Kyrie den Flur entlang, hörte entsetzlichen Lärm und versuchte trotzdem besonders leise zu sein. Mit ihre weichen Lederschuhen stieg sie über Unrat und alte Holzplanen. Ein Schritt nach dem anderen.
Sie kam zu einer eiserne Wendeltreppe und hörte von oben den Lärm und von unten Stille.
Kyrie vermutete das Lager unten im Keller. Neugierde jedoch trieb sie nach oben. Vorsichtig nahm sie Stufe für Stufe. Falls ihr jemand entgegenkam, wollte sie schnellstmöglich ungesehen wieder verschwinden und sich ihrer Mission annehmen. Am Ende der Wendeltreppe sah sie eine hölzerne Tür, sie war nur einen Spalt geöffnet. Aus diesem Spalt drangen die Geräusche. Aber nicht irgendwelche. Nervös beugte sie sich nach vorne und sah durch die Öffnung.
Der Lärm war Musik, Lachen und Singen. Sie sah Menschen tanzen und Spaß haben. Ein Fest, nein eine Hochzeit offenbar. Eine Frau in einem weißen Spitzenkleid lag in den Armen eines Mannes im Anzug. Die Gesellschaft tanzte in Militäruniformen um sie herum. Sie befanden sich im Ballsaal des Herrenhauses, mehrere große, glänzende Kerzenleuchter hingen von der Decke, die Wände waren aus Stein und der Holzboden glänzte poliert.
Es roch nach Essen und eine große Torte stand an einem Buffet. Fasziniert beobachtete Kyrie die Rebellen, versuchte gleichzeitig ihr Ziel Rosemarie zu finden. Etwas an dieser ausgelassenen Feier machte Kyrie traurig. Sie konnte sich nicht erinnern wann sie das letzte Mal gelacht hatte. Ihr Leben schien keinen Platz für diese Art des Spaßes zu haben.
Als sie ihr Ziel nicht fand, schloss sie die Tür und ging wieder nach unten. Bilder der Hochzeit rauschten durch ihre Gedanken. Alle in diesem Ballsaal waren Rebellen und für den Tod ihrer Familie und vieler anderer verantwortlich. Sie waren Monster, sahen aber nicht so aus. Verärgert rief sie sich das Bild Padmes und Magentas ins Gedächtnis.
Sie sahen beide nicht so aus und waren doch Bestien im Inneren. Diese Menschen da oben waren nichts anderes. Rosemarie wäre nichts anderes. Je weiter sie in die Tiefe kam, desto kühler wurde es. Elektrisches Licht war die einzige Lichtquelle. Im Keller angekommen, sah sie sich um. Es war ein heller, moderner und vor allem sauberer Keller. Kyrie ging herum, versuchte Geräusche auszumachen und tatsächlich hörte sie in der Ferne eine Nähmaschine arbeiten. Der Keller schien ein großer Raum gewesen und dann durch Gipswände getrennt worden zu sein.
Runde Öffnungen führten von Raum zu Raum, in jedem war etwas anderes gelagert. Mit jedem Raum wurde Kyries Mund trockener und ihre Hände feuchter. Nervosität kroch durch ihre Adern ohne ihr den Grund zu nennen. Sie wusste was sie zu tun hatte, kannte ihre Gründe und ihre Moral, aber etwas in ihr sträubte sich dennoch. Sie schritt langsam durch die nächste Öffnung und fand wonach sie gesucht hatte. Die Schneiderei war ein gut ausgeleuchteter, warmer Ort. Zwei Nähmaschinen standen an gegenüberliegenden Wänden, in der Mitte war ein großer, rechteckiger Tisch. Auf diesem stapelten sich Stoffe und Werkzeuge.
Kyrie erkannte Kleiderständer, Regale mit Material, ein Bügeleisen und eine Kaffemaschine.
An einer der Nähmaschinen arbeitete eine junge Frau. Rosemarie, ihr Ziel. Sie war alleine. Lautlos näherte Kyrie sich ihr, als sie plötzlich aufblickte. Kyrie wusste verstecken wäre nun sinnlos.
Wie erstarrt bliebt sie deshalb im Raum stehen und wartete was Rosemarie tun würde. Verwirrt zog diese ihre sanft geschwungenen Augenbrauen zusammen.
