Unausgesprochen (2)
Tom:
Keegan kriecht wieder zu mir ins Bett und ich ziehe die Decke über uns. Eigentlich hasse ich es wie die Pest, wenn jemand, der zu Besuch ist, sich auf mein Bett setzt oder etwas berührt, das nur für mich gedacht ist, wie mein Kissen oder mein Handtuch, aber mit Keegan in meinen Laken ist das plötzlich etwas anderes. Ein bisschen, als wollte ich gar nicht mehr, dass sie nur für mich gedacht seien. Ich kuschele mich an seine Seite und sehe ihm zu, wie er einschläft. Fahre mit meinen Blicken die edle Wölbung seiner Nase nach, betrachte sein vorstehendes Kinn, das seinem Gesicht etwas Spitzbübisches verleiht. Erst nach einer Weile lösche ich das Licht und rücke von ihm ab, weil er mir zu warm ist, um an ihm einzuschlafen.
Ich erwache mit einer Hitze in meinem Rücken und einem Arm um meine Mitte und muss schmunzeln. Vorsichtig drehe ich mich unter dem Gewicht um, wodurch auch Keegan langsam wach wird. Verwirrt blinzelt er mich an, und ich kann praktisch seine Gedanken lesen, wie er sich fragt, wo er ist und sich nach und nach an die vergangene Nacht erinnert.
„Wieso grinst du so?", brummt er verschlafen und zieht seinen Arm von meinem Körper zurück. Ich fühle in mein Gesicht hinein und bemerke, dass er Recht hat, ich grinse tatsächlich. „Ich bin glücklich.", erwidere ich schulterzuckend. Seine Brauen begegnen sich in der Mitte seiner Stirn. „Wieso?", will er wissen, als gäbe es dafür kurz nach dem Aufwachen keine nachvollziehbare Begründung. Ich beuge mich herüber und drücke ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen. „Deinetwegen.", sage ich. Dann rolle ich mich über ihn herüber und steuere auf die Tür zu. „Ich gehe duschen, dann mache ich uns Frühstück."
Keegan:
Verdammt. Als Tom durch die Tür verschwunden ist, stöhne ich auf. Spätestens jetzt ist mir klar, dass ich Mist gebaut habe. Er ist ganz offensichtlich nicht an einer Beziehung interessiert, wie sie mich mit Max und den anderen verbindet. Nein, jemand, der mich nach dem Aufwachen küsst und mir Frühstück macht, der will mehr. Wieso musste ich auch bis zum Morgen bleiben? Ob er davon ausgeht, dass ich genauso fühle? Wie sage ich ihm bloß, warum ich mit ihm mitgegangen bin?
Eilig stehe ich auf und schlüpfe in meine Klamotten. Ich kann auf keinen Fall hier bleiben, wenn ich ihn nicht noch länger auf die falsche Fährte führen will. Wenn ich einfach gehe... Aber immerhin ist er auch ein Freund, also zwinge ich mich, zu warten, bis er aus dem Bad kommt.
In ein Handtuch gewickelt kommt er zurück ins Schlafzimmer, das er, vor dem Kleiderschrank stehend, kurzerhand fallen lässt. Überrascht stoße ich die Luft aus. Verdammt, dieser Hintern! Dabei ist es nicht mal lange her, dass ich... Ich räuspere mich.
„Äh, Tom? Tut mir wirklich leid, aber ich werde jetzt gehen. Das mit dem Frühstück wird nichts, okay?", erkläre ich vorsichtig. Er dreht sich lächelnd zu mir um und kommt auf mich zu, legt seine Handflächen auf meine Oberarme. Noch immer splitternackt. Okay, schüchtern war wohl doch eine Fehleinschätzung, geht es mir durch den Kopf. „Schade, Keegan.", säuselt er. „Ich dachte, wir haben nach der Stärkung noch ein wenig Spaß..." Er schenkt mir einen eindeutigen Augenaufschlag und ich glaube, ich verliere den Verstand. Ganz kurz überlege ich tatsächlich, ihn wieder aufs Bett zu schmeißen und ihm zu zeigen, wieviel Spaß er mit mir haben kann. Dann fällt mir ein, dass ich gehen muss, um ihn am Ende nicht zu sehr in die Irre geleitet zu haben. Was bin ich für ein Arschloch, dass ich in Erwägung ziehe, ihn nur noch mehr zu verletzten, bloß weil der Sex am Abend zuvor so fantastisch war?
