13. Schlechte Neuigkeiten

Endlich, Endlich, Endlich!!
Mein Sohn Lothar II hat endlich eine Gabe gezeigt.
Er ist jetzt zehn Jahre alt und die Lehrer haben von seiner Fähigkeit der Stärke berichtet. Anscheinend kann mein Junge noch den schwersten Stein zertrümmern, Metall verbiegen und Bäume fällen und das alles mit bloßen Händen.
Wie es scheint kann die Gabe der Henotellos viele Formen annehmen und ich habe den Verdacht, dass nur erstgeborene Henotellos die aktive Gabe erben. Wenn dies zutrifft muss ich meinen Plan ändern und Sandrine zu weiteren Kindern ermutigen.
Jedes von ihnen kann mir dann ein Kind mit der Gabe schenken.
Es wird dauern, allerdings habe ich mit meinem Sohn Lothar II bereits den Grundstein für eine gute Zukunft gelegt. Nelenias Kind ist auch endlich da.
Ein Mädchen.
Die Ordensschwester Constance hat es mir mit einem Namen überreicht. Ariella. Nun mir ist es gleich wie das Mädchen heißt, solange sie die Gabe von Nelenia geerbt hat. Die Ordenschwestern haben berichtet, dass Nelenia nicht gut auf den Verlust ihrer Tochter reagiert hat. Ich werde wohl eine Rekonditionierung vornehmen lassen müssen.
Ariella wird im selben Kloster aufgezogen wie mein Sohn.
Mit der Zeit wird sie ihm treu ergeben sein und er hat jemanden mit der Gabe in seinem Vertrauen. Ich muss nur dafür sorgen, dass sie keinen Einfluss auf ihn hat.
Außerdem wird es Zeit das John mir ein mit der Gabe gesegnetes Kind überreicht. Vielleicht mache ich daraus ein Gesetzt. Die Henotellos dürfen wohnen und Leben wie sie wollen, aber das erstgeborene Kind gehört mir.
Die Idee gefällt mir.
Persönliche Aufzeichnungen Lothar von Bärenstein I.


Im Speisesaal herrschte reges Gespräch. Es war Abend und die Frischlinge leckten ihre Wunden oder zeigten sie voller Stolz her. Das kam darauf an, wo man sie sich zugezogen hatte. Während eines Kampfes, oder einem Hindernisparkour, oder einem kleinen Marathon.

Es gab viele Wege sich zu verletzen. Das künstliche Licht ließ sie alle blasser wirken als sie waren. Jeder Rekrut verbrachte den Tag im Freien, bei Übungen. Selbst der Winter, der nun in vollem Ausmaß angekommen war, ließ die Ausbilder nicht davor zurückschrecken, die Rekruten im Feld zu drillen. Kyrie hatten den Eindruck gewonnen, das selbst ein Erdbeben oder ein Vulkanausbruch sie nicht vor den täglichen Übungen retten konnte. Zumindest ein gutes hatte die rege sportliche Betätigung.

Kyrie hatte ordentlich Muskelmasse aufgebaut, da war kein Gramm Fett mehr an ihrem zuvor normalen Körperbau. Besonders die Muskeln ihrer Arme hoben sich hervor. Mit einem gleichgültiges Gesichtsausdruck sah sie sich im Saal um, sie versuchte nie zu viel Gefühl zu zeigen.

An den Wänden des Speisesaals standen Soldaten niedrigen Ranges und beobachteten jeden der anwesenden genauestens. Sollte ihnen etwas auffälliges ins Auge stechen, wurde erwartet, dass sie es unverzüglich meldeten. Verrat wurde hoch belohnt. Kyries Magen knurrte auffordernd. Seufzend stellte sie sich zur Essensausgabe.

