⊱ 69 ⊰
Einen Moment lang verweile ich wie eingefroren an der geöffneten Haustür von Seungyouns Haus, kann seine Worte noch nicht realisieren und in meinem Kopf richtig verarbeiten.
,,Was ist los, Misaki?", fragt Takumi, der schließlich hinter mir auftaucht, nachdem sie uns alle beobachtet haben. ,,Ist alles in Ordnung?"
Erst als er diese Worte ausspricht, weiß ich, dass absolut gar nichts mehr in Ordnung ist.
,,I-Ich muss h-hinterher", stottere ich und schnappe mir blitzschnell meinen Mantel, doch Takumi greift im letzten Moment, bevor ich aus der Tür rennen kann, mein Handgelenk und hält mich auf.
,,Takum-", versuche ich mich sofort zu wehren, da ich so schnell wie möglich hinter Taehyung her muss, doch mein Bruder unterbricht mich prompt.
,,Ich komme mit dir", sagt er entschlossen und wirft sich ebenfalls seine Jacke über, verabschiedet sich von Seungyoun und drückt mich dann aus der Haustür, während die Anderen uns verwundert hinterher schauen.
Gemeinsam rennen wir den gepflasterten Weg in Seungyouns Vorgarten hinunter und stoppen, als wir am Bürgersteig ankommen.
,,Taehyung!", rufe ich ihm laut hinterher, als ich ihn bereits am Ende der Straße laufen sehe.
Ohne zu zögern folgen Takumi und ich ihm so schnell es geht und schaffen es ihn nach einiger Zeit einzuholen.
Wir tauschen keine Worte miteinander, sondern rennen einfach nur schweigend nebeneinander in Richtung des Krankenhauses.
Nicht einmal genau wissend, wie viel Uhr es ist, laufen wir durch die nächtlichen Straßen und Gassen Kyōtos, bis wir im Zentrum der Stadt, welches selbst in der Nacht belebt wirkt, angekommen sind.
,,Ich habe eigentlich gehofft, dass ich niemals ins Krankenhaus von Kyōto gehen muss", seufzt Takumi leise, sodass nur ich es hören kann, während Taehyung wieder einen Gang zugelegt hat.
Je näher wir dem Krankenhaus kommen, desto schneller wird er und missachtet plötzlich sogar das rote Licht der Fußgängerampel, riskiert dabei beinahe angefahren zu werden.
Ein schwarzer Wagen stoppt im letzten Moment mit einem lauten Quietschen.
Schockiert nutzen Takumi und ich den Moment, um ebenfalls über die Straße zu laufen und im Vorübergehen verbeuge ich mich kurz entschuldigend vor dem Auto.
Als wir dann durch die sich automatisch öffnende Glastür ins Krankenhaus gelangen, meldet sich Taehyung sofort an der Rezeption.
Die Angst ist ihm dabei förmlich ins Gesicht geschrieben und in mir breitet sich ein sehr ungutes Gefühl aus.
Die in weiß gekleidete Frau hinter dem Tresen versucht ihn zunächst noch zu beruhigen, erklärt ihm aber dann, wo er genau hin muss.
Er verliert keine Zeit, denn sobald sie ihren Satz zu Ende gesprochen hat, rennt Taehyung sofort los.
Vor der Intensivstation angekommen erkenne ich schließlich Yeeun, die auf einem Stuhl sitzt und dabei emotionslos auf ihrem Handy herumtippt.
,,Was ist passiert?!", fragt Taehyung sie aufgewühlt und bringt sie mit seinem bloßen einschüchternden Auftreten zum Aufstehen.
,,I-Ich war bei ihr, wie geplant und sie hat gekocht, w-während ich im Wohnzimmer gewartet habe", stottert Yeeun los und ihr Blick schweift kurz zu mir und Takumi, da wir ein paar Meter hinter Taehyung stehen, jedoch trotzdem alles mithören können. ,,Ich habe ein l-lautes Geräusch gehört u-und dann lag sie dort.. bewusstlos.."
Taehyung zieht Yeeun sofort in seine Arme und legt behutsam seine Hand auf ihren Hinterkopf, senkt dabei selbst seinen Kopf.
,,Wo ist sie jetzt?", fragt Taehyung mit zittriger Stimme, als würde er die Antwort lieber erst gar nicht hören wollen.
,,Ich weiß es nicht", schluchzt Yeeun leise. ,,Seitdem der Krankenwagen sie abgeholt hat, weiß ich nicht, wo sie ist."