"Wer bist du und was machst du hier?", da war keine Furcht in ihrer Stimme, eher Neugierde. Offenbar schöpfte sie keinerlei Verdacht.
Kyrie könnte es schnell beenden. Einfach mit ihrer Telekinese Rosemaries Genick brechen, aber auch sie war neugierig und beschloss zu reden. Immerhin war sie noch nie einem Henotello begegnet, der nicht unter dem wachsamen Auge Bärensteins aufgewachsen war.
"Ich heiße Nava. Bin eine alte Freundin der Braut und für ihre Hochzeit angereist."
"Aha. Verstehe. Ich bin Rose. Was machst du hier unten?" "Ich könnte dich dasselbe fragen. Solltest du nicht oben mit den anderen feiern?" Rose schüttelte traurig den Kopf.
"Ich bin nicht so der Partymensch. Ist mir zu laut. Du?" Kyrie lachte leise.
"Dito. Ist ganz schön überwältigend da oben." Verwundert erkannte Kyrie das sie nicht einmal log. Die Ruhe im Keller erschien ihr tausendmal angenehmer. Rose stand auf und legte ihre Näharbeit weg. Kyrie trat vor, konnte diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen.
Lässig lehnte sie sich gegen den Tisch.
"Du bist also eine Schneiderin hier?"
"Ja, war immer meine Leidenschaft." Sanft strich Rose über einige Stoffe, die auf dem Tisch lagen. Sie schienen ihr Halt zu geben. Da war kein Meter zwischen ihnen. Kyrie konnte Rose Gesicht genau sehen. Das Bild vom Verräter war scheinbar schon etwas älter. Roses braune Haare waren länger und die Brille nicht mehr schwarz sondern weinrot. Das Lächeln jedoch war dasselbe wenn auch etwas traurig.
"Wieso bist du dann in einer militärischen Einrichtung?" Rose seufzte dramatisch.
"Ich bin wertvoll, nicht durch meine Leidenschaft, sondern dadurch wer ich bin."
"Und wer bist du?" "Eine Henotello." Kyrie nickte, dies war ihre Bestätigung. Die Frau vor ihr war ihr Ziel. Nervös strich sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr und sah Rose mitfühlend an. Oder zumindest hoffte sie das es mitfühlend aussah.
"Kann nicht einfach sein."
"Ist es auch nicht. Ich sollte eigentlich in einer unterstützenden Einrichtung sein und dort Uniformen und ähnliches nähen, aber stattdessen bin ich hier. Und das nur durch meine Gabe. Nur weil ich sie besitze bin ich für die Front wichtig. Dabei kann ich nicht mal kämpfen! Seit fünf Jahren bin ich hier und gehöre trotzdem nicht dazu. Aber mein Familienname hat mein Schicksal schon lange vor meiner Geburt bestimmt. Umtauschen geht nicht."
"Das ist also der Grund warum du hier unten bist und nicht da oben. Du fühlst dich nicht zugehörig.", schlussfolgerte Kyrie und empfand nun wirklich so etwas wie Mitleid. Vor ihrer Einberufung war sie auch kein großer Fan vom Kämpfen gewesen. Rose erschien ihr unglaublich einsam.
"Ja. Manchmal frag ich mich warum ich gegen Bärenstein kämpfe. Wenn OneSheep doch Henotellos genauso behandelt wie er."
Erschrocken blickte Rose auf und hielt sich die Hand vor dem Mund.
"Keine Sorge, bei mir sind Geheimnisse sicher." Rose entspannte sich ein wenig, aber bei weitem nicht genug.
"Ich weiß gar nicht, warum ich dir das alles erzähle, Nava." Kyrie winkte ab und verschränkte dann die Hände vor der Brust. Sie konnte sich vorstellen warum Rose sich ihr anvertraute.
"Ich kann dich verstehen. Kenne das Gefühl nur zu gut. Es ist als wäre das ganze Leben von jemand anderem geplant. Man ist in seinem eigenen Körper Gefangener. " Irritiert lächelte Rose und sah Kyrie direkt ins Gesicht.
"Wie meinst du das?" Da war eine andere Art der Anspannung um Rose Mundwinkel, als würden sich ihre Gedanken an etwas aufhängen. Verwirrt schüttelte Kyrie den Kopf.
"Was?" Rose trat einen Schritt zurück. Das Lächeln war verschwunden.
