21. Schuhlos
Liebe Sophia,
ich möchte dir von meinen Kindern berichten. Meine Zwillinge Appolonia und Cornilius sind nun zwei Monate alt und wahrhaftige Engel. Appolonia, wir nennen sie Polly, hat wunderschönes dunkles Haar und meine blauen Augen. Mutter sagt, sie wird einmal eine Schönheit. Cornilius, hat wesentlich hellere Haare. Ein starker Junge, kommt ganz offensichtlich nach seinem Vater.
Mein Onkel kam letzte Woche auf Besuch zu uns und berichtete von einer Schule, in die die Kinder sobald sie etwa zwei Jahre alt sind geschickt werden sollen.
John, der seit seinem fehlgeschlagenen Versuch seine Nichte Ariella zu adoptieren nicht sehr gut auf Onkel Lothar zu sprechen ist, hat vehement abgelehnt. Mein Onkel jedoch sah es weniger als Vorschlag, sondern eher als Befehl. Meine wunderschönen, klugen Kinder werden mich also schon bald verlassen. Ich bin traurig über diese Entwicklung, doch Onkel versprach, dass alle zukünftigen Kinder meiner Obsorge unterliegen werden.
John gibt sich damit nicht zufrieden. Wir haben es nicht geschafft Liebe füreinander zu finden und nun fürchte ich, dass wir es auch nie werden.
Seit einiger Zeit sehe ich ihn mit einem der Dienstmägde vertraulich sprechen. Felicity. Sie sehen so glücklich zusammen aus. Ich will John nicht mehr in meinem Bett, aber ich denke an Onkel Lothars drängen, mehr Kinder zu bekommen. Selbst John muss sich seinem Befehl beugen.
Jede zweite Nacht also verbringen wir zusammen in unglücklichem Schweigen. Ich fühle mich gedemütigt, eine Ehefrau mit einem untreuen Mann. Schlimmer jedoch finde ich es ungeliebt zu sein, während John mit Felicity neues, wenn auch heimliches Glück findet.
Was soll ich nur tun, Sophia, ich sehe keinen Weg glücklich zu werden.
In liebe Marie Henotello.
Flower brachte ihn langsam zurück zu seiner verlassenen Zelle und gemeinsam in einträchtigem Schweigen sammelten sie seine Habseligkeiten zusammen. Es waren nicht viele, doch jeder Handgriff schien ewig zu dauern. Brandon war überwältigt von seinem Gefühlsausbruch, schämte sich für seine Schwäche und war dennoch froh ein Ventil für die aufgestaute Wut und Trauer gefunden zu haben.
Seufzend warf er sich den Seesack über die Schulter und sah Flower abwartend an. Fred hatte, bevor sie das Büro verlassen hatten, ihn offiziell bei OneSheep willkommen geheißen und Flower die Verantwortung für seine Eingewöhnung übertragen. Brandon hatte mit ihrem Unwillen gerechnet, doch ihr ernstes Einverständnis und das freundliche Lächeln, das sie ihm zugeworfen hatte, versprachen eine weniger furchtbare Zukunft.
So oder so Brandon freute sich Zeit mit diesem Mädchen verbringen zu können. Flower sah ihn wartend an.
"Bist du fertig? Hast du alles?" Brandon nickte und fühlte zur Sicherheit noch einmal nach dem Kästchen mit seinem Herzen. Beruhigt erfühlten seine Finger das harte Material im Seesack.
"Ja, bin bereit. Wohin bringst du mich jetzt?" Mit Schwung und einem leichten Lächeln auf den Lippen drehte Flower sich um und verließ die triste Zelle.
"Ich bring dich zu deinem neuen Zimmer." Nervös folgte er ihr, sorgsam darauf bedacht seine Führerin nicht aus Versehen zu berühren. Immerhin kannten sie sich kaum. Unverhofft kamen ihm ihre starken Arme um seinen bebenden Oberkörper in den Sinn, ihr schlagendes Herz, das seinem während seines Zusammenbruchs so nah gewesen war.
Sie hatten sich bereits berührt, auf sehr intime weise, der Unterschied war das ihre Intention rein kameradschaftlicher Natur gewesen war.
