» Kapitel 1.3

[ In My Blood Shawn Mendes ]

Fnd um Feind bekämpft und den Freunden nur kurz den Rücken zugekehrt. Das war der Fehler, denn meine Feinde kämpften wenigstens von Angesicht zu Angesicht.❞ - Gideon Chevalier


1861|»Monsieur, wie war Sebastien?«, frage ich und fingere an meiner Unterlippe herum. Diese Geschichte, die der Alte mir erzählt, ist gar nicht so langweilig, wie ich Anfangs annahm.
»Oh, diese Frage ist schwierig zu beantworten, weißt du das, Junge? Aber ich will's versuchen. Ich weiß nicht, ob ich sagen kann, dass ich ihn wirklich kannte, doch ich habe ihn bewundert. Gearbeitet habe ich für ihn. Und eine Nacht habe ich noch ganz besonders gut im Kopf.

Das fahle Licht des Mondes spiegelte sich in dem Gefäß aus Kristall, welches mit einer roten Flüssigkeit gefüllt war. Ein junger Mann schwenkte sein Glas hin und her, doch kein Tropfen entwich und fiel auf den weißen Teppich aus Fell, welcher unter dem protzigem Stuhl aus Gold lag. Auf diesem Thron saß er. Die schwarzen Locken wippten auf seinem Kopf, als er diesen leicht zum Takt der Musik bewegte. Es hätte Mozart oder Bach sein können. Wer weiß das heutzutage denn schon?

Mit der linken und freien Hand wedelte er sanft in der Luft umher, als würde er als Komponist seinem Orchester Anweisungen geben. Niemand verstand ihn. Seine Art war viel zu verkorkst. Er stolzierte herum, lächelte den Damen zu, die darauf zu seinen Füßen lagen, doch angefasst hatte er noch keine. Höchstens ihre Hand, aus Höflichkeit versteht sich. Dabei war er bestimmt alt genug, um sich eine Frau zu suchen. Erinnert das nicht an jemand anderen?

Man hätte es ja verstanden, wenn er Casanova gespielt und Frauen verführt hätte. Ja, dann hätte man verstanden, warum er sich keine Gattin suchte, dass er den Rausch genoss und die Abwechslung bevorzugte. Aber er schien so anders, grazil. Niemand würde ihn für einen Sünder halten, der seinen Gelüsten hinterherhechelte. Höchstens ein Charmeur. Sein grenzenloser Charm eilte sogar seinem makellosen Ruf vorraus. Um ihn zu verstehen, hätte ihn jemand über all die zweihundert Jahre beobachten müssen. Doch dies tat niemand. Er war allein und er dachte, er würde es auch immer bleiben. Denn Liebe verspürte er nicht, sein Herz war so kalt wie der Mamor aus dem sein Boden bestand. Vielleicht auch so kalt wie die Eiswürfel, welche sich in der roten Flüssigkeit befanden, an der er nun nippte.

Sein Anwesen, entschuldige. Das Anwesen, in dem er lebte, er besaß eine Menge von den protzigen Dingern, war eingerichtet, als würde der König persönlich dort hausen. Diener für alles mögliche. Dinge, die er bestimmt alleine hätte erledigen können, ließ er für sich machen. Er hängte nicht einmal seinen Mantel an die Garderobe, wenn er gesättigt heimkehrte. Er befahl seinen Angestellten sogar Festmahle mit fünf Gängen zu kochen, obwohl er nichts davon aß. Wie herzlos er doch wirkte. So war es eigentlich kein Wunder, dass er der Erste war, der für all die Morde verdächtigt wurde. Wer weiß, vielleicht war er es sogar gewesen mit all seinen nächtlichen Streifzügen durch die Nacht und Blut auf dem weißen Hemd aus Seide, welches er am Wochenende stets trug.

Ach und das mit der Musik war auch so eine Sache. Er liebte Musik und um regelmäßig welche hören zu können, bestellte er sich sein eigenes kleines Konzert nach Hause. Herrjemine, was heißt denn klein? Es war eine riesengroße Halle mit Bühne, die er mit dem Orchester füllte. Damals gab es noch kein Grammophon, aber das wäre ihm so wieso nicht gut genug gewesen.«

»Monsieur, wieso erzählen Sie mir all das? Ich fragte doch nur, wer er war.«

»Man muss verstehen, wie Sebastien Dumont war, wer er war, um diese Geschichte zu erfassen. Also weiter.