Heute gab es Fleischeintopf mit Reis. Die Schlange vor der Essensausgabe war lang, würde sich aber schnell auflösen, wie jedes Mal, wenn sie dazu kam. Während des letzten Monate hatte sie sich einen bestimmten Ruf erarbeitet. Eine Tatsache die für sie gleichzeitig frustrierend wie beglückend war. Kyrie galt als Kampf-Ass, super im Nahkampf wie auch mit Pistolen.
Dieser Ruf machte sie vor allem unter den neuen Rekruten zu einer Person von Bedeutung.
Sie selbst fühlte sich seltsam wenn sie an all die Trainingskämpfe mit ihren Kameraden dachte. Viele von ihnen hatte sie während dieser Kämpfe tatsächlich verletzt und das machte ihr Angst.

Obwohl ihr Gewissen und ihre Erziehung ihr sagten, dass dieses Verhalten nicht akzeptable war, fühlte es sich so gut an zu kämpfen. All ihre Wut über ihr Leben und die erlittenen Schmerzen konnte sie beim kämpfen raus lassen und in den wenigen Momenten in denen sie sich nicht selbst belog, musste sie sich eingestehen: Es fühlte sich fantastisch an.
Als wäre sie frei. Es war erlaubt während des Trainings seine Kräfte einzusetzen und Kyrie tat dies nur zu gerne. Wieso sollte sie nicht verwenden was ihr Erbe war? Dies war auch der Grund für ihre Erfolge.

Sie kannte die Gaben ihrer Kameraden, wusste bei wem sie in den Kopf schauen konnte und bei dem nicht. Jeder glaubte sie habe durch ihre Telekinese bessere Reflexe oder war schlichtweg fürs Kämpfen geboren, die Wahrheit war eine andere. Kyrie sah was ihre Gegner vorhatten und bewegte sich dementsprechend.

In den Monaten hatte sie diese Technik perfektioniert. Die Rekruten in der Essensschlange bemerkten sie und machten ihrem anscheinend beängstigenden Arsch Platz. Wie immer sah das Essen wie schon einmal gegessen aus, aber das änderte nichts daran, dass sie es essen würde. Verhungern galt als Schwäche. Etwas, dass sich Kyrie nicht leisten würde.

Sie packte ihr Tablett mit dem Fleischeintopf und machte sich auf den Weg zu einem freien Platz. Der Raum war rund, an den Seiten gab es ein Förderband auf dem man sein dreckiges Geschirr stellen sollte. Die Tische standen verteilt, jedoch gab es bei der Sitzordnung ein ungeschriebenes Gesetz. Man saß nur bei seiner Einheit.
Nur an diesem einen Tisch, wurde man willkommen geheißen.

Da die Organisation der Akademie vorsah immer auf mindestens sechs achtzehnjährige Henotellos zu warten, bevor sie abgeholt wurden, gab es manche Einheiten die größer und manche die kleiner als Kyries acht Leute waren.

Ihr war auch aufgefallen, dass die neuen Rekruten jünger wirkten. Möglicherweise wurden die Gesetzte wieder verändert und die Henotellos noch früher abgeholt. Kasimir winkte ihr mit einem freundlichen Lächeln zu, zeigte ihr damit wo sie sitzen würde. Kyrie erwiderte das lächeln und ging zu seinem Tisch. Viktor, Sergei und Masako saßen bei ihm, vertieft in eine Gespräch. Viktor hatte blondes, kurzes Haar und sehr helle Haut. Ein tiefvioletter Schatten lag über seinem linken Auge. Conrad hatte ihn da beim Training erwischt. Sein Lachen war absolut ansteckend und Kyrie hatte bemerkt, dass sie gerne mit ihm lachte.

Sergei war sein deprimiertes, rothaariges Gegenstück. Seit der ersten Trainingseinheit waren sie ein Paar. Außerhalb ihres kleinen Kreises wusste dies jedoch keiner. Die Beiden waren nicht zu trennen, daher versuchte Kyrie gar nicht sich zwischen sie zu setzten. Stattdessen setzte sie sich neben Masako, dem einzig anderem Mädchen außer ihr.
Das dritte Mädchen ihrer Einheit Lenka war vor etwa drei Monaten schon in eine medizinische Einrichtung versetzt worden. Ihre Heilfähigkeiten waren wertvoll und ihre Begabung im Kampf gleich null.

