Vermissen

2022

Erschöpft ließ sich Tim auf der Couch nieder, streifte sich sein Bandana vom Kopf, zog sich seine Strickjacke aus und griff nach seiner Packung Zigaretten, die vor ihm auf den Tisch lagen und in der sich noch zwei selbstgedrehte Joints befanden.
Er nahm sich einen von diesen heraus, steckte ihn sich zwischen die Lippen und ließ sich von Max, nach Anfrage, ein Feuerzeug reichen, um sich den Joint anstecken und einen tiefen Zug von diesem nehmen zu können.
Marcel nahm neben ihm Platz und lobte Tim für das gelungene Konzert und den perfekten Tourabschluss. Ihm wich ein Lächeln über die Lippen, er blies den Rauch aus und bedankte sich für die lieben Worte.

Heute hatte Tim sein letztes Konzert seiner diesjähriges Tour gegeben. Es fand in Berlin statt. Genauer gesagt im Bi Nuu, wo Tim schon viele Konzerte gespielt und seine Fans mit seinen Auftritten begeistert hatte.
Die ganze Tour lief, bis auf ein paar kleine Ausnahmen, die natürlich immer entstanden, völlig reibungslos ab und auch der Rapper selbst und seine Gesundheit hatten ihm dieses Mal keinen Strich durch die Rechnung gemacht und ihn einfach machen lassen.
Aber dennoch fühlte sich Tim krank, ausgelaugt, erschöpft und wollte einfach nur noch ins Bett. Doch das lag nicht daran, dass er fertig von der gesamten Tour ist und sein Körper ihm nun zeigte, was er die letzten Wochen so versäumt hatte. Es hatte einen ganz anderen Grund.

,,Ich muss mal kurz raus...'', meldete sich Tim ab, erhob sich von der Couch und ließ seine Zigarettenpackung und Max' Feuerzeug in seine Gesäßtasche gleiten, weil er von diesen gerade mehr als genug brauchte.
,,Willst du jetzt schon zu den Fans? Willst du dich nicht noch etwas ausruhen? Du brauchst wirklich 'ne kleine Verschnaufpause, Timi.'', fragte sein bester Freund besorgt nach, hielt ihm am Handgelenk fest und Tim verdrehte darüber innerlich die Augen, obwohl er wusste, dass es dieser nur gut mit ihm meinte.
,,Neee, nur mal aufs Klo, oder so. Ich will raus hier, das ist mir zu stickig gerade.'', versuchte sich Tim zu erklären, riss sich von Marcel los und dieser sah ihn nur verwirrt, aber dennoch mit einem Funken von Besorgnis an.

Doch der Tätowierte beachtete dies nicht weiter und wollte auch gar nicht darüber nachdenken, was sein bester Freund schon wieder über sein Verhalten dachte, was für Sorgen er sich doch immer wieder um ihn machte und allgemein, was überhaupt irgendwer über ihn dachte.
Tim nahm nur einen Zug seines Joints, der ihn nicht runterkommen ließ und verließ dann, ohne jeglichen Kommentar, die kleine Garderobe, die ihm schon oft als Backstage gedient hatte.
Er lief nur den langen Flur entlang, an etlichen Türen und Securitys vorbei, bis er eine Tür erblickte, auf dem sich ein Männchen befand, was ihm die Herrentoilette symbolisierte. Tim öffnete die Tür, trat in den Raum und musterte sich einmal selbst in einer der Spiegel.

Eigentlich müsste ihm sein Spiegelbild zeigen, wie glücklich er doch eigentlich gerade mit sich, seinem Beruf und seinem Leben sein konnte. Tim müsste ein breites Lächeln auf den Lippen tragen, strahlende Augen und Grübchen im Gesicht haben, die sich immer zeigten, sobald er lachte.
Seine Tour ist komplett ausverkauft gewesen, er hatte eine gute Show nach der Anderen abgeliefert, es sind ihm gar keine Fehler unterlaufen, er hatte seine Jungs bei sich und... ach, eigentlich müsste einfach alles in diesem Moment perfekt sein.
Normalerweise würde man in dieser Situation am liebsten die ganze Welt umarmen wollen, weil Tim Geld mit etwas verdiente, was er schon immer geliebt und sich früher nur so erträumen lassen hat. 

Jedoch war dem Rapper nach umarmen eher weniger zumute. Genau wie irgendwelches glücklich sein und so zutun, als wäre alles so toll und perfekt, obwohl es das momentan gar nicht ist.
Es lief in seinem Beruf mehr als gut, das ist richtig. Aber wie es im Leben nun einmal so ist, lief es im Beruf meistens immer ausgerechnet dann gut, wenn das Privatleben einen dafür umso mehr abfuckte und in den Abgrund trieb.
Tim seufzte einmal leise, drückte seinen halb aufgerauchten Joint im Waschbecken aus und stützte dann seine Hände links und rechts von diesem ab, während er in den Spiegel sah und versuchte, irgendein Lächeln über die Lippen zu bringen.

Aber statt einem Lächeln und dem Glitzern in den Augen, bildete sich stattdessen Tränen in diesen und Tim schlug einmal wütend auf den Spiegel ein, während der Schmerz bis hoch in seine Schulter wanderte.
Doch dieser Schmerz konnte nicht im Ansatz mit dem mithalten, den Tim momentan, jeden einzelnen Tag, jede einzelne Stunde, Minute und Sekunde spüren musste und, welcher ihn immer wieder in die Knie zwängte.
Man konnte ihm selbst das Bein abhacken, ihm ins Herz stechen, seine Zähne rausschlagen und noch nicht einmal das würde an den Schmerz rankommen, den er immer wieder verzweifelt im Alkohol oder in anderen Drogen ertränkte.

Tim fluchte einmal leise und hasste sich in diesem Moment wieder dafür, an ihn denken zu müssen und keine Ruhe vor ihm haben zu können. Aber wie sollte das auch gehen? Wie sollte man eine so wichtige Person einfach so aus seinem Leben streichen können?
Seine Freunde und Familie hatten ihm schon zu vielem geraten, doch nichts von all dem half auch nur im Ansatz, sondern verschlimmerte die gesamte Situation nur noch, weil Tim wirklich alles mit ihm in Verbindung bringen konnte.
Vor allem jetzt brachte er einiges in Verbindung mit ihm. Allein', wenn sich Tim schon in diesem Herrenklo hier umsah, kamen ihm viele wilde und heiße Erinnerungen in den Kopf geschossen, die er nicht so einfach vergessen konnte.

Das Bi Nuu und die ganz große Stadt Berlin - sein Berlin - erweckten einfach viel zu viele Erinnerungen an den Mann, der ihn vor knapp einem Jahr brutal abserviert und für immer verlassen hatte.
Seit Tim Solosachen herausgebracht und sein erstes Konzert in Berlin gegeben hatte, ist er immer mit ihm zusammen hier gewesen, hatte ihn unterstützt und mit den Fans zusammen mitgefiebert.
Nach jedem Konzert und als Tim die Bühne verlassen hatte, stand er schon mit offenen Armen vor der Backstagetür, hatte ihn in seine Arme geschlossen und ihm für das tolle Konzert gratuliert, ehe er sein Gesicht in seine Hände genommen und ihn geküsst hatte.

Doch heute stand da niemand, der mit offenen Armen vor der Backstagetür gewartet, ihm gratuliert und ihn geküsst hatte. Niemand stand dort, außer ein verdammter Security, der ihm nur ein erzwungenes Lächeln zugeworfen hatte.
Tim ließ den Kopf bei dem Gedanken hängen und konzentrierte sich darauf, keine Träne zu verlieren, denn eigentlich ist dieser Kerl keine einzige Träne oder gar Gedanken mehr wert. Er hatte es nicht verdient, dass irgendwas mit ihm in Verbindung gebracht wurde.
Dieser Mann hatte ihm einfach nur wehgetan, obwohl er Tim immer wieder hoch und heilig versprochen hatte, dass er ihm nie wehtun und ihn vor allem auch niemals verlassen würde.

Jedoch ist dieses Versprechen schon uralt gewesen. Es ist einfach verdammt lange her gewesen, sodass es eigentlich keine Gültigkeit mehr hatte, weshalb Tim auch so brutal von ihm verletzt und verlassen wurde.
Wahrscheinlich stand es irgendwo auf Tims Körper eintätowiert, wann sein Verfallsdatum sein und dieses Versprechen nicht mehr halten würde, sodass er ihn, als das Datum schon einige Zeit überschritten wurde, verletzt und verlassen hatte.
Einen anderen Grund konnte Tim dafür einfach nicht finden, denn eigentlich ist alles doch so perfekt, fehlerlos und einfach nur wunderschön gewesen. Sie waren doch am Höhepunkt ihrer Beziehung und dann sind sie wie ein Fallturm einfach so und ohne Vorwarnung abgestürzt.

Tim strich sich die verlorene Träne aus dem Augenwinkel, schüttelte mit dem Kopf und kämpfte damit, nicht jeden Moment einen Heulkrampf zu kriegen, bei dem jeder einzelne im Backstage hören würde, dass es ihm alles andere als gut ging.
Er wollte nicht, dass irgendjemand etwas von seiner momentanen Verfassung mitbekam. Die Leute machten sich so schon genug Sorgen um ihn, da wollte er nicht, dass sie sich auch ausgerechnet jetzt, wo es ihm eigentlich gut gehen sollte, irgendwelche Gedanken machten.
Außerdem wollte Tim gar keine Aufmerksamkeit erregen, sondern still für sich und alleine trauern. Er wollte nicht schon wieder von allen hören, dass irgendwann wieder alles gut werden und er damit abschließen könnte, wenn sich die Zeit ergab.

Tim stellte sich wieder aufrecht hin, kehrte seinem Spiegelbild den Rücken zu und lehnte sich gegen das Waschbecken, während er daran denken musste, wie es vor zwei Jahren hier im Bi Nuu gewesen ist.
Vor zwei Jahren wurde er noch mit offenen Armen vorm Backstage empfangen, mit einem breiten Lächeln begrüßt und daraufhin mit zahlreichen Küssen übersät, die ihm auch jetzt noch ein Kribbeln im Bauch bescherten.
Eine angenehme Gänsehaut legte sich auf seine Haut und er selbst verfluchte sich innerlich dafür, dass seine Gefühle immer noch so verrückt wegen ihm spielten. Aber gleichzeitig legte sich auch ein Lächeln auf seine Lippen, als er an diesen Tag zurückdachte.

Tim hatte seinen Tourabschluss ebenfalls in Berlin gehabt. Alles ist mehr als perfekt gewesen, dass Konzert lief super, alle hatten ihren Spaß und so viele seiner Freunde waren vorbeigekommen, um ihn zu unterstützen.
Aber vor allem ist er dagewesen, um ihn zu unterstützen, für ihn mitzufiebern und ihm mit einem stolzen Lächeln abseits der Bühne zu beobachten, jeden seiner Zeile mitzurappen und zu singen.
Es ist so schön gewesen. Noch bis heute zählte dieser Auftritt zu einer seiner Favoriten und er dachte gerne an diesen Tag und an die Zeit zurück, wenn er sich mal weider daran erinnern wollte, wofür er den ganzen Stress manchmal auf sich nahm und keinen normalen Beruf gewählt hatte.

Aber was ihm besonders an diesem Tag gefallen hat, war, dass er danach Urlaub hatte und nicht diesen üblichen Urlaub wie sonst, dass man einfach zurück nach Hause fuhr, sich die nächsten Tage ins Bett schmiss, dieses nicht mehr verließ und bezüglich Musik erstmal nichts mehr machte.
Nein, nachdem Konzert, noch in derselben Nacht, als Tim und er Fotos und Autogramme für die Fans gegeben und seine Jungs verabschiedet hatten, waren die zwei mit dem Bully, der auf dem Parkplatz stand, an die Ostsee gefahren.
Es ist einfach nur ein toller Trip gewesen und Tim hatte sich schon seit Anfang der Tour nur noch darauf gefreut, mit Lukas zusammen nachdem letzten Konzert an die Ostsee zu fahren und dort die Seele baumeln zu lassen.

Weißt du noch, als wir am Meer war'n?
Baby, wie lang ist es schon her, als
Du meintest, du wirst immer bei mir bleiben?

Das ist das allererste Mal gewesen, dass die beiden zusammen an der Ostsee gewesen sind. Tim ist zu diesem Zeitpunkt seit über dreißig Jahren nicht mehr dort gewesen, weil ihn andere Reiseziele eher gereizt hatten.
Doch Lukas hatte den Wunsch geäußert, dass er doch gerne mal wieder dort hinfahren wollte, weshalb Tim diesem Vorschlag schlussendlich zugestimmt hatte, weil er seinem ehemaligen Schatz noch nie irgendeinen Wunsch abschlagen konnte.
Tim lächelte leicht, als er an Lukas' Hundeaugen zurückdachte, die er immer wieder aufgesetzt hatte, sobald dieser irgendwas von seinem Exfreund haben wollte. Lukas wusste einfach, wie er etwas bekommen konnte und wusste es auch geschickt einzusetzen.

Aber um wieder zurück auf den kleinen Trip zur Ostsee zurückzukommen, wo Lukas und Tim ganze zwei Wochen verbracht und in ihrem alten Bully, der mittlerweile wieder Tim allein' gehörte, gelebt hatten. Es ist einfach nur verdammt schön gewesen.
Tim bekam immer noch Herzklopfen und ein breites Lächeln auf den Lippen, wenn er daran zurückdachte, wie viel Spaß die zwei in diesem Urlaub eigentlich gehabt hatten und wie ungerne sie wieder zurück nach Hause wollten.
Dadurch, dass die das erste Mal gemeinsam an der Ostsee waren, haben sie den Ort nochmal neu für sich entdeckt und sind nicht an bekannte Spots gegangen, wie es bei anderen Urlaubszielen von ihnen immer der Fall gewesen ist.

In Zinnowitz hatten sie sich befunden, was auf der Insel Usedom liegt und wo die beiden jeden Abend Händchen haltend die riesige Seebrücke entlanggelaufen sind und dem Rauschen des Meeres zugehört hatten.
Oftmals saßen sie auch nur schweigend am Strand, hatten die Ruhe genossen, sich ab und zu mal einen Kuss auf die Lippen gedrückt und jeder von den beiden ist seinen eigenen Gedanken nachgegangen.
Abends hatte Lukas auch gerne mal was auf seiner Gitarre gespielt, Tim etwas vorgesungen, oder sie hatten einfach nur Karten gespielt, gequatscht, Musik gehört und allgemein ohne irgendwelche Sorgen ihr gemeinsames Leben genossen.

Vor allem nachts, wenn sie mal wieder nicht schlafen konnten, weil die Nachbarn viel zu laut, es zu heiß oder man einfach noch nicht müde war, sind Tim und Lukas aus dem Bully gestiegen und hinunter zum Strand gegangen.
Sie hatten sich dann einfach kerzengerade und dicht aneinandergepresst in den Sand gelegt und in den Himmel gestarrt, um schweigend die Sterne zu beobachten. Manchmal hatten sie auch pausenlos miteinander gequatscht, doch hauptsächlich lagen sie Händchen haltend und schweigend im Sand.
Tim musste ungewollt dreckig grinsend daran zurückdenken, dass sie in solchen Nächten aber auch nicht allzu jugendfreie Dinge miteinander getrieben und sich gerne mal den ein oder anderen wilden Spaß erlaubt hatten.

Die Initiative dazu ging entweder mal von Lukas, aber oftmals auch von Tim aus. Doch die Reihenfolge, wie es passiert ist, ist immer dieselbe gewesen, aber dennoch hatten beide immer wieder einen regelrechten Schock kassiert, der sich dann sofort in ein angenehmes Kribbeln verwandelt hatte.
Zunächst hatte einer der beiden die Hände voneinander gelöst und lag erstmal reglos da, dann drehte sich die Person plötzlich zur Seite, rückte noch viel näher an den Anderen heran und dann ging es erst richtig los.
Zunächst wurde mit dem Zeigefinger über die meist, weil es eben sehr warm war und sie deswegen keine Shirts brauchten, nackte Brust mit kreisenden Bewegungen gestrichen. Daraufhin wurden die Nippel umkreist, dann begann das liebkosen von Hals und Brust.

Und ehe man sich versehen konnte, saß der jeweilige auch schon rittlings auf einen drauf, presste ihm seine deutlich spürbare Latte entgegen und dann artete es meistens in einem heißen Zungenkuss aus.
Daraufhin ging dann alles sehr schnell, es wurde sich ausgezogen, man rückte etwas weiter hinunter zum Meer und nachdem, eventuell, wenn man die Lust und Zeit dafür hatte,  geblasen wurde, versenkte man sich.
Tim und Lukas hatten in dieser Zeit ihr Sexleben nochmal völlig neu aufleben lassen, den passiven und aktiven Part fast schon täglich gewechselt, andere Stellungen ausprobiert und... oh man, dieser komplette Trip ist einfach nur perfekt und sehr gesund für ihre Beziehung gewesen. 

Tim konnte, wenn er immer wieder an den Trip und allgemein die gemeinsame Zeit mit Lukas zurückdachte, einfach nicht glauben, dass es so plötzlich und brutal zwischen den beiden auseinander gegangen ist.
Ihre Beziehung ist zwar schon immer ein stetiges Auf und Ab gewesen, jedoch konnten sie sich immer wieder zusammenraufen und hatten gemeinsam für ihre Zukunft und das, was sie einst hatten, gekämpft.
Jeder Außenstehende hatte es meistens nie verstanden, wie sie das immer wieder schafften, wie sie das noch konnte. Aber im nächsten Atemzug hatten diese sie dann doch immer wieder um ihre Beziehung und ihren Kämpferdrang beneidet.

