Trinke, Trinke (Der Zauberlehrling)

Mein Beitrag zum #RewindTheClassics Contest von WattpadActionDE

„Machs gut, Marius!" Meine Mutter drückt mir einen fetten Schmatzer auf die Wange. Bah. Ihr Lippenstift klebt auf meinem Handrücken, als ich die Reste wegwische. Für sie bin ich scheinbar ein Kleinkind und nicht nahezu erwachsen, dabei habe ich ihr mindestens tausendmal gesagt, wie sehr ich das hasse.

„Und treib keinen Unfug, mein Junge! Wir wollen unser Haus an einem Stück wieder haben", ergänzt mein Vater augenzwinkernd.

Klar, wer will schon in eine Bruchbude zurückkehren.

„Ciao. Bis Montag." Ich winke brav und zwinge mir ein Lächeln auf die Lippen.

Ihre schwarzglänzenden Koffer rumpeln über die türkisblauen Fliesen im Flur, dann schlägt die Haustür zu. Kurz darauf öffnet sich das Garagentor und endlich höre ich das erlösende Brummen des sich entfernenden Kombis.

Noch eine Cola, auf der beigen Ledercouch und TikTok checken, um die öde Zeit zu überbrücken. Done. Eine Viertelstunde geschafft. Jetzt bin ich sicher, dass sie nicht erneut aufschlagen, weil sie mal wieder das Handy oder den Rasierer vergessen haben oder whatever. Ab sofort habe ich das Schloss für mich allein. Es ist Zeit für einen WhatsApp-Zauberspruch.

„Hey, Staggi! Bock auf Party? Die Alten sind weg. Trinke, trinke." Ab mit der Message. Ich warte auf zwei wasserblaue Häkchen ... und da sind sie auch schon.

„Coole Sache, komme gleich rum." Zwinker-Smiley. Ich stöhne innerlich, manchmal ist der echt 90er.

Nächste Cola aus dem Kühlschrank, kurz darauf schubse ich ein paar geile Beats vom Handy auf die Surround-Anlage im Wohnzimmer. Volle Pulle zur Einstimmung auf ein endlos langes Wochenende. Das ist jetzt ganz allein meine Bude. Ich bin hier der Boss und kann tun und lassen, was ich will.

Ding-Dong. Zwei harmonische Glockenschläge verkünden die Ankunft meines magischen Dieners. Ich grinse innerlich: Rief man Staggi den richtigen Spruch zu, konnte man sich drauf verlassen, dass er zehn Minuten später wie gewünscht erschien. Gelassen schlendere ich zur Tür, drücke die Taste für das Gartentor und öffne.

„Hey Bro!" Stagnum, alias Staggi, kommt breitbeinig und grinsend die Einfahrt herauf, dabei hebt er verheißungsvoll eine Aldi-Tüte. „Trinke, trinke?"

Eine Stunde später dröhnen die Bässe durch das Haus. Wir sind gut drauf und die ersten Vodka-Bull leer.

„Marius", ruft Staggi über die Beats hinweg, „lass uns eine richtige Party schmeißen!"

„Klar man, wenn schon denn schon. – Trinke, trinke!" Die letzte beiden Worte rufen wir gemeinsam und fallen lachend auf das Sofa zurück. Kurz darauf tippt er irgendwas in sein Smartphone.

Ding-Dong. Zehn Minuten später öffnet Staggi und zwei Mädels erscheinen am Gartentor. Wow. Manuela und Klara, die Walle-Zwillinge – was für eine Ehre.

„Hallo, zusammen! Trinke, trinke?", meint die linke, und lacht, während sie zum Wohnzimmer hereinkommen. Küsschen links, Küsschen rechts. Blond, schlank – und ziemlich unausstehlich in ihrer Art. Die zwei sind ständig am Tratschen und Lästern. Aber Staggi hat an den beiden einen Narren gefressen. Egal. Das verspricht ein interessanter Abend zu werden und vielleicht sogar eine interessante Nacht.

