Unausgesprochen (3)
Tom:
Ich drücke die Wohnungstür auf und atme Keegans Duft ein. Noch immer kann ich nicht fassen, dass er mir einfach seinen Schlüssel gegeben hat. Statt stumm zu hoffen, dass ich schon jemanden finde, bei dem ich unterkommen kann, hat er verstanden, dass ich keinen der Jungs sehen möchte, und mir die Möglichkeit gegeben, alleine zu sein.
Ich stelle meine Schuhe ordentlich unter der Garderobe ab und drücke ohne nachzudenken meine Nase in die Jacken, die übereinander an den Haken hängen. Verdammt, Keegan. Soviel dazu, alleine zu sein. Natürlich ist er hier überall.
Vor einem Jahr hat er die Wohnung bezogen und als wir das letzte Mal alle gemeinsam hier im Wohnzimmer saßen, weil unser Stammclub geschlossen hatte, sah es hier noch ganz anders aus. Jetzt ist alles wohnlich, bunt, chaotisch. Auf einer Kommode stehen Familienfotos, auf denen ich einen kleinen Jungen erkenne, der auf die gleiche Weise verschmitzt grinst wie mein Keegan. Mein Keegan ist natürlich falsch, auch wenn es an diesem Ort leichtfällt, mir das einzubilden.
Ich öffne seinen Kühlschrank – nur so, nicht, weil ich Hunger habe. Ich will einfach sehen, was darin ist – und muss über die vor drei Tagen abgelaufene Joghurtpackung schmunzeln. Ich wasche mir die Hände mit seiner Seife. Ich betrachte die Bücher in seinem Regal, deren Einbände am zerlesensten aussehen, streichle ihnen über die Rücken. Ich merke, dass meine Vernunft aufhört, meine Handlungen zu regulieren, als ich mit der Fingerkuppe über die Borsten seiner Zahnbürste fahre.
Seufzend lasse ich mich im Schlafzimmer auf die Matratze fallen und schelte mich gedanklich selbst. Ich kann nicht durch seine Wohnung laufen und mir vorstellen, hier mit ihm zu leben. Das geht einfach nicht, vor Allem nicht, weil die Vorstellung mir sekündlich realer vorkommt, aber weit davon entfernt ist, es jemals zu werden. Er hat ganz deutlich gesagt, dass er nur Sex wollte. Ich weiß, woran ich bin. Keine Zweifel, keine Hoffnung. Der einzige Grund, dass ich hier bin, ist seine Großzügigkeit, nachdem er meine Situation erkannt und sich seinen Anteil an meiner Verletztheit eingestanden hat.
Dabei muss ich zugeben, dass ihn keine Schuld trifft. Reden hätte ich halt müssen. Ihm sagen, was ich will. Bei dem, was ich erfahren habe, war es nur logisch, dass er stillschweigend angenommen hat, ich wolle das gleiche wie er. Und dass er bei diesem Quatsch mitgemacht hat, kann ich ihm genauso wenig übelnehmen. Ja, er zerstört damit das Bild, das ich von ihm hatte. Vernünftig und gelassen und treu... Aber dass ich ihn angesehen und mir ungefragt Annahmen über ihn zusammengereimt habe, dafür kann er ja nichts. Wahrscheinlich wäre ich nicht einmal in ihn verliebt, hätte ich ihn richtig kennengelernt.
Aus dem Sitzen lasse ich mich nach hinten fallen, ziehe im Liegen meine Klamotten aus und die Decke über meinen Körper. Ich rutsche ein wenig herum, bis es gemütlich wird, knautsche das Kissen und drücke meine Nase hinein.
Und da ist er wieder. Keegan. In seinem Bett zu liegen ist, wie von allen Seiten von ihm sanft berührt zu werden, und dieser Geruch...
Am Morgen ist es das erste, das mir in den Sinn kommt. Ich liege in seinem Bett. Die Grübeleien der letzten Nacht kommen mir bedeutungslos vor.
Keegan wollte nur Sex. Das hätte ich wissen können, wenn ich mit ihm geredet hätte. Na und? Hätte ich irgendetwas anders gemacht, wenn ich es gewusst hätte? Immerhin ist es nicht so, dass er unsere Nacht als einmalige Sache deklariert hat. So, wie das klang, was sie mir gestern aufgetischt haben, hat er auch mit den anderen nicht nur einmal geschlafen. Es besteht also eine gewisse Chance...
Nicht für das, was ich eigentlich will. Damit muss ich mich abfinden.