Doch heutzutage gab es da nichts mehr, worum man sie beneiden könnte, denn ihre Liebe ist von den ein auf den anderen Tag erloschen und ließ sich auch nicht mehr anzünden, egal was man da probierte.
Tim hatte zuerst versucht zu kämpfen. Doch was brachte es einem in den Kampf zu ziehen, wenn der andere nicht willig ist, mit zu schreiten? Es ist hoffnungslos und es brachte auch nichts, seine Zeit damit zu verbringen und seine Energie so zu verschwenden.
Also hatte Tim sein Schwert und die Liebe zwischen ihm und Lukas fallen gelassen. Er hatte sie zwar versucht, immer wieder aufzuheben, doch immer wieder entglitt ihm diese aus der Hand und das Schwert wurde von Tag zu Tag immer schwerer und belastender.

Und das Meersalz, hat so geglitzert auf der braunen Haut, noch mehr als
Unsre beiden Augen, weil das Leben zu uns fair war
Wir haben gefickt und der Himmel war so sternklar

Tim fing stumm zu weinen an, als er an diesen tollen Urlaub zurückdachte. Hätte er gewusst, dass es der allerletzte Urlaub von ihm und Lukas sein würde, hätte er ihn noch viel mehr genossen und alles daran gesetzt, dass sie noch einige Wochen länger geblieben wären.
Lukas fehlte ihm ungemein an seiner Seite. Er hatte ihn ganze elf Jahre seines Lebens begleitet und dann ist er einfach so, von den ein auf den anderen Tag, aus diesem getreten und hat so getan, als wäre nie etwas zwischen den beiden gewesen.
Irgendwie kannte Tim das Gefühl ja noch von früher, wenn man irgendwann seinen Schulabschluss in den Händen hielt und sich von den Menschen verabschiedete, mit denen man größtenteils zehn Jahre seines Lebens verbracht hatte.

Doch diese sind natürlich nichts im Vergleich dazu, wenn dich die Liebe deines Lebens mit einem Mal verlässt, mit der du eigentlich immer positiv in die Zukunft geblickt hattest. Tim und Lukas hatten sich schon so verdammt oft ausgemalt, wie ihre gemeinsame Zukunft irgendwann mal aussehen könnte.
Sie hatten sich immer vor dem Haus von Tims Großvater gesehen, wo sie mit Schaukelstühlen auf dem kleinen Balkon saßen. Alt und grau würden sie mittlerweile schon sein, obwohl Lukas immer noch Kommentare dazu abgeben würde, dass Tim hier der alte Mann und Lukas noch schön jung und knackig ist.
Sie würden sich Geschichten von früher erzählen. Von ihrem Trip an die Ostsee, ihre gemeinsamen Konzerte, ihre ganzen Schweinereien, ihre Höhen und Tiefen. Sie würden sich so vieles zu erzählen haben, darüber herzhaft lachen und die guten alten Zeiten vermissen.

Das Einzige was Tim aber gerade nur vermissen konnte, war Lukas an sich, denn dieser fehlte ihm einfach ungemein. Seitdem Lukas weg ist, hatte sich eine riesige Leere in seinem Leben breit gemacht, die niemand mehr schließen konnte.
Lukas hatte einfach all das Glück, die Zufriedenheit und den Spaß am Leben mitgebracht, nach denen sich Tim schon seit seiner frühsten Zeit sehnte. Doch irgendwas hatte immer gefehlt, sodass er nie das komplette Paket bekommen hatte.
An Borderline und Depressionen litt er schon seit seiner frühsten Kindheit, was sich mit den Jahren immer mehr verschlimmert hatte. Es gab nur wenige Lichtpunkte und gute Tag in Tims Leben, die man zu dieser Zeit nur an einer Hand abzählen konnte.

Doch als Lukas dann plötzlich von der ein auf die andere Sekunde in sein Leben getreten kam, hatte sich alles schlagartig verändert. Auf einmal ging es Tim oftmals sehr gut. Er konnte wieder ehrlich lachen, lächeln und hatte so viele gute Tage.
Wo auch immer Lukas war, dieser Mensch hatte ihn zum Lachen gebracht, ihm so viel Positives vermittelt und ihm immer wieder das Gefühl gegeben, gebraucht zu werden. Lukas hatte Tim so viel auf seinem Weg gegeben, dass man es kaum zusammenfassen konnte.
Egal, wie schlecht es Tim manchmal ging und wie sehr dieser eigentlich am Boden gewesen ist, sobald Lukas in den Raum getreten kam und sich um ihn gekümmert hatte, konnte er einfach wieder lachen und war glücklich.

Lukas konnte ihn immer mit den belanglosesten und unlustigsten Dingen, wieder zum Lachen bringen, obwohl es Tim eben noch so dreckig ging. Aber es lag einfach daran, dass es Lukas gewesen ist, der dies immer wieder für ihn getan hatte.
Lukas - Tims Fels in der Brandung, sein Herstück, sein Ein und Alles, die Liebe seines Lebens und einfach all das, was sich Tim schon immer unter einen guten Partner vorgestellt und sich so sehr gewünscht hatte.
Doch dieser gute Partner existierte nicht mehr. Tim hatte ihn verloren und bereute es in diesem Moment wieder so sehr, sich nicht einfach weiterhin an ihn gefesselt und für ihre Liebe gekämpft zu haben.

Er vermisste seinen Lukas einfach. Es wurde von Tag zu Tag einfach immer schlimmer. Jeden Tag aufs Neue fragte er sich, warum er überhaupt aufstand, denn dazu gab es doch eigentlich gar keinen Grund mehr.
Lukas hatte ihm immer einen Grund zum Aufstehen und kämpfen gegeben. Doch jetzt, wo es keinen Grund mehr gab, könnte Tim in seinem Bett auch einfach verrotten. Es würde sowieso niemanden stören und alle wären froh drüber, wenn er endlich weg ist.
Der Gedanke daran, dass Lukas sich sowieso nicht mehr für ihn interessierte, tat einfach nur weh und Tim wünschte sich, sich darum eigentlich nicht so viele Gedanken zu machen, denn dieser Kerl ist es einfach nicht mehr wert.

Mit Lukas zusammen hatte er sich aber immer so benebelt gefühlt. Aber nicht das benebelt indem Sinne von; Wir sind total high und denken, wir sind irgendwo da oben in den Wolken, wo wir vollkommen frei sind.
Nein, viel eher das benebelt sein von der Liebe, wo Tim keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte, sobald Lukas bei ihm in der Nähe war, ihn küsste, ihn berührte oder gar nur mit seinen blaugrauen Augen ansah.
Tim fühlte sich immer so wohl, dass Kribbeln in seinem gesamten Körper versetzte ihn immer in einen regelrechten Rausch und es fühlte sich meistens so an, als würden sie irgendwo in der Galaxie schweben und niemand könnte ihnen etwas anhaben.

Aufgrund dessen tat wahrscheinlich der plötzliche Absturz so sehr weh und hatte Tim komplett aus der Bahn geworfen, weswegen er jetzt vollkommen fertig auf diesem Männerklo hockte und sein Umfeld vor lauter Tränen gar nicht mehr sehen konnte.
Es hatte sich immer so angefühlt, als hätte Lukas Tim all die Jahre zum Fliegen gebracht und ihm irgendwelche imaginären Flügel gegeben, weshalb Tim aus seinem tiefen, schwarzen Loch, in das er einst gesteckt hatte, mit Lukas zusammen herausfliegen konnte.
Jahrelang hatte Tim im Himmel durch Lukas gelebt, hatte viel mehr Höhen als Tiefen erlebt und, falls es dann doch einmal wieder runter ging, ist Lukas unter ihn geflogen und hatte ihn aufgefangen, um kurz darauf, Stück für Stück wieder mit ihm zusammen nach oben zu fliegen.

Genau deswegen hatte es auch so wehgetan, als Lukas mit Tim Schluss gemacht hatte. Dadurch, dass sein Ein und Alles für immer aus seinem Leben getreten ist, hatte Tim seine Flügel wieder verloren und hatte ihn zurück in sein tiefes, schwarzes Loch gestürzt.
Der Aufprall und das böse Erwachen hatten ihm nicht ohne Grund solche Schmerzen verpasst, denn Tim hatte realisiert, dass er ohne Lukas augenblicklich wieder zurück in sein tiefes, schwarzes Loch fiel, wovor er ihn all die Jahre bewahrt hatte.
Der tätowierte Musiker konnte ohne Lukas nicht fliegen, denn da draußen gab es keinen anderen Menschen, der ihn so verstand und wusste, wie man in manchen schwierigen Situationen mit ihm zu agieren hatte, wie Lukas.

Klar, seine zwei besten Freunde Alex und Marcel wussten auch vieles über Tim und konnten ihn natürlich auch zum Lachen bringen und wussten vernünftig mit ihm umzugehen, wenn dieser mal wieder einen seiner Ausraster oder Panikattacken hatte. Tim ist ihnen auch mehr als dankbar dafür und wusste dies auch sehr zu schätzen, so ist das nicht.
Aber die beiden konnten ihm nicht das geben, was Lukas ihm immer und immer wieder mit auf ihren gemeinsamen Weg gegeben hatte. Tim liebte Alex und Marcel zwar auch, aber nur im platonischen Sinne.
Die einzige Person, die Tim jemals vom Herzen geliebt hatte und immer lieben wird, trägt den Namen Lukas Stretzner. Der Mann, der ihn immer zum Lachen gebracht und Flügel gegeben hatte. Aber auch der Mann, der ihm nach der Trennung zu einem schweren und schmerzhaften Absturz verholfen hatte.

Ich vermisse dich, vermisse ohne Schwerkraft
Mit dir rumzuschweben, der Absturz war so schmerzhaft

Tim seufzte leise, raufte sich die Haare und beschloss dann das Männerklo zu verlassen, weil er auch nicht zu lange wegbleiben wollte, damit sich seine Jungs keine Sorgen um ihn machten und sie den Braten schon bald riechen würden.
Dass Marcel schon längst etwas bemerkt und sich mehr als nur Gedanken um Tim machte, wusste dieser bereits schon. Er sah die kritischen und besorgtem Blicke seines besten Freundes schon den ganzen Tag über.
Wie sollte es ihm auch entgehen, dass es Tim scheiße ging? Sein bester Freund wusste, was in diesem Gebäude seit Tims ersten Solo-Auftritt in Berlin immer wieder passiert und wer genau vor allem immer bei ihm gewesen ist.

Frustriert seufzend drückte Tim die Türklinke herunter, sah sich im Flur um und überlegte, ob er in diesem Zustand wirklich zurück in den Backstage gehen und so tun wollte, als würde es ihm gut gehen.
Er zog sein Handy aus der Hosentasche, musterte sich in der Spiegelung und schnell stand fest, dass er mit diesem Aussehen nicht wieder zurückgehen konnte. Ansonsten würde gleich jeder um ihn herumstehen und besorgt fragen, was denn passiert und los sei.
Der Tätowierte hatte auf diese ganzen Frage keine Lust und wollte diese auch nicht gestellt bekommen. Die Leute könnten gerne wieder bei ihm ankommen, wenn sie ihm Lukas zurückbrachten, der wieder mit ihm zusammen sein wollte.

,,Ey, darf man da hochgehen, oder passiert da irgendwas?'', fragte Tim einen Security, der gerade an ihm vorbeiging und gerade raus ins Foyer gehen wollte, wo Tim die Stimmen von einigen seiner Fans hören konnte.
,,Wenn Sie dort rausgehen, kommen Sie eine Treppe herunter, wo es dann in den Zuschauerraum geht. Keine Sorge, wir haben einen Vorhang davor geschoben und niemand kommt dort mehr rein.'', erklärte der muskelbepackte Mann Tim und lächelte ihn einmal an.
Dieser nickte nur verstehend, bedankte sich bei ihm und ließ ihn seinen Weg weitergehen, während Tim die Türklinke herunterdrückte, einen kleinen Flur entlang entging und dann tatsächlich eine kleine Treppe vor sich bemerkte.

Tim ging diese einigen Stufen herunter, ehe er sich seufzend und völlig erschöpft auf dieser niederließ. Er sah sich einmal um und sah in den nun leeren Zuschauerraum, wo nur noch zwei Frauen an der Bar standen und diese wieder ordentlich herrichteten.
Auf der Bühne befanden sich einige seiner Crewmitglieder, die schon mal die Bühne abbauten und alles wieder normal herrichteten, weshalb Tim sich ein bisschen versteckte, damit er nicht gleich von diesen erkannt wurde.
Von draußen konnte man die Stimmen seiner Fans hören, die sich ebenfalls von dem Konzert erholten, auf ihn warteten und sich beim Merchstand noch etwas an Klamotten besorgten, weshalb ihm ein leichtes Lächeln über die Lippen glitt.  

Nach der plötzlichen Trennung hatte Tim sich viel der Musik gewidmet. Seine ganze Zeit und Energie floss hauptsächlich nur noch in diese, weshalb einige viele Tracks entstanden waren, von denen Tim sich niemals hätte erträumen lassen, dass diese so schnell fertig werden würden.
Er hatte zwei Monate nach der Trennung schon so viele Songs aufgenommen, sodass Tim noch im selben Monat ein neues Album hätte rausbringen können, weil er sich in dieser schweren Zeit sehr viel in die Arbeit gestürzt hatte.
Er musste sich einfach irgendwie ablenken, in eine andere Welt eintauchen und nicht ständig an das erinnert werden, was er verloren hatte. Und nichts half ihm dabei mehr, als einige Texte zu schreiben, Beats zu produzieren und im Aufnahmeprogramm auf Record zu drücken.

Natürlich waren in dieser schweren Zeit auch einige Songs entstanden, die er so niemals der Öffentlichkeit präsentieren würde, weil Tim diese einfach nur für sich gemacht hatte, um alles besser verarbeiten zu können.
Auch noch heute, wenn er mal wieder einer seiner einsamen Nächte hatte, hörte sich der Rapper diese an und fing jedes einzelne Mal bitterlich zu weinen an, weil man den Schmerz in seiner Stimme deutlich heraushören konnte.
Doch einer dieser Songs hatte es tatsächlich auf sein neues Album geschafft. Obwohl dieser eigentlich viel zu persönlich ist und eine andere Seite von ihm hervorbrachte, wollte er diesen Track unbedingt auf dem Album haben.

Tim wollte der Welt da draußen zeigen, dass er auch gefühlvolle Sachen schreiben konnte. Dass er nicht nur irgendein abgeranzter Junkie ist, dem alles egal ist und welcher nur über seine Drogen, Abstürze, Sex und Partys rappen konnte.
Deswegen hatte er diesen Song auch als Single ausgekoppelt und auch noch heute las sich Tim die Kommentare darunter sehr gerne durch, weil sie ihm einen gewissen Halt und das Gefühl gaben, mit seinem Problem nicht alleine zu sein.
In dem Song hatte er seinen Trennungsschmerz behandelt, den Fokus vor allem aufs Vermissen und das Gefühl des plötzlichen Alleine sein gelegt. Das Musikvideo ist ähnlich traurig, aber Tim ist stolz auf das, was er da geschaffen hatte.

Unter dem Musikvideo hatten viele Hörer ihre Geschichten geteilt und Tim bekam jetzt schon wieder Tränen in den Augen, als er daran dachte, wie süß seine Fans mit diesen umgingen und den Verfassern immer wieder Halt gaben und ihnen gut zu sprachen.
Tim hatte wirklich Angst davor gehabt, dass Lied zu veröffentlichen, denn es ist ein sehr intimer Einblick in seine Persönlichkeit und seine Gedankenwelt gewesen, die kein Fan von ihm je zu Ohren bekommen sollte.
Aber die mehr als positive Resonanz darauf, hatte Tim glücklich gestimmt, weswegen er sich auch dafür entschieden hatte, den Song live zu performen, obwohl er bei jedem Auftritt immer wieder mit Tränen zu kämpfen hatte.

Besonders heute in Berlin ist es mehr als schlimm gewesen. Tim würde lügen, wenn er sagen würde, dass nicht doch die ein oder andere Träne seine Wange hinunter gelaufen, an seinem Kinn hängengeblieben und dort hinunter auf seine Hose getropft ist.
Man hatte es ihm angehört, wie viel Schmerz in diesem Lied und der Performance gesteckt hatte. Aber ebenso ist es auch genau das, was die Fans sich meistens so sehr von einem Künstler wünschten.
Als Tim gerade erst mit der Musik angefangen hatte, hatte ihm mal jemand mit auf den Weg gegeben, dass man die Menschen am Besten traf, wenn man von etwas schrieb, womit sich jeder identifizieren konnte.

An diesen Satz hatte der 39-jährige immer wieder zurückgedacht, als er seine depressiven Lieder geschrieben und sich eines nachts dazu entschlossen hatte, dass einer dieser Tracks den Weg auf sein Album finden würde.
Zugegebenermaßen wollte Tim sich auch gar nicht mehr vorstellen, wie dieses Album überhaupt ohne diesen Track aussehen würde, denn er hatte ein tolles, wenn auch sehr trauriges Ende damit gebracht.
Der Song holte die Leute nochmal komplett ab, brachte sie zum Nachdenken und Tim hatte sich erhofft, dass sie sich dadurch noch viel mehr mit ihm, dem Album und allgemein seiner Musik beschäftigen würden.

