WaCa-Special 1

Hier gibt es jetzt eine Kurzgeschichte zu lesen. Viel Spaß damit!

ESPENSCHATTENS BLICK:

Espenpfote trottete verschlafen aus dem Schülerbau. Seine Mentorin, Bienenflug, hatte ihn gerufen und er würde bestimmt gleich mit ihr auf eine Patroullie oder zum Kampftraining oder sonst irgendwo hin gehen. Gerade war er nicht sehr scharf darauf, denn er war einfach nur müde.
"Wir gehen auf Morgenpatroullie", sagte die warm, aber diskret klingende Bienenflug. Sie war sehr nett, aber sie konnte auch harsch werden, vor allem, wenn man sich nicht beeilte.
"Mit wem?", fragte Espenpfote.
"Zweigkralle und Minzblatt", antwortete Bienenflug. Nun, dann war er jedenfalls mit Zweigkralle in guter Gesellschaft, sollte er wegen seiner Müdigkeit etwas murren. Doch sobald sie durch den Wald preschten, fühlte er sich gleich viel wacher und energiegeladener.
"Oh! Seit wann liegt denn der Baum hier?", fragte Minzblatt überrascht und sprang mit einem hörbaren Aufprall auf den umgefallenen Baum. Aufgrund des Geräusches schätze Espenpfote seinen Sprung ab und landete perfekt, ehe er auf der anderen Seite des Stammes wieder herabsprang. Sie waren nun direkt an der Grenze zum NadelClan angelangt. Er gehörte zum LaubClan und es gab noch den WiesenClan und den SeeClan. Jeder Clan war nach seinem Jagdgebiet benannt und so lagen hier auf dem Boden schon einige Nadeln, die Espenpfote in die Ballen pieksten.
Sie erneuerten die Markierungen entlang der Grenze, ehe sie wieder ins Lager zurückkehrten. Dort angekommen, kam Herzsang, die Heilerin des Clans, auf ihn zu. Der vor wenigen Tagen zum Schüler ernannte Espenpfote war ein wenig überrascht, bis sie sagte:"Espenpfote, kannst du bitte die Ältesten auf Zecken untersuchen?"
Wenig begeistert sagte er:"Wenn es unbedingt sein muss..."
"Komm mit, ich gebe dir Mäusegalle!", sagte Herzsang und führte ihn in den Heilerbau. Er wartete kurz, bis sie ihm ein übel riechendes Stück Moos in die Pfoten drückte und sagte:"Das musst du auf die Zecken drauf tun, die du findest. Und mach nicht so ein Gesicht! Tannenpelz erzählt dir sicher eine Geschichte, während du arbeitest!"
Oft fragte Espenpfote sich, wieso andere Katzen Dinge mit etwas beschrieben, was man nicht fühlen, hören oder riechen konnte oder woher sie Dinge wie seinen Gesichtsausdruck wussten. Doch mit der Zeit hatte er gelernt, besser nicht danach zu fragen, weil er sonst meist sehr verblüffte und komische Antworten bekam. Espenpfote hinterfragte es besser einfach nicht. Vielleicht lernte er es ja auch noch.
Er machte sich auf den Weg zum Ältestenbau und hörte, wie Tannenpelz und Rennzahn sich ihm zuwandten. Sonnenblüte war nicht im Bau.
"Ich soll euch auf Zecken untersuchen", sagte Espenpfote zu den beiden Katern.
"Worauf wartest du dann noch?", wollte Rennzahn wissen. "Du kannst gleich bei mir anfangen."
Innerlich seufzend wandte Espenpfote sich ihm zu. Er begann, mit den Pfoten sein Fell zu zerteilen und nach Zecken zu tasten.
"Kannst du nicht mit den Augen gucken?", fragte Rennzahn genervt. Espenpfote stutzte. Wenn Katzen das zu ihm sagten, bedeutete das so viel wie "Nicht anfassen!", dich wie sonst sollte er Zecken finden? Espenpfote überlegte und antwortete dann schlicht:"Nein, wie denn?"
Offensichtlich hatte er wieder einmal etwas falsches gesagt. Er spürte die Blicke beider Kater auf sich.
"Indem du einfach hinsiehst, anstatt mit den Pfoten alles zu durchwuscheln", sagte Tannenpelz verwundert, doch er klang nicht feindselig. Das war schon wieder komisch. Hinsehen bedeutete aufpassen, aber damit erreiche er doch mit Zecken nichts! Verwirrt drehte Espenpfote den Kopf und wandte sich dann wieder Rennzahn zu.
"Willst du nun die Zecke loswerden?",fragte er. Doch für Tannenpelz schien das Thema nicht erledigt:"Wieso benutzt du nicht deine Augen?"
'Wieso sollte ich durch Aufmerksamkeit etwas finden?', dachte Espenpfote und beschloss, den Gedanken nun einfach auszusprechen.
"Was bringt es mir, aufzupassen, wo ich hin laufe, wenn ich eine Zecke finden will!?", fragte er Tannenpelz gerade heraus. Dieser antwortete nicht, also wandte Espenpfote sich wieder zu Rennzahn um. Er wollte gerade weiter machen, da sagte Tannenpelz:"Warte! Sag mir doch mal, wo mein Schweif liegt!"
Espenpfote drehte ungläubig den Kopf zu ihm. Was war das denn für eine Frage!? Er bewegte seinen Schweif doch dauernd! Das war nicht schwer.
"Rechts", sagte er trocken. "Wieso?"
"Und welche Farbe hat mein Fell?", fragte Tannenpelz.