Ich wende mich auf die andere Seite, möchte noch ein bisschen schlummern, als da wieder dieser Geruch ist. Ich streichle über die warmgelegene Matratze vor mir, schließe die Augen und stelle mir vor, da würde er liegen. Vielleicht würde er jetzt noch feste schlafen. Oder er hätte mich im Schlaf betrachtet, würde mir nun grinsend über die Wange streicheln und mir durch den Schalk in seinen Mundwinkeln offenbaren, was er gleich mit mir vorhat...
Genau, ich werde mich damit abfinden. Nur noch zehn Minuten...
Keegan:
Weil Max gleich am nächsten Morgen wieder angefangen hat, Fragen zu stellen, was da mit Tom vor sich gehe, bin ich dann doch überhastet aufgebrochen. Es war ja nicht mal geplant, auf seinem Sofa zu campieren und nun kann ich mir wenigstens zuhause mit meiner eigenen Zahnbürste die Zähne putzen.
Auf dem Heimweg habe ich Brötchen beim Bäcker besorgt und freue mich irgendwie, dass Toms Schuhe noch im Flur stehen. Ob er noch schläft? Ich halte auf die Küche zu, um alles, das wir brauchen, aus den Schränken zu holen, als ich vor der Tür ein Geräusch höre. Ich bleibe stehen und lausche. Es ist nicht nur ein einzelnes Geräusch, es ist eine ganze akustische Untermalung. Singt er? Oder es ist mehr ein Summen... Ich nähere mich der Tür zu meinem Schlafzimmer. Ein Lächeln schleicht sich unkontrolliert auf meine Lippen. Irgendwie passt es zu ihm, dass er mit bester Laune aufwacht und anfängt, eine Melodie zu summen.
Aber er summt nicht. Das anfängliche, gedämpfte Brummen ist einem Stöhnen gewichen, das einen warmen Schauer durch meinen Körper jagt. Reglos stehe ich vor der Tür und lausche. Lausche den Klängen seiner Lust, die mit der Zeit zu Schreien werden.
Als mein Verstand aussetzt, übernimmt mein Körper die Kontrolle und ich presse mein Ohr gegen das Holz der Tür, um näher dran zu sein. Gott, ich will dort drinnen sein und ihm zusehen.
Die Schreie werden lauter und hektischer, bis sie verstummen. Mit dem Ohr an der Tür kann ich seinen keuchenden Atem hören. Ich will gehen, das Frühstück vorbereiten, damit er mich nicht entdeckt, sehe mich aber nicht im Stande, mich zu bewegen. Nach einem Moment höre ich Rascheln, tapsende Barfußschritte, mehr Rascheln.
Mein Verstand erwacht zum Leben und so lautlos wie möglich mache ich mich davon, bin in der Küche, ehe Tom die Tür öffnet und über den Flur ins Bad huscht.
Was jetzt? Wenn er frisch geduscht aus dem Bad kommt und mich in der Küche sieht, wird er sich erschrecken. Seine Machenschaften im Schlafzimmer machen ziemlich deutlich, dass er nicht mit mir rechnet, bevor er weg ist.
Ich entscheide, zu warten, bis er zurück im Schlafzimmer ist, und ihn anzurufen.
„K-Keegan?", haucht er zittrig. Nanu? Wieso so schüchtern? „Ich wollte dich nicht erschrecken. Ich bin früher zurückgekommen und hab uns Frühstück gemacht." Stille. Dann höre ich ihn wieder, ganz leise. „Oh." Irritiert starre ich mein tutendes Handy an, als er auflegt. Bis er plötzlich vor mir steht, halb angezogen in T-Shirt und Unterwäsche. „Ich hab' dich nicht erwartet, tut mir Leid. Ich zieh' mich nur eben an und bin dann weg!", verspricht er. Ich stehe von meinem Stuhl auf und umfasse sein Handgelenk, damit er nicht davonläuft. Mein Daumen streichelt über seinen Unterarm, ich blicke von oben in seine ängstlich geweiteten Augen. „Bleib doch noch. Wir können zusammen essen, ja?"
Sein Blick durchforstet mein Gesicht, als wolle er darin irgendeine Antwort finden. Und ich muss schmunzeln. Irgendetwas macht seine Niedlichkeit mit mir.
„Vorgestern.", sagt er, sodass ich genau weiß, was er meint. „Wird sich das wiederholen?" Ich kann ein leises Lachen nicht zurückhalten. Er sagt das so geschäftsmäßig, als wolle er eine Verhandlung beginnen. Und doch... Er weiß genau, was er will, und redet nicht darum herum. „Du meinst, dass wir völlig aneinander vorbei kommunizieren?"