Zumindest versuchte sich Brandon dies einzureden. Um sich abzulenken sah er sich die bunt gestalteten Wände der Gänge an. Überall sah man nun, da sie den Gefängnisbereich verlassen hatten, Blumen, Bäume, Menschen, Tiere und geometrische wie verschnörkelte Zeichnungen in allen Farben des Regenbogens. Viele von ihnen waren übermalt oder verblassten.
"Einige der Zeichnungen sind schon sehr alt, aber immer noch schön. Sie erinnern mich immer daran, dass selbst zu den schlimmsten Zeiten Kinder hier ihre Freude am malen gefunden haben."
"Es gibt immer etwas positives, man muss es nur finden. Das ist es doch was du mir damit sagen willst." Flower grinste ihn offen an.
"Richtig, mein Schüler. Ich hoffe diese Lektion gibt dir ein wenig zu denken." Brandon lächelte kopfschüttelnd. Er wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzten, als Flower vor einem blauen Perlenvorhang stehen blieb.
"Dahinter ist dein Zimmer." Skeptisch beäugte Brandon die Perlen und sah dann wieder Flower an. Diese kicherte belustigt und schob ihn in den Raum dahinter. Was er sah hatte bedeutende Ähnlichkeit mit einem Schlafsaal seiner Militärschule. Zumindest was die Betten anging. Stockbetten, vier Stockbetten. In Brandon stieg ekel auf, er hasste Stockbetten über alles.
Flower achtete nicht auf seinen angewiderten Gesichtsausdruck und zog ihn zu einem der Stockbetten.
"Nur damit dus weißt, das ist Schlafsaal fünf, aber alle nennen es den blauen Schlafsaal. Wegen den blauen Perlen. Das ist dein Bett.", meinte sie schief lächelnd und zeigte auf den oberen Teil eines Stockbettes in der Mitte des Raumes.
"Muss das sein? Gibt es keinen anderen Schlafort für mich?", fragte er flehend. Für eine Sekunde sah er mitleid in ihren schönen dunklen Augen, doch schon wich es dem Ausdruck purer Schadenfreude.
"Nein gibt es nicht. Das ist dein Platz. Der Raum ist normalerweise für Jugendliche zwischen dreizehn und siebzehn Jahren reserviert. Aber da du neu bist, wirst du auch mal hier untergebracht. Außerdem werden dir ein paar Zimmergenossen dabei helfen dich einzuleben."
Verwirrt zog er die Augenbrauen zusammen.
"Ich bin siebzehn also wäre das von vorhinein mein Bett gewesen?" Flower lachte laut auf, schien Brandons ernstes Gesicht nicht zu bemerken. Flower hielt sich den Bauch vor Lachen und stieß ihn an.
"Ich meine es ernst.", sagte er mit einem gewissen Schwung Frust und Ärger in der Stimme. Sein Gegenüber beruhigte sich langsam und sah ihn verwirrt an. Ungläubig stand ihr Mund offen.
"Ehrlich?" Brandon seufzte genervt und nickte, den Kiefer angespannt. Er wusste nicht ob er sich über ihre Misseinschätzung freuen oder Ärgern sollte, doch auf jeden Fall mochte er es nicht ausgelacht zu werden.
"Ja, ehrlich. Kannst du mir jetzt sagen wo ich meine Sachen hingeben kann?" An der Wand gegenüber dem sehr auf Privatsphäre hoffenden Perlenvorhang standen vier große Holzschränke. Flower zuckte bei diesem verbalen Schlag Brandons zurück und zeigte schweigend auf den rechten der Schränke. Er bestand aus zwei gleichgroßen Abteilen. Eine Hälfte war bereits voll, in die andere stopfte Brandon etwas fester als beabsichtigt seine Habseligkeiten. In seinem Kopf war gerade kein Platz fürs auspacken.
Das Adrenalin seines ereignisreichen Vormittags ließ ihm keine Ruhe und Flowers demütigende Erheiterung half auch nicht.
"Hey, ich wollte nicht über dich lachen. Wirklich nicht. Ich hab mir nur nicht vorstellen können, das du erst siebzehn bist.", versuchte Flower die Situation zwischen ihnen ins Reine zu bringen.