Deshalb blieben nur Masako und Kyrie übrig. Masako hatte zwar einen japanischen Namen bekommen, jedoch sah sie nicht asiatisch aus. Als Kyrie das erste Mal danach gefragt hatte, waren Masako die Tränen gekommen. Sie wollte ihr ihren richtigen Namen nicht verraten, allerdings, so verriet sie ihr, war er arabisch und bedeutete wilde Blume.

Masako hatte langes, dickes, schwarzes Haar und eine Haut wie dunkle Oliven. Die ebenso dunklen Augen nahmen jedes Detail wahr. Ihre Schulter war einbandagiert, sie war bei einem Hindernissparkour vorgestern von einer Anhöhe gefallen und hatte sie verletzt. Obwohl sich Kyrie vorgenommen hatte sich mit niemandem anzufreunden, so empfand sie widerwillig doch Freundschaft für diese vier Menschen.

"Habt ihr das von Antonio gehört?", fragte Viktor flüsternd.

Seinem Gesichtsausdruck zufolge konnten es keine guten Nachrichten sein. Masako antwortete mit ihrer rauen Stimme, die einen leichten Akzent erahnen ließ. Etwas das ihr mehr als peinlich und außerdem gefährlich werden könnte. Bärenstein der dritte hatte eine Basissprache für alle Menschen in seinem Reich eingeführt. Ein Reich das sich über ganz Europa, Nordafrika, Arabien bis hin zur Mongolei erstreckte. Eine andere Sprache als Basis zu können wurde als Unhöflich und verräterisch angesehen. Masakos Akzent war ein Beweis für ihre Fähigkeit eine andere Sprache zu sprechen.

"Ich habe gehört, er ist jetzt bei einem Einsatzkommando für Pyrokinetiker. Wird dort zum Feuerspucker ausgebildet." Viktor nickte verwirrt

"Stimmt. Woher wusstest du das?" Masako zuckte die Achseln.

"Ich kenn da wen im Personalbüro."

"Aha, und wen?", bohrte Viktor weiter nach.
Masako knabberte an ihrer Unterlippe und meinte unschuldig,

"Nur jemanden. Ist nicht so wichtig. Erzähl weiter!" Viktor setzte zu einem neuen Satz an, doch Kasimir unterbrach ihn mit einem ärgerlichen räuspern. Selbst Viktor verstand diesen Wink und besann sich wieder aufs eigentliche Thema.

"Also wie ich sagte. Unser lieber Antonio ist jetzt bei den Feuerspuckern, aber davor hat er noch ein Kind gezeugt." Kyrie fiel der Löffel aus der Hand.

"Na das hat aber lange gedauert." Nun mischte sich Sergei ein.

Manchmal benutzte er seine Gabe des perfekten Gehörs um die Vorgesetzten auszuspionieren, daher wusste er immer alles, sagte es allerdings nur Viktor. "Ich hab Magenta mit einer der Schwestern reden hören. Die Schwester hat bestätigt, dass Antonios Reproduktionspartner endlich schwanger ist. Sie wird für den Verlauf der Schwangerschaft in das Babyfaktory-Haus neben dem Kommando-Haus gebracht und Antonio darf endlich in ein Einsatzkommando."

"Was soll das heißen? Dass wir erst aus dem Basisprogramm rauskommen, wenn wir ein Kind produziert haben?", fragte Masako schockiert.