Zur viert tanzen wir nahe beieinander zu den Beats vorm Kamin und sind inzwischen ordentlich angeheitert. Manuela (oder Klara) schaut mir tief in die Augen und mein Puls schnellt in die Höhe. Geile Sache.

Ding-Dong. Staggi drückt erneut den Öffner zum Tor. Kurz darauf kommen vier Typen, die ich nicht kenne, herein und geben ihm High Five.

„Hey, hey, trinke, trinke", grölen sie gemeinsam. Packen Nachos und ein paar Flaschen Cola sowie zwei Pullen Morgan-Rum auf den Couchtisch.

Die Mädels tanzen Arm in Arm vorm Kamin und singen den laufenden Song in schiefer Tonlage mit. Inzwischen bin auch ich bei Cola-Rum angekommen.

Jemand rempelt mich von hinten an. Der Schubs schlägt mir den Becher aus der Hand und mein Getränk schwappt als Welle quer über die wildlederne Couch. Die Cole-Rum-Flut vermischt sich mit den Chipsbröseln. Kurz darauf tropft die braune Suppe auf die ehemals weißen Fliesen.

Shit! Was für eine Sauerei.

„Ups. Sschorry." Ein schwarzhaariger Kerl mit Nasenpiercing hat mich mit der Schulter erwischt und torkelt vorbei in Richtung Toilette. Die nachfolgenden Würgegeräusche übertönen sogar den Beat.

Langsam wird mir flau im Magen. Nicht wegen des Alkohols, aber allein der ausladende Fleck auf der edlen Couch – dafür gibt es einen gewaltigen Ärger. Das weiß ich schon jetzt.

Das läuft komplett aus dem Ruder. Es reicht! Einmal swipen und die Musik stoppt.

„Hey!" „Was soll das?" „Ist was kaputt?"

Mit lauter Stimme rufe ich: „Die Party ist vorbei. Tut mir leid, aber das ist eine riesige Schweinerei. Wir machen Schluss."

„Spielverderber." „Das soll eine Party sein?" „Man, ey."

Leicht schwankend schalte ich die LED-Strahler im Wohnzimmer auf höchste Stufe und blinzele. „Tut mir echt leid Leute, aber für heute ist es genug."

Staggi schiebe ich mit sanfter Gewalt in Richtung Tür. Er schaut mich beleidigt an, macht jedoch keine Szene und zum Glück folgen die anderen.

„Danke, Leute! Vielen Dank! Ciao, machts gut. Danke für euren Besuch." In diesem Moment bin ich unendlich erleichtert.

„Ja, ja, du mich auch ..." Der Gepiercte rempelt mich beim Rausgehen an und wirft mir einen vernichtenden Blick zu.

Klara (oder Manuela) bleibt abrupt mitten auf dem Gartenweg stehen. Sie lugt seitlich am Haus vorbei und kreischt: „Uuiii! Leute! Hey! Stopp!"

Die maulende Karawane stoppt unmittelbar auf dem Kiesweg.

Mist. Was soll das jetzt?

„Da schaut mal! Der Marius hat nen Pool!" Sie zeigt mit dem Finger auf die azurblaue Wasserfläche des Swimmingpools. Den haben meine Eltern vor drei Jahren im Hitzesommer in die Mitte des Gartens setzen lassen.

„Was? ... Nein! ... Hey!" Panisch laufe ich hinaus und versuche nochmals vergeblich, die Bande zum Gehen zu bewegen, sie ignorieren mich jedoch. So ein Mist.

Egal. Besser die sind draußen, als im penibel gewienerten Wohnzimmer. Sobald die genug haben, werden sie schon verschwinden.

Drinnen wische ich leicht alkoholisiert die Schweinerei auf und schrubbe auf dem Sofafleck herum, da höre ich heftiges Wummern aus dem Garten.

Verdammt, was kam jetzt noch? Ich schiebe die schwere Terrassentür zur Seite und trete hinaus. Oh, Shit.