"Und das obwohl ich wie ein Baby geweint habe?" Brandon wandte sich zu Flower, sah nichts als um Entschuldigung bittende Augen und vergab ihr sofort. Sanft legte sie eine Hand an seine Wange.
"Du hast um deine Familie getrauert. Daran ist nichts kindisches. Es ist menschlich. Irgendwann erzähle ich dir von dem Tag an dem ich weinend in Freds Armen in genau diesem Raum gelegen bin. Du bist mit dieser Trauer nicht allein. Verzeihst du mir, das ich gelacht habe?"
Brandon versank in ihren Augen, spürte sein heftig schlagendes Herz so nah an ihrem Körper. Die Welt schien nicht mehr zu existieren, sie war der Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit. Auch ihr schien die Nähe allmählich bewusst zu werden, denn mit einem Räuspern brach sie den Körperkontakt ab und trat einen Schritt nach hinten. Brandon folgte nicht, atmete stattdessen tief durch und gab ihnen beiden die dringend benötigte Distanz.
"Ja ich verzeihe dir. Mach dir keinen Kopf, ich war zu empfindlich. Wieso dachtest du ich sei älter?", fragte er um sich abzulenken. Ein Achselzucken und ein bisschen röte auf ihren Wangen.
"Ich weiß nicht. Du hast einfach so eine Ausstrahlung."
"Eine Ausstrahlung? Die mich älter macht?", nun war es an ihm belustigt zu grinsen und ihrer Verlegenheit angeregt zuzusehen. Flowers Wangen wurden noch einen Farbton tiefer. Interessiert sah Brandon sich in dem Saal um und bemerkte verwirrt, das sie noch immer vollkommen alleine waren.
"Wo sind die anderen?" Lässig lehnte sich Flower gegen sein Stockbett und sah auf ihre schwarze Armbanduhr. Sie schien generell die Farbe Schwarz zu mögen. Ihre schwarze Jeans und der schwarze übergroße Pullover machten sie in der Dunkelheit beinahe unsichtbar. Selbst ihre Haare schienen das Licht zu schlucken.
"Sie sollten bereits seit zwei Stunden mit Crows Vertretung Jeremy trainieren und danach in ihren jeweiligen Ausbildungsbereichen arbeiten."
Brandons Interesse war geweckt.
"Crow ist Lehrer?"
"Ja, schon seit Jahren. Er ist für die Ausbildung und die Waffen hier zuständig."
"Werde ich auch bei ihm trainieren?", fragte Brandon vorsichtig. Die Aussicht mit dem ihm gegenüber äußerst misstrauischen Crow zu arbeiten erfüllt ihn nicht gerade mit Glücksgefühlen. Flower lächelte über seinen widerwilligen Gesichtsausdruck.
"Du wirst sein Schüler ohne Frage, aber du musst dir wirklich keine Sorgen machen. Der Mann ist ein wahnsinnig guter Lehrer und nun da er weiß, dass von dir keine Gefahr ausgeht, werdet ihr sicher schnell Freunde."
"Na ich weiß nicht. Welchem Bereich werde ich zugeteilt." Flower strich sich geistesabwesend übers Kinn und gab einen nachdenklichen Laut von sich.
"Ich weiß nicht ob ich dir das schon erzählen soll. Aber vermutlich ist es besser, wenn du es gleich erfährst." Brandon vermutete das schlimmste und bereitete einen möglichst neutralen Gesichtsausdruck vor.
"Was denn?" Sich umsehend beugte Flower sich vor und flüsterte:
"Der Boss will dich als Lehrling." Brandon beugte sich zu ihr hinunter und sprach ebenfalls sehr leise.
"Warum flüstern wir?" Flower leckte sich über die untere Lippe und trat wieder zurück.
"Weil du neu bist. Und seit Jahren viele deiner neuen Zimmergenossen und andere diesen Posten wollen, wenn sie es herausfinden, werden sie höchstwahrscheinlich eifersüchtig sein. Besser du behältst es in den nächsten Tagen noch für dich."
Brandon stöhnte genervt auf. Als hätte er es als Neuer nicht schon schwierig genug, nun musste Fred ihm auch noch diese Verantwortung aufbürden. Er verstand diesen Mann einfach nicht. In einem Moment war er ein freundlicher, hilfsbereiter Querkopf und im nächsten ein verschlagener Mörder.