Tom verdreht niedlich die Augen, sieht mir dann fest in meine. „Dass wir miteinander schlafen." Ich schlucke, obwohl ich gewusst habe, was er meint, und suche im kühlen Blau seiner Augen nach der richtigen Antwort. Nach allem, was er gestern gehört hat, will er da noch, dass ich ja sage? Würde er fragen, wenn er ein Nein erwarten würde? Schließlich, wenn er selbst kein Interesse daran hätte, müsste er meine Meinung dazu nicht hören. Oder, ist es überhaupt eine Frage, die auf ein Ja oder Nein als Antwort beschränkt ist? Eine Gänsehaut legt sich über meinen Nacken, je länger ich ihn ansehe und in seinem Blick nichts erkennen kann. Dafür zittern seine Finger in meinen und offenbaren mir, dass er doch nicht so gefasst ist, wie er tut.
Dann kommt mir eine andere wichtige Frage, die ich klären muss, ehe ich antworten kann. Will ich denn? Ich ziehe ihn an seinen Handgelenken an mich heran, langsam genug, um ihn protestieren zu lassen. Seine Zehen berühren meine auf dem Teppichboden, seine Brust stößt etwas unterhalb gegen meine. Nun blickt er senkrecht in meine Augen empor. Noch immer sehen sie eisig aus, etwas ängstlich vielleicht. Er beißt sich unschlüssig auf der Unterlippe herum, bis das Blau aufklart und er mich schüchtern anlächelt. Da merke ich, dass meine Entscheidung längst gefallen ist. Wieso habe ich das nicht gewusst?
Dennoch wage ich nicht, gleich zu antworten. Ein einfaches Ja wird er falsch aufnehmen, denn es antwortet doch nur auf die gestellte Frage, nicht auf die implizierte.
„Wird es denn immer so sein wie beim letzten Mal?", hauche ich gegen seine Nasenspitze. „Wie..." beginnt er, rückt dann aber plötzlich von mir ab und schaut entsetzt zu mir auf. „W-war es d-denn so... so schlecht?" Ich blinzele. Wieso sagt er das? „Was?", protestiere ich. „Wie kommst du darauf?" „D-du hast doch... Du hast das gefragt, als ob... Macht es denn was aus, wenn ich Ja oder Nein sage?"
Rasch überbrücke ich die Distanz und umschlinge mit den Armen seine Mitte, um ihn diesmal bei mir festzuhalten. „Es war ungewohnt für mich. Das meinte ich. Es war langsam und gefühlvoll. So kenne ich das nicht. Das heißt nicht, dass es mir nicht gefallen hat." Dass es nicht der beste Sex meines Lebens war, korrigiere ich mich in Gedanken. „I-Ich..." Toms Mund klappt auf und zu, als käme ihm jedes Mal eine andere Idee, was er sagen könnte. „Okay.", sagt er dann und blickt wieder in meine Augen.
Ich schmunzele ihn an. „Und? Ist der Sex mit dir immer so?" Er senkt den Blick und kichert in Richtung unserer vereinten Zehenspitzen. „Woher soll ich das wissen?", entgegnet er dann, durch dichte Wimpern zu mir aufblickend. „Naja, du weißt ja, wie es bisher immer war, also...", erkläre ich langsam, wie ich das meine. Sehe seine Mundwinkel zucken. „Nun, das eine Mal hat nicht gerade hohen heuristischen Wert, oder?"
Meine Hände gleiten von seinem Körper. „Wie bitte?" Obwohl ich ihn durchaus verstanden habe, erklärt er es mit neuen Worten noch einmal. „Bei den meisten Menschen wird es nach dem ersten Mal anders, oder?"
„Du...", stottere ich, dabei weiß ich ja längst Bescheid. Und irgendwie ist es, als hätte mein Körper es bereits vorgestern geahnt, nur mein Kopf es noch immer nicht begriffen. Und nun? Habe ich etwas falsch gemacht? Wieso habe ich mir nicht mehr Gedanken um ihn gemacht? Ganz sicher hätte ich besser sein können, noch mehr auf ihn achten.
Aber Tom grinst mich ganz sorglos an und zuckt mit den Schultern. „Weißt du noch, als gestern Max gesagt hat, Mike hätte gesagt..." „Du wartest auf den Richtigen.", unterbreche ich ihn mit Max' Worten.
Tom streicht mir über den Oberarm, sein Lächeln ist nun sanft, seine hellen Augen nehmen mich gefangen. „Was dachtest du denn, was er damit meint?"
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