Lange hatte Tim Angst davor gehabt, dass dieses Album ein totaler Flop sein und total in die Hose gehen könnte. Tim musste dieses Mal nämlich alles aus eigener Tasche bezahlen und wäre dieses Album nicht gut weggekommen, wäre er jetzt pleite und wahrscheinlich auf der Straße.
Tim hatte, nach der Trennung, sein mitgegründetes Label einfach so verlassen, weil er keine Lust mehr darauf hatte, mit Lukas zusammenzuarbeiten und ihm noch irgendwie geschäftlich unter die Augen treten zu müssen.
Vielleicht ist es dumm von ihm gewesen, denn, wenn Lukas das Label verlassen hätte, hätte er sehr viel schneller ein Neues gefunden, oder wäre auch alleine super klar gekommen, da dieser Mann von allen umjubelt und geliebt wurde.

Doch Tim wollte das nicht. Er gönnte es Lukas, dass dieser bei einem Label ist, wo er sich wohlfühlte und Tim wollte ihm da einfach nicht im Weg stehen, weshalb er diesen Weg freigeräumt hatte und Lukas ohne ihn weitergehen ließ.
Deswegen hatte Tim sein eigenes Label gegründet und alles alleine in die Hand genommen, was ihm zwar sehr viele Nerven und Zeit gekostet hat, aber mittlerweile ist ihm das Alles viel lieber, als sich noch weiterhin mit Lukas umherschlagen zu müssen.
Es ist zwar ein Risiko gewesen, diesen Schritt zu gehen, aber wenn Tim mal so auf die letzten Monate zurückblickte, konnte er sich eigentlich nicht über diesen neu eingeschlagenen Weg beschweren.

Früher ist Lukas sein Geldeintreiber gewesen, weil dieser, aufgrund seines hohen Bekanntheitsgrad, dass meiste Geld verdient hatte und von ihm sehr vieles ausging, weshalb die Jungs irgendwann im Luxus leben konnten.
Doch heutzutage schaffte es Tim auch ohne Lukas, sein Geld zu verdienen und sich über Wasser zu halten. Sein neues Album ist sofort auf die zwei gegangen, seine Tour hatte sich wie von alleine ausverkauft und allgemein konnte sich Tim über Geld nicht beklagen.
Natürlich machte es einen deutlichen Unterschied, seitdem er nicht mehr beim Label ist, aber Tim ist noch nie ein Mensch gewesen, der viel Geld ausgegeben hat und von sich aus auch nur mit 400 Euro im Monat super klar kommen würde.

Tim ist mehr als stolz darüber, dass er mittlerweile alleine sein Geld verdiente und auf keinerlei andere Hilfe angewiesen ist. Auch diverse Leute, die für sein Projekt arbeiteten, konnte er ganz locker mit dem Geld bezahlen und hatte trotzdem noch mehr als genug für sich übrig.
Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen. Tim brauchte Lukas nicht, um Geld zu verdienen, denn dieses Kerlchen hatte sich in der Szene auch so einen Namen gemacht und die Fans mochten ihn auch ohne den Goldesel an seiner Seite.
Tim konnte wirklich mehr als glücklich und stolz darüber sein, dass es so gut bei ihm lief und er, zum Glück, aufgrund des plötzlichen Verlassen des Labels nicht in irgendeine Krise gestürzt ist und sich selbst in die Ruine getrieben hatte. Er verdiente offiziell alleine sein Geld.

Ich muss mich ablenken, muss wieder Musik machen
Guck' mir zu, ich füll' ab heut' alleine meine Brieftasche

Tim ließ seinen Kopf in den Nacken fallen und starrte an die schwarze Decke, die noch von einigen Lichtern beleuchtet wurde, die aber schon bald all ihre Helligkeit verlieren würden, sowie es bei ihm vor circa einem Jahr der Fall gewesen ist.
Er dachte ungerne an diese schwierige Zeit zurück. Der einzige Lichtpunkt in dieser Zeit, der existiert hatte, war, dass er sehr produktiv gewesen ist und sehr, sehr viel Musik gemacht hatte.
Auch wenn es ihm nicht immer leicht gefallen ist, sich irgendwelche Text einfallen zu lassen, hatte er es dennoch irgendwie, dieses Mal auch wieder ohne Lukas' Hilfe, geschafft und zu Ende gebracht.

Als Tim sein erstes Soloalbum langsam in die Gänge kriegen wollte, hatte ihm sein einstiger fester Freund dabei geholfen, seine Texte zu schreiben und die Beats zu bauen, weil Tim bis dato keinen Plan davon hatte.
Natürlich hatte er schon unzählige Raptexte geschrieben, jedoch nicht für sein eigenes Soloprojekt. Deswegen hatte er sich Lukas zur Seite geholt, der ihm bei Schreibblockaden geholfen und ihn auf neue Idee gebracht hatte.
Tim musste leicht schmunzeln, als er daran dachte, wie genau Lukas ihm eigentlich bei Schreibblockaden geholfen hatte und wie oft er diese einfach nur vorgetäuscht hatte, damit Lukas ihm half.

Meistens saß Tim an seinem Schreibtisch im Studio seines Hauses, wenn er sich neue Texte ausdachte. Wenn er dann einmal nicht mehr weiter wusste, hatte er einfach nur nach Lukas gerufen, der sofort in den Raum getreten kam.
Dann ging alles immer sehr schnell. Nachdem gefragt wurde, was los sei und Tim sein Problem geschildert hatte, kniete sich Lukas nur noch hin, lächelte ihn dreckig an und verschwand daraufhin unter dem Schreibtisch.
Seine Mitte zog sich einmal angenehm zusammen, als er an diese berauschenden und schönen Momente zurückdachte, während sich Tim zeitgleich wieder dafür verfluchte, überhaupt an so etwas zu denken und dann auch noch so darauf zu reagieren.

Doch Tim fehlte diese Zeit und diese Momente ungemein, was er vor allem bei seinem letzten Albumprozess sehr zu spüren bekommen hatte. Er hätte es ja selbst nie für möglich gehalten, aber Lukas hatte einen großen Einfluss auf seine Musik genommen.
Tim wurde von Album zu Album zwar immer sicherer und konnte auch viel besser alleine arbeiten, jedoch musste ihm sein Freund trotzdem des öfteren mal unter die Arme greifen, oder half ihm einfach, weil Tim das gerade brauchte.
Der Tätowierte hatte sich nicht gerade selten mal gerne vor der Arbeit gedrückt, weil er lieber stoned auf der Couch rumhing und in Ruhe faulenzen wollte, obwohl sein neues Projekt so langsam mal in die Gänge kommen musste.

Irgendwie hatte ihn Lukas immer motiviert dazu bekommen, dass er seinen Arsch von der Couch erhob und sich auf den Schreibtischstuhl setzte, um wenigstens irgendwas Produktives an den Tag legen zu können.
Meistens hatte der Jüngere einfach an irgendwelchen Beats weitergebaut, Lines für ihn beendet oder bei Videokonzepten seine Ideen mit eingebracht, weshalb Tim ebenfalls die Lust wieder packte und er schlussendlich seiner Arbeit nachging.
Lukas hatte eindeutig bei dem Album gefehlt. Hätte er mitgeholfen, wäre es wahrscheinlich einige Monate früher rausgekommen und Tim hätte sich viel mehr dafür aufraffen können, wenigstens irgendwas zu machen.

Doch was dem braunhaarigen Mann vor allem in dieser Zeit aufgefallen ist, ist die Tatsache, dass sein Studio verdammt groß ist. Also, nicht in dem Sinne, dass ihm vorher die Quadratmeterzahl gefehlt und er es nie ausgemessen hat, sondern eher in der Hinsicht, dass eine einzige Person in diesem Raum verdammt viel Platz hatte.
Oftmals hatte es ihn gestört, dass Lukas mit in seinem Studio saß, denn meistens stand man sich irgendwie nur im Weg und hatte kaum Platz, sich irgendwie breit zu machen, ohne direkt auf die Füße des jeweils anderen zu treten, ihm einen Ellbogen fast ins Gesicht zu rammen, oder einfach in diesen hineinzulaufen.
Wenig Nerven hatte es ihn gerade nicht gekostet, aber er wollte seinen Engel auch niemals herausschmeißen, denn er hatte seine Nähe gebraucht und mochte es ja auch, Zeit mit ihm zu verbringen und ihn um sich herum zu haben. Dafür hatte er auch gerne in Kauf genommen, etwas weniger Platz zu haben.

Allgemein wirkte das Haus, was er von seinem Großvater geerbt hatte, ohne Lukas so verdammt groß, obwohl jeder Raum in diesem sehr minimalistisch gehalten ist und Tim oftmals nicht wusste, wohin mit seinen ganzen Sachen.
Es ist ein richtiger Kampf damals gewesen, die passenden Möbel in der richtigen Größe zu finden. Tim erinnerte sich lachend daran zurück, wie er und Lukas sich im IKEA die Füße wund gelaufen sind, weil sie einfach nichts Passendes gefunden und der Ältere immer was zum Meckern hatte.
Aber irgendwann hatten sie dann doch das Perfekte gefunden und auch Lukas bekam eine kleine Ecke für sich im Haus, die schon seit einem Jahr völlig unberührt in diesem stand, weil er alles so lassen wollte, wie Lukas es bei seinem letzten Besuch auch verlassen hatte. Es sollte für ihn immer noch so wirken, als wäre sein Ein und Alles niemals weggewesen.

Noch vor einigen Wochen hatte Tim einen kleinen Spaziergang durch sein Haus gemacht und es wurden sehr viele Erinnerungen in ihm wach. Der kleine, schmale Flur, wo Lukas und er sich immer gegenseitig auf die Füße getreten waren, wo man den Anderen förmlich wegschubsen musste, um vorbeizukommen, oder wie oft sie sich doch in die Quere gekommen waren, um an ihre Jacken zu kommen.
Heutzutage ist da niemand mehr, der Tim den Weg versperrte, wenn er nochmal kurz seine Kippen holen wollte. Es kotzte ihn an, dass ihm niemand auf den Zeh trat und sich dann mit einem Kuss dafür entschuldigte und, dass sich keine Finger oder Arme mehr berührten, sobald man zeitgleich nach seiner Jacke greifen wollte und es stattdessen kribbelte.
Vor allem das Schlafzimmer störte Tim in diesem Haus sehr. Das Schlafzimmer, in welchem er und Lukas die meiste Zeit miteinander verbracht und immer sehr wilde Sachen in diesem getrieben hatte, die auch gefälligst in diesem Raum und in ihren Gedanken bleiben sollten.

Tim konnte sich an keine Nacht mehr seit der Trennung erinnern, als er in seinem Bett geschlafen hatte. Er hatte es am Anfang versucht, ist jedoch immer wieder in Tränen ausgebrochen, als er den Kopf zur Seite gedreht und dort niemanden vorgefunden hatte.
Allein' schon Lukas' Geruch, der sich in der Bettwäsche befand und ihm immer sehr stark in die Nase stieg, hatte ihm einfach nur wehgetan, sodass er sofort aus dem Bett ausgestiegen ist und sich auf die Couch gelegt hatte.
Dass es seinem Rücken gar nicht gut tat, war ihm dabei sowas von egal, denn kein Schmerz der Welt, konnte mit dem mithalten, was jeden Tag innerlich bei ihm von statten ging und Tim einfach keine gewünschte Ruhe lassen wollte.

Das Haus seines Großvaters tat Tim einfach nur noch weh. Die linke Bettseite ist einfach nur noch kalt, in der Küche steht niemand mehr, der ihm Mittag zubereitete, oder  allgemein irgendwas mit Tim kochte, weil dieser dringend mal was essen sollte.
Im Studio saß auch keiner mehr, der ihm beim Produzieren half, auf dem Balkon schlangen sich nicht mehr von hinten Arme um ihn, während er sich auf dem Geländer abstützte und aufs Feld hinausblickte.
Im Bad stand auch niemand mehr mit ihm zusammen unter der Dusche, der ihm den nötigen Platz wegnahm, auf der Couch lag niemand mehr, an der er sich kuscheln und einige Serien schauen konnte. Niemand ist mehr dort.

Ohne Lukas hatte das Haus seinen Glanz, seine Lebendigkeit und seinen beschränkten Platz verloren. Es ist einfach viel zu groß für Tim, er brauchte eigentlich gar nicht so viel Platz, um sich bewegen zu können.
Wäre es nicht das Haus seines geliebten Großvaters, hätte es Tim wahrscheinlich schon längst verkauft und sich eine Einraumwohnung genommen, in der es zwar sehr klein und ungemütlich ist, aber er sich dort einfach nicht alleine fühlte.
Dort würde alles gut sein. Er würde sich keine Gedanken darum machen, dass hier noch Platz für eine zweite Person wäre, denn dieser würde in der Wohnung gar nicht vorhanden sein. Und vor allem würden keine gemeinsamen Erinnerung mit Lukas mehr in den verschiedenen Wänden hängen.

„Aber was schreibe ich bloß?", frag' ich mich
Diese Wohnung ist auf einmal so groß ohne dich

,,Danke, dass ihr da wart, kommt gut nach Hause!'', verabschiedete Tim die letzten seiner Fans, die sich noch ein Foto und Autogramm von ihm ergattert hatten, während er ihnen lächelnd zu wank.
Sie wünschten ihm noch einen schönen Abend und einen guten Rückweg morgen, weshalb Tim sich nochmal lächelnd bei den zwei Mädels bedankte, ehe er ihnen den Rücken zu kehrte und seine Zigarettenpackung aus der Hosentasche zog.
Nachdem Tim sich einigermaßen beruhigt und nochmal kurz geweint hatte, hatte er sich dazu entschlossen, mal nach draußen zu gehen und den wartenden Fans das zu geben, worauf sie schon seit Beginn des Konzertes hingefiebert hatten.

Er wollte sich einfach nur noch ablenken und keinen klaren Gedanken mehr an Lukas fassen, der heute noch nicht einmal vorbeigeguckt hatte. So dumm es vielleicht auch klingen mag, aber Tim hatte tatsächlich die leise Hoffnung gehabt, dass Lukas vorbeikommen könnte.
Schon seit Beginn der Tour hatte Tim Marcel mitgeteilt, dass er da so eine kleine Vorahnung und es einfach im Gefühl hatte, dass Lukas in Berlin auftauchen und ihm bei seiner Show zu gucken würde. Es ist schließlich immer ihr gemeinsames Ding gewesen.
Sein bester Freund hatte davon nicht sonderlich viel gehalten und Tim nur darum gebeten, dass er sich bitte nicht darauf verlassen sollte, weil die Enttäuschung ansonsten viel zu schmerzhaft sein würde.

Tim hatte zwar zustimmend genickt, jedoch die Hoffnung nicht aufgegeben, sondern das ganze Konzert über im Publikum verzweifelt nach seinem Engel gesucht, den er aber nicht gefunden hatte.
Er dachte ja, dass Lukas sich vielleicht versteckt hatte und schon bald ein Security auf Tim zu kommen und ihm erzählen würde, dass vor der Backstagetür ein zu groß gewachsener Mann stand, der unbedingt zu ihm wollte.
Dann hätten sie Tim zu diesem Mann geführt, er hätte ihn als Lukas erkannt und mit strahlenden Augen gesagt, dass er diesen tollen Menschen sehr wohl kannte und dieser auch zu ihm in den Backstage durfte.

Tim sah sich einmal hoffnungsvoll in der Gegend um, doch musste ernüchternd feststellen, dass, bis auf die zwei Mädchen eben, keiner mehr auf ihn gewartet und sich irgendwas von ihm erhofft hatte.
Er seufzte leise, bekam glasige Augen und sah hinunter auf seine dreckigen Chucks, die Lukas immer so an ihm gemocht, aber gleichzeitig auch verflucht hatte, weil er lieber mit solchen Lumpen rum rannte, anstatt sich endlich mal Neue zu bestellen.
Der Rapper musste lachen, als er daran zurückdachte, wie oft sie eigentlich über diese Schuhe diskutiert hatten, bis sich Lukas Augen verdrehend geschlagen gegeben und gesagt hatte, dass er sich seinen Kleinen auch gar nicht ohne diese Schuhe verstellen konnte/wollte.

Na toll, kaum waren die Fans eine Minute weg, schon dachte Tim wieder an ihn. In den letzten zwei Stunden, in denen er sich mehr als ausgiebig mit seinen Fans beschäftigt hatte, gab es keinen Gedanken an Lukas.
Sie hatten ihn alle so sehr abgelenkt und belagert, dass für einen klaren Gedanken gar keine Zeit blieb, denn nachdem der eine aus seinen Armen verschwunden war und sich bedankt hatte, stand auch schon direkt der Nächste vor ihm.
Tim lächelte leicht. Genau aus solchen Gründen liebte er den Kontakt mit seinen Fans, machte Musik und ging auf Tour. Einfach, weil es ihn von seinen eigentlichen Problemen ablenkte und einfach die beste Medizin ist.

In die strahlenden Augen seiner Fans zu blicken, die er glücklich machen konnte, weil er mit ihnen sprach, ihnen ein Autogramm gab oder gar ein Foto mit ihnen machte, stimmte ihn positiv und gab ihm so vieles.
Dass Tim eines Tages mal so gemocht werden konnte, hätte er sich nie erträumen lassen können, denn durch seinen Vater, der ihn noch nie geliebt und ihm immer nur dumme Wörter gegen den Kopf geworfen hatte, fiel es Tim sehr schwer, sich selbst lieben zu können.
Sein Erzeuger hatte immer wieder behauptet, dass jeder, der ihn irgendwie mochte, doch total blind und taub sein müsste, um es mit so jemanden wie ihn auch nur eine einzige Minute aushalten zu können.

