Salaam heißt Frieden

Eine dicke Träne kullerte meine Wange hinunter. So hatte ich mir eine glückliche Kindheit sicher nicht vorgestellt. Mein Leben schien nichts weiter als ein einziger Scherbenhaufen zu sein. Niemand hätte jemals beschreiben können, wie ich mich in diesem Augenblick fühlte. Ich war wütend, wütend auf meine Eltern, die, ohne einen Ton zu sagen, beschlossen hatten, mich nach Deutschland zu verschleppen, und wütend auf meine Mitschüler, die meinen Glauben offenbar als Anlass nahmen, mich als kriminell einzustufen. Egal, was ich auch tat, es war falsch. Genau genommen war ja alles falsch, was meine Familie und ich je getan hatten. Für die anderen gehörten wir nicht hierher.

Unsanft wurde ich von der strengen Stimme meines neuen Mathelehrers aus meinen düsteren Gedanken gerissen. "Zweiter Schultag, und schon am Schlafen!", grunzte er missbilligend. " Was für ein Spießer!", murmelte ich. Was Verstand der denn schon von meinen Problemen? "Die Schnarchnase soll erst mal richtig Deutsch lernen!", gab der vorlaute Junge aus der letzten Reihe wie immer über einen Kommentar ab. Der ja ach so faire Mathelehrer sagte nichts. Stattdessen tat er, als hätte er nichts gehört. Alles, was den interessierten, waren seine Formeln und unsere Noten. Man kann sich nicht vorstellen, wie froh ich war, als die übertrieben schrille Schulglocke den Unterricht beendete. Der Schulhof war ziemlich grau und trostlos, und die aggressiven Blicke der anderen Kinder trugen nicht gerade zur Besserung meiner Stimmung bei.

Ich wusste nicht, wie ich den restlichen Vormittag überstanden hatte, aber zu Hause schmiss ich meinen Schulranzen in die Ecke und warf mich auf mein Bett. War ich denn so ein schlechter Mensch? Ich hatte niemandem etwas getan und trotzdem wurde ich für etwas verurteilt, nur dass ich nicht wusste, wofür, und das alles nur wegen meines Glaubens,... Ich hatte mit den Terroristen des muslimischen Glaubens nichts zu tun, genauso wenig wie der Rest meiner Familie. Ich fand das alles nämlich ebenso schlimm wie die meisten anderen Menschen auch. Wieso hatten meine Eltern mir das nur angetan? Früher hatten sie immer damit geprahlt, das meinen Name Frieden bedeutete. Alles bloß leere Worte! Ich konnte ihnen das nicht verzeihen. Tag für Tag verging, und immer wieder aufs Neue war ich froh, wenn ich nach Hause kam und mich in mein Zimmer einschließen konnte.
Und dann kam der Tag, an dem ich es nicht mehr aushielt. Zu den vielsagenden Blicken waren Anfeindungen und Hänseleien gekommen. Ein Junge aus der neunten Klasse hatte mich sogar als Terroristin bezeichnet. Das hatte mir gereicht. Und von Mitleid fehlte bei meinen Eltern jede Spur. Sie konnte oder wollten mich nicht verstehen.
Ich dachte nicht mehr lange nach, ich musste zurück dahin, wo ich akzeptiert wurde, wie ich war. Zurück nach Hause. Ehe ich es mich versah, befand ich mich auf dem Weg zum Bahnhof in der Nachbarstadt. Zu Fuß! Was war bloß in mich gefahren? Kurz zweifelte ich an meinem Vorhaben, doch gleichzeitig empfand ich ein tiefes Gefühl der Erleichterung und der Freiheit. Es fühlte sich wunderbar an, weit, weit weg von all den menschen, die mir das Leben zur Hölle gemacht hatten. Nach und nach Schwand meine Euphorie, als das Wetter sich verschlechterte und ich mehr und mehr müde wurde. Meine Gefühle waren ein einziges Wirrwarr, meine Emotionen änderten sich im Sekundentakt. Ich hatte immer mehr Mühe, weiter zu gehen, war ich mir doch bewusst, was für einen langen Weg ich noch vor mir hatte. Plötzlich ging alles ganz schnell. Ich stolperte, verspürte einen unbändigen Schmerz in der Schulter, dann verlor ich das Bewusstsein.

Als ich meine Augen wieder aufsclug, blickte ich in die besorgten Gesichter meiner Eltern,... Sie schienen unendlich erleichtert. In diesem Moment glaubte ich, zu verstehen, was meine Familie ausmachte, was sie zu dem gemacht hat, was sie heute ist. Die Hoffnung, die Willenskraft, nie aufzugeben.

Als ich zwei Wochen später wieder zur Schule ging, sprach ich meinen Mitschülern gegenüber offener über das Thema, und ich schilderte der Klasse meinen Standpunkt. Meine Mutter hatte mich dazu bewegt, zu meinem Glauben zu stehen, und auch die anderen Kinder sahen kurz oder lang ein, das allein der Charakter einen Menschen ausmacht, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder Religion. Nach einiger Zeit schöpften sie Vertrauen, und dies war der Beginn einer unzertrennlichen Freundschaft. Ich war unendlich froh, diese Botschaft übermitteln zu können, die Botschaft des friedlichen Miteinanders zwischen den Religionen.
Eine dicke Träne kullerte meine Wange hinunter. Doch diesmal waren es Tränen der Freude.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top