"Warum tut er mir das an?", fragte er verärgert. Flower legte den Kopf schief.
"Ich glaube kaum, dass er dir damit wehtun will. Aber seine Gründe kenne ich nicht. Da musst du ihn schon selbst fragen. Aber zuerst holen wir uns was zu Essen und dann kannst du mir mehr Fragen zum Leben in unserem geliebten Bunker stellen. Immerhin gehörst du ab jetzt zu uns, da musst du wissen wie das hier bei uns läuft."
Flower stieß sich ab und führte Brandon aus dem Raum. Während sie die grauen Flure entlang gingen, begegneten ihnen Frauen, Männer sogar Kinder. Ihre Kleidung sah alt und wild zusammengewürfelt aus, aber keiner von ihnen vernachlässigte die persönliche Hygiene. Brandon sah saubere Gesichter, glückliche Gesichter. Ihre Augen strahlten und in Brandons Brust verknotete sich etwas. Es war die Erinnerung an die leblosen Augen unzähliger Menschen denen er im Laufe seines Lebens begegnet war. Selbst seine Eltern hatten diesen Ausdruck des Todes manchmal in den Augen gehabt. Unwillkürlich fragte er sich ob er ihn ebenfalls hatte.
"Hallo, Flower! Wollen wir uns heute treffen?", fragte eine junge Frau mit haselnussbraunem Haar und einem bunten Tuch um der Stirn. Ihre Kleidung war wie die der anderen aus vielen unterschiedlichen, bunten Kleidungsstücken zusammengesetzt, doch ihre schlanke Figur war selbst unter den weiten Stoffteilen klar erkennbar. Die grünen Augen spiegelten ihr breites Lächeln wieder. Ihre Aufmerksamkeit war voll auf Flower gerichtet während diese ihr Auskunft gab.
"Ich würde wirklich gerne, Cassandra, aber ich muss den Frischling hier für einige Tage babysitten."
Cassandras Kopf wandte sich nur unmerklich in seine Richtung. Als Brandon ihren Blick freundlich erwiderte wurde ihre Wangen sofort knallrot und verlegen zog sie die Schultern hoch.
"Okay. Ich muss los. Melde dich wenn du Zeit hast." Das Mädchen rannte beinahe davon. Brandon beugte sich beunruhigt zu Flower.
"Hab ich was falsches gesagt?" Flower lachte auf und schüttelte den Kopf.
"Nein gar nicht. Sie ist noch jung, gerade sechzehn und Jungs machen ihr irgendwie angst." Besagter Junge nickte verständnisvoll und steckte scheu die Hände in seine Hosentaschen. Sie gingen weiter und begegneten weitere Menschen. Viele von ihnen grüßten Flower überschwänglich, bedankten sich für Reperaturen und hießen sie willkommen. Kaum jemand fragte nach Brandon, neugierige Blicke jedoch folgten ihm überall hin.
"Du scheinst ja sowas wie eine Berühmtheit zu sein.", kommentierte Brandon das Verhalten der anderen. Flower zuckte die Achseln, tat seine Behauptung mit einer nichtssagenden Geste ab.
"Ich mach nur meine Arbeit." Brandon schmunzelte über ihre Aussage, als seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes gezogen wurde. Auf dem Boden des Fluren, ganz nah an den Wänden, reihten sich Schuhe. Jede Art von Schuhe, von Hausschuhen bis zu Gummistiefeln war alles dabei.
Fasziniert beobachtete Brandon wie sich die Haufen von Schuhen vergrößerten je näher sie ihrem Ziel kamen. Gemeinsam bogen sie nach rechts ab und blieben im Eingang eines großen, eckigen Raumes stehen. Vielen runde Tische waren darin aufgestellt, die Wände mit tausenden bunten Händen überseht. Von der Decke hingen Perlenbänder, die an der Deckenbeleuchtung angebracht waren. Der Boden war mit einem weichen grünen Teppich ausgelegt. Es sah fast wie Gras aus. Jeder Sessel war besetzt und viele Leute saßen sogar am Boden. Der Lärmpegel war in einem Mal von still zu angenehm laut gestiegen. Wie selbstverständlich öffnete Flower ihre Schuhe.