"Du kennst das Gefühl? Wie meinst du das? Woher solltest du wissen wie ich mich fühle, wenn du nicht,..." Kyrie wusste in diesem Moment, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Das Gespräch war beendet.
"Du bist eine Henotello! Ich kenne jeden Henotello von OneSheep. Du gehörst nicht zu uns. Du gehörst zum Feind!" schrie Rose panisch und versuchte Abstand zwischen sich und dem Eindringling zu bringen. Kyrie ließ es zu, packte Rose jedoch telekinetisch am Hals und hielt sie fest. Bedauernd stellte Kyrie fest, dass sie es nun schnell beenden musste, oder ihr Opfer würde ihre Gabe gegen sie richten. Roses Augen ließen sie zögern. So viel Furcht, wo zuvor ein Lächeln geherrscht hatte.
Noch hatte Kyrie die Möglichkeit ihren Plan zu ändern, noch konnte sie über Roses Schicksal entscheiden. Gnade walten lassen. Der Moment dehnte sich in die Ewigkeit, ließ für Opfer wie Täter die Zeit still stehen. In diesen Sekunden herrschte Leere zwischen ihnen, um sie herum und in ihren Gedanken.
"Hey Rose. Ich hab dir ein Stück Torte mitgebracht.", hörte Kyrie plötzlich einen jungen Mann in ihrem Rücken sagen und danach den Teller samt Torte zu Boden fallen lassen. Er unterbrach ihren Moment und besiegelte damit Roses Tod. Nun gab es keinen anderen Pfad mehr für Kyrie.
Ihre irrationale Angst hinunterschluckend griff sie telekinetisch hinter sich und verbrannte den jungen Mann ohne jemals sein Gesicht gesehen zu haben. Seine schmerzerfüllten Schreie hallten durch die Totenstille des verlassenen Kellers. Kyrie blickte weiterhin in Roses nun blaues Gesicht und in die schreckensweiten, roten Augen der jungen Frau. Sie konnte ihre Schreie, ihr Verlangen nach Leben und Luft in ihrem Kopf hören, spürte die überwältigende Todesangst ihres Opfers.
Kyrie schloss die Augen, suchte in ihrem Gedächtnis nach etwas das ihr sagte, wie sie sich verhalten sollte, etwas das ihr einen moralischen Kompass gab. Doch da war nichts, Zeus hatte alles gelöscht, das ihr vielleicht ein Gewissen gegeben hätte. Stattdessen fand sie unendliche Wut und nutzte diese um Rose mit einem präzisen Ruck das Genick zu brechen.
Die tote Frau sackte am Boden zusammen, blieb mit offenen Augen vor ihrer Mörderin liegen. Leeren verschluckte Kyries Wut, ließ die Zeit abermals stillstehen. Übelkeit ries Kyrie aus der Leere und schnell lief sie zu einem Mülleimer. Da war nichts das sie erbrechen könnte, ihr Magen war leer. Dennoch wurde sie von Krämpfen geschüttelt während ihre Gedanken rasten. Roses tote Augen sahen sie immer noch an. Der Geruch von verbranntem Fleisch stieg ihr in die Nase.
Zwei Tote. In den letzten Minuten hatte sie zwei Menschen getötet, sie war sich über ihr Handeln und ihre Entscheidung im klaren gewesen. Diesmal konnte sie keinen Blackout für ihr mörderisches Tun verantwortlich machen. Schreie rissen sie aus ihrer Trance und erinnerten sie an ihr Team, das zu diesem Zeitpunkt die Basis einer Hölle gleichmachte.
Durch Roses Tod konnten sie ungehindert eindringen und tun wofür Pythonissam seit Jahrhunderten berühmt waren. Morden. Kyrie suchte in ihren Gedanken nach dem Grund ihres Hierseins, der Motivation aufzustehen und ihrem Team zu folgen. Was sie fand war Zorn.
Roher unverfälschter Zorn.
Diese Rebellen im Ballsaal hatten nichts anderes als den Tod verdient und sie würde sicher gehen, dass sie ihn auch bekamen.
Anmerkung der Authorin: Ich finde es ja echt krass, das Kyrie immer denkt, sie wäre so cool und könnte mit allem klarkommen und dann ist sie in der Situation und kommt gar nicht damit klar. Mein Mädchen kennt sich halt selber nicht sehr gut. Hoffe ihr habt einen geilen Sommer. LM
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