Die gefährliche Frau in mir
(Eine Kurzgeschichte zu dem Song „Dangerous Woman" by Ariana Grande - inspiriert durch eine Challenge von Buecherschreiberin in ihrem Buch "Writers Support Writers")
Nervös lachend fuhr ich mir mit meinen langen Fingernägeln durchs Haar. „Na gut, Leute. Ich muss langsam los!", rief James in die Runde. Dann wandte er sich an mich: „Merle, Liebling, sehen wir uns heute Abend noch?" Leicht gequält verzog ich mein Gesicht. „Tut mir leid, aber ich kann mich diesmal nicht hinausschleichen. Familienabend!", murmelte ich traurig lächelnd, „Du weißt doch wie meine Eltern sind." Um meine Worte zu unterstreichen, ließ ich meine Schultern etwas hängen. Die Lüge kam erschreckend leicht über meine Lippen. Eigentlich sollte mich das nicht mehr wundern, so oft wie ich sie in den letzten Tagen schon erzählt hatte. „Gott, du bist so ein schlechter Mensch!", schimpfte ich in Gedanken mit mir selbst. Ich fühlte mich jedes Mal schrecklich. James war so ein toller Mann und ich log ihm jedes Mal eiskalt ins Gesicht.
Aber ich konnte die Wahrheit nicht sagen. Nicht ihm. Nicht unseren Freunden. Nicht meiner Familie. Dazu fühlte ich mich nicht bereit. Noch nicht. Verständnisvoll nahm er mich in die Arme. Sanft legte er seine Lippen auf meine. Dann verabschiedete er sich von uns. „Okay, dann bis morgen." Ein letztes Mal warf er mir einen zärtlichen Blick zu. Dann drehte er sich um und ging davon. Ich könnte mich Ohrfeigen für meine Feigheit. „Na gut, ich werde mich dann auch auf den Weg nach Hause machen!", teilte ich unseren Freunden mit. Flüchtig umarmte ich alle. Dann schlenderte ich über den Parkplatz unserer Universität, auf dem ich in der Früh mein Auto geparkt hatte.
Müde von all den Lügen warf ich mich in den Fahrersitz. In meinem Kopf drehte sich alles. Ich hatte das Gefühl mich jede Sekunde übergeben zu müssen. Das passierte mir häufig, wenn ich mich schuldig fühlte. Niedergeschlagen ließ ich meinen Kopf aufs Lenkrad sinken. Kurz schloss ich meine Augen. Schnell besann ich mich jedoch wieder. Bei dem Gedanken an die Stunden, die mir jetzt noch bevorstanden, verflog meine schlechte Laune schlagartig. Gestärkt straffte ich meine Schultern, legte den Gang ein und fuhr vom Parkplatz. Mein Ziel war die Lieblangstraße 67. Die ganze Fahrt über kreisten meine Gedanken. Immer wieder tauchten dieselben Bilder in meinem Kopf auf, die mich noch heute überraschten. Jedes Mal, wenn ich an die besonderen Stunden dachte, die ich dort verbringen durfte, konnte ich mich auf nichts anderes mehr konzentrieren. Hier konnte ich mich fallen lassen und ich selbst sein. Seit ich herausgefunden hatte, wer ich selbst wirklich war, war ich nur an diesem Ort wirklich glücklich. Denn da konnte ich mein neues Ich stets ohne Bedenken ausprobieren, um mich selbst weiter zu entdecken und zu erforschen.
Bald darauf stand ich vor dem Haus. Der Garten war gepflegt, wie immer. Die Rosen blühten in voller Pracht. Ihr süßlicher Duft stieg mir beim Vorbeigehen in die Nase. Langsam ging ich auf die Haustüre zu und wurde mit jedem Schritt zunehmend glücklicher. Kaum hatte ich die Klingel gedrückt, flog die Türe auch schon schwungvoll auf. Das strahlende Lächeln war wie immer das erste, dass mir ins Auge stach. Mein Blick wanderte weiter. Genussvoll checkte er die Person vor mir ab, die mein Starren sichtlich genoss. „Du weißt, ich fühle mich jederzeit geehrt, so viel Aufmerksamkeit von dir zu bekommen. Trotzdem, komm doch erst einmal herein!", lud sie mich dann ein und ich betrat das Haus. Kaum hatte ich die Türe hinter mir geschlossen, konnte ich mich nicht mehr beherrschen. Der Anblick, der sich mir bot, machte mich einfach verrückt. Voller Lust leckte ich mir über die Lippen und ließ meinen Blick erneut über diesen wunderschönen Körper huschen.
Lilith trug einen gelben, freizügigen Bikini, der einiges an braun gebrannter Haut zeigte. Ihre schwarzen, glatten Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Langsam näherte ich mich der Schönheit vor mir. Meine Hände legten sich wie automatisch auf ihre Hüften und mein Blick huschte zu ihren vollen Lippen. Wie konnte mich diese Frau nur so wahnsinnig machen? Kurzerhand schloss ich den Abstand zwischen uns und drückte meine Lippen gefühlvoll auf ihre. Sofort erwiderte sie den Kuss.