Ich schlucke und entferne sanft seine Hände von meinen Armen. „Ich muss jetzt wirklich los. Tut mir leid, Tom. Du bist großartig."
Vor der Tür beiße ich mir auf die Lippe für diesen dummen Spruch. Du bist großartig? Klingt wie eine Leistungsbewertung. Naja, oder wie das, was es wohl ist, ein dummes Vertrösten. Du bist großartig, aber das wird nichts, wie du dir das vorstellst. Dabei ist der Gedanke an das, was er sich vielleicht vorstellt, gar nicht mal so abschreckend.
Abends:
„Max, sag mal... Glaubst du, man kann sich in jemanden verlieben, ohne ihn richtig zu kennen?" Ich sitze auf seinem Sofa und fühle mich schrecklich. Irgendwie ging mir den ganzen Tag über dieses Gefühl nicht aus dem Kopf, das beim Sex mit Tom über mich kam. „Was, du meinst, wie in einen Filmstar oder so?" Er kommt aus der Küche und öffnet zischend zwei Bier, von denen er mir eins anreicht. „Nein, schon in jemanden, mit dem man zu tun hat. Zum Beispiel, wenn man mit jemandem schläft, aber eigentlich kaum was über ihn weiß?"
Max verzieht mitleidig sein Gesicht, sieht dabei aus, als habe er in eine Zitrone gebissen. „Oh sorry, Alter. Das musste ja irgendwann passieren, aber ich dachte, dass es vielleicht mit Mike passiert oder so. Also ich schätze dich wirklich als Freund und der Sex mir dir ist der Hammer, aber..." „Scheiße, Max!", unterbreche ich ihn. „Ich rede doch nicht von dir! Himmel!"
Erleichtert und nicht ganz überzeugt lacht er auf. „Oh, gut! Das wäre echt unangenehm und... Naja. Also ich hab' keine Ahnung, aber ich glaube eigentlich schon, dass das geht."
„Ehrlich?", frage ich unsicher nach. „Ich meine, wenn man so wirklich nichts über jemanden weiß, was er arbeitet, wie alt er genau ist und so? Er könnte praktisch ein Serienkiller sein und man wüsste es nicht?" Max kichert. „Na klar, Mann! Man verliebt sich doch nicht in den Beruf oder das Alter eines Menschen. Sondern in die Art, wie er mit einem umgeht, wie er sich verhält. Dafür muss man ja keine Details kennen, man muss die Person nur erleben." Ich nicke, verstehe irgendwie, was er damit meint. „Außerdem, wenn der Sex so gut ist...", fügt er hinzu und ich boxe ihm lachend auf den Arm.
Wir sehen uns einen Film an und quatschen über dies und das, als Max angerufen wird. Ich versuche, ihn nicht zu belauschen, kriege dann aber doch einige Gesprächsfetzen mit und werde immer neugieriger. „Oh, was für ein Mist, Mann!", „Was willst du jetzt machen?", „Achso, stimmt.", „Na klar, komm ruhig rüber.", „Nein, quatsch. Keegan ist auch da, aber je mehr, desto besser.", „Gut, bis gleich."
Auffordernd sehe ich ihn an, als er auflegt. Max grinst. „Tom der Idiot hat sich irgendwie ausgesperrt und es jetzt erst gemerkt. Er kann den Schlüsseldienst erst morgen früh anrufen. Stört dich doch nicht, wenn er rüberkommt?" Zähneknirschend erwidere ich nichts. Ausgerechnet! Kurz frage ich mich, ob er das mit Absicht getan hat, merke dann aber, dass er überhaupt nicht wissen konnte, dass ich bei Max bin, und dass er nach meinem raschen Abgang heute früh wahrscheinlich selbst keine Lust hat, mir zu begegnen. Klingeln tut er dann nach zehn Minuten aber doch, schließlich kann er nirgendwo hin. „Danke, Max, das ist wirklich lieb von dir.", höre ich ihn schon im Flur und mir läuft ein Schauer über den Rücken. Als er ins Wohnzimmer tritt, Max hinterher, lächelt er mich an und sagt: „Hi, Keegan." Sonst nichts. Ich nicke ihm zu und starre auf das Etikett meiner Bierflasche. Eigentlich müsste mir das Ganze doch nicht so unangenehm sein, wenn irgendwer mal Klartext geredet hätte. Wieso haben die Jungs Tom nie von ihren Freitagabenden erzählt, also von dem, was nach dem Clubbesuch passiert? Wieso haben sie mir nie erzählt, dass er damit nichts zu tun hat? Wieso haben er und ich nicht darüber geredet, was das werden sollte, ehe es geschehen ist?
