TEIL 1
Wir leben in einer Welt ohne Jahreszeiten. Es gab Zeiten in denen es wärmer war. Es gab Zeiten in denen es kälter war. Ostern, Weihnachten, Silvester oder sonstige Feiertage existierten auch. Aber nichts davon war so, wie es früher einmal war. Es gibt keine Jahreszeiten. Es gibt nur Krieg oder kein Krieg.
Seit einer dreiviertel Stunde geisterte ich jetzt schon durch die Stadt und suchte die Weihnachtsgeschenke für meine Familie zusammen. Für meine kleine Schwester hatte ich schon ein Kuscheltier gekauft, mein großer Bruder bekam einen Bettbezug von mir und meine Mutter ein Buch. Nur für meinen Vater hatte ich noch nichts.
Es war kalt und ich konnte meinen Atem direkt vor mir sehen, also beschloss ich mich kurz mit einer heißen Schokolade aufzuwärmen und lief auf das nächste Café zu. Ich musste mich beeilen und bevor die Dämmerung einbrach wieder zuhause sein, denn dann würde der Krieg weitergehen.
Es hatte begonnen als ich noch ein kleines Kind war. Ich konnte mich also so gut wie gar nicht an eine Zeit ohne Krieg erinnern. Dass Vampire existierten war allgemein bekannt. Dass sie vor hatten die Menschheit auszurotten jedoch nicht. Seit gut zwanzig Jahren herrschte nun also Krieg, aber die Menschen schienen ein würdiger Gegner gegenüber den sich von Blut ernährenden, nachtaktiven und übernatürlich starken sowie schnellen Wesen zu sein. Noch lebten wir.
„Herzlich Willkommen, was kann ich Ihnen bringen?" Ich sah überrascht auf und stellte fest, dass ich bereits an der Reihe war. „Eine heiße Schokolade zum mitnehmen bitte." bestellte ich und nahm mein Portmonee aus meiner Tasche um das bereits vor mir stehende Getränk zu bezahlen.
Keine Minute später stand ich dann auch schon mit meinem Becher draußen und genoss mein Getränk, während ich durch die Einkaufsstraße lief und mich versuchte durch die Schaufenster für das richtige Geschenk für meinen Vater inspirieren zu lassen.
Er war Leutnant beim Militär und daher nur sehr selten zu Hause. Woher sollte ich also wissen was ihm gefallen könnte? Außerdem wusste man bei ihm nie was er gerade dachte. Meine Mum meinte mal, dass er früher ganz anders war. Er war ein lustiger und spontaner Mann der stolz auf alles war, was seine Kinder taten. Doch als er zum Militär einberufen wurde, hatte er sich verändert. Fast zwei Jahre war er weg, und als er wiederkam war er ein ernster, strenger Mann geworden, der von jedem nur das Beste erwartete.
Ich fand etwas und betrat das Geschäft, nur um es keine Minute später wieder zu verlassen. Dank meines Vaters lebten wir zwar sehr wohlhabend, jedoch konnte ich keine 500 Euro für ein Geschenk ausgeben, dass ihm eventuell nicht mal gefällt.
Nur weil ich auf meinen Becher sah, um die Öffnung zum trinken zu finden, fiel mir auf, dass schon die Straßenlaternen angegangen waren. Es war gerade mal halb fünf, aber die Sonne ging schon unter und es begann gefährlich zu werden.
„Bitte begeben Sie sich auf direktem Weg nach Hause. Ihre Sicherheit kann nicht mehr gewährleistet werden. Bitte begeben Sie sich auf direktem Weg nach Hause. Ihre Sicherheit kann nicht mehr gewährleistet werden." Wiederholte eine elektronische Stimme, die aus den Lautsprechern kam, die unter jeder einzelnen Lampe angebracht waren.
Ohne lange zu warten oder noch etwas zu erledigen trat ich den Rückweg an und stieg in den Linienbus, welcher in Richtung Neubaugebiet unterwegs war. Ich setzte mich auf einen Zweisitzer recht weit vorne im Bus und sah während der Fahrt aus dem Fenster.
Da heute ein schöner, sonniger Wintertag gewesen war, versperrte keine einzige Wolke den Sonnenuntergang, der sich in orange, rot und rosa über den kompletten Horizont zog, während der Himmel über uns immer mehr an Farbe verlor und immer dunkler wurde. Dennoch glänzte der Schnee, der heute über den Tag stark geschmolzen war, noch leicht in der Restsonne.
„Nächster Halt, Neubaugebiet Eastey." kam die Durchsage und ich stand auf. Mit meinen drei Tüten stieg ich aus und zog meinen Schal enger. Jetzt wo die Sonne so gut wie weg war, war es gleich doppelt so kalt wie über den Tag. Ich sah kurz in den Himmel, wollte eigentlich nur schauen wie viel noch von der Sonne da war, blieb dann aber erstaunt stehen.
Da ich seit meiner frühen Kindheit schon immer im Haus war, sobald die Sonne verschwand, hatte ich noch nie wirklich die Chance gehabt den Sternenhimmel anzusehen. Doch jetzt sah ich ihn und es war unglaublich. Ich hatte schon öfters Bilder von Sternbildern gesehen und erkannte auch sofort das ein oder andere wieder. Jedoch hatte ich nicht viel Zeit zum suchen, denn dass ich noch nie die Möglichkeit hatte den Himmel bei Nacht zu sehen hatte einen Grund. Ich musste so schnell wie möglich nach Hause.
Ich lief mit schnellen Schritten los und versuchte immer in der Nähe von bewohnten Häusern zu bleiben. Falls ich etwas sehen sollte, könnte ich dann schnell bei Bekannten aus der Nachbarschaft unterkommen.
Zu meinem Glück war ich alleine auf der Straße. Zumindest bis ich in die Nächste einbog. Es fühlte sich so an, als wenn mein Herz einen Moment aussetzen würde, nur um gleich darauf in fünffacher Geschwindigkeit wieder zu schlagen. Im Schatten des Hauses stand jemand. Ich konnte nur seinen Umriss erkennen aber war mir dennoch sicher, dass dort kein Mensch stand.
Möglichst leise, was durch den Schneematsch eine ziemlich heikle Angelegenheit war, bog ich in eine Seitengasse ein und hoffte, dass er mich nicht gesehen hatte. Nach wenigen Metern sah ich einmal prüfend über meine Schulter. Ich konnte aber niemanden sehen also musste ich sicher sein. Er hatte mich wohl nicht bemerkt.
Ich drehte mich wieder nach vorne und erstarrte. Entweder hatte ich heute ziemliches Pech oder er hatte mich doch bemerkt. Er stand in der gleichen Pose wie zuvor auch hier an eine Hauswand gelehnt aber sah mich dieses Mal genau an. Er war noch ziemlich weit weg, also konnte ich sein Gesicht nicht sehen, aber ich spürte seinen Blick auf mir und wenn ich mich nicht irrte hatte ich auch ein kurzes, rotes Aufblitzen gesehen.
Ich wendete meinen Blick schnell ab und bog um die nächste Ecke. Möglichst weg von ihm. Mittlerweile war ich mir allerdings gar nicht mehr sicher wo genau ich mich gerade befand, und versuchte nun, wieder zurück auf den Hauptweg zu finden.
„Na, hast du dich verlaufen, Prinzessin?"
Ich erstarrte und sah auf. Da war er schon wieder. Wie auch schon zuvor stand er an die Wand gelehnt da, doch dieses Mal sah er mich deutlich an und war auch schon nah genug, dass ich sein Gesicht sehen konnte.
Er hatte dunkelblonde Haare, die ihm wild ins Gesicht fielen, ein etwas kantiges Gesicht, ein spitzes Kinn und dunkelrote, leuchtende Augen. Auf seinen Lippen lag ein süffisantes Lächeln, welches seine Zähne erahnen ließ. Sehen konnte man sie noch nicht.
Ich antwortete nicht und bog stattdessen um die nächste Ecke. Mittlerweile hatte ich gar keine Ahnung mehr wo ich war. Wir lebten noch nicht lang genug hier, als dass ich jede Ecke auswendig kannte.
„Glaubst du echt du kommst jetzt noch weg?"
Er stand schon wieder vor mir. Nur dieses Mal noch näher und mit einem breiten Grinsen auf den Lippen. Mit diesem entblößte er auch gleich seine Zähne. Falls er vor gehabt hatte damit zu beweisen, dass er ein Vampir war, war das unnötig. Ich wusste es schon.
Er wirkte schon so anders. Man sah ihm an, dass er den Menschen überlegen war. Die Art wie er sprach. Wie er ging. Jede einzelne Bewegung sagte ganz genau aus, dass er wusste wie viel stärker er war. Wie einschüchternd mir gegenüber.
Mein Herz raste wie wild und mein Blut rauschte in meinen Ohren, als er vor mir zum stehen kam. Er trug den Geruch von Blut und Tod wie ein Parfum. Diese Überlegenheit die Vampire ausstrahlten war deutlich zu spüren, während er langsam auf mich zu kam und mich somit nach hinten drängte.
Ich stieß mit meinem Rücken gegen die Wand eines Hauses und zuckte zusammen. Ich kam hier nicht weg. Was auch immer ich versuchen würde, es war aussichtslos. Ich würde hier wohl sterben.
„Wovor hast du denn solche Angst?"
Er klang wirklich besorgt während er das sagte, doch als ich mit all dem Mut, den ich aufbringen konnte, aufsah und in sein Gesicht blickte, sah ich ein fast schon spöttischen Blick.
Trotzdem antwortete ich, all meinen Mut zusammennehmend: „Vor dir."
Für einen ganz kurzen Moment, so kurz dass es auch Einbildung gewesen sein könnte, sah ich Überraschung in seinem Blick. Er hatte wohl nicht mit einer Antwort gerechnet. Doch dann fasste er sich und fing breit an zu grinsen.
Während er näher auf mich zu kam und mich noch weiter gegen die Wand zwang lag mein Blick wie erzwungen auf ihm. „Du musst vor mir doch keine Angst haben, Baby."
Seine Hand kam langsam auf mich zu und zog an meinem Schal, doch auch wenn ich etwas dagegen tun wollte, ihn festhalten oder einen Fluchtversuch starten, mein Körper bewegte sich nicht, weshalb es mir unmöglich war irgendwas zu versuchen.
Er löste meinen Schal und ließ ihn achtlos neben sich auf den Boden und in den zertrampelten Schneematsch fallen. Sein Blick hatte meinen nun freigelegten Hals fixiert, dem er sich langsam näherte.
Erst jetzt reagierte mein Körper wieder auf meine Befehle und ich versuchte ihn an den Schultern von mir weg zu drücken. Auch wenn ich all meine Kraft aufwand, schien er sich nicht mal anstrengen zu müssen, um deutlich stärker zu sein.
Ich spürte seinen Atem auf meiner freigelegten, kalten Haut und kniff die Augen zusammen, doch der Schmerz, den ich empfinden müsste kam nicht. Noch immer stemmte ich mich mit aller Kraft gegen ihn, auch wenn es eigentlich schon zu spät war.
Plötzlich seufzte er und ließ mich damit zusammenzucken. Auch wenn ich mich nicht mehr traute ihn anzusehen spürte ich seinen Blick doch ganz deutlich auf mir. „Könntest du bitte aufhören deine Muskeln so anzuspannen. Ich komme so schlechter an dein Blut und nur mal so, das wird dir auch um einiges mehr weh tun wenn ich einen Muskel treffe."
Seine Worte irritierten mich, weshalb ich einen kurzen Moment aufhörte gegen ihn anzustemmen. Diesen Moment nutze er aus und alles was ich noch spürte war, wie er seine Zähne in meinen Hals rammte.
Ich wurde zuvor noch nie gebissen und kannte auch niemanden dem das passiert war, aber trotzdem gab es natürlich die ein oder andere Geschichte darüber wie es wohl war. Unglaubliche Schmerzen oder das Gefühl, wie das Blut den Körper verlässt. Aber nichts davon war der Fall. Ich spürte nur ein kurzes Zwicken und nach kurzer Zeit ließ zwar die Kraft in meinen Beinen nach, aber er hielt mich fest, sodass ich schon fast in seinem Arm lag, während er von mir trank.
Aber außer seinem Atem in meinem Nacken und seinem Griff, der mich davon abhielt zu flüchten und gleichzeitig davor bewahrte auf den Boden zu fallen spürte ich nichts. Und selbst das Gefühl von diesen zwei Sachen wurde immer schwächer, bis ich irgendwann gar nichts mehr spürte. Mittlerweile war es dunkel. Ich sah nichts mehr. Hörte nichts mehr. Spürte nichts mehr.
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