"Es gibt zu wenige Sitzplätze. Aus diesem Grund hat Fred vor etwa fünf Jahren diesen Teppich besorgt und eine neue Regel eingeführt. Die Schuhe müssen wir hier draußen hinlegen, aber immer darauf achten, dass sie so nah wie möglich an der Wand stehen."
Brandon beugte sich runter und schnürte seine Schuhe los, ihm war unwohl ohne seine geliebten Stiefel zu sein. Seit er von zuhause weg gegangen war, hatte er sie nur selten ausgezogen, zu groß war die Gefahr jederzeit fliehen zu müssen.
"Warum hat Fred nicht einfach mehr Tische und Sessel besorgt." Geduldig wartete Flower bis Brandon seine Schuhe beiseite gestellt hatte und führte ihn danach zur Essensausgabe.
"Weil er dann nicht Fred gewesen wäre. Das wäre viel zu normal gewesen. Außerdem ist die Idee doch gar nicht so schlecht. Es ist wahnsinnig gefährlich für Rebellen draußen und deshalb sind die meisten unserer Leute darauf beschränkt hier drinnen zu bleiben. Die ganze Zeit."
"Das muss hart sein." Flower reichte ihm ein graues Tablett und nahm sich selbst eines.
"Das ist es! Und deshalb hat Fred beschlossen, dass man zumindest hier die Schuhe ausziehen darf und für einen Moment so tun kann als wäre es Gras auf dem wir gehen. Ist doch herrlich oder?"
Erst in diesem Moment nahm Brandon den kuscheligen Teppich unter seinen Füßen war. Er wackelte mit den Zehen und konnte spüren wie seine Beinmuskulatur sich bei dem angenehmen Gefühl entspannte. Fred war ohne Zweifel etwas Besonders.
"Es ist wirklich toll. Aber wird der Teppich nicht schnell schmutzig?"
Flower lachte und wandte ihren Blick vom Essensmenü zu ihm.
"Das du über sowas nachdenkst!? Du hast natürlich recht, es ist nicht leicht. Es hat ein wenig gedauert bis sich alle an die Tabletts und die strengeren Sauberkeitsregeln gewöhnt hatten. Aber genug vom Teppich, wir sind gleich an der Reihe und du solltest dir noch etwas zu essen aussuchen." Unentschlossen las Brandon sich das Menü durch. Es gab Müsli mit Milch oder Haferbrei. Da Brandon Haferbrei nicht ausstehen konnte, entschied er sich für das Müsli. Die Schlagen vor ihnen löste sich schneller auf als er erwartet hatte. Flower begrüßte die ältere Frau hinter der Theke überschwänglich.
"Guten Morgen, Jillian. Wie gehts dir heute?" Jillian lächelte Flower herzlich zu und strich sich über das Haarnetz, das ihre schneeweißen, dünnen Haare beherbergte. Auf ihrer blauen Schürze stand >Frau, des guten Geschmacks< und den zufriedenen Gesichtern im Speisesaal zuschließen, stimmte dies auch. Jillians Lächeln ließen die Furchen in ihrer Haut tiefer werden.
"Ach, meine Liebe, es geht mir wunderbar. Vielen Dank für den neuen Ventilator in meinem Quartier. Ich schlafe viel besser."
Neugierig huschte ihr Blick zu Brandon, ihre wachen, intelligenten Augen schienen jedes Detail aufzunehmen. Brandon fühlte sich unter ihrer strengen Musterung seltsam verwundbar.
"Wen hast du denn da?", fragte sie heiter. Flower legte ihm besitzergreifend eine Hand auf die Schulter.
"Das ist Wolf, er ist unser neuester Rekrut. Ich bin sein Willkommenskommitee." Mit einem freundlichen Grinsen wandte Jillian sich Brandon zu, hob ihre dünne, zerbrechlich wirkende Hand und schüttelte seine. Verwundert stellte Brandon fest, dass sie für eine Frau ihres Alters und Statur einen kräftigen Händedruck besaß.
"Du mein Junge, hast wirklich Glück. Flower hier ist eine der wichtigsten Kommandeure die wir haben. Ohne sie liefe hier nichts. Sie kann dir alles genau erklären."