„Tja, und jetzt?", murmelt Max, als auch sein Geplapper irgendwann versiegt und eine unangenehme Stille einkehrt. Eigentlich ist er ganz gut darin, solche Situationen zu umschiffen, dafür bin ich auf der Arbeit sehr dankbar. Jetzt aber fällt ihm auch nichts mehr ein. Denn Tom ist wortkarg wie immer und ich bin wirklich unsicher, wie ich mich ihm gegenüber verhalten soll.
Nun sieht er auf und blickt Max interessiert an. „Was hattet ihr denn vor? Ich will euch nicht stören." Ich sehe Max strahlen. „Aber du störst doch nicht, Süßer." Er stockt, dann tritt ein Glänzen in seine Augen. „Oh, ich weiß was Tolles! Was haltet ihr von einem Dreier?"
Ich keuche auf und blicke Max böse an. „Lass den Unsinn, Max.", knurre ich, im selben Moment, in dem Tom verwundert nachfragt. „Wo-wovon redest du?" Max kichert. „Ich rede von Sex, Baby! Ist doch 'ne grandiose Idee!", freut er sich.
„Max!", fahre ich dazwischen. „Was denn?", empört er sich. „Jetzt sei doch nicht so, Tom will sicher auch mal Spaß haben." Ich beiße die Zähne zusammen und versuche wirklich, nicht in seine Richtung zu schauen, will aber unbedingt wissen, wie er diese ganze Geschichte aufnimmt. Max ist doch echt bescheuert. Zu meiner Verwunderung mustert Tom mich amüsiert. „Ist er betrunken?", fragt er leise und zeigt auf Max. Ich schüttele langsam den Kopf und funkele dann Max wieder an, der davon allerdings nichts mitzukriegen scheint. „Also Keegan hier..." Er umfasst meine Schulter und beginnt, sie zu streicheln, doch ich winde mich unter ihm weg. „Keegan solltest du dir wirklich mal gönnen."
„Scheiße, Max, halt den Mund!", fahre ich ihn an. Ein erschrockener Blick von Tom, ein verwunderter von Max. „Er weiß doch überhaupt nichts davon.", entfährt es mir, was natürlich selten dämlich ist. Nun werde ich es jetzt auch erklären müssen. Andererseits... Möglicherweise war das sogar die Absicht meines Unterbewusstseins. Denn Tom wird sowieso von der ganzen Sache erfahren und dann ist es früher besser als später. „Wovon weiß ich nichts?", fragt er erwartungsgemäß, seine Augen nun misstrauisch verengt. Auch Max scheint noch nicht so ganz zu wissen, was ich meine.
„Ich weiß nicht, wann oder wie das angefangen hat, aber deine Freunde schlafen schon seit einer Weile in wechselnder Konstellation miteinander." Ich stocke. Reicht das, damit ihm klar ist, dass ich davon nicht ganz unbetroffen bin? Tom lacht, dann betrachtet er erst mich und schließlich Max genauer, als wolle er unsere Minen auf eine Lüge untersuchen. „Ist ja bescheuert, wieso sollten sie mir das verschweigen?", argumentiert er. Da mischt Max sich ein. „Das lag dann wohl an Mike. Als ihr beide dazugekommen seid, kannte er dich ja schon und er hat gesagt, 'Das ist zwecklos, der wartet auf den Richtigen'." Dabei malt Max Anführungszeichen in die Luft. „Darum haben wir es wohl nie bei dir versucht." Ich schließe die Augen bei der Erklärung und fahre mir mit einer Hand durch die Haare. Von Vorstellung, dass Mike richtig lag und Tom mich für 'den Richtigen' halten könnte, wird mir warm und kalt zugleich.
„Warte...", kommt es von Tom, der sich nun voll zu mir gewandt hat. „D-du hast mit Max geschlafen?" Ich hebe meinen Kopf ein Stück an und gebe mir Mühe, in sein Gesicht zu sehen. Ich will gerade mein Geständnis ablegen und nach Möglichkeit eine plausible Erklärung für die letzte Nacht abgeben, als Max dazwischen grätscht. „Oh ja, Mann. Und ich kann ihn nur weiterempfehlen. Keegan ist der Hammer.", wiederholt er seinen dummen Spruch von vorhin. Doch statt vollkommen getroffen zu sein, schaut Tom mich ganz gefasst an und sagt gut hörbar: „Ich weiß."