Jeden Sonntag spazierte er durch seinen Garten. Dieser glich einem Labyrinth mit den ganzen hohen Hecken, doch er liebte es. Er liebte es genauso wie seine hunderten Rosen. Eine Zeit lang hatte er immer wieder welche gepflanzt, bis er die Lust verlor. Vielleicht sollte man erwähnen, dass Sebastien nicht allzu geduldig war. Ach was, er war die Ungeduld in Person. Auf jeden Fall war er auch an diesem Abend wieder sehr ungeduldig. Er wartete auf jemanden. Auf wen, fragst du? Das kommt später, alles zu seiner Zeit. Aber derjenige war ihm sehr wichtig, denn sonst wartete er nie auf jemanden.

Doch das wirklich Ungewöhnliche an diesem Abend war etwas ganz anderes . . . Es schockierte jeden zutiefst. Er wartete Stunde um Stunde und als dann der Morgen langsam dämmerte, brach er einfach in Tränen aus.«

»Sie wollen mich doch verar- auf den Arm nehmen. Sebastien Dumont weinte? Der Mann, von dem Sie mir jetzt beinahe eine Stunde erzählen? Wieso?«

»Oh Kleiner, jeder hat seine Schwächen. Ich denke, die Person war ihm sehr wichtig und hat ihn trotzdem versetzt.«

»Können Sie mir noch mehr über ihn oder diesen Abend erzählen?«

»Gerne. Also, man sah ihn das erste Mal weinen und nicht nur dieses Weinen, bei dem fünf Tränen die Wange herunter kullern und dann war's das. Himmel, den Meeresspiegel hätte man um mindestens einen Meter erhöhen können, so viele Tränen waren es. Aber das war nicht das Schlimmste. Viel schlimmer war die Zeit danach. Er brüllte herum, warf Dinge umher und trat gegen alles, was nicht bei drei auf dem Baum war. Es muss sehr hart für ihn gewesen sein. Manche der Angestellten arbeiteten schon eine sehr lange Zeit für ihn und keiner hatte jemals auch nur ansatzweise eine Emotion bei ihm gefunden. Sie wussten, was er war, allerdings erst etwas später. Am Anfang hatte er es geheim gehalten. Doch es hatten sich in der Zeit viele Vampire zu erkennen gegeben, denn zuvor wurden die meisten Jäger gestürzt.

Sebastien wäre niemals so dumm gewesen, sich zu zeigen, wenn er gejagt werden könnte. Er war alles in allem unheimlich klug. So intelligent und clever, dass es so manchem Angst machte. Er hätte wahrscheinlich jeden Fall aufgeklärt, den die Polizei ihm gezeigt hätte. Und seine Sprachenkentnisse, ja ja, er lebte schon eine lange Zeit, aber trotzdem war es beachtlich. Vorsichtig war er obendrein. Überaus vorsichtig. Es gab Zeiten, da plante er jeden seiner Schritte. Und die seiner Gegner.

Er hatte eine Fähigkeit, die äußerst interessant war. Er konnte die Gefühle von anderen beeinflussen. Nicht allzu stark oder lange - er hätte also niemanden durchgängig in sich verliebt machen können. Wenn das denn überhaupt so ausführlich funktionierte. Vielleicht hatte er auch nur die Kontrolle über niedrigere Bedürfnisse. Einmal erzählte er allerdings, dass es ihm leichter fiele, Beute zu machen, wenn das Opfer keine Angst verspüre. Dann würde das Blut besser schmecken. Obwohl er meistens ohne diese Fähigkeit jagte, er liebte die Angst in ihren Augen. Sie schmeckte fast so gut wie ihr Blut.

Aber wieder zum Abend. Er war also total wütend, verletzt und traurig, alles gleichzeitig, als er etwas tat, was alles veränderte. Das erste Mal zeigte er Gefühle. Er war nicht mehr so unnahbar. Nun war er greifbar und vor allem angreifbar. Und um dieses Gefühl loszuwerden, verbrannte er es. Dachte er zumindest. Eigentlich brannte er nur das Haus nieder, mit all seinem Eigentum und Bediensteten. Außer einem. Er packte ihn, sagte ihm, er solle helfen alle in den Konzertsaal zu bringen und er tat es. Dann schloss er sie ein und ging mit Sebastian hinaus. Sie brannten es nieder und noch heute hören beide diese Schreie.«

Der Alte fährt sich aufgebracht durch die Haare und verwundert stelle ich fest, dass eine Träne über seine Wange rinnt.

»Waren Sie derjenige, den Sebastien mit sich nahm?«

»Ja, mein Junge. Und ich will diese Geschichte aufschreiben, um zu zeigen, wie sehr Gideon den kalten und gebrochenen Sebastien veränderte.«

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