Das war eines der weiteren Dinge, die Espenpfote immer nicht verstand. Die Beschreibung von etwas mit Farben. Doch er wusste die Antwort, weil seine Geschwister Grillenpfote und Ahornpfote dich immer über die dunklen Streifen auf dem braunen Fell von Tannenpelz lustig gemacht hatten aufgrund der Tatsache, dass es aussah wie Stöcke im Matsch.
"Braun mit Streifen", sagte er also.
"Und meine Augen?", fragte Tannenpelz.
"Keine Ahnung!" Langsam wurde es Espenpfotezu viel. Doch er blieb bei der Wahrheit.
"Mach die Augen auf, Kleines und schau nach!", sagte Rennzahn.
"Ich glaube, so einfach ist das bei Espenpfote nicht. Er hat seine Augen nämlich offen und sieht trotzdem nichts", erklärte Tannenpelz. Beleidigt sträubte Espenpfote das Fell. "Ich weiß sehr wohl, wo ich hin gehe! Ich bin schließlich nicht blind!"
"Doch", sagte Tannenpelz. Noch immer verwirrte er Espenpfote. Er klang freundlich und nicht beleidigend. "Ich glaube schon, dass du blind bist. Sonst wüsstest du nämlich, dass meine Augen grün sind."
"Aber blind bedeutet doch, dass ich nicht aufpasse, wo ich hin trete!" Espenpfote verstand die Welt nicht mehr.
"Nein. Blind sein bedeutet, dass du nichts siehst. Du kannst doch Zwinkern, oder?", fragte Tannenpelz. Was sollte das jetzt schon wieder?
"Ja", antwortete Espenpfote.
"Das hinter dem, was du zusammen kneifst, sind deine Augen. Das ist eigentlich ein sehr wichtiges Körperteil, denn damit sieht man eben. Und sehen kann man damit, ob es hell oder dunkel sind, ob etwas blau, grün oder braun ist, ob etwas rund oder eckig ist, alles. Du kannst quasi etwas über Dinge herausfinden, ohne sie zu berühren oder zu riechen."
Für Espenpfote klang das wie eine Superkraft. Wollte Tannenpelz ihn auf die Schippe nehmen und erzählte ihm eine Geschichte?
"Aber wir sieht man?", fragte Espenpfote.
"Du kannst es nicht, das ist das Problem", erklärte Tannenpelz.
"Aber ich habe doch Augen!"
"Ich weiß. Du hast seht schöne Augen, aber sie funktionieren nicht. Normalerweise sieht eine Katze, wann immer sie ihre Augen offen hat. Wenn du blinzelst, schließt du deine Augen ganz kurz und ansonsten sind sie offen. Könntest du sehen, wäre das angeboren, aber du kannst es nicht. Ein Wunder, dass es nie aufgefallen ist!", sagte Tannenpelz.
"Willst du mir sagen, ich bin kaputt? Dass alle anderen sehen können, nur ich nicht?" Espenpfote fand, das erklärte eine Menge, wenn es so war, aber das war doch nicht fair! Wenn es alle konnten, wieso er nicht?
"Ja, es können alle", sagte Tannenpelz. "Aber lass mich das mit den Zecken machen. Wenn meine Vermutung stimmt und du blind bist, wird das ohne Anfassen tatsächlich schwierig. Geh lieber zu Herzsang und erzähl ihr davon! Das bringt uns eher weiter."
"Gut", sagte Espenpfote. Er verstand nicht wirklich. Leicht überfordert ging er durch das Lager zum Heilerbau herüber.
"Schon fertig?", fragte Herzsang überrascht. "Du siehst aus, als wäre dir ein Fuchs über den Weg gelaufen!"
"Nein, ich... Tannenpelz meinte, ich bin blind."
"Was? Das ist aber kein lustiger Scherz!", sagte Herzsang.
"Es war auch kein Scherz, glaube ich", sagte Espenpfote. Noch immer verwirrte ihn die Situation.
"Aber das ist unmöglich, das wäre doch aufgefallen!", sagte Herzsang.
"Rennzahn wollte es auch nicht glauben, aber Tannenpelz hat gesagt, dass ich blind bin, weil ich seine Augenfarbe nicht wusste", erklärte Espenpfote.
"Dann lösen wir das jetzt ganz einfach. Wo halte ich meinen Schwanz hin?", fragte Herzsang.
"Links, das hört man doch!", sagte Espenpfote. Diese Fragen begannen, ihn zu nerven.
"Und meine Augenfarbe ist?"
"Blau, oder nicht?", fragte Espenpfote und versuchte, sich an etwas zu erinnern, was Ahornpfote einmal gesagt hatte.
"Und Mauseohr?" Herzsang wies zu einem Nest herüber, von dem aus eine Kriegerin ihnen zuhörte.
"Keine Ahnung", sagte Espenpfote trotzig. Ihm reichte es. " Was sollen diese dummen Fragen überhaupt? Was bringen die einem? Und was beim SternenClan soll jetzt mit mir los sein? Was wollt ihr von mir!?"
Espenpfote würde immer lauter.
"Beruhige dich!", sagte Herzsang.
"Nein, tu ich NICHT! MEIN LEBEN LANG MUSS ICH MIR ANHÖREN, DASS ICH DUMM UND EIN TOLLPATSCH BIN UND JETZT KOMMT IHR MIT IRGENDEINER KRANKHEIT DAHER!? ICH KOMME AUCH OHNE DIESES SEHEN KLAR, WAS AUCH IMMER IHR DAMOT MEINT!"
Wütend stampfte er aus dem Bau, fing an zu rennen und lief in den Wald.

Fortsetzung folgt...

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top