„Ich gehe dann jetzt besser.", hat er schließlich gesagt und ist zu Max größter Verwirrung zur Tür gegangen. Nach einem kurzen Moment bin ich aufgesprungen und hinterhergerannt, habe ihn unten vorm Haus am Arm festhalten können. Nun stehen wir hier im dunklen Abschnitt zwischen zwei Straßenlaternen auf dem Bürgersteig und er sieht mich eisig an.
„Tom, es tut mir so Leid! Ich dachte gestern wirklich, du wüsstest längst davon und ich wäre nur nicht dein Typ oder so. Ich fand es schön, als du mich gefragt hast, aber ich dachte, es ginge dir wie allen anderen nur um den Sex. Sonst..." „Sonst?", fällt er mir zischend ins Wort. „Sonst hätte ich vorher drüber nachgedacht und wäre vermutlich nicht gleich mit dir ins Bett gegangen." „Nett.", kommentiert er dann ironisch und legt misstrauisch den Kopf schief. „Wenn du behauptest, du hättest nicht gewusst, dass ich nichts von euren perversen Treffen wusste, wie konntest du es Max dann gerade eben erklären?" Ich seufze und lasse vorsichtig seinen Arm los, in der Annahme, dass er nicht direkt weglaufen wird, wenn ich ihm zumindest eine Antwort schulde. „Es ist mir heute Nacht klar geworden, als du... Naja, ich hab' es erst gestern Nacht gemerkt, dass du nicht nur auf den Sex aus warst." Tom stößt ein eisiges Lachen aus. „Oh, wie kommst du drauf? Vielleicht schlafe ich ja einfach auch mit Max. Oder gleich mit allen auf einmal, so läuft das doch bei euch, oder?" Ich schlucke. Gar nicht unbedingt, weil er mich in irgendeiner Weise beleidigen würde. Bloß weil ich genau höre, wie verletzt er ist, und ständen wir etwas näher an der Laterne, ich bin mir sicher, würde ich Tränen in seinen Augen glitzern sehen. „Tom, ich wollte doch nicht...", versuche ich ihn zu beschwichtigen. Ich wollte ihn wirklich nicht verletzen.
„Vergiss es einfach, Keegan.", zischt er und spuckt mir meinen Namen praktisch vor die Füße, der noch vor einigen Stunden so schön aus seinem Mund klang. Dann dreht er sich um und läuft davon. Einen Moment lang stehe ich unschlüssig herum, ehe ich mich in Bewegung setze und ihn erneut zurückhalte. „Warte, bitte!" Er dreht sich tatsächlich wieder zu mir herum. „Du kannst doch nirgendwo hin.", erinnere ich ihn und krame meinen Schlüsselbund heraus, von dem ich den größten ablöse. „Hier, du kannst bei mir schlafen, ich quartiere mich auf Max' Sofa ein. Dann musst du keinen von uns sehen, aber hast ein Dach über dem Kopf." Verdattert starrt er auf den Schlüssel, den ich ihm hinhalte. „Du musst mir nicht erzählen, du würdest auf dem Sofa schlafen. Ich weiß doch jetzt was abgeht.", giftet er, aber ich gehe nicht darauf ein. „Die einzige Bedingung wäre, dass du Gustav und Anton für mich fütterst. Sie kriegen was von dem Salat im Kühlschrank. Du kannst dir was zu Essen nehmen, wenn du was brauchst, und ich hab' noch eine eingepackte Zahnbürste im Schrank neben der Dusche." Tom runzelt die Stirn. Seine Stimme ist plötzlich ganz weich, als er wieder spricht: „Wer sind Gustav und Anton?" Ich lache leise. „Die Kaninchen von meiner Cousine. Sie hat plötzlich Heuschnupfen bekommen, also habe ich sie zu mir genommen." Ich spüre, wie Tom mir den Schlüssel mit kühlen Fingern aus der Hand nimmt. Er dreht sich um und geht ein paar Schritte, bevor er zu mir zurückschaut und mir etwas zuruft. „Hör bloß auf, so scheiß-nett zu sein, Keegan!"
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