Zu den unverbesserlichen Partygästen haben sich acht weitere gesellt und scheinbar einen kräftigen Gettoblaster mitgebracht, um die Nachbarn zu beschallen. Inzwischen schwimmt die erste Liege samt Polster im Pool, der Sonnenschirm liegt auf der Seite, und ein Bein des mit weiteren Alkoholika beladenen Gartentisches, steht in einem unnatürlichen Winkel ab.

„Halt Stopp!" Mit wedelnden Armen renne ich in den Garten.

Eine neue Welle mit mindestens 16 uneingeladenen Gästen schwappt, „trinke, trinke" grölend, durch das enge Gartentor.

„Sofort aufhören! Die Party ist vorbei, habe ich gesagt." Meine Stimme geht im Wummern der Bässe und dem Geschrei der anderen komplett untern. Gegen eine sich brechende Flutwelle zu brüllen, hätte den gleichen Effekt. Eine Naturgewalt hielt man nicht mit Worten auf.

Staggi taucht neben mit auf. „Jo, man. Bleib cool. Ist ne geile Poolparty. Am Montag bist du der Held."

„Was?! Nein!" Ich schaue ihn entgeistert an und breite meine Arme aus. „Die zerstören die Möbel! Das verzeihen mir die Alten nie!"

„Bleib cool man, dafür findest du schon ne Ausrede. Hier. Trinke, trinke, Bro." Damit drückt er mir einen Pappbecher in die Hand und schlendert in Richtung der ausgelassen tanzenden Walle-Zwillinge davon.

Das muss ein Ende haben. Jetzt und sofort! Ich stampfe mit kräftigen Schritten zum Gettoblaster beim Gartentisch und hämmere die Faust auf den Power-Knopf.

Das Plastik des Billigprodukts bricht.

Die Musik stoppt.

Das angeknackste Bein gibt auf.

Der Tisch kippt.

Mindestens ein Dutzend Glasflaschen rutschen über die glatte Fläche und zersplittern mit lautem Krachen und Klirren auf den Fliesen. Hunderte Scherben und Bruchstücke verteilen in einem weiten Fächer auf der Terrasse und fallen platschend in den Pool.

Oh, Scheiße.

Stille.

„Polterabend!", ruft der Gepiercte. Er wirft seine Bierflasche in einer perfekten Parabel die Höhe und lässt sie auf dem Steinboden in einem grünen Scherbenregen zerplatzen.

„Ja, geil." „Angefahren." „Achtung, Tiefflieger!"

Schreiend und grölend knallen die anderen ihre Flaschen und Gläser auf die Fliesen und an die Wände. Sekunden später ist alles mit scharfen Scherben und Splittern bedeckt. Die wummernden Beats gehen wieder an. Jemand hat sich den Gettoblaster geschnappt, eingeschaltet und unerreichbar auf das Dach des Vorbaus geworfen.

„Trinke, trinke!", höre ich mehrstimmiges Grölen von hinten.

Eine neue Flutwelle ungebetener Partygäste strömt durch das Tor und verteilt sich auf dem ehemals gepflegten elterlichen Golfrasen. Bierkisten und Dutzende Schnapsflaschen füllen den zerstörten Vorrat in Windeseile wieder auf.

Frustriert und entkräftet lasse ich mich auf einen der Gartenstühle fallen. Autsch! Eine fette blaue Scherbe steckt tief in meinem rechten Handgelenk, dunkelrotes Blut tropft auf den Boden und bildet eine Pfütze. Winzige rote Sprenkel verteilen sich auf meinen weißen Sneakers mit dem Wellenprofil. Teilnahmslos schaue ich dem Rinnsal eine Weile zu.

110. Mit tauben Fingern halte ich den Notruf-Button auf dem Display. Das muss ein Ende haben. Das Smartphone rutscht mir kraftlos aus der Hand und zerspringt auf dem Steinboden. Die Splitter des Displays fallen zwischen den anderen kaum auf.

Im Hintergrund erklingt ein Chor aus Martinshörnern, wie die Fanfaren der Heerscharen des Himmels. Das mich umgebende Chaos versinkt langsam in Finsternis und Stille. Endlich.

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