Die Männer am Tisch nickten bedrückt. Nun war Kyrie endgültig der Appetit vergangen. Angewidert sah sie ihre Freunde an. Jeder von ihnen spiegelte ihre Gefühle wieder.
Sie alle waren durch die Hölle der Eingangstest gegangen und nun durch die Qualen des Militärtrainings. Ein Kind von ihnen würde dasselbe durchmachen müssen und wer würde einem Kind das schon wünschen.

"Na wunderbar. wie beschissen ist das denn?", flüsterte sie kopfschüttelnd. Viktor nickte zustimmend.

"Find ich auch! Ich hasse diese ganze Idee. Wenn die ehrlich glauben, ich tues mit einer Frau, sind die schief gewickelt."

"Ich glaub kaum, dass du eine Wahl hast." Diese Aussage schien einen Nerv zu treffen. Viktor sackte in sich zusammen. Kasimir sah sie böse an.

"Hey, Vik, das wird schon wieder. Eine Herausforderung nach der anderen. Wie bei den Kämpfen."

Sergei legte seinem Freund mitfühlend einen Arm auf die Schulter. Masako zischte alarmierend und sofort verschwand der Arm unter dem Tisch. Jeder von ihnen dachte an die Wachen im Saal, an die ständige Beobachtung. Kyrie sah auf die Uhr und merkte, dass sie die Zeit vollkommen vergessen hatte.

"Ich hab keinen Hunger mehr, wir sehen uns im Schlafsaal."

Bevor jemand was sagen konnte sprang Kyrie auf ihre Füße, legte das Tablett mit dem kaum angerührten Essen auf das Förderband und ging Richtung Eingangstür. Sie wollte so schnell wie möglich weg von den Wachen und dem verzweifelten Gedanken ein Kind in diese verkorkste Welt zu setzten.

"Nava, warte.", rief Kasimir ihr laufend hinterher. Kyrie blieb in der Tür stehen und wartete auf ihn. Er trat mit einem unsicheren Lächeln auf sie zu.

"Ich begleite dich." Kyries lächeln verblasste als Kasimir mit ihr durch die verwinkelten Gänge des Gebäudes ging.

"Das musst du wirklich nicht, Kasimir. Ich kenne den Weg schon."

"Ich weiß." Verstohlen sah er sich um, als er niemanden sah, beugte er sich zu ihrem Ohr.

"Sergei hat noch etwas gehört. Aber er wollte es vor den anderen nicht erzählen."

"Wieso?" Kasimir nickte bedrückt. Seine Körperhaltung war zusammengesunken und abwehrend. Etwas schien ihn sehr zu bedrücken. Kyrie bekämpfte ihre Neugierde und das Verlangen einfach in Kasimirs Kopf zu sehen. Schon in der ersten Woche ihrer Kameradschaft, hatte er ihr erzählt, dass seine Fähigkeit das perfekte Gedächtnis war.

Er merkte sich jede noch so kleine Kleinigkeit. Sie widerstand dem Verlangen seine Gedanken zu durchforsten und die Neuigkeiten daraus hervorzuziehen nur mit äußerster Mühe. Immerhin hatte sie es eilig und wollte von Kasimir nicht unnötig aufgehalten werden. Allerdings verunsicherte sie sein Verhalten doch sehr. Normalerweise war Kasimir ein schonungslos ehrlicher Mensch. Sein Stottern konnte nichts Gutes bedeuten.

"Sergei hat es nicht erzählt, weil es eine Verletzung der Privatsphäre seinen Freunden gegenüber wäre."

"Kasimir, bitte, ich weiß nicht was du mir damit sagen willst. Ich bin müde und muss los."

"Ich weiß. Ich weiß, dass du jeden Donnerstag um punkt sieben im Bett bist, oder zumindest bist du nicht mehr bei uns. Und das obwohl am Donnerstag immer Filmabend im Speisesaal ist. Ich weiß, dass du ein Geheimnis hast. Aber das ist es nicht weshalb ich mit dir reden muss. Deine Geheimnisse gehören dir und ich bin nicht wie Antonio und würde meine Freunde niemals verraten."