In diesem Moment geht am Ende des Ganges ein Mann mit weißem Kittel vorbei, was scheinbar nicht nur mir auffällt, denn Taehyung lässt Yeeun ohne zu zögern los und läuft zu dem Arzt.
,,Entschuldigung!", macht er ihn laut auf sich aufmerksam. ,,Meine Großmutter wurde vorhin hier eingeliefert und wir wissen nicht, wo sie ist oder wie es ihr geht."
,,Dann sind sie der Enkel von Mrs. Kim, schätze ich?", stellt der Arzt fest. ,,Ich kann ihnen keine genauere Auskunft darüber geben. Sie hat einen schweren Herzinfarkt erlitten und wird gerade behandelt."
Ich weite meine Augen vor Schock und kann förmlich erkennen, wie Taehyungs Seele seinen Körper zu verlassen scheint, als er die Worte des Arztes hört.
,,Wir geben unser Bestes, um ihr zu helfen. Ich bitte sie darum, hier zu warten. Ein anderer Arzt wird auf sie zurückkommen", erklärt der Arzt und klopft Taehyung aufmunternd auf die Schulter.
,,T-Taehyung..", hauche ich leise und gehe zu ihm, als der Arzt sich verabschiedet hat.
Vorsichtig lege ich meine Hand an seinen Unterarm, doch er zieht seinen Arm sofort zurück und stampft wütend zu Yeeun, die extrem schockiert dasteht.
Er lässt sich auf einen der Stühle nieder und legt den Kopf verzweifelt in die Hände.
Takumi und ich tauschen einige traurige Blicke miteinander aus, bevor ich entschließe mich trotzdem neben Taehyung zu setzen, jedoch ohne ihn auch nur irgendwie ansatzweise anzufassen.
,,Es wird alles in Ordnung", spreche ich ihm Mut zu, obwohl selbst meine eigenen Hände zittern.
Und trotzden würde ich ihm so gerne helfen. Ihm einfach jegliche Angst nehmen.
,,Soll ich etwas zu Trinken holen? Einen Kaffee vielleicht?", frage ich leise, erhalte dennoch keine Antwort und schaue hilfesuchend zu Takumi, der sich ziemlich fehl am Platz zu fühlen scheint.
,,Das wäre nett", beantwortet Yeeun anstatt Taehyung meine Frage und mit einem Nicken stehe ich auf und suche zusammen mit Takumi nach einem Kaffeeautomaten, den es auf jeder Station gibt.
,,Ich glaube ich habe ziemliche Scheiße gebaut, Takumi", gebe ich von mir, während wir darauf warten, dass der letzte Kaffeebecher befüllt wird.
,,Du bist nicht dafür verantwortlich, dass seine Großmutter einen Herzinfarkt erlitten hat, Misaki", weist mich Takumi sofort zurecht, weil er scheinbar genau weiß, worüber ich nachdenke. ,,Hör auf so einen Unsinn von dir zu geben, ja? Sei jetzt einfach für ihn da. Das ist das Einzige, was du momentan für ihn tun kannst, glaub mir."
Niedergeschlagen senke ich meinen Kopf und nehme den letzten Becher in die Hand, bevor wir uns dann auf den Rückweg zur Intensivstation machen.
,,Hier", mache ich leise auf mich aufmerksam und reiche Yeeun, sowie Taehyung einen Becher, der diesen jedoch ablehnt.
,,Ich habe nicht darum gebeten", weist er mich ab und schaut erwartungsvoll auf die milchigen Glastüren vor uns, die zum Operationssaal führen.
,,Du musst etwas trinken, Taehyung!", erwidere ich und bekomme darauf keine Antwort mehr, stelle deswegen den Becher aber trotzdem neben ihn auf den Boden, falls er sich doch umentscheiden sollte.
Takumi legt sanft seine Hand auf meine, als er sich neben mich setzt um mir Kraft zu geben, doch es fühlt sich an, als wären bereits unerträgliche Stunden vergangen, wenn es in Wahrheit nicht einmal eine halbe war.
Aufgrund des Stresses des heutigen Tages, überkommt mich schließlich Müdigkeit, die ich aber so gut es geht überspiele und immer wieder versuche Taehyung irgendwie anzusprechen, bekomme aber jedes Mal dieselbe Antwort: Schweigen.