Voller Stolz strich Jillian Flower über den Kopf. Das erste Mal sah Brandon ein verlegenes Lächeln auf Flowers Gesicht. Es ließ sie strahlen wie die Sonne und machte ihn glücklich es zu sehen. Jillian gab ihnen beiden Cornflakes mit Milch und ließ sie ihrer Wege ziehen. Etwas geschockt sah Brandon seine Begleiterin an.
"Du bist Kommandeurin?" Flower schüttelte den Kopf und sah sich nach einem guten Platz für sie beide um. Ungeduldig zeigte Brandon auf ein leeres Stück Boden und zog sie hin. Vorsichtig ließ Flower sich nieder und verschränkte die Beine zu einem lockeren Schneidersitz. Brandon tat es ihr gleich und ließ sie dabei nicht aus den Augen.
"Also?", wiederholte er seine Frage nachdem sie endlich saßen. Seine Neugierde war beinahe mit Händen zu greifen, er konnte nicht glauben, das Flower ein Mädchen kaum älter als er eine solch hohe Position in dieser Organisation innehatte. Flower ließ sich von seiner Ungeduld nicht hetzten und leerte träge ihre Milch in die Cornflakes. Erst nachdem sie ihren ersten Löffel genüsslich gegessen hatte, antwortete sie.
"Nein und ja. Wir haben nicht dieselbe Hierarchie wie das Militär. Oder zumindest haben wir nicht dieselben Bezeichnungen. Es ist kompliziert."
"Dann erklärs mir!", forderte Brandon bevor er sich selbst einen großen Löffel Cornflakes in den Mund stopfte. Flower sah ihn genervt an. Brandon vermutete, dass sie mehr Hunger als Lust zu reden hatte. Ihm war bis jetzt nicht aufgefallen, wie hungrig er selbst war.
"Na gut. Wir haben Fred, offensichtlich. Er ist der >Anführer< oder auch einfach der Boss in dieser Einrichtung."
"Es gibt andere Einrichtungen?", unterbrach Brandon aufgeregt. Flower nickte.
"Ja, überall in Beerellon. Einige sind absolut militärisch und für den konstant laufenden Krieg mit Bärenstein zuständig, andere machen Spionage oder Flüchtlingsarbeit. Wir sind eine Unterstützereinheit. Nichts besonderes, dafür sind wir viel zu klein. Crow trainiert neue Rekruten und sobald sie bereit sind, werden sie zu einer militärischen Basis gebracht. Dasselbe gilt für unseren medizinischen Bereich, wir versorgen und schicken wieder zurück oder lehren und verschicken. Manchmal glaub ich, wir sind nur so eine Art Versandtsystem. Aber es funktioniert. Diese Einrichtung ist die älteste, die es gibt. Hier haben Isla und Nelenia den Grundstein für ihre Rebellion gelegt."
Für einige Sekunden blieb sie ruhig, als würde sie an seine Vorfahren und deren Willen zu kämpfen denken. Noch nie zuvor hatte Brandon stolz verspürt, wenn er an seine Vorfahren gedacht hatte. Da war stets Wut und Scham gewesen, doch hier genau wo er saß, lag der erste Akt offener Rebellion. Seine Familie war nicht von Grund auf böse, ein Gedanke, der ihn auf seltsame Weise befreite.
"Ich habe noch tausend Fragen!" Flower lachte mit vollem Mund. Als sie geschluckt hatte, sah sie ihn nachsichtig an.
"Und ich werde dir jede Frage beantworten, aber jetzt lass uns Essen. Wir haben Zeit."
Zum ersten Mal seit Ewigkeiten wusste er das dies stimmte. Er hatte zeit sich einzugewöhnen, alles zu lernen was er lernen wollte, zu verstehen wer er war und was er tun konnte um seinen Schwestern zu helfen. Ein breites Grinsen legte sich auf seine ernsten Züge.
"Richtig. Ich habe Zeit."
Anmerkung der Authorin: Da ich in nächster Zeit eine wichtige Prüfung habe, werden die Updates leider nur noch unregelmäßig kommen. Ich gebe mein bestes um zumindest einmal die Woche was zu posten, allerdings kann es sein, dass ich einfach zu viel zu tun hab. Sorry, Leute. Ich hoffe ihr versteht das.
Alles liebe Lisa-Marie
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