Heutzutage konnte Tim über diese Worte nur lachen und er liebte den Gedanken daran, dass sein Vater seine Musikkarriere mitverfolgen und nichts dagegen tun konnte. Er fand es einfach nur schön, dass dieser schreckliche Mensch endlich mal unter die Nase gerieben bekam, dass er mit seinen Worte nicht Recht hatte.
Tim kicherte leise vor sich hin, doch verstummte mit einem Mal, denn automatisch musste er wieder an seinen Lukas denken. Lukas, der Mann, der Tims Vater noch mehr hasste, als er es selbst eigentlich tat.
Der Ältere hatte ihm natürlich all die Geschichten und die Sachen erzählt, die er damals von ihm an den Kopf geknallt bekommen hatte. Lukas hatte darauf nur ganz geschockt und wütend reagiert, weil er nie verstehen konnte, wie ein Vater solche Sachen zu seinem eigenen Kind sagen konnte.

Wenn es mal um Tims Vater ging, hatten die beiden sich immer böse lachend irgendwelche Szenarien ausgemalt, wie sie ihm all das heimzahlen würden, was er Tim all die Jahre eigentlich angetan hatte.
Sie hatten sich vorgestellt, wie sie Tims dreckigen Erzeuger, wie ihn Lukas immer genannt hatte, auf seiner Arbeit, auf der er gut angesehen war, ordentlich blamieren würden, in dem sie seinen Kollegen mal zeigten, was für wilde Sachen Tim eigentlich mit seinem Freund trieb.
Oder sie würden ihn vor den gesamten Kollegen bloßstellen, indem Tim mal auspackte, dass sein ach so toller Vater, gar nicht der liebe Mensch zu ihm gewesen ist, so wie er es meistens auf Arbeit immer erzählte.

Lukas hatte Tim immer wieder versichert, dass irgendwann der Tag kommen würde, an dem sie es seinem Erzeuger heimzahlen und ihn ordentlich in die Knie zwängen würden, weil man so mit keinem Menschen umging.
Das ist immer eines ihrer gemeinsamen Ziele und Wünsche gewesen, doch dieser Wunsch ist nebensächlich, denn es gab noch viel schönere und tollere Wünsche, die sich aufgeschrieben und immer wieder vorgestellt hatten.
Zum Beispiel hatten die beiden geplant, irgendwann mal gemeinsam die chinesische Mauer  zu besteigen und gemeinsam diesen unendlichen langen Weg zu gehen, bis sie irgendwann völlig erschöpft am Ziel ankamen.

Sie wollten eigentlich auch schon jahrelang zusammenziehen, doch dieses hat aufgrund diverser Gründe auch nie wirklich geklappt und sie hatten sich viel eher immer ordentlich in die Haare bekommen, sobald das Thema aufkam.
Sie wollten gemeinsam alt und grau werden, wollten sich irgendwann Hund und Katze zu legen, zusammen einen Baum pflanzen. Jeden Tag nebeneinander einschlafen, um am nächsten Morgen wieder nebeneinander aufzuwachen.
Wollten irgendwann, aber hoffentlich nicht bald und nur zusammen, an Schläuchen hängen, Händchen halten und gemeinsam ihren letzten Atemzug tätigen, ehe sie sich im Jenseits wieder trafen und einfach dort weitermachen würden, wo sie eben aufgehört hatten.

Tim rollte eine Träne über die Wange und er steckte seine Zigarettenschachtel wieder zurück. Er sah nach oben, blickte sich noch um, doch weit und breit war kein Lukas in Sichtweite, der jetzt kommen und ihm die Träne wegstreichen würde.
All die Wünsche, die sie sich ausgemalt hatten, würden so niemals stattfinden, denn die zwei hatten schon seit einem Jahr keine gemeinsame Zukunft mehr. Die Wünsche waren aufgelöst und hatten keine Bedeutung mehr.
Tim seufze leise, schüttelte mit dem Kopf und drehte sich einmal um, weshalb er auf den schwarzen Van sah, der als sein Tourbus diente und in dem er schon einige lustige Momente mit den Jungs zusammen erlebt hatte.

Ein leichtes Lächeln legte sich auf seine Lippen und Tim zog den Autoschlüssel aus der Hosentasche. Er musterte diesen und drückte einmal auf dem Knopf, weshalb dieses blinkte und er einmal nach hinten ging.
Dort öffnete er einer der beiden hinteren Türen und ging in den Kofferraum, wo sich schon seine ganzen Requisiten und Instrumente befanden, die er die Tour über so zahlreich benutzt und immer ein- und ausgeladen hatte.
Tim stieg nach oben, wo sich eine Matratze befand, auf der man während der Fahrt gerne mal pennen konnte, wenn man es im unbequemen Sitz nicht oder vielleicht auch einfach nur seine Ruhe haben wollte.

Tim ließ sich seufzend auf der Matratze nieder, fuhr sich durch die nicht mehr ganz so schwitzigen Haare und griff dann einmal unter das Kopfkissen, unter welchem er ein Shirt hervorholte.
Doch dieses Shirt hatte er nicht einfach unter das Kopfkissen gepackt, weil ihm an einem Tag, als er hier drin pennen wollte, zu heiß gewesen ist und er es sich deswegen über den Kopf gezogen und da unter gepackt hatte.
Eigentlich gehörte dieses Shirt auch gar nicht Tim, sondern viel eher seinem Herzblatt. Er bereute es zwar selbst, es überhaupt mitgenommen oder gar behalten zu haben, aber das T-Shirt gab ihm einfach so vieles.

Tim hatte es vor einigen Monaten in seinem Schrank gefunden, als er diesen aufgeräumt hatte und eigentlich Klamotten aussortieren wollte. Doch dann stellte sich das T-Shirt ihm in den Weg und es endete viel eher in einem Heulkrampf und einer Panikattacke.
Lukas hatte das Shirt bei seiner letzten, endgültigen Abreise vergessen gehabt. Er hatte das eigentlich immer mit Absicht getan, weil er wollte, dass Tim irgendwas von ihm hatte, sobald dieser wieder in Berlin war.
Doch das hatte Tim nach der Trennung verdrängt gehabt, weshalb er dementsprechend verdutzt darüber gewesen ist, als er das ihm viel zu lange Shirt in seinem Kleiderschrank entdeckt  hatte und aufgrund des Duftes sofort zu ordnen konnte.

Er wusste ja selbst, dass es eigentlich total dämlich ist, dass T-Shirt behalten und es nicht einfach in den nächstbesten Mülleimer geschmissen zu haben, der nur zwei Meter entfernt von ihm gestanden hätte.
Doch dieses Shirt ist das Letzte gewesen, was er noch von Lukas hatte. Dieser vertraute Duft gab Tim an einsamen Nächten einfach das Gefühl, dass Lukas doch noch bei ihm ist, er ihn jedoch einfach gerade körperlich nicht spüren konnte.
Lukas' vertrauter Duft löste einfach Glücksgefühl in ihm aus, gab ihm das Gefühl von Sicher- und Geborgenheit, nahm ihm seine Ängste weg und...ach man, es fühlte sich einfach immer noch so an, als wäre Lukas noch da, wenn einen tiefen Zug von diesem nahm.

Tim hielt das Shirt dicht gepresst an seiner Brust fest, musterte es einmal und, auch wenn es eigentlich so sehr weh tat, führte er es in die Richtung seiner Nase und roch einmal dran, weshalb ihm sofort der mehr als vertraute Duft von Lukas in die Nase gestiegen kam.
Er nahm noch einige Züge davon und es fühlte sich wie irgendeine kranke Droge an, weil ihm das Alles mit einem Mal so gut tat und seine Laune von null auf hundert bis ins Unermessliche schoss. Er konnte gar nicht mehr aufhören.
Tim klammerte sich an dem T-Shirt fest und inhalierte es förmlich. Von ihm aus konnte man ihm ruhig alles wegnehmen, solange das Shirt in seinem Besitz blieb, würde es ihm gut gehen und alles würde in Ordnung sein.

Es fühlte sich in diesem Moment so an, als wäre Lukas direkt neben ihn. Tim drehte einmal hoffnungsvoll den Kopf nach links, doch da lag kein Lukas, der ihn anlächelte, ihm die verirrten Strähnen aus dem Gesicht fuhr und ihm einen Kuss auf die Lippen hauchte.
Er starrte nur gegen eine schwarze Wand, neben der sich nichts, aber auch absolut gar nichts befand. Ihm stießen augenblicklich Tränen in die Augen, er klammerte sich fester ans Shirt und nahm nochmal einen tiefen Zug von diesem.
Ein kurzer Anflug von Glücksgefühlen, aber dennoch wurde ihm in seinen Gedanken immer wieder hervorgerufen, dass er nicht nach links schauen sollte, denn dort lag kein Lukas. Der Geruch ging einzig und allein' vom T-Shirt aus.

Tim weinte still in das Shirt hinein, wie er es schon oft getan hatte. Eigentlich wollte er es in diesem Moment am liebsten zerreißen, jedoch hing er viel zu sehr an dem Menschen, der einst in diesem gesteckt hatte.
Das T-Shirt war sein einziger Ankerpunkt momentan und er wollte diesen einfach nicht verlieren. Er ist das Allerletzte, was er von Lukas noch hatte. Das Shirt gab ihm, auch wenn es danach brutal weh tat, immer noch ein gutes Gefühl.
Tim nahm wieder einen tiefen Zug von diesem, vernebelte sein Hirn komplett damit und ein Lächeln legte sich auf seine Lippen. Er genoss diesen Moment mit dem Shirt, bevor es ins Hotelzimmer ging und er dieses wieder unter dem Kopfkissen verstecken musste.

Alle unsre Wünsche haben wir zerstört
Steige wieder in den Tourbus und ich riech' an deinem Shirt
Mal sehen, ob der Duft noch bleibt
Bis ich wieder aus dem Bus aussteig'

Tim konnte hören, wie sich die Autotür öffnete. Er verstummte mit einem Mal, presste die Lippen zusammen und lauschte, wer ausgerechnet jetzt in den Van gestiegen kam. Er hatte überhaupt keine Lust darauf, dass seine Crew ihn so vorfand.
Die ganze Tour über konnte er sich eigentlich gut zusammenreißen und Tim wollte einfach nicht, dass ausgerechnet am letzten Abend herauskam, dass es ihm schon die ganze Zeit über alles andere als gut ging.
Als er die Stimme von Marcel vernahm, nahm er nochmal einen Zug vom Shirt, ehe er dieses wieder unter dem Kopfkissen versteckte und sich zwischen die kleine Lücke hindurchquetschte, bei der man zu den Sitzen gelang.

,,Oh Gott, Alter, erschreck' mich doch nicht so und sag' Bescheid, wenn du deine Beine hier raushängen lässt.'', lachte sein bester Freund ganz erschrocken, als Tim durch die Lücke geschlüpft kam und sich auf seinen der Sitze niederließ.
,,Entschuldigung...'', gab Tim nur kleinlich von sich, kratzte sich am Hinterkopf und stülpte sich die Ärmel seiner Strickjacke über, die ihm Lukas mal geschenkt hatte, als sich Tim darüber beschwert hatte, dass er viel zu wenig Strickjacken besaß.
Keinen Tag später ist Lukas ohne ihn weggefahren, da er einen angeblichen Geschäftstermin hatte. Am Abend kam er wieder und hielt Tim eine Strickjacke vor die Nase, die ihm Lukas extra gekauft hatte, damit er sich nicht mehr beschweren brauchte.

Tim lächelte leicht, als er an diesen Moment zurückdachte und spielte an dem Reißverschluss rum. Auch wenn Lukas so gar keine Ahnung von Mode hatte, hatte er bei dieser Strickjacke Tims Geschmack mehr als getroffen.
Sie passte ihm wie angegossen, stand ihm so gut und es wurde fortan seine Lieblingsjacke, die er sehr gerne trug und sie auch sofort vom Wäscheständer abnahm, sobald diese getrocknet ist. Lukas hatte das immer als süß empfunden. 
Tim seufzte leise und zückte sein Handy aus der Hosentasche, um sich irgendwie abzulenken und vor Marcel nicht gleich in Tränen auszubrechen, der gerade im Handschuhfach umherkramte.

Tim drückte stattdessen den Knopf an der Seite, entsperrte sein Handy und scrollte auf den verschiedenen sozialen Netzwerken umher, wo er hier und da mal ein Bild seiner Fans likte, kommentierte und sich die Bildunterschriften durchlas.
Es ließ ihn lächeln, als er diese ganzen süßen Sachen las und es freute ihn wirklich sehr, dass die Show den Leuten scheinbar so gefallen hatte und sie sich wünschten, dass Tim schon bald wieder auf Tour gehen, oder neue Musik rausbringen würde.
Seine Fans waren wirklich Zucker und ohne diese wüsste er wahrscheinlich manchmal gar nicht, wo er heute überhaupt wäre. Aufgrund dessen postete Tim ein Foto, was ihn und seine Crew zeigte. Er bedankte sich bei seinen Fans für die hammer Tour und vor allem auch bei seinen Jungs, dass sie ihn mal wieder so unterstützt hatten.

Dann verließ Tim die Plattformen und wollte sein Handy eigentlich wieder in der Hosentasche verschwinden lassen, als er jedoch am linken Rand seines Bildschirmes etwas Grünes aufleuchten sah.
Tim wusste schon von vornherein, dass er es sicherlich bereuen würde, dort überhaupt rauf gegangen zu sein. Aber dennoch glitt sein Daumen wie von automatisch auf das WhatsApp-Symbol und öffnete sich daraufhin.
Sofort wurden Tim diverse Chats angezeigt, doch nur ein Einziger von diesen interessierte ihn. Eigentlich ist es ein Fehler gewesen, dass er den Chat von ihm und Lukas immer noch angepinnt hatte, aber er konnte einfach nicht anders.

Tim sah auf das Datum, als sie das letzte Mal miteinander geschrieben hatten und er bekam sofort wieder Tränen in den Augen, als er feststellte, dass die letzte Nachricht, die Tim gesendet hatte, schon über ein Jahr her ist.
Als Tim und Lukas sich kennengelernt hatten, hatten sie fortan tagtäglich miteinander geschrieben. Ausnahmen gab es nur, wenn sie sich getroffen hatten und dementsprechend kein Handy brauchten, um miteinander zu kommunizieren.
Sie hatten sich jeden Abend Gute Nacht geschrieben, nachdem Aufwachen ein Guten Morgen. Hatten ständig gefragt, was der Andere machte, wie es ihm ging und falls sie kein Gesprächsthema hatten, hatten sie einfach nur Herzen miteinander geschrieben.

Tim seufzte leise, klickte auf ihren Chat und eine Träne lief ihm die Wange hinunter. Freue mich schon sehr darauf, dich zu sehen, mein Schatz. Bis gleich. ♥ - die letzte Nachricht, die Tim an Lukas verfasst und die nur blaue Haken hatte.
Sie wurde an dem Tag abgeschickt, als Lukas mit ihm Schluss gemacht hatte. Es tat weh, diese Nachricht zu lesen, denn zu diesem Zeitpunkt wusste Tim noch nicht mal im Ansatz, was ihm eigentlich bevorstand.
Aber wie sollte er auch nur? Es ist alles so perfekt zwischen den beiden gewesen und dann hat Lukas ohne jeglichen Grund gesagt, dass es vorbei ist, er das nicht mehr konnte und er nicht mehr mit seinem Kleinen zusammen sein wollte.

Tim klickte auf die Textzeile und ließ seine Daumen über der Tastatur kreisen. Er sah nach oben und las, dass Lukas vor circa einer Minute das letzte Mal online gewesen ist. Der Gedanke daran, dass er nicht nur mit ihm schrieb, tat weh.
Tim fragte sich oft, ob Lukas auch manchmal auf ihren gemeinsamen Chat klickte und sich diesen durchlas. Ob bei ihm dann auch das Gefühl aufkam, als wären sie noch zusammen und als wäre alles in Ordnung, bis er dann an der letzten Nachricht angekommen war und realisierte, dass es nicht so ist.
Dass Lukas Tim damals nicht blockiert hatte, verwunderte ihn sehr. Auch noch heutzutage verstand er nicht, wieso Lukas ihn nicht aus seinen Kontakten gelöscht hatte, wo er doch eigentlich nichts mehr mit ihm zutun haben wollte.

Lukas sah sich immer noch Tims Status an, wenn dieser mal wieder ein Bild, vor allem von seinen beiden Haustieren, hineinstellte. Tim hatte auch das Gefühl, dass Lukas jedes Mal auf sein Profilbild klicken würde, sobald er dieses änderte.
Aber vielleicht ist das Ganze auch nur Wunschdenken von ihm, weil Tim das Alles tat und sich dabei total dämlich vorkam. Eigentlich konnte es ihm doch völlig egal sein, was Lukas reinstellte, denn die zwei sind geschiedene Leute.
Jedoch ist der Mensch, der sich hinter dieser simplen Nummer verbarg, ihm nicht egal. Tim wollte wissen, was Lukas machte, ob es ihm gut ging und, dass er weiterhin auf sich aufpasste, wo er es schon nicht mehr tun konnte.

Tim ließ seine Daumen wieder kreisen und tippte die ersten Worte. Hey Lukas, wie geht es dir so? Ich bin gerade in Berlin. Habe gerade meine Tour beendet. Willst du vorbeikommen? Noch was trinken? - das klang verzweifelt, Tim.
Du Arschloch. Wir sind jetzt seit einem Jahr nicht mehr zusammen. Also, warum hast du Schluss gemacht? Du hast mir das Herz gebrochen!!! Fick' dich!!! Ich komme auch gut ohne dich klar, Arschloch. - das ist nicht nett und bringt dir Lukas auch nicht zurück.
Hallo Lukas, Tim hier. Geht es dir gut? Ich liebe dich immer noch. Ich vermisse dich. Ich trage die Strickjacke, die du mir damals gekauft hast. Ich habe auch noch ein Shirt von dir. Ich rieche manchmal dran, wenn ich dich vermisse. Du bist toll. - das klang noch viel verzweifelter und bescheuerter.