Das Adrenalin strömt erst wieder durch meinen Körper, als sich die Tür vor uns auf einmal öffnet und ein Arzt mit zwei Krankenschwestern heraustritt.
Sofort erheben wir uns hektisch und Taehyung geht auf den Arzt zu.
,,Was ist mit ihr? Was ist mit meiner Großmutter?", fragt er den Arzt hoffnungsvoll und ich versuche bereits irgendeine Antwort aus dem Gesichtsausdruck des Arztes abzulesen.
Die nächsten Worte, die dem Arzt über die Lippen gehen, fühlen sich an als würde sich ein Messer in mein Herz bohren.
,,Es tut mir Leid ihnen mitteilen zu müssen, dass wir sie leider nicht retten konnten", erklärt der Arzt so einfühlsam wie möglich. ,,Sie hatte ein langes und erfülltes Leben, aber sie hatte keine Chance mehr. Ihr Körper war bereits durch eine Erkrankung der Bronchien angeschlagen und konnte nicht dagegen ankämpfen. Es tut mir aufrichtig Leid."
Die Worte des Arztes hallen nur so in meinem Kopf umher während sich die Tränen bereits einen Weg über meine Wangen bahnen und zu Boden tropfen.
,,Das stimmt nicht! Sagen sie mir, wo meine Großmutter ist!", schreit Taehyung den Arzt sofort lauthals an, was diesen nicht einmal zurückschrecken lässt, so, als wären Momente wie diese für ihn bloßer Alltag.
,,Mr. Kim! Ich weiß es ist schmerzhaft ein geliebtes Familienmitglied zu verlieren, aber wir haben unser Bestes gegeben", erwidert der Arzt mit beruhigender Stimme, die Taehyung alles andere als beruhigt.
Er packt nach dem Kragen des weißen Kittels des Arztes, bevor Yeeun schnell eingreift und Taehyung umarmt, sodass er aufhört.
,,Sie war nicht irgendein Familienmitglied! Sie war die Einzige, die für mich da war und mich verstanden hat!", zischt Taehyung wütend auf, versucht aber gleichzeitig Yeeun in seinen Armen zu trösten, der mittlerweile auch die Tränen gekommen sind.
Der Arzt verbeugt und verabschiedet sich mit einer erneuten Entschuldigung und erwähnt, dass sie ihre Großmutter noch ein letztes Mal sehen dürften, wenn sie dies erwünschen.
Danach geht er zurück durch die Glastür, aus der er zuvor gekommen ist.
Plötzlich herrscht eine unangenehme Stille und ich spüre wie Takumi seine Hand sanft auf meine Schulter legt, um mich ebenfalls zu beruhigen.
Das Einzige, was zu hören ist, ist das Schluchzen von Yeeun, Taehyung und mir.
,,Taehyung!", ruft Yeeun laut auf, als er langsam zu Boden sinkt und mit geballten Fäusten dagegen schlägt.
Ohne zu zögern knie ich mich neben ihn und versuche ihn wieder hochzuhiefen, doch er weigert sich, brüllt mich stattdessen lieber an.
,,Fass mich nicht an!", sagt er wutentbrannt und sieht mir das erste Mal, seitdem wir hier sind, in die Augen.
Alles, was ich darin erkennen kann, ist Leid, Trauer und Wut.
,,Lass mich los, Misaki", knirscht er leicht mit den Zähnen und ich ziehe sofort meine Hand, die ich auf seinen Arm gelegt hatte, weg.
,,Aber Taehyu-"
,,Schämst du dich denn gar nicht?", fragt er mit einem Aufprusten, woraufhin ich ihn nur irritiert ansehe. ,,Wie kannst du mir noch normal gegenübertreten, nach dem, was du angerichtet hat, hm!?"
Mit diesen Worten erhebt er sich abrupt, was ich ihm sofort gleichtue, und ballt erneut wütend seine Fäuste; sodass die Adern bereits herausstechen.
,,Wärst du nicht gewesen, dann wäre ich niemals zu dieser bescheurten Abschiedsparty gegangen. Wärst du nicht gewesen, dann hätte sie überlebt! WEGEN DIR HABE ICH SIE VERLOREN! GANZ ALLEIN WEGEN DIR, MISAKI!", schreit er mich dann an, was meinen Tränenfluss nur noch verstärkt und ich spüre, wie mein Herz schmerzhaft zerbricht. ,,Es ist deine Schuld, dass sie tot ist."