Als er Antonio und Verrat erwähnte musste Kyrie unwillkürlich an Pitt denken. Er war der jüngste von ihnen gewesen, wurde erst während der Ausbildung achtzehn. Ein Waisenkind, schüchtern und ungelenk, aber er besaß eine große Gabe. Pitt konnte Metall mühelos in jede Form biegen. Mit dieser tollen Gabe hatte er sich eine Drahtzange und eine Pistole geformt. Kyrie kannte den Jungen zu wenig um zu wissen, was ihm während der Test widerfahren war, jedoch war klar, dass er nicht bleiben würde.

Jedem war das klar und alle hielten den Mund. Sollte Pitt doch versuchen zu fliehen, es war seine Entscheidung. Antonio war der einzige, der sich durch den Verrat an Pitt eine Belohnung ausrechnete und sie auch bekam. Pitt wurde keine zwei Wochen in der Grundausbildung von Magenta und Conrad abgeholt und weggebracht. Antonio wurde zur Belohnung mit einer Reproduktionspartnerin versehen. Niemand hätte ahnen können, das er sechs Monate brauchen würde um sie zu schwängern.

"Wir sind keine Freunde. Wir sind Kameraden.", meinte Kyrie abwehrend und doch sehnsüchtig. Kasimir lächelte traurig.

"Für mich bist du eine Freundin Nava. Du, Viktor, Sergei und Masako. Ihr seid alles was ich habe und ich will euch nicht verlieren."

"So etwas solltest du nicht sagen, Kasimir." "Ich weiß, aber ich will das klarstellen." Kyrie seufzte und gab sich geschlagen. Wenn sie ehrlich war, waren Kasimir und die anderen längst ihre neue Familie.

Sie fühlte sich ihnen wahnsinnig verbunden, aber was würde ihr diese Verbundenheit bringen? Nichts, nur die Möglichkeit für die Ausbildenden ihr damit wehzutun.
Trotzdem konnte sie Kasimirs ehrliche Worte nicht einfach so stehen lassen.

"Ich sehe dich auch als Freund. Mehr noch, du bist der Anführer unserer kleinen Truppe. Ich vertraue dir. Was ist es also, weshalb du so dringend mit mir reden musst?"

Kasimir strich sich über das kurze Haar und kniff die Augen einmal fest zusammen, eine Gewohnheit die er öfter machte.

"Sergei hat gehört wie Magenta über dich geredet hat. Anscheinend wurde ein Reproduktionspartner für dich ausgewählt."

Für einen Moment konnte Kyrie nur erstaunt schauen. Kasimirs Worte schienen keinen Sinn zu ergeben. Nicht einmal annähernd.

"Okay.", erwiderte sie langsam, die Augenbrauen hochgezogen, den Kopf schräggestellt.

"Willst du nicht wissen wer es ist?"

"Wer was ist?" Kasimir seufzte, nahm sie sanft an den Schultern, beugte sich runter. In seinem Gesicht lag die Bürde des Wissens, in seinen Augen die Traurigkeit über ein grausames Schicksal.

Er befeuchtete seine trockenen Lippen und begann dann langsam zu sprechen.

"Ich bin dein Reproduktionspartner. Es tut mir so leid, Nava, für uns beide."

Kyrie trat einen Schritt zurück, schüttelte unkontrolliert den Kopf als müsste sie einen bösen Gedanken vertreiben.

"Nein..nein, nein, nein.", meinte sie zweifelnd in allen möglichen Tonhöhen.

Kasimir sah sie so unglaublich traurig an. Sie versuchte zu lachen, versuchte den Scherz hinter der grausamen Wahrheit zu finden, doch Kasimir lachte nicht mit ihr. Stattdessen sah er zu Boden. Der Zweifel wurde zu Wut.
Heiß glühende Wut. Kyrie ballte die Hände zu Fäuste und biss die Zähne zusammen.
In dieser Sekunde herrschte nur Zorn in ihrem Kopf.