Tim seufzte leise, löschte jedes einzelne Wort, dass er getippt hatte und raufte sich durch die Haare. Gerade war Lukas wieder online, doch Tim wollte es nicht riskieren, zu schreiben, weil er es ja sehen könnte.
Keine Ahnung, ob Lukas den Chat zwischen den beiden je gelöscht hatte und, ob sich dieser nicht sehr weit unten befand. Aber irgendwie hatte Tim das Gefühl, dass sein einstiger Freund einen ähnlichen Schaden wie er haben und den Chat auch angepinnt haben könnte.
Tim klickte auf die grüne Leiste und dann auf Lukas' Profilbild, um dieses in Ruhe betrachten zu können. Es zeigte Lukas mit seiner geliebten Gitarre. Er saß auf einem Bierkasten, in irgendeinem Park und spielte auf dieser, während er breit in die Kamera lächelte.

Lukas hatte oft für Tim gespielt. Vor allem, wenn es ihm mal sehr schlecht ging, hatte Lukas sich seine Gitarre geschnappt, sich zu ihm gesetzt und etwas auf dieser gespielt, während er zusätzlich noch gesungen hatte.
Er sah dabei immer so schön und süß aus, mit seinen geröteten Wangen, seinen strahlenden Augen und den langen Haaren, die ihm immer wieder ins Gesicht gefallen waren, weil er sich keinen Zopf gemacht hatte.
Manchmal hatte Tim sogar mitgesungen. Auch wenn er nicht der beste Sänger ist und eigentlich gar keinen Ton traf, hatte Lukas immer so süß gelächelt, sobald der Ältere von beiden mit eingestiegen ist.

Tim strich mit seinem Daumen vorsichtig über das Bild, bevor sich kurz darauf eine Träne auf diesem befand. Er wischte sie mit dem Ärmel seiner Jacke weg, doch mit einem Mal wurde ihm ganz schimmrig vor Augen.
Nun gab es keinen Halt mehr und die Tränen liefen ihm wie Bäche nur so förmlich die Wange herunter, weshalb er sich die Ärmel seiner Strickjacke überstülpte und versuchte, sie sich noch rechtzeitig aus dem Gesicht zu wischen.
Tim schnaubte leicht auf, vergrub das Gesicht tief in seinen Händen und wollte einfach nur noch weg. Weg vom Bi Nuu, weg vom Tourbus, weg von allen Leute - er wollte nur noch weg und seine Ruhe haben. 

,,Hey, oh Gott, was ist denn jetzt los?'', konnte Tim die besorgt fragende Stimme von Marcel neben sich vernehmen, der nicht mehr im Handschuhfach umherkramte, sondern ihm seine Hand auf die Schulter legte.
,,Timi, sieh' mich mal bitte an. Was ist passiert?'', befahl sein bester Freund ihm in einem ruhigen Ton, doch der Angesprochene schüttelte nur mit dem Kopf und drehte sich von ihm weg. Tim wollte nicht reden. Niemand sollte sich Sorgen um ihn machen.
Tim spürte, wie sich etwas neben ihm bewegte und jemand gegen seinen Körper stieß. Kurz darauf schlangen sich auch schon die Arme von Marcel um seinen Körper und er befand sich dicht gepresst an seiner Brust.

,,Sh...es ist alles gut...'', flüsterte ihm dieser ins Ohr, strich seinen Rücken beruhigend und langsam zugleich auf und ab und Tim schüttelte nur wieder mit dem Kopf, während er das Shirt seines besten Freundes vollheulte.
,,Nichts ist gut, Marcel. Alles ist scheiße!'', erwiderte Tim nur aufgebracht und nuschelnd gegen seine Brust und presste sich dabei viel näher an seinen besten Freund heran. Doch dieser löste Tim etwas von sich, um ihm in die braunen Augen gucken zu können.
,,Timi, was ist denn passiert? Ist irgendwas bei den Fans geschehen? Hm, was ist denn los?'' Marcel musterte ihn einmal von oben bis unten und bemerkte dann den leuchtenden Bildschirm, der in Tims Schoss lag. 

,,Ich... ähm...ich wollte Lukas schreiben. Aber ich kann das nicht. Man, ich dachte, dass er heute kommt und da ist nichts. Er hat sich ja noch nicht mal gemeldet...'', erklärte Tim sich hastig, seufzte leise und erneute Tränen rollten über seine eingefallenen Wangen.
,,Ich hätte mir nicht solche Hoffnungen machen dürfen. Du hattest Recht. Ich bin so doof.'', fügte Tim noch hinzu, und sah seinen besten Freund einmal vielsagend an, der nur zu seufzen begann und ihn wieder zurück in seine Arme zog.
,,Timi, ist doch klar, dass du dir solche Hoffnungen gemacht hast. Das ist nicht doof, das ist eine natürliche Reaktion. Es ist doch logisch, dass du noch denkst, das da etwas ist. Auch nach einem Jahr. noch. Du kannst da nichts für, rede dich deswegen bitte nicht schlecht.'', versuchte Marcel ihn wieder aufzubauen, doch der, dem diese Worte gewidmet waren, zuckte nur mit den Schultern.

,,Willst du vielleicht, wenn wir morgen nach Hause fahren, erstmal zu mir kommen und da 'ne Zeit lang leben? Dann wirst du auch nicht ständig damit konfrontiert und ich bin immer für dich da.'', fragte Marcel, als sie eine Zeit lang miteinander geschwiegen hatte und Tim sah zu ihm auf.
Er sah seinem besten Freund, der ihm weiterhin über den Rücken streichelte, in die Augen und nickte dann fest entschlossen. Tim brauchte das einfach, er konnte nicht mehr länger in seinem Haus leben, wo ihn absolut alles an Lukas und ihre gemeinsame Vergangenheit erinnerte.
Außerdem wollte er nach der Tour nicht alleine sein. Es würde ihm sicherlich mehr als gut tun, jemanden um sich herum zu haben, der ihn ablenkte, mit ihm sprach und ihm half, wenn es doch mal wieder bergab ging.

,,Du kannst dann wirklich so lange bleiben, wie du willst, Großer. So viel Platz nimmst du ja schließlich auch nicht ein. Gustavo und Heisenberg nehmen wir auch mit und dann passt das. Du musst nicht alleine sein.'', lächelte Marcel ihn aufmunternd an und stupste Tim gegen die Nase.
Dieser nickte nur stumm, lächelte seinen Retter in der Not ebenfalls an und schmiegte sich dann wieder gegen seine Brust. Tim ist unendlich dankbar dafür, so einen tollen Freund wie Marcel zu haben, der ihm in jeder Lebenssituation half und hinter ihm stand.
,,Wir kriegen das Alles wieder hin...'', nuschelte ihm Marcel in die Haare und Tim wünschte sich, diese Worte irgendwann glauben zu können. Doch jetzt weinte er erstmal Marcels Shirt voll, während sein Blick hinunter auf Lukas' Profilbild glitt. Irgendwann würde alles gut werden.

Wie kann man jemand so krass vermissen
Wie ich dich in diesem scheiß Augenblick?
Ich bin grade so krass zerrissen
Soll ich dir einfach wieder schreiben oder nicht?

,,Kann ich bitte noch eine Mische haben?'' Er ließ das Geld über die Bartheke wandern, seufzte leise auf und stützte seine Ellbogen auf dieser ab. Sein Kopf brummte, seine Augen wurde langsam schwach, doch er wollte nicht nach Hause.
Er konnte hören, wie das Glas neben ihm abgestellt wurde, weshalb er die Hände von seinem Gesicht wegnahm und stattdessen zu seiner Jacky-Cola griff, die er mit einem Zug leer trank und leicht das Gesicht verzog.
Das Glas fand wieder den Weg zurück auf die Bartheke und er bestellte sich eine neue Mische, weshalb ihm der Barkeeper einen besorgten und kritischen Blick zu warf. Doch dieser sollte sich mal nicht so anstellen, schließlich ging es hier um sein Einkommen.

Was Lukas hier tat, war eine natürlich Reaktion, sobald man sich von seinem langjährigen Partner getrennt hatte - man versuchte seine Gedanken und Gefühle im Alkohol zu ertränken, weil dieser einem alles vergessen ließ.
Lukas bekam ein neues Glas hingestellt, doch nahm dieses Mal nur einen kleinen Schluck von diesem, da er eine Pause machen musste. Sein Schädel brummte ihm schon und langsam begann sich alles zu drehen.
Eigentlich wollte er es auch gar nicht so übertreiben, aber anderseits wollte er auch unbedingt seine ganzen Gedanken an Tim, die tief in seinem Gehirn abgespeichert waren, wegsaufen und verlieren.

Obwohl die Trennung mittlerweile schon über ein Jahr her ist, musste Lukas tagtäglich daran denken. Eigentlich hatte er sich erhofft, dass dieses Gefühl, der inneren Leere, nur einige Monate andauern würde, doch aus diesen Monaten wurde mittlerweile ein verdammtes Jahr.
Es tat weh. Es tat weh, immer wieder daran denken zu müssen, dass er und Tim nicht mehr zusammen sind, obwohl sie eigentlich immer so glücklich miteinander waren und jedes Problem gemeistert hatten.
Sie hatten sich immer so viel Halt gegeben, sich gegenseitig unterstützt, wo es nur ging und sind durch sämtliche Scheiße gegangen. Doch irgendwann, da konnte Lukas einfach nicht mehr. Es wurde ihm alles zu viel. 

Lukas wusste schon am Anfang der Beziehung, dass Tim kein einfacher Mensch ist. Tim ist ein sehr impulsiver Typ und oft hatte ihm seine Art, seine Stimmungsschwankungen und seine psychischen Erkrankungen sehr zu schaffen gemacht.
Doch Lukas hatte diesen Menschen geliebt, der sich hinter all diesen Macken befand, weshalb er auch diese irgendwann akzeptiert hatte. Der Musiker wusste irgendwann, wie man mit diesen umzugehen hatte, wie man Tim wieder herunterbrachte und wie man in bestimmten Situation zu handeln hatte.
Es hatte ihm auch so nie etwas ausgemacht, denn jeder von uns hatte seine Ecken und Kanten. Der eine eben mehr, der andere eben weniger. Viele dieser Ecken und Kanten kann man auch leider nicht beeinflussen und sich aussuchen, sie gehören einfach zu einem.

Auch Lukas hatte seine Ecken und Kanten. Aber nicht so, wie Tim seine Ecken und Kanten hat. Tim hatte sehr viele Ecken. Sehr hässliche, schlimme und scharfe Ecken, mit denen man gar nicht in Kontakt kommen wollte.
Lukas hatte all diese Ecken kennen und auch lieben gelernt. Sie gehörten zu seinem Kleinen, wie er ihn immer genannt hatte. Lukas wusste, dass Tim dafür nichts konnte und wollte ihn deswegen auch nicht verurteilen.
Sein Exfreund hatte oft genug erzählt, dass er aufgrund dieser Ecken sehr oft fallen gelassen und verletzt wurde. Lukas wollte niemand sein, der ihm deswegen weh tat, sondern wollte ihm zeigen, dass er sich für nichts schämen brauchte und es okay ist.

Lukas wusste auch, dass er das all die Jahre auch gemacht und Tim ein schönes Gefühl vermittelt hatte. Endlich hatte er mal jemanden an seiner Seite, der ihn so akzeptierte, wie er ist und nicht abhaute, sobald dieser seine dunklen Seiten zum Vorschein gebracht hatte.
Lukas hatte immer für diese Liebe gekämpft und stand dem Älteren auch in sehr kritischen Situationen bei. Oft hatten ihn die Leute gefragt, wieso er das Ganze eigentlich noch mitmachte und woher er die Kraft nahm.
Tim war oft wie ein kleines Kind, man musste ihn an die Hand nehmen und auf ihn aufpassen, damit er keine Scheiße baute. Eigentlich hätte er immer der Erwachsene in der Beziehung sein müssen, da er, vom Blatt Papier her, weitaus älter als Lukas ist.

Jetzt im Nachhinein betrachtet fragte sich Lukas auch, wie er das so viele Jahre mitmachen konnte und nicht schon viel eher einen Schlussstrich gezogen hatte. Aber er hatte Tim halt geliebt und eben alles über sich ergehen lassen.
Doch irgendwann hatte er es einfach nicht mehr ausgehalten und musste raus. Lukas wollte Tim zwar nie wehtun, doch irgendwann musste man es tun. Es tat ihm bis heute leid, ihn so verletzt zu haben, aber er selbst wäre an der Beziehung noch kaputtgegangen.
Es ist die richtige Entscheidung gewesen, mit Tim Schluss zu machen. Lukas sollte sich eigentlich keine Schuldgefühle einreden, denn Tim musste lernen, alleine klar zu kommen. Er konnte sich nicht immer verzweifelt an andere festklammern.

Lukas seufzte leise und musste sofort wieder an den Moment zurückdenken, als er mit Tim Schluss gemacht hatte. Es ist ein sehr grauer und trauriger Tag gewesen, doch Lukas wusste, dass er damit die richtige Entscheidung getroffen hatte.
Er hatte sich schon lange Gedanken darüber gemacht, was er eigentlich wollte und wohin diese Beziehung noch führen sollte. Diese Beziehung hatte Lukas so viel Kraft, Nerven und Zeit geraubt, sodass er es irgendwann einfach nicht mehr aushielt.
Selbstverständlich ist ihm bewusst, dass Tim für viele Sachen, wie zum Beispiel seinen psychischen Erkrankungen nichts konnte. Aber für was Tim etwas konnte war, etwas gegen diese zu unternehmen und sie zu bekämpfen.

Tim hatte viel eher Halt bei Lukas gesucht und seinen ganzen Frust und Kummer an ihm ausgelassen. Natürlich ist man auch in solchen Situationen für den Partner da und gibt ihm eine starke Schulter, aber dennoch konnte Lukas nicht all die Last auf sich nehmen.
In den Monaten vor der Trennung hatte er sich immer wieder die Frage gestellt, ob man das Alles wirklich auf sich nehmen musste, nur weil man jemanden liebte. Man musste sich doch nicht alles gefallen lassen.
Tim wollte sich nicht helfen lassen. Er hasste es fremde Hilfe anzunehmen, da er viele schlechte Erfahrungen mit Therapeuten gemacht hatte. Lukas konnte ihn nie dazu bringen in eine Praxis zu gehen, denn Tim hatte sich dagegen mit Händen und Füßen gewehrt.

Lukas raufte sich die Haare, nahm einen starken Schluck seines Drinks und bekam Tränen in den Augen, als er an Tims zerstörtes, unglaubwürdiges und verletztes Gesicht zurückdachte, welches sich auf seine Haut gelegt hatte, als er mit ihm Schluss gemacht hatte.
Lukas ist bei ihm in Bielefeld gewesen. Er hatte angekündigt, für einen Tag vorbeizukommen, weil er Tim sehen wollte. Eigentlich hatte er für eine Trennung überhaupt gar keine Zeit und Nerven gehabt.
Aber länger hinauszögern wollte es der 33-jährige nicht und via Handy Schluss zu machen ist wirklich das Allerletzte, was Tim verdient hätte. Also hatte er sich schweren Herzens in den Zug gesetzt und ist zu ihm gefahren.

Die ganze Fahrt über hatte sich Lukas Gedanken darüber gemacht, was die richtigen Worte waren, um Tim mitteilen zu können, dass es für immer aus zwischen den beiden ist und, dass es für sie keine gemeinsame Zukunft mehr gab.
Bis zum Hauptbahnhof in Bielefeld sind Lukas keine passenden Worte eingefallen. Zunächst ist der Musiker noch am Überlegen gewesen, ob er einfach nicht aussteigt, nur um Tim nicht unter die Augen treten zu müssen.
Doch da hatte er ihn schon von seinem Platz ausgesehen, wie er da breit lächelnd stand und mit glitzernden Augen den Zug gemustert hatte. Lukas hatte nur seine Jacke geschnappt, war ausgestiegen und hatte Tim mit einem Hand schütteln begrüßt.

Nach dieser irritierenden Geste ging alles sehr schnell. Lukas hatte Tim gesagt, was er sich die letzten Monate dachte und ihm eiskalt ins Gesicht gesagt, dass er mit ihm Schluss machen wollte. Den genauen Grund weiß Tim aber bis heute nicht.
Lukas rollte eine Träne über die Wange, als in seinem Kopf ein Bild aufploppte, wo sich Tims Gesichtsausdruck nach seinen Worten schlagartig verändert hatte. Zunächst hatte es der Ältere für einen schlechten Scherz gehalten und darüber gelacht.
Doch als er die Ernsthaftigkeit in Lukas' Tonlage und sein nervöses Gefummel mit den Händen realisiert hatte, wusste dieser, dass es kein dummer Spaß gewesen ist. Tim hatte nur bitterlich zu weinen angefangen und Lukas gesagt, dass er sich verpissen sollte.

Lukas schüttelte mit dem Kopf, als er daran zurückdachte und kippte sein Glas mit einem Zug herunter, während er sich keine Sekunde später ein neues Getränk bestellte. Er wollte den Gedanken daran schnell wieder vergessen.
Lukas hatte keine Lust mehr darauf, ständig daran erinnert zu werden. Mitten in der Nacht wachte er schweißgebadet auf, weil dieses Szenario in seinem Traum auftauchte. Im Einkaufsladen brach er heulend in Tränen aus, weil er daran zurückdachte.
Der dunkelblonde Mann wollte diesen Moment und alle Momente mit Tim vergessen und für immer aus seinem Kopf verbannen. Er wollte nicht mehr dran denken, was gerade und was gewesen ist. Ein neues Glas wurde ihm entgegen geschoben und er nahm einen tiefen Schluck von diesem.

