Ausschnitt aus dem Leben einer Centmünze

Meine Prägung war ein Donnerstag. Am Samstad danach fristete ich bereits mein trostloses Dasein als wertloses Etwas in der Kasse eines äußerst namenhaften Discounters. Das war das erste Mal, dass ich wirklich bedauerte, dass ich mich nicht bemerkbar machen konnte. "Entschuldigung", wäre wohl das Erste, was ich mitteilen würde. "Könnte jemand mal dieses nervige Geklimper ausschalten?!". Ich ärgerte mich wirklich. Die Menschen da draußen könnten sich den Mund franselig quatschen, und ich konnte mich noch nicht mal darüber beschweren, dass ich in meiner Mittagsruhe gestört wurde. Aber das machte ja jetzt eh keinen Unterschied mehr, denn ich würde Stunde für Stunde lediglich von meinesgleichen überschüttet. Meiner Meinung nach zu urteilen herrschte auf dieser Erde definitiv eine Überbevölkerung meiner Leidensgenossen. Nun ja, wie gesagt, zwei, vielleicht auch drei Tage lang lag ich so da, bald bekam ich das Gefühl, dass ich meine ganzes LEBEN lang so daliegen müsste. Und meine hervorragende Intuition sagte mir, dass DAS durchaus noch etwas länger dauern könnte. Nur abends sah ich Tageslicht. Na ja, soweit ich es denn sehen konnte, so ganz ohne Augen. Das war immer, wenn der Chef kam, um die Tageseinnahmen durchzählte. Dann genoss ich die wenigen freien Sekunden an der frischen Luft.
Dann, endlich, kam etwas Aktion in mein Leben. Ich wechselte den Besitzer. Das konnte ja nur besser werden. Tja, das dachte ich zumindest. Aber da täuschte ich mich gründlich. Denn meine ersten Stunden außerhalb der Supermarktkasse verbrachte ich in einer gefährlich hin und her schaukelnden Handtasche. Richtig seekrank wurde ich. Und was dann kam, das war ja wohl die Höhe! Die ziemlich exotisch aussehende Frau nahm ihr Portemonnaie in die Hand, nahm mir einfach meinen besten Kumpel, das 2€-Stück, weg und steckte den Geldbeutel mit Schwung zurück in die Tasche. "Nein", dachte ich. "Nein!". Ihre kaltblütige Aktion hatte mich so schockiert, dass ich den Halt verlor und mit voller Wucht auf dem Asphalt aufschlug. "Was sollte das denn!?", dachte ich. Ich hatte doch auch Gefühle! Und anstatt dass sie sich bückte, um mich aufzuheben, ging sie schnellen Schrittes weiter ihres Weges und nahm billigend den Schmerz in Kauf, der mir zugefügt wurde, als ich im Anschluss mehr als einmal von vorbeifahrenden PKWs überrollt wurde. Beinahe fehlte mir die Kraft, mich über das Geschehene weiter aufzuregen, denn noch nie hatte ich mich so wertlos, doch achtlos weggeworfen gefühlt. Niemand schenkte mir Beachtung, es gab niemanden, aber auch niemanden, dem ich etwas bedeutete.
Den ganzen restlichen Tag hatte ich Zeit, über den Nutzen des Lebens zu sinnieren. Doch so sehr ich mich auch anstrengte, ich wollte und wollte einfach zu keinem Schluss kommen.
Abends würde ich dann glücklicherweise von einem Müllmann aufgegabelt, der erste Mensch, der mir wirklich sympathisch war. "Na du Kleiner", flüsterte er. "Was machst du denn hier so ganz allein auf der Straße? Dich kann man doch nicht einfach achtlos liegen lassen!". Er hob mich auf und steckte mich in seinen Geldbeutel. Dann sagte er etwas, was ich nicht verstand: "Kleinvieh macht auch Mist!". Er lachte. Zwei Minuten später warf er mich eine Straßenecke weiter in den Münzgeldschlitz eines Fahrkartenautomaten. "Tssss". Und ich Trottel dachte, der mag mich!
Einige Zeit später kam der Tag, an dem ich das erste Mal eine Bank von innen sah. Und ich sag' es Ihnen: DA gingen vielleicht seltsame Dinge vor sich! Tag für Tag musste ich mitansehen, wie meine Kumpels sich unkontrolliert vermehrten. Manche von ihnen hatten sich auch über Nächte in bunte, flatternde Papierscheinchen verwandelt! Die waren echt kaum mehr wiederzuerkennen. Aber wenigstens ICH war einigermaßen verschont worden. Die Tatsache, dass ich mich in einer POSTbank befand, hatte mir wohl das Leben gerettet. So kam es nämlich, dass mich wenig später der Automat als Rückgeld für eine Briefmarke nach Timbuktu wohlbehalten wieder ausspuckte.
Doch als ich das Gesicht der Frau sah, dessen Portemonnaie, weit geöffnet wie ein Krokodilmaul, darauf zu warten schien, mich in der Dunkelheit zu verschlucken, kamen böse Gedanken in mir hoch. Allein schon von dem Gedanken an diese FRAU wurde ich seekrank. Schlagartig kam mir die Erleuchtung, was das Leben und seinen Sinn anbetraf:
" DAS LEBEN IST WIE BROT, MANCHMAL IST ES GANZ SCHÖN HART!"

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top