"Nein! Ich werde das NICHT tun! Sie können mich nicht zwingen!", schrie sie Kasimir an, stieß ihn gegen die Wand. Er ließ es zu, sah sie weiterhin niedergeschlagen an.

"Hör auf mich so anzusehen. Ich werde kein Kind mit dir kriegen! Ich werde überhaupt kein Kind kriegen!",ihre Schreie wurden zu Schluchzern, Tränen rannen ihre wutroten Wangen hinunter. Sie wusste, genau wie Viktor hatte gar keine andere Wahl.
Mit einem einzigen letzten Schrei verpasste sie ihm eine ordentliche Ohrfeige und rannte davon.

Sie wollte Kasimir töten, wollte Magenta töten, wollte ihrem Zorn irgendwie Ausdruck verleihen. Blind rannte sie durch die Gänge des Gebäudes, vorbei an erstaunten Rekruten. Ihre Beine trugen sie zu dem einzigen Ort der ihre Verletztheit heilen könnte.
Erst vor einer Besenkammer in einem der vielen grauen Flure blieb sie stehen. Ihr Atmen ging unregelmäßig, ihre Handfläche pochte von der Ohrfeige die sie Kasimir verpasst hatte.
Er würde sicher schmerzen haben. Kyrie wollte Schuldgefühle fühlen, doch vor ihrem inneren Auge sah sie nur die Qualen und schmerzen die während der Empfängnis, dem Austragen und der Geburt ihres Kindes auf sie zukamen.

Da war einfach kein Platz für die Gefühle eines anderen Menschens, selbst eines Freundes. Verstohlen sah sie sich um und klopfte dann in einem besonderen Rhythmus an die Tür der Besenkammer.

Eine Sekunde später wurde sie einen spaltbreit geöffnet. Schnell huschte sie hinein und verschloss sie von innen. An den Seiten der Kammer standen regale mit allen möglichen Gegenständen angefangen von Vasen bis hin zu Peitschen. Sogar Sportbälle und Bettzeug lagerten darauf. Im schummrigen Licht einer schwachen Lampe sah sie Zeus vor sich stehen.
Mit seinen sanften grünen Augen sah er sie interessiert an. Sie wollte ihm erzählen was Kasimir gesagt hatte, doch ihr Unterkiefer zitterte vor Zorn und Verzweiflung.

"Kyrie.", flüsterte er forschend und strich ihr eine Strähne des langen blonden Haares hinters Ohr, ließ seine Hand an ihrer Wange liegen. Wärme breitete sich durch diese Berührung in ihrem Körper aus.

In seiner Stimme hörte sie nur Mitgefühl, Freundlichkeit. Er war nie anders zu ihr gewesen. In den letzten Monaten hatten sie sich regelmäßig heimlich getroffen, hatten zusammen gelacht und Freundschaft geschlossen. Kyries positive Gefühle waren gewachsen, er war der einzige bei dem sie sich traute dies zuzugeben. Aus dem Zorn und der Traurigkeit in ihrem Herzen erwuchs eine Idee. Diese Idee konnte sowohl zerstörerisch als auch fatale Folgen für sie beide haben, doch in diesem Moment in dieser kleinen Kammer, ihrem geheimen Zufluchtsort war ihr das alles egal. Kyrie trat noch näher an Zeus und presste ihre Lippen auf seine. Überrascht zog Zeus sich zurück.

"Kyrie, was?", weiter kam er nicht.

Noch einmal küsste sie ihn, schloss die Arme um seinen Kopf und zog ihn näher zu sich. Zeus musste sich runter beuge, da er einige Zentimeter größer war als sie. Auf den nächsten Kuss war er vorbereitet und erwiderte ihn.