Ich will nicht mehr wissen, wie es war
Ich will nicht mehr wissen, warum es vorbei ist

,,Könnte ich vielleicht ein...ein...ein Glas Wasser haben? Ich brauche eine Pause.'', fragte Lukas lallend nach und drohte dabei fast vom Barhocker zu kippen. Lukas schämte sich in diesem Moment sehr für sich selbst.
Es ist eigentlich so eine Ironie, die hier gerade vonstatten ging. Jahrelang hatte Lukas Tim für seinen Drogenkonsum vollgemacht, ihm geraten, aufzuhören und immer wieder verzweifelt versucht, dass er nicht noch einmal so tief abrutschte.
Und was ist aus ihm geworden? Jetzt hing Lukas selbst tagtäglich an der Flasche und konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, an welchem Tag er zuletzt nüchtern ins Bett gegangen ist und sich nicht vor Mittag schon das erste Bier geöffnet hatte.

Man konnte mit gutem Gewissen sagen, dass Lukas nach der Trennung Alkoholiker geworden ist. Vor der Trennung hatte er immer recht selten zu Alkohol gegriffen. Sich vielleicht nur am Wochenende ein bis zwei Bier gegönnt und nur auf Partys richtig gesoffen.
Doch seit der Trennung vor einem Jahr, griff Lukas auch innerhalb der Woche, wo er eigentlich arbeiten müsste, zu Alkohol. Mittlerweile sind diese Art von Getränken schon fast wie Wasser für ihn und er schmeckte ihn nicht mehr wirklich.
Wenn Lukas auf dem Heimweg war, weil er gerade irgendein Meeting mit Benni hatte, ein Interview gegeben hat oder einfach so unterwegs war, stolperte er mit seinen Füßen nicht gerade selten mal in eine Bar hinein, nur weil er Zuhause nichts mehr hatte.

Lukas drehte seinen Kopf einmal zur Seite, als er einen stechenden Geruch wahrnahm und erkannte, trotz, dass ihm das Sehen Dank des Alkohols so schwer fiel, eine tätowierte Hand, die einen Joint zwischen den Fingern hielt.
Er wurde sofort ganz stutzig und sein Herz schlug augenblicklich einige Takte schneller, während sein Blick nach oben glitt. Er spannte sich leicht an, krallte sich am Tresen fest und kniff die Augen zusammen, um die Person neben sich richtig erkennen zu können.
Erleichtert, oder doch viel eher frustriert, atmete Lukas dann aber aus, als er erkannte, dass sich nicht Tim neben ihn gesetzt hatte. Es ist ein ganz anderer Typ gewesen, dessen Hand zufälligerweise auch tätowiert ist.

Lukas musterte ihn einmal und sein Blick glitt wie von automatisch zu dem Joint. Sofort musste er an seinen Exfreund denken und der Geruch, der von diesem Stummel ausging, gab Lukas das Gefühl von Zuhause - so komisch und absurd das vielleicht auch klingen mag.
Tim hatte viel gekifft und roch nicht gerade selten mal sehr stark nach Gras. Wenn sie sich einen Zungenkuss gegeben hatten, schmeckte seine Zunge meistens auch sehr rau, was Lukas später gar nicht mehr so gestört hatte, weil er sich dran gewöhnt hatte.
Lukas hatte Tim gar nicht anders kennengelernt. Kaum jemand kannte ihn nicht ohne sein geliebtes Marihuana. Tim hatte bereits schon mit 13 seinen ersten Joint geraucht und war fortan süchtig nachdem grünen Samt.

Auch wenn Gras an sich nichts Schlechtes ist und Lukas sich mal nicht darüber beschweren sollte, weil er gerade besoffen an der Bar hing, hatte er dennoch immer wieder Angst um Tim gehabt.
Jeder wusste, dass er süchtig nach Marihuana ist und ganz zickig werden konnte, wenn er dieses nicht bekam. Er brauchte es einfach, um runter zu kommen, weil der Ältere an sich ein sehr nervöser und hektischer Mensch ist.
Marihuana hatte immer eine positive Wirkung auf ihn, egal in welcher Hinsicht. Jedoch ist die Menge, die er konsumierte, nicht das Gesündeste. Lukas müsste lügen, wenn er sagen würde, dass er nicht oftmals geweint hatte, wenn er die ganzen Joints in Tims Zigarettenpackung und die Tütchen in seinem Schubfach gesehen hatte.

Gras machte zwar nicht vieles aus bei Tim, aber dadurch, dass er nicht gerade selten mal gerne Mischkonsum betrieb, artete das Ganze immer sehr schnell aus. Lukas hatte ihn schon vor vielen peinlichen Aktionen bewahrt, die er im nüchternen Zustand bitter bereut hätte.
Lukas wollte gar nicht wissen, ob sich Tim in letzte Zeit blamiert hatte, nur weil er ihm nicht rechtzeitig aus der Pasche geholfen und seine Freunde seinen dummen Aktionen schamlos zugestimmt hatten.
Klar, Lukas hatte auch, wenn er mal besoffen war, irgendwelche Aktionen gebracht, vor die Tim ihn bewahren musste, so ist das nicht. Jedoch kannte Tim seine Grenzen nicht und schlug gerne mal über die Strenge, was bei dem Jüngeren eher selten der Fall ist.

Lukas seufzte leise, musterte sein Glas Wasser, aber griff lieber zu seiner angefangenen Jacky-Cola. Er wollte die Gedanken wieder ertränken. Es kotzte ihn an, dass er nirgendswo hingehen konnte, ohne direkt an Tim denken zu müssen.
Wirklich jeden kleinen Scheiß brachte er mit diesem Kerl in Verbindung. Er konnte selbst einen Pflasterstein vor die Füße geknallt bekommen und direkt müsste er daran denken, wie er mit Tim zusammen auf solchen Händchen haltend entlanggelaufen ist.
Im besten Fall würde er deswegen dann auch noch weinen anfangen und wieder zur Flasche greifen, weil er den Gedanken einfach nicht mehr aushielt. Es tat einfach nur noch weh an Tim zu denken, weshalb er diese Schmerzen mit Alkohol seine Kehle hinunterlaufen ließ.

Ich will nicht mehr wissen, wie es war
Ich will nicht wissen, was du machst, wenn du high bist

Lukas klebte mit der Stirn an der Bartheke, seufzte leise und konnte spüren, wie sich alles um ihn herum drehte. Er hatte keine Ahnung davon, wie lange er sich eigentlich schon in dieser Bar befand.
Lukas zog sein Handy aus der Hosentasche und erkannte mit verschwommenen Augen, dass dieses ihm gerademal 0 Uhr anzeigte. Soweit er es noch wusste, macht das L.U.X. erst um 21 Uhr auf.
Er selbst befand sich gerade mal anderthalb Stunden in der Bar und war bereits jetzt schon rotzevoll. Dass er sich noch nicht auf der Toilette übergeben hatte, ist ein wahres Weltwunder und er konnte stolz auf sich sein.

Eigentlich ist Lukas immer ein Mensch gewesen, der es selbst auf den exzessivsten Partys langsam angehen ließ und nicht gleich von der ein auf die andere Sekunde besoffen sein wollte. Dass das vielleicht auch unter anderem daran lag, dass er auf Tim aufpassen musste, ließ er mal außen vor.
Doch seit der Trennung und seitdem Lukas zum Alkoholiker mutiert war, dauerte es nicht mehr lange, bis er von oben bis unten hackedicht ist und noch nicht einmal mehr gerade stehen konnte.
Er ließ sich kaum noch Verschnaufpausen, sondern kippte ein Glas nachdem Nächsten runter, nur um nicht mehr an seine Vergangenheit mit Tim zu denken, die er selbst beendet hatte. Viel lieber griff er zum nächsten Drink, der ihm angeboten wurde.

Lukas legte sein Handy auf der Theke ab, kippte seine zwei Shots, die er sich bestellt hatte, herunter und sah sich dann in der Bar um. Da es Samstag, beziehungsweise eher Sonntagnacht ist, war der Schuppen selbstverständlich gut besucht und dementsprechend rappelvoll.
Auf der Tanzfläche standen viele tanzende und schwitzende Menschen. Neben ihm auf den unzähligen Barhockern, saßen einige Personen, die sich angeregt miteinander unterhielten oder rumknutschten.
An den Tischen, die etwas weiter neben der Tanzfläche platziert waren, saßen an manchen Tischen eine Gruppe von Leuten, einzelne Pärchen oder irgendwelche Freunde, die viel zu lachen und zu erzählen hatten.

Lukas beobachtete eine Gruppe Studenten, die an einem Tisch saßen. Auch wenn er aufgrund der Musik und der Entfernung von dem Gespräch nicht allzu viel entnehmen konnte, konnte er sehen, dass sie sich diese gerade über ihre Studiengänge unterhielten.
Lukas sah sich weiterhin um und erkannte, zwei Barhocker weiter, einen Mann und eine Frau, die er auf ungefähr Mitte zwanzig schätzte. Den Blicken und den Gestiken nach zu urteilen schienen diese wohl miteinander zu flirten.
Sein Verdacht bestätigte sich auch sofort, als der Typ seine Hand auf ihren nackten Oberschenkel legte, über diesen strich und sie dreckig angrinste. Sie leerten ihre Drinks und verschwanden kurz darauf in die Richtung der Toilette.

Lukas musste darüber schmunzeln und, auch wenn er es eigentlich nicht wollte, musste er automatisch wieder an Tim denken. Wie oft waren die beiden in Bars schon in der Toilettenkabine verschwunden, um einen Quickie zu haben?
Wenn sie gemeinsam feiern waren, haben sie meistens auf der Tanzfläche nur miteinander getanzt. Dabei hatten sie ihre erhitzten Körper immer sehr dicht aneinandergepresst und Lukas hatte sich des öfteren immer ganz frech umgedreht, um seinen Hintern an Tims Schritt zu reiben.
Irgendwann wurde es diesem dann zu viel, sodass er nur noch nach Lukas' Hand gegriffen, ihn von der Tanzfläche herunter und in irgendeine freie Toilettenkabine gezogen hatte, wo er den Jüngeren sofort von seiner Hose und Boxershorts befreit hatte.

Ihm lief eine Träne die Wange herunter und er wischte sie sofort weg. Lukas sah sich nochmal in der Bar um und blickte zu den zwei leeren Barhockern neben sich. Niemand hier in der Bar ist alleine, außer er selbst.
Lukas seufzte leise, klammerte sich fest um sein Glas Wasser und musste sich davor beherrschen, nicht jeden Moment in Tränen auszubrechen. Der Barkeeper sah ihn sowieso schon die ganze Zeit über so kritisch an, da wollte er nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich lenken.
Lukas hatte über die Trennung mit keinem so wirklich gesprochen. Er schwieg in dieser Hinsicht wie ein Stein und tat vor anderen immer so, als würde es ihm mittlerweile egal sein, dass es vorbei ist.

Doch in diesem Momente merkte Lukas mal wieder, wie sehr ihm sein Kleiner eigentlich fehlte und wie gerne er ihn doch bei sich hätte. Tim würde neben ihm auf dem Barhocker sitzen, seine Hand auf seinen Oberschenkel legen und ihm ab und zu mal einen Kuss auf die Wange drücken.
Sie würden wieder über Gott und die Welt quatschen, tanzen und irgendwann, wenn der Laden zu machte, zum Späti um die Ecke gehen, um für den nach Hause Weg etwas zu haben, weil sie unbedingt zu Fuß gehen wollten.
Lukas musste leise kichern, als er daran zurückdachte, wie er und Tim sich mal im Geist im Glas betrunken hatten und dann auf die glorreiche Idee gekommen sind, von dort aus zu Fuß zu Lukas nach Hause zu gehen.

Auch wenn die Bar ebenfalls in Neukölln lag, war der Fußweg eine ganze Stunde lang - in ihrem Zustand waren sie eher gefühlte 3 Stunden unterwegs. Lukas musste mit dem Kopf schütteln, als er an diese Nacht zurückdachte.
Es ist wirklich ein sehr interessanter und witziger Weg gewesen, auf dem er und Tim noch zwei Weinflaschen geköpft hatten. Oft mussten sie stehenbleiben, wenn sie eine Pause brauchten, weil ihnen das Gehen Dank des Alkohol so schwer fiel. Aber Lukas verzog einmal angewidert das Gesicht, als er daran zurückdachte, dass er sich dort vor irgendeiner Haustür übergeben hatte.
Aber dann musste er wieder lachen, als er daran zurückdachte, wie Tim ihn immer wieder an diese Geschichte erinnert hatte, sobald sie dort vorbei liefen. Immer wieder hatten sie sich gefragt, wie wohl die Anwohner darauf reagiert hatten und wer es schlussendlich wegmachen durfte.

Lukas seufzte leise, als er an diese Zeit zurückdachte und realisierte, dass er diese leider nicht wiederholen konnte. Was ihm nur noch blieb, war die Erinnerung daran, wie schön es mit Tim doch eigentlich gewesen ist.
,,Kann ich bitte noch was haben?'', fragte Lukas mit tauber Zunge nach, deutete auf sein leeres Glas und der Barkeeper nickte einmal verstehend. Als Lukas das Glas bekam, nahm er einen Schluck von diesem.
Er kämpfte mit seinen Tränen, sah sich wieder in der Bar um und sah die Frau und den Mann, die eben noch auf der Toilette verschwunden waren. Sie richtete sich wieder ihre Haare, er machte seinen Gürtel zu. Lukas lächelte sie an und starrte auf den leeren Barhocker neben sich, auf dem kein Tim saß, der ihm den Oberschenkel streichelte und ihn verliebt von der Seite anlächelte.

Ich häng' besoffen ab in irgendwelchen Bars
Und ich merke, dass ich ohne dich allein' bin

Da hat wohl einer zu tief ins Glas geguckt - Lukas kannte diesen Satz noch von früher. Seine Oma hatte ihn öfters mal auf Familienfeiern gesagt, wenn sein Onkel schon wieder stockbesoffen am Tisch hing und lallend irgendeine Story aus seiner Jugend erzählte.
Lukas hatte dann immer nur gelacht, ihr nickend zugestimmt und sie hatten immer gemeinsam darum gewettet, zu welchem Getränk er als Nächstes griff. Das Spiel hatten sie immer auf sämtlichen Familienfeiern gespielt.
Wahrscheinlich würde Lukas' Oma jetzt mit dem Kopf schütteln, wenn sie ihren Enkel hier so sitzen sehen würde. Stockbesoffen, nicht mal mehr in der Lage richtig zu sitzen und aussehen wie der letzte Penner, tat er bestimmt auch noch.

Auch wenn er es im nächsten Moment höchstwahrscheinlich bereuen würde, beugte sich Lukas dennoch etwas weiter nach vorne und musterte sich in der Spiegelung seines Getränks. Er erkannte nicht viel, doch das, was er sah, reichte ihm eigentlich schon.
Aber dennoch, weil der Vodka-O natürlich nur täuschen könnte, griff Lukas nach seinem Handy, schalte die Kamera ein und musterte sich in dieser. Jedoch wurde sein Verdacht nicht geringer, sondern bestärkte sich immer mehr.
Lukas wollte am liebsten losheulen, als er sich da so sah. Seit der Trennung hatte er sich wirklich mehr als gehen lassen. Es gab ja schließlich auch niemanden mehr, für den er sich irgendwie zurecht machen müsste.

Lukas hatte tiefe, dunkle Augenringe, seine Haare müssten eigentlich auch schon seit Ewigkeit wieder gewaschen und sein Bart so langsam mal gestutzt werden. Etwas mehr Deo unter die Achseln würde ihm vielleicht auch gut tun, damit er nicht mehr so stark nach Alkohol roch.
Dass Maria ihn bei ihrem letzten Treffen darum gebeten hatte, doch bitte ihren Kaugummi anzunehmen, als dieser gesprochen hatte, sagte auch so einiges aus. Der 33-jährige ekelte sich sowieso schon sehr lange vor sich selber.
Doch so scheiße, wie es ihm innerlich ging, ging es ihm selbstverständlich auch äußerlich. Man konnte von Glück reden, dass Lukas überhaupt noch die Motivation dafür fand, unter die Dusche zu steigen und seine Klamotten zu wechseln.

Eigentlich ist er schon immer ein Typ gewesen, der viel Wert auf sein Äußeres gelegt hatte. Natürlich musste Lukas nicht immer extrem aufgestylt und perfekt aussehen, aber Hygiene und Körperpflege standen bei ihm an oberster Stelle.
Meistens kriegte er schon die Krise, wenn er seine Haare einen Tag lang nicht gewaschen hatte. Oftmals duschte er auch zweimal am Tag, obwohl er überhaupt nicht geschwitzt hatte und seine Haare kämmte er sich auch viel zu oft.
Der Musiker ist eigentlich noch nie der Typ Mensch gewesen, der total aufs sowas scheißte. Selbst wenn er nicht herausging, musste er unter die Dusche hopsen, weil er sich selbst ansonsten nicht wohlfühlte.

Aber die Trennung hatte ihm einfach so sehr zugesetzt, sodass Lukas für nichts mehr Motivation aufbringen konnte. Noch nicht einmal seine große Leidenschaft, die Musik, konnte er richtig auf Vordermann bringen.
Früher hatte er nahezu täglich Musik gemacht. Selbst, wenn er im Urlaub war und eigentlich für andere Dinge einen Kopf haben sollte, hatte er Musik gemacht. Tim hatte das oft genervt, wenn Lukas wieder so in seiner Welt versunken war und nicht einmal wirklich abschalten konnte.
Zeitgleich fand er es aber ganz süß und hatte seinen Engel gerne dabei beobachtet, wie dieser konzentriert irgendwas gemustert hatte, weil er sich in seinem Kopf gerade eine neue Textzeile für einen möglichen Song ausdachte.

Wow, Lukas dachte hier gerade nur über sein Äußeres nach und da tauchte er auch schon wieder in seinen Gedanken auf - Tim Wolbers. Der Mann, der Lukas so viel gegeben und den dieser eiskalt abserviert hatte.
Auch wenn es seinen Grund dafür gegeben hatte, fühlte sich Lukas dennoch jeden Tag schlecht, dass er Tim nie diesen Grund genannt hatte. Er hatte ihn völlig ahnungslos am Bahnhof stehengelassen.
Tim hatte doch eigentlich gar keine Chance dazu gehabt, sich zu rechtfertigen. Es ist doch alles so schön zwischen ihnen gewesen. Wie sollte der Ältere dann wissen, wieso sein Freund so plötzlich und aus dem Nichts Schluss gemacht hatte?

Es gab vor der Trennung keinen großartigen Streit, keine Diskussion und sie waren zu hundert Prozent rundum glücklich und zufrieden mit ihrer Beziehung. Tja, und Lukas, der Idiot, hatte dieses Glück mit einem einzigen Satz komplett zerstört.
Die Schuldgefühle nagten sehr an ihm. Es tat Lukas weh, dass er Tim nie den Grund genannt und ihn so ahnungslos gelassen hatte. Oft hatte er überlegt, ihm den Grund zu schreiben, den Gedanken daran aber immer wieder verworfen.
Er wollte nicht, dass sich Tim deswegen Vorwürfe machte denn diese müsste sich viel eher Lukas machen. Wenn es ihn doch so gestört hatte, wieso sprach er dann nicht mit seinem einstigen Freund? Kommunikation ist doch das A und O in einer Beziehung.

Hätte sie miteinander über das ganze Thema geredet, hätte Tim sich rechtfertigen und es vielleicht verbessern können. Eventuell hätte der Tätowierte sein Problem eingesehen und dafür gekämpft, dass die Beziehung an so etwas nicht kaputt geht.
Es gab schon immer Schwierigkeiten bei dem Thema, aber wenn Lukas Ernst gemacht hätte, hätte Tim sich bestimmt Hilfe geholt. Stattdessen hatte Lukas ihn wahrscheinlich noch viel mehr in die Drogensucht getrieben.
Lukas sollte sich eigentlich schämen. Er hatte zwar die Eier dafür gehabt, Tim ins Gesicht zu sagen, dass er mit ihm Schluss machte, aber nicht die, um ihm zu sagen, warum er das eigentlich machte. Er ist so ein widerliches Arschloch.

Augenringe spiegeln sich in meinem Glas
Ich hab' dich geh'n lassen wie 'n Feigling

Lukas gähnte, schüttelte sich einmal und spritzte sich das Glas Wasser, was immer noch neben ihm auf der Theke stand, ins Gesicht, um wacher zu werden. Mittlerweile ist es 1 Uhr und Lukas wollte nicht nach Hause.
Nach Hause, wo ihn seine kalte, leere Wohnung begrüßen und er sich alleine ins Bett murmeln würde. Da würde dann kein Tim sein, der ihm durchs Haar streichelte, ihn auf seine tätowierte Brust zog und etwas zum Einschlafen erzählte.
Lukas fluchte einmal innerlich. Er wollte doch gar nicht an ihn denken. Konnte dieser Mann nicht einfach aus seinem Kopf verschwinden?! Aber wie sollte man nur jemanden vergessen, mit dem man so viel durchgemacht hatte und der immer für einen da gewesen ist?

Lukas seufzte leise, raufte sich die Haare und griff wieder nach seinem Handy. Er hoffte einfach mal darauf, dass ihm dieses Ablenkung geben würde. Vielleicht konnte er ja auch mal wieder über irgendwas lachen.
Lukas entsperrte sein Handy und klickte auf Instagram. Er scrollte durch seine Timeline und likte hier und da mal ein Bild. Er sah sich die Storys seiner Freunde an und schickte Maria irgendwelche witzige Videos.
Doch Lukas musste schnell feststellen, dass er es bereute, auf die Plattform gegangen zu sein. Eigentlich ist er auch selbst Schuld daran, schon wieder an ihn erinnert zu werden. Warum ist er ihm nach der Trennung auch nicht direkt entfolgt und hatte ihn überall blockiert?

Doch ein Lächeln legte sich auf seine Lippen und sein Herz schlug automatisch und ungewollt einige Takte schneller. Tim sah wirklich sehr glücklich und zufrieden auf dem Bild aus. Er schien auch etwas zu genommen zu haben, was Lukas freute.
Er las sich die Bilderunterschrift durch und sein Lächeln wurde nur noch viel breiter. Es freute ihn, dass Tim seine Tour so perfekt hinter sich gebracht hatte. Aber es stimmte Lukas auch gleichzeitig traurig, weil er es dieses Mal ohne ihn geschafft hatte.
Der Musiker müsste lügen, wenn er sagen würde, dass er nicht mehr wusste, was in Tims Leben abging. Er stalkte seinen Exfreund auf sämtlichen Social Media-Plattformen und musste ständig wissen, was bei ihm abging.

Er wusste, dass Tim letztes Jahr ein neues Album raus gebracht hatte und diesen Monat auch auf Tour gewesen ist. Lukas wusste, dass Tim heute im Bi Nuu war und wurde mit einem Mal ganz traurig.
Er wollte gar nicht wissen, was Tim heute gedacht hatte, als er nachdem Konzert zur Backstagetür gegangen ist. Ebenso wollte er nicht wissen, wie sehr es Tim zerstört hatte, dass Lukas nicht gekommen ist.
Er ist tatsächlich am Überlegen gewesen, ob er sich nicht eine Karte kaufen und hingehen sollte. Lukas wollte gerne sehen, wie sich Tim entwickelt hatte. Er wollte ihn gerne mal wieder live und in Farbe sehen und ihm irgendwie nahe sein.

Aber er konnte es nicht übers Herz bringen, bei eventim die Karte zu kaufen und diese zu sich nach Hause schicken zu lassen. Es lag nicht daran, dass ihn Fans erkennen könnten, denn dafür hätte er sich schon einen Plan ausgedacht, wie er dem umging. Es lag viel eher an ihm selbst.
Es hätte ihn kaputt gemacht, wäre er hingegangen. Es hätte ihn zerstört diesen Mann zu sehen, dem er vor knapp einem Jahr das Herz rausgerissen hatte. Lukas wusste, wie weh Tim die Trennung getan hatte.
Er kannte den Song, den Tim für ihn geschrieben hatte. Er kannte jede Textzeile auswendig, jeden Shot aus dem Musikvideo, jeden Kommentar. Lukas wusste, dass der Song von ihm handelte und er warf ihn immer wieder aus der Bahn.

Als er ihn das allererste Mal gehört hatte, hatte er bitterlich geweint, gezittert und mit Sachen um sich geworfen. Das war der Zeitpunkt, wo er das allererste Mal realisiert hatte, was er diesem tollen Menschen eigentlich angetan hatte.
Lukas hatte Tim all die Jahre versprochen, ihm nie weh zutun. Dann kam da aber dieser Song und zeigte ihm, dass er sein Versprechen gebrochen hatte. Er hatte den Schmerz und die Trauer in seiner Stimme gehört.
Auch noch heutzutage verpasste es Lukas einen Stich ins Herz und trieb ihm Tränen in die Augen, wenn er an den Song dachte. Er liebte ihn, aber gleichzeitig hasste er ihn auch. Er verletzte ihn, obwohl Lukas dasselbe mit Tim getan hatte.

Er seufzte leise, starrte das Bild an, strich mit seinem Daumen drüber und schob seine Leiste herunter, wo sich keinerlei Benachrichtungen befanden. Zumindest nicht die, die sich Lukas schon seit Monaten wünschte.
Er hatte einfach immer noch Hoffnungen darin dass Tim ihm ja vielleicht schreiben könnte. Ihn fragen könnte, wie es ihm ging, ob sie sich treffen und ganz normal miteinander reden wollten.
Lukas könnte dem Älteren zwar genauso gut schreiben, aber selbst der Gedanke daran löste Übelkeit und Herzrasen in ihm aus. Warum überhaupt sollte Lukas ihm auch schreiben? Tim wollte sowieso nichts mehr von ihm wissen.

Lukas ging aus Instagram raus und klickte stattdessen auf das WhatsApp-Symbol. Er ging auf den gemeinsamen Chat von ihm und Tim und dieser trieb ihm sofort Tränen in die Augen. Es tat weh, diesen zu sehen, denn sonst hatten sie immer tagtäglich miteinander geschrieben.
Tim ist vor circa zwei Minuten das letzte Mal online gewesen und Lukas spielte ernsthaft mit dem Gedanken, ob er ihm nicht schreiben sollte. Er könnte sich ja dafür entschuldigen, dass er heute nicht gekommen ist und fragen, wie die Tour allgemein so gelaufen ist.
Aber würde das irgendwas bringen? Würde es denn irgendwas an ihrer Situation ändern? Würde es Lukas besser gehen, wenn er von Tim gesagt bekommen würde, dass er auch super ohne ihn klar kam und die Trennung gut verkraftet hatte?

Es ist nicht so, dass Lukas Tim das nicht gönnen würde, wenn es so wäre. Aber ebenso würde er sich selbst total mies fühlen, weil er immer noch an diesem tollen Menschen hing und Dank der Trennung, die er sich selbst zu zuschreiben hatte, zum Alkoholiker geworden ist.
Lukas seufzte, verwarf aber den Gedanken, Tim zu schreiben, schnell wieder. Es würde doch sowieso nichts bringen. Tim hatte sicherlich schon lange mit ihm abgeschlossen und wissen wollte er von dem Musiker eh nichts mehr.
Er hatte ihn so eiskalt und ekelhaft abserviert, da würde es Lukas sogar verstehen können, wenn Tim ihm eine verpassen würde, wenn sie sich zufälligerweise mal über den Weg laufen würden. Verdient hätte er es.

 Und ich wart' auf ein Signal
Nur noch ein letztes Mal, doch das ändert nichts

Müde rieb sich Lukas über die Augen, gähnte einmal herzhaft und ließ sich eine neue Jacky-Cola rüberschieben. Mittlerweile ist eine halbe Stunde vergangen, als er kurzzeitig die  Idee hatte, Tim zu schreiben.
Sein Handy und der offene Chat lagen immer noch vor ihm. Er musterte diesen mit konzentrierten Augen, aber außer,  dass sich Tims Online-Status ab und zu mal änderte, geschah nichts weiter auf diesem.
Gerade ist Tim wieder online und Lukas hatte die leise Hoffnung, dass sich dieses online jeden Moment in schreibt umwandeln würde. Doch Lukas' Miene wurde mit einem Mal wieder ganz traurig, als Tim offline ging, ohne ihm zu schreiben.

Lukas wurde nervös und tippelte mit seinen kurzen Fingernägeln auf dem Tresen rum. Er fragte sich, mit wem Tim da wohl die ganze Zeit über schrieb, um im Sekundentakt online gehen zu müssen.
Er fragte sich, ob Tim vielleicht schon einen neuen Freund hatte und deswegen ständig online ist. Tim ist eigentlich noch nie ein Mensch gewesen, der ständig am Handy hing. Außer Lukas hatte ihm geschrieben, dann hatte er es immer griffbereit gehabt.
Der Gedanke daran, dass Tim einen Neuen haben könnte, verpasste Lukas einen Stich im Herz. Er wollte daran gar nicht denken. Er wollte es auch gar nicht wissen. Lukas wollte am liebsten gar nichts mehr fühlen.

Lukas trank seine Jacky-Cola leer, ließ das Glas wieder auf dem Tresen nieder und schob dem Barkeeper noch etwas Trinkgeld zu, während er ihm einen schönen Abend und Feierabend wünschte. Dann schnappte Lukas sich seine Jacke, zog sich diese über und ging nach draußen.
Er konnte nicht länger auf dem Barhocker sitzenbleiben, denn mittlerweile wurde es ihm in der Bar viel zu stickig. Außerdem wurde ihm mit einem Mal ganz schlecht, weshalb er sich, nachdem er einen Schritt aus der Bar gemacht hatte, direkt auf dem Bürgersteig übergeben musste.
Super Lukas, das hast du ja mal wieder toll hinbekommen. Der 33-jährige kotzte sich die Seele aus dem Leib und ignorierte die Blicke der Passanten, die ihn angewidert musterten und einen großen Bogen um ihn machten. So lange keiner von ihnen Tim ist, ist alles gut.

Dieser sollte seinen Exfreund schließlich nicht so vorfinden und erfahren, wie schlecht es ihm eigentlich seit der Trennung ging. Dafür ist Lukas dann doch wieder viel zu stolz, um überhaupt irgendeinen Hauch von Traurigkeit zu zeigen.
Er hatte beim Schluss machen damals so verdammt taff und selbstbewusst gewirkt und mit diesem Gefühl sollte Tim ihn auch in Erinnerung behalten. Es würde eh nichts mehr so werden, wie früher, da sollte ihn Tim, mehr oder weniger, in guter Erinnerung behalten.
Lukas sollte sich den Gedanken endgültig abschminken, dass das mit ihm und Tim vielleicht irgendwann nochmal etwas werden könnte. Er hatte schließlich vor einem Jahr Schluss gemacht und diese Entscheidung getroffen. Lukas ist der Letzte, der da wieder angekrochen kommen und nach Entschuldigung betteln darf.

Wäre es nach Tim gegangen, wären sie jetzt immer noch zusammen und wären irgendwann alt und grau geworden, so wie sie es immer geplant hatten, wenn sie auf der Wiese vor dem Haus von Tims Großvater lagen und in die Sterne geblickt hatten.
Lukas hatte sich das Alles selbst zu zuschreiben, denn er hatte dieses Schicksal selbst gewählt. Er hätte viel früher realisieren müssen, was er eigentlich an Tim gehabt hatte und, dass ein bisschen reden vielleicht auch mal geholfen hätte.
Lukas ließ sich, einige Meter von seiner Kotze entfernt auf dem Bordstein nieder und musste einmal lachen. Es ist wirklich mehr als lächerlich, dass er mit Tim damals nicht über das Problem und den Grund seiner Trennung geredet hatte.

Die beiden waren 11 Jahre lang ein Paar gewesen. Es ist schon sehr lächerlich, dass Lukas es da nicht schaffte, mit Tim einfach offen und ehrlich über alles reden zu können. Sie waren dort schließlich nicht nur ein paar Monate zusammen gewesen, wo einem sowas hätte unangenehm sein können.
Sie waren 11 Jahre zusammengewesen und kannten den Anderen besser, als er sich selbst. Sie konnte eigentlich immer über alles reden und der jeweils andere ist einem nie wirklich böse gewesen. Vor allem nicht, wenn es um solche Themen ging. Probleme mussten schließlich beseitigt werden, das hatten sie sich immer wieder gesagt.
Lukas bereute es bis heute, nicht einfach mit Tim über das Alles geredet zu haben, denn schließlich konnten sie das. Klar, hier und da hatten sie auch mal miteinander diskutiert, wenn sowas angesprochen wurde, aber irgendwie konnten sie sich doch immer wieder zusammenraufen und eine Lösung finden.

Warum Lukas das Thema damals nicht angesprochen hatte, konnte er sich bis heute nicht erklären. Vielleicht ist es einfach seine Angst vor Tims Reaktion gewesen. Oder die Sorge, dass sie sich dadurch heftig streiten und richtig aneinandergeraten könnten.
Der Ältere von beiden ist schon immer sehr empfindlich bei dem Thema gewesen. Lukas wollte einfach nichts riskieren, weshalb die einzige Lösung, diesen Problemen zu entgehen, dass Schluss machen gewesen ist.
Dass das mehr als dämlich ist, musste man Lukas gar nicht mehr sagen. Aber würde er Tim jetzt den genauen Grund für die Trennung erklären, würde dieser ihn, verständlicherweise, sowas von abblitzen lassen, weil Tim es hasste, so belogen zu werden.

Lukas seufzte leise, vergrub die Hände in seinem Gesicht und Tränen liefen ihm wieder die Wangen hinunter. Doch dieses Mal hielt er diese nicht auf, denn es war ihm scheiß egal, was die Passanten um ihn herum eigentlich dachten.
Solange unter diesen nicht ein gewisser Tim Wolbers steckte, ist ihm alles egal. Von Lukas aus, konnte man ihn jetzt ruhig mit dem Auto umfahren, denn solange in diesem Auto nicht sein Tim saß, ist es sowieso nichts wert.
Seine Tränen tropften auf die Steine, da Lukas seine Hände von seinem Gesicht gelöst und seinen Kopf stattdessen auf seine Knie abgelegt hatte, weil ihm dieser langsam viel zu schwer wurde.

Am liebsten würde er diesen Kopf abschalten können, denn dieser hatte ihn ja erst zum Weinen gebracht. Lukas' Kopf musste ständig alles mit Tim in Verbindung bringen und Lukas somit traurig machen.
Wenn er ihn und sein Herz nicht hätte, dann würde es ihm weitaus besser gehen. Vielleicht würde er dann ein gefühlskalter und ekeliger Mensch sein, aber immerhin müsste er sich nicht mehr mit seinen dummen Gefühlen rumbalgen.
Gefühle - die zeigte Lukas momentan eh schon genug und sie kotzten ihn mehr als an. Wenn es diese sogenannten Gefühle nicht geben würde, wäre er wahrscheinlich deutlich besser dran in seinem Leben.

Gefühle hatten ihn erst dazu gebracht, mit Tim Schluss zu machen. Weil er einfach Angst und Sorgen um seinen Exfreund hatte. Aber ebenso auch, weil er Angst davor hatte, ihm die Wahrheit der Trennung zu sagen.
Gefühle sind einfach nur für'n Arsch und, wenn man sie abstellen könnte, hätte Lukas dies schon vor knapp einem Jahr gemacht. Er konnte und wollte das Alles einfach nicht mehr und würde dem Ganzen gerne ein Ende setzen.
Aber Lukas musste die Zeit abwarten. Keine Ahnung, wie lange es noch andauern und wie lange er sich noch quälen sollte, aber er musste warten. So lange, bis sich endlich Zeit über die Wunden gelegt hatte und er endlich wieder ehrlich lachen konnte.

Lukas wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, hob den Kopf leicht an und sah nach oben in den Himmel. Unzählige Sterne befanden sich auf diesem und der Mond schien ihm Mitten ins Gesicht, sodass er die Augen zusammenkneifen musste.
Lukas musste automatisch zurück an den Urlaub an die Ostsee mit Tim zusammen denken. Er hatte ihn damals vor seiner Tour mit dem Trip überrascht. Das Lächeln, was Tim auf den Lippen trug und das Strahlen in seinen brauen Augen, würde Lukas niemals vergessen.
Der Urlaub ist so verdammt schön und erholsam gewesen. Sie hatte neue Orte entdeckt, viel geredet, gelacht und alles ist so perfekt gewesen. Tim und er hatten den Spaß ihres Lebens gehabt.

Lukas bekam ein Stechen in der Brust, als er daran dachte, dass dieser Trip fast zwei Jahre her ist. Sein jetziger Exfreund hatte auch ein Konzert hier in Berlin gegeben und kurz nachdem die beiden Autogramme und Fotos gegeben hatten, sind sie auch schon los.
Sie sind eigentlich so fertig und nicht mehr in der Lage dazu gewesen, überhaupt Auto fahren zu können. Sie mussten regelmäßig die Plätze tauschen und sich gegenseitig ablenken, um nicht in einen Sekundenschlaf zu fallen.
Aber die Fahrt und das Risiko ist es ihnen auf jeden Fall wert gewesen. Als sie Mitten in der Nacht beim Campingplatz an der Ostsee ankamen, sind sie sogar noch schwimmen gegangen, obwohl sie zuvor noch über Schlaf gequengelt hatten. 

Lukas musste lächeln, als er daran zurückdachte. Er würde alles dafür geben, um eine Zeitreise machen und nochmal diesen tollen Urlaub erleben zu können. Tim und er hatten in ihrer Beziehung zwar verdammt viele gemacht, aber ihr Letzter ist immer noch der Beste von allen gewesen.
Allgemein würde Lukas gerne diese ganze Zeit mit Tim wieder erleben wollen. Nochmal diese Aufregung spüren, die er als 20-jähriger hatte, als dort plötzlich eine Nachricht von Tim in seinem Postfach aufploppte und er keine Ahnung davon hatte, was dieser von ihm wollte.
Die Aufregung und die Übelkeit die ganze Zugfahrt über, als er das allererste Mal zu Tim nach Bielefeld gefahren und ihn dort das erste Mal live und in Farbe gesehen hatte. Das starke Kribbeln und die Explosion seines Herzens spüren, als Tim ihn an dem Abend das erste Mal mit seinen Händen am Gesicht gepackt und geküsst hatte.

Lukas würde einfach alles dafür geben, um jede Sekunde mit Tim nochmal erleben zu können. All diese perfekten Momente, aber auch die Schweren, die er nicht verändern wollen würde, weil sie okay waren, so wie sie nun mal passiert sind.
Lukas fing wieder an zu weinen und zückte sein Portmonnaie aus der Jackentasche. Auch wenn er wusste, dass es ihn gleich richtig aus der Bahn werfen würde, nahm er es dennoch aus diesem heraus.
Mit stark zittrigen Fingern und Tränen gefüllten Augen, sah er sich das kleine Polaroid-Foto an, was ihn und Tim indem Bully zeigte, mit dem die beiden an die Ostsee gefahren waren. Die beiden lagen dort auf dem Bett, was sie sich aus zwei Matratzen und etwas Holz gebaut hatte.

Lukas lächelte das Bild an, doch gleichzeitig stießen ihm noch mehr Tränen in die Augen, weil ihm bewusst wurde, dass es so einen Moment niemals wieder in seinem Leben geben würde. Zumindest nicht mit der Person, mit der er es so unbedingt wollte.
Er strich sachte über das Bild, presste es fest an sich und fing leise an zu weinen. Lukas schloss die Augen, die Tränen liefen ihm seine Wangen hinunter und blieben an seinem ungepflegten Bart hängen.
Er öffnete die Augen wieder, musterte das Polaroid-Foto und seine Wange begann zu kribbeln, weil Tim ihm auf diesem Bild gerade einen Kuss auf diese drückte.  Lukas seufzte leise und bereute es, an Tim zu denken. Doch wie sollte er ihn nur vergessen?

Denn mir ist klar, es wird nie mehr, wie es war
Es ist nachts, ich bin wach und ich denk' an dich

Lukas sah auf sein Handy und schaute sich die Instastory von Tims besten Freund Marcel an. Sie wurde gerade frisch vor zwei Minuten gepostet und wie es den Anschein machte, schienen sie immer noch im Bi Nuu zu sein.
Wenn Lukas jetzt losgehen würde, könnte er Tim locker noch erwischen. Schließlich ist das Bi Nuu vom L.U.X. nur zwei Minuten Fußweg entfernt. Lukas müsste nur zweimal auf die Fresse fallen und dann wäre er schon da.
Der Musiker saß jetzt schon seit einer knappen Stunde draußen auf den kalten Bordsteinen. Es war ihm egal, dass er sich vielleicht eine Blasenentzündung einfangen könnte. Er wollte nur noch eine Sache und diese Sache hieß Tim Wolbers.

Lukas haderte mal wieder mit sich selbst. Sollte er zum Bi Nuu gehen, oder lieber nicht? Aber was wollte er da auch schon machen, wenn er Tim begegnen würde? Was sollte Lukas nur sagen? Was dachte Tim davon?
Lukas seufzte leise und ließ den Kopf hängen. Warum wollte er überhaupt zum Bi Nuu? Woher dieser Sinneswandel? Eigentlich wollte Lukas doch gar nichts mehr von Tim wissen. Sie hatten sich, mehr oder weniger, vor einem Jahr ausgesprochen.
Lukas hatte Schluss gemacht, da gab es sich eigentlich gar nichts mehr zu sagen. Außerdem wollte Tim Lukas doch gar nicht sehen. Es würde doch eh nur in einer reinen Eskalationen enden. Oder vielleicht auch nicht? 

Lukas' Oma hatte immer zu ihm gesagt, dass man sich manchmal auch riskante Dinge im Leben trauen musste, um seinen Zielen und Wünschen näher zu kommen. Klar, diese konnten auch total nach hinten losgehen, doch durch solche Fehler lernte man auch fürs Leben.
Am Ende würde Lukas es noch bereuen, seine Chance nicht ergriffen zu haben. Er würde ständig nachts im Bett liegen und sich fragen, was passiert wäre, wäre er an jenem Abend zum Bi Nuu gegangen.
Lukas konnte doch noch gar nicht wissen, dass das Treffen in einer Eskalation endete, wenn er es noch nicht einmal probiert hatte. Vielleicht würde auch alles gut werden. Vielleicht ergab sich auch die Chance und Lukas konnte Tim den Grund der Trennung nennen.

Wenn man Dinge nicht tat, hielt man sie sich doch viel eher ewig vor, als wenn man sie doch getan hatte. Das musste Lukas schon immer im Leben lernen. Oftmals hatte er sich viele Dinge aufgrund von Angst und Unsicherheit nicht getraut und es am Ende doch bereut.
Hätte er sie doch getan, gäbe es da wahrscheinlich nichts zu bereuen. Unwissenheit machte uns Menschen krank. Wissen ist etwas, wonach wir alle streben und dazu zählten auch solche gewagten Entscheidungen.
Vor allem in Lukas' Leben gab es doch das beste Beispiel dafür, wie ewig man sich so eine Fehlentscheidung vorenthalten konnte. Er dachte doch ständig darüber nach, was gewesen wäre, hätte er Tim den Grund für die Trennung genannt.

Tim hätte sich rechtfertigen können, sie hätten miteinander reden können und vielleicht hätte sich sein einstiger Freund auch verändert und wäre einen Schritt auf ihn zugegangen. Vielleicht wären sie genau deswegen, weil Lukas das Kind beim Namen genannt hatte, auch zusammengeblieben.
Lukas wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und erhob sich langsam von den Bordsteinen, während ihm aufgrund des Alkohols immer noch ein wenig schwindelig war und er deswegen leicht zur Seite taumelte. Er hielt sich kurz den Kopf fest und sah dann auf sein Handy.
Marcel hatte vor einigen Sekunden eine neue Story gepostet. Lukas atmete erleichtert aus, denn sie befanden sich immer noch im Bi Nuu. Er lächelte und ließ das Handy zurück in die Hosentasche gleiten. 

Er machte sich ein Zöpfchen, was Tim immer so an ihm geliebt hatte, strich sich die Tränen aus dem Gesicht und richtete seine Klamotten. Lukas sah vielleicht nicht allzu perfekt aus und eigentlich wollte er sich so gar nicht unter Tims Augen trauen, aber vielleicht sah dieser Kerl ja dann, wie dreckig es ihm wirklich und, dass die Trennung ihm nicht am Arsch vorbeiging.
Lukas atmete tief durch, schloss die Augen und ging nochmal tief in sich. Er fragte sich, ob er das jetzt wirklich durchziehen und sich so vor dem Älteren präsentieren wollte. Zwar hatte er noch immer keinen Plan davon, was er machen sollte, wenn Tim vor ihm stand, aber Lukas war sich sicher.
Sicher darüber, dass er mit Tim reden und ihm den Grund der Trennung nennen wollte. Dass er nicht noch eine Chance ungenutzt lassen und diesen riskanten Schritt einfach mal wagen wollte, bevor er ihn am Ende wieder bereute und sich monatelang die Frage stellte, was gewesen wäre, wäre er nur zum Bi Nuu gegangen.

Lukas versuchte den Kopf irgendwie abzuschalten und jetzt einfach zu seinem ersten Schritt anzusetzen, bevor ihn sein plötzlicher Mut und der Sinneswandel wieder verließ. Jetzt brachte es eh nichts mehr, alles ins kleinste Detail zu zerdenken.
Er hatte ein klares Ziel vor Augen - Tim Wolbers. Lukas schüttelte einmal mit dem Kopf und nahm dann seine Beine in die Hand, um in die Richtung des Bi Nuus zu gehen und keine kostbare Zeit mehr zu verlieren.
Lukas vergrub die Hände in seinen Jackentaschen und ging mit zügigen Schritten die Schlesische Straße entlang. Schon vom Weitem erkannte er das Bi Nuu und seine Knie begangen leicht zu zittern.
Zunächst kam ihm die Angst und die Überlegung in den Sinn, es doch lieber sein zu lassen. Eigentlich würde es doch gar nichts bringen. Lukas sollte sich nicht solchen dummen Hoffnungen machen und vor allem brauchte er nach einem Jahr nicht wieder angekrochen kommen.

,,Ach, sei doch einfach still...'', flüsterte der Musiker meckernd zu sich selbst, schüttelte wieder mit dem Kopf und wurde dann noch einen Ticken schneller. Er wollte sich nicht schon wieder den Kopf darüber zerbrechen, ob dieser Schritt nun richtig oder falsch wäre.
Es würde sich schon noch zeigen, ob Lukas diese Entscheidung bitter bereuen, oder viel eher in den Himmel loben würde. Er hatte ja nicht mehr viele Hoffnungen darin, dass das mit ihm und Tim nochmal etwas werden könnte.
Aber Lukas hoffte einfach, dass sie vielleicht kurz miteinander reden könnten. Lukas vermisste Tims Stimme und den Menschen um ihn herum allgemein so. Er wollte nur noch einmal seine Nähe spüren und danach könnten sich ihre Wege für immer trennen. Hauptsache, er sah ihn noch einmal.

Lukas überkreuzte die zwei Ampel, die sich auf der Oppelner Straße befanden. Er war dem Bi Nuu zum Greifen nah und ihm knickten mit einem Mal die Knie weg, als er daran dachte, Tim jeden Moment wieder begegnen zu können.
Über ein Jahr hatte sie sich jetzt nicht mehr gesehen und in dieser Zeit ist einiges passiert. Lukas hatte gar keinen Plan davon, was Tim eigentlich über ihn dachte. Er ist zwar seiner besten Freundin Alex ein paar Mal hier in Berlin über den Weg gelaufen, aber mehr als ein Hallo hatte er von ihr auch nicht bekommen.
Lukas wollte sie auch gar nicht weiter drauf ansprechen, denn sie hatte ihn nicht gerade selten mal, mit ihren Blicken regelrecht getötet. Dass die halbherzige Begrüßung von ihr nur aus reiner Höflichkeit entstanden war, musste hier gar nicht weiter betont werden.

Lukas seufzte leise und blieb vor dem Bi Nuu stehen, um inne zu halten. Wieder gingen in ihm die Fragen auf, ob er das wirklich tun sollte. Ob es überhaupt die richtige Entscheidung ist, und was das allgemein bringen sollte.
Was wollte er sagen, wenn Tim vor ihm stand? Wollte Lukas ihn nur blöd angucken? Sich für alles entschuldigen, was er ihm angetan hatte? Ihm den wahren Grund der Trennung nennen und ihn dann für immer gehen lassen?
Was wollte Lukas eigentlich? Diese Frage stellte er sich schon seit Monaten. Seit Tims Tourdaten draußen waren, stellte er sich ständig die Frage, was er tun sollte, wenn er zum Bi Nuu ging und sein Exfreund direkt vor ihm stand.

Es würde nicht wie bei seinen anderen Exfreunden sein, die man entweder ignorierte oder denen man regelrecht mit seinen Worten und Taten unter die Nase reiben wollte, wie glücklich man auch ohne diese ist.
Mit Tim ist das Ganze so viel anders. Tim und Lukas hatten eine so lange Beziehung miteinander gehabt, sodass sie fast als verheiratet gelten könnten. Ehemalige verheiratete Pärchen bekamen das doch irgendwann auch hin, dass sie normal miteinander agieren konnten.
Aber Tim und Lukas sind nun mal kein normales Pärchen gewesen. Ihre Beziehung ist immer etwas Besonderes und Spezielles gewesen. Es ist nicht nur die Liebe gewesen, die die beiden miteinander verbunden hatte. Hinter ihrer Liebe steckte so viel mehr.

Erneut seufzte Lukas und hasste sich dafür, sich schon wieder so den Kopf zerbrechen zu müssen. Eben gerade hieß es doch noch, dass er nicht so viel nachdenken, sondern sich einfach mal gewagte Schritte trauen sollte. Wo ist dieser Mut denn plötzlich hin?
Diesen plötzlichen Anflug von Mut wollte Lukas gerade wiederhaben, doch irgendwie ist er mit einem Mal wie geweht. Er vergrub seine Hände tiefer in den Jackentasche, schüttelte mit dem Kopf und versuchte sich keine Angst zu machen.
Jetzt ist er schon soweit gekommen, da wollte er nicht umdrehen und in die nächste Bahn flüchten, die ihn nach Hause bringen würde. Lukas kannte sich und er wusste, dass er es, spätestens, wenn er sich auf einen der Plätze in der Bahn niedergelassen würde, es bitter bereuen würde.

Lukas gab sich selbst einen imaginären Schubser und taumelte somit einige Schritte nach vorne. Er ging am Bi Nuu vorbei und an der Kurve entlang, die ihn automatisch auf die Skalitzer Straße brachte.
Wenn man dort rechts rein bog, stand dort meistens der Tourbus von Tim und er führte direkt zur Backstagetür. Man musste zwar durch diese komplett durch den halben Saal laufen, aber der Weg reichte aus, um eben schnell mal an den Fans vorbei zu huschen.
Lukas hatte sich immer durch eine andere Tür geschlichen, die nur zwei Meter von dieser entfernt gewesen ist. Durch diese gelang man direkt in den Backstage hinein, sodass ihn keiner der Fans sehen konnte, sobald sie zum Einlass reingelassen wurden.

Auch wenn die Fans es immer geahnt, beziehungsweise es ihnen viel eher bewusst gewesen ist, hatten sie immer ein Geheimnis draus gemacht. Es hätte ja immer sein können, dass Lukas keine Zeit hatte, wenn Tim in Berlin war.
Doch Lukas hatte sich immer die Zeit genommen und alles andere hinten angestellt, nur um bei Tim sein zu können. Er hatte es einfach geliebt, wie sich dieser immer wieder darüber gefreut hat, dass sein Schatz bei ihm war und ihn so unterstützt hat.
Lukas musste lächeln, als er an diese Zeit zurückdachte, doch wurde gleichzeitig wieder traurig, als ihm bewusst wurde, dass diese Zeit nie wiederkommen würde. Er seufzte leise, hielt sich die Tränen zurück und ging weiterhin um die Kurve.

Mit einem erhöhten Puls, einem leichten Schweißausbruch und zittrigen Knie ging er den letzten Schritt um die Kurve und sah sich nachdem schwarzen Van um, den Tim immer für seine Tour gemietet hatte.
Doch gerade, als Lukas den Ort passierte