Daraufhin wurde ich immer fordernder. In Gedanken war ich schon dabei sie auszuziehen. Dies dürfte Lilith sehr wohl bemerkt haben. Denn atemlos löste sie sich kurz von mir und hauchte: „Es ist zwar niemand Daheim, aber lass uns trotzdem lieber in mein Zimmer verschwinden." Dies ließ ich mir nicht zweimal sagen. Abermals presste ich meine Lippen auf ihre. Ohne erneut von ihr abzulassen, dirigierte ich sie den Gang entlang. Gemeinsam stolperten wir ins Schlafzimmer. Dort konnte ich endlich die Domina herauslassen, was Lilith erregt zum Wimmern brachte. Amüsiert lächelte ich sie an. Wir hatten es von Anfang an verstanden, unsere gemeinsame Zeit in vollen Zügen auszukosten. Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf. Dieses Mädchen brachte echt die wildesten Seiten in mir hervor und ich liebte es. „Was machst du bloß mit mir? Du raubst mir nicht nur den Verstand, bei dir fühle ich mich stets wie eine erwachsene Frau, die hin und wieder auch einmal gefährlich werden kann!", flüsterte ich lächelnd. Dann schloss ich die Augen und genoss den Abend.
Nachdem wir unser Schäferstündchen beendet hatten, saßen wir stillschweigend nebeneinander und sahen fern. Lilith ergriff als erste das Wort. „Merle, ich weiß, für dich ist das alles neu. Deshalb möchte ich dich auf keinen Fall drängen. Ich kann dir aus eigener Erfahrung sagen, ein Outing ist alles andere als einfach. Aber ich merke doch, dass dich etwas bedrückt. Sag mir ehrlich, hat es mit uns zu tun? Die ganze Zeit schon machen dich all die Lügen emotional fertig, habe ich recht?" Ein leises Seufzen entfuhr mir. Mit zittriger Stimme unterbrach ich meine Freundin: „Lilith, du weißt genau, dass ich noch nicht so weit bin."
Ermutigend legte sie mir die Hand auf die Schulter und sprach erneut: „Ich weiß, Süße. Ich muss dir jedoch leider sagen, den perfekten Zeitpunkt gibt es nicht. Man fühlt sich nicht auf einmal bereit dazu, seine wahren Gefühle mit aller Welt zu teilen. Aber irgendwann ist man die ganze Geheimnistuerei und die quälende Spirale des psychischen Schmerzes leid. Dann trifft man eine Entscheidung. Genau das ist ein Outing. Ein Entschluss, den man fällt, wenn einem alles zu viel wird und man endlich jederzeit man selbst sein möchte. Jedoch wann das so sein wird, das entscheidest ganz alleine du, meine Liebe."
Sanft legte sie ihre Lippen auf meine und ich entspannte mich wieder. Endlich stand es für mich fest. Morgen würde ich mein großes Geheimnis lüften. „Zuerst oute ich mich vor meinen Eltern, dann werde ich James reinen Wein einschenken. Ich hoffe sehr, dass sie es verstehen werden!", teilte ich meine Gedanken mit Lilith, „Ich habe Angst, James könnte mich hassen. Jedoch hat er die Wahrheit verdient." Entschlossen lächelte ich meine Freundin an. Ich hatte sie wahrscheinlich noch nie zuvor so glücklich gesehen.
Schwungvoll zog Lilith mich in eine herzliche Umarmung. „Ich bin mir sicher alles wird gut werden. Deine Eltern sind mit Abstand die verständnisvollsten, die ich kenne. Sie lieben dich, komme was wolle! Und James, bestimmt wird er enttäuscht sein. Ich kann mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, dass er dir die Schuld dafür geben wird. Dafür bist du ihm viel zu wichtig.", flüsterte sie mir ins Ohr, „Lass dir ruhig Zeit. Es muss nicht gleich jeder wissen. Ich glaube jedoch, es ist an der Zeit, deine Freunde einzuweihen. Denn die wahren, werden immer an deiner Seite stehen und für dich da sein." Zufrieden löste ich mich aus der Umarmung.
Morgen ist es endlich so weit. Ich bin bereit meine neue Identität mit der Welt zu teilen. Jeder soll mein wahres ich kennenlernen. Ich bin lesbisch und stolz darauf. Ich möchte endlich zu Lilith und mir stehen. Meine Beziehung werde ich nie wieder geheim halten, geschweige denn leugnen. Denn ich bin ein Mädchen und habe eine Freundin. Und verdammt nochmal, so fühlt es sich gut an! So ist es richtig und sollte jemand ein Problem damit haben, dann lernt er mich einmal so richtig kennen. Denn ich bin eine gefährliche Frau, nehmt euch in Acht!
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