Seine Hände griffen in ihr Haar, glitten dann abwärts und drückten sie gegen ihn. Kyrie verspürte immer noch ihren Zorn und die Hilflosigkeit, doch da war plötzlich mehr. Ein Feuer das diese Gefühle zurückdrängte und ihren Kopf von Angst und Ungewissheit befreite.

Sie hatte sich noch nie so aufgeregt gefühlt, als würde sie am Rande einer heißen Lavagrube balancieren, doch es war ihr egal ob sie hineinfiele oder nicht. Sie wollte mehr von diesem Gefühl, presste sich gegen Zeus stahlharte Muskeln. Plötzlich trat er zurück, hielt sie auf Armeslänge. Die Wärme verschwand und die Kälte der Zurückweisung nahm ihren Platz ein.

"Warte, warte.", Zeus holte tief Luft, seine Wangen waren rot, seine Pupillen vor Verlangen erweitert.

"Worauf?", fragte sie drängend.

"Darauf, dass du mir sagst was dich so bedrückt. Du kommst hier wutentbrannt rein und stürzt dich auf mich. Versteh mich nicht falsch. Ich fands toll, trotzdem würde ich gern wissen für welches Problem ich hier die Ablenkung mache."

Kyrie seufzte.

Dieser Mann war manchmal viel zu viel Kopf und zu wenig Gefühl. Allerdings waren dank dieser kleinen, heißen Ablenkung und der zwangsmäßigen Auszeit ihre Gefühle abgekühlt. Die Idee blieb jedoch trotzdem bestehen.

"Ich werde demnächst einem Reproduktionspartner zugewiesen.", Kyrie erwartete Eifersucht in Zeus Augen und fand sie auch, leider nicht in dem Ausmaß in dem sie sie erwartete. Anstelle dessen richtete sich Zeus zu seiner vollen Größe auf und verzog das Gesicht.

"Weißt du wer es ist?" "Macht dich das nicht wütend?", fragte sie statt einer Antwort. Zeus schüttelte den Kopf.

"Du hast keine Ahnung wie wütend. Ich will dich nicht mit einem anderen Mann teilen. Du sollst zu mir gehören."

Erschrocken sah er sie an. Die Worte waren ihm wohl aus Versehen rausgerutscht. Langsam breitete sich ein Lächeln auf Kyries Gesicht aus. Sie strahlte den Mann vor ihr an. Dieser strich sich mit einer Hand über den hochrotem Kopf und lächelte schief.

"Ich will dich auch mit keiner anderen Frau teilen.", ließ sie ihn grinsend wissen. Für einen perfekten kleinen Augenblick sahen sie sich in die Augen, spürten die Zuneigung für einander. Doch wie jeder Moment verging auch er und Zeus lächeln verblasste wie auch ihres.

"Also wer ist es?" Kyrie atmete tief durch, biss sich auf die Lippen.

Sie hatte Kasimirs Bild im Kopf. Einen Freund und Helfer, jemanden dem sie vertraute, doch wenn sie sich vorstellte mit ihm ein Kind zu zeugen, wurde ihr nur schlecht.

"Es ist Kasimir aus meiner Einheit." Zeus nickte.

"Dann machen sie es wohl wirklich."

"Was?" Zeus ließ sich auf ihre provisorische aus Bettzeug und alten Kartons gebautes Sofa fallen und legte den Kopf in die Hände. Kyrie kuschelte sich an ihn, zwang ihre Hand in seine, legte ihre Wange an seine Schulter.

"Was weißt du über den Krieg gegen die Rebellen?"

"Nicht viel. Ich kenne >OneSheep< aber genaueres weiß ich nicht. Was hat das mit Kasimir und mir zu tun?" Zeus lachte humorlos.

"Alles. >OneSheep<, reißen unserem tollen Meister Bärenstein ordentlich den Arsch auf und das seit Jahren."

"Ich hörte immer nur von Anschlägen und zivilen Opfern."

"Stimmt, ändert aber nichts an ihrer Macht. Und das weiß Bärenstein auch. Deshalb hat er beschlossen etwas neues zu versuchen." Kyrie sah ihn skeptisch an.

"Was meinst du?" Zeus wandte sich ihr zu.

"Wir Henotellos werden weniger. Die Geschwister draußen beschließen immer weniger Kinder zu bekommen. Noch dazu kommt, dass es nur wenige Kampfbegabungen gibt und wir sterben wie die Fliegen an der Front. Ich wollte es zuerst nicht glauben, aber anscheinend macht Bärenstein jetzt ernst." Zeus strich müde über seine Augen. Seine Schultern hingen niedergeschlagen nach unten. Kyrie wollte diesen Mann, ihren Mann nicht so sehen.

"Er will neue Super-henotellos züchten indem er zwei Henotellos mit der Gabe ein Kind zeugen lässt." Kyrie schüttelte den Kopf, unterbrach ihn.

"Aber jeder Henotello hat nur eine Gabe. Da ist es auch Egal wenn beide Henotellos sind. Richtig?" Kyrie dachte an ihre eigenen Gaben, dachte an all die Dinge die sie tun konnte.
War ihre Mutter auch eine Henotello? War dies der Grund für ihre Kraft? Zeus zuckte mit den Achseln.

"Ich weiß nicht ob es funktionieren kann. Aber ich wünsche diesem Bastard keine Kinder, schon gar nicht wenn sie hier aufwachsen."

"Diese Regel Nummer Drei mit den Reproduktionspartnern ist doch krank! Und da draußen weiß niemand etwas davon." Kyrie ballte wieder die Fäuste, in ihr schwellte der Zorn. Nur Zeus nähe beruhigte sie.

"Diese Regel haben sie auch erst seit etwa fünf Jahren. Davor wurden Beziehungen von Henotellos zwar gefördert, aber ganz sicher war es kein so krankes Zuchtprogramm wie heute. Bärenstein hat sich da wirklich was ausgedacht. Ich wette sein Vorfahre wäre stolz auf ihn."

Kyrie sah Zeus an, sah seine niedergeschlagene Haltung und die hoffnungslosen Gesichtszüge. Langsam beugte sie sich vor und küsste seine warmen Lippen. Zeus erwiderte den Kuss ebenso vorsichtig. Die beinahe animalische Lust war aus ihren Bewegungen verschwunden, was sie nun ausdrückten war ihre Zuneigung füreinander. Es war Zeus der den Kuss schließlich beendete.

"Wir sollten nicht,..", begann er, doch Kyrie legte ihre Finger an seine Lippen.

"Ich hatte vorhin eine Idee.", sie leckte sich über die trockenen Lippen, blickte dabei unsicher in seine schönen grünen Augen.

"Ich will Kasimir nicht und er mich genauso wenig. Aber ich will dich. Wenn sie mich schon zwingen, diesem gestörten Regime ein Kind zu schenken, dann könnte es doch zumindest ein Kind von einem Mann sein, der mir etwas bedeutet."

Zeus's Augenbrauen zogen sich verwirrt zusammen. Ihre Finger lagen immer noch über seinem Mund, weshalb er nicht antworten konnte.

"Ich meine dich, Dummerchen."

Ihr Lächeln wurde erwidert und als sie die Hand wegnahm, küsste Zeus sie. In diesem Kuss lag all seine Liebe und als Kyrie mit ihrem Geist in seinen sah, bot sich ihr ein Meer aus Eindrücken. Sie sah sich selbst durch seine Augen, sah ein wunderschönes Mädchen mit einem ansteckenden Lachen, klugen Kommentaren und einem feurigen Temperament. Kyrie spürte wie viel sie ihm bedeutete und mit diesem Wissen ließ sie zu, das Zeus ihre Kleidung entfernte.

Das Feuer zwischen ihnen brannte lichterloh und schenkte Kyrie einen Moment des Friedens gleich dem Auge eines Hurricans.

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