,,T-Taehyung.. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich dich doch niemals absagen lassen! Ich habe sie selbst auch lieb gewonnen, wie kannst du nur so etwas sagen?", frage ich ihn verletzt. ,,Wie kannst du mir soetwas vorwerfen?"
,,Du hast sie auf dem Gewissen, Misaki", sagt Taehyung mit bedrohlichem Unterton, der mich einen Schritt zurückgehen lässt. ,,War dir deine verdammte Abschiedsfeier wirklich wichtiger als das Leben eines Menschen?!"
Seine Worte nicht mehr aushalten könnend, sacke ich weinend zu Boden und halte die Hände vor mein Gesicht.
,,Misaki kann nichts für den Tod deiner Großmutter!", mischt sich Takumi schließlich ein und ich spüre, wie er mich vorsichtig wieder auf meine Beine zieht. ,,Gib ihr nicht die Schuld für etwas, wofür niemand etwas kann! Niemand kann den Tod beinflussen oder vorhersagen, Taehyung. Lass deine Wut nicht an meiner Schwester aus, die zufällig auch deine Freundin ist, falls du das vergessen haben solltest. Also rede nicht so mit ihr!"
,,Ihr solltet jetzt wirklich gehen, Misaki", meldet sich nun auch Yeeun zu Wort und schlingt ihre Hände um Taehyungs Unterarm.
Sie war nie für ihn da, aber genau jetzt tut sie so, als wäre sie seine kleine Schwester, die ihm beiseite steht, wenn er eigentlich mich an seiner Seite haben sollte.
Mich, die immer für ihn da war in den letzten eineinhalb Jahren.
Mich, in die er sich einst verliebt hat.
,,Ich hoffe ihr verschwindet endlich aus Kyōto und kommt nie wieder zurück!", schreit Taehyung mich wieder an, weswegen ich zusammenzucke.
Durch meine Tränen gefüllten Augen sehe ich ihn schon nicht mehr klar und versuche sie mir immer wieder wegzuwischen.
,,Hör auf damit, Taehyung!", entgegnet Takumi ihm wütend und mein gesamter Körper zittert bereits.
,,Ich hasse dich, Misaki", zischt Taehyung und teilt mein Herz mit diesen Worten entgültig entzwei. ,,Ich will dich nie wieder sehen!"
,,Wie kannst du all das einfach so wegschmeißen, Taehyung? Ich liebe dich doch!", erwidere ich nun endlich und stelle mich direkt vor ihn. ,,Du brichst mir das Herz.."
,,Ich werde dir niemals verzeihen für das, was du mir angetan hast. Ich brauche dich nicht an meiner Seite. Ich kam bisher immer gut alleine zurecht, bis du aufgetaucht bist", erklärt er und weiß dabei genau, wie sehr er mich verletzt.
Er ist an dem Punkt angekommen, an dem er mich nur noch am Boden sehen will, wenn er vor wenigen Stunden noch so liebevoll mit mir umgegangen ist.
,,Du machst mich wirklich für den Tod deiner Großmutter verantwortlich und schickst mich einfach davon, für immer?", frage ich traurig, in der Hoffnung, dass er alles verneint und das Gesagte wieder vergessen macht.
Dass er wieder wird wie vorher.
Dass alles normal wird.
,,Es ist mir egal! Ich habe mich in dir getäuscht, Misaki. Ich brauche dich nicht", entgegnet er mir und gibt meinem gebrochenen Herzen mit seinen folgenden Worten den finalen Todesstoß.
❝Und im Endeffekt bleibst du sowieso nur eine Erinnerung❞, sagt er mit so viel Hass in seiner Stimme, dass ich den einst so freundlichen und liebevollen Taehyung nicht mehr wieder erkennen kann. ,,Genau wie meine Eltern, genau wie jeder, der mir jemals etwas bedeutet hat und jetzt verschwinde bitte einfach endgültig aus meinem Leben! Für immer!"
🎎
I'm back! Tut mir Leid, dass ihr so lange warten musstet :(
Ich habe mein Abitur mit einem Schnitt von 2,2 beendet und könnte wirklich nicht stolzer auf mich sein!
Wann auch immer ihr Stress in der Schule habt oder denkt, dass es nicht mehr weitergeht, ich kann euch sagen, dass ich dieses befreiende Gefühl mit nichts tauschen wollen würde. Also Kopf hoch und ihr habt es bald irgendwann auch geschafft und die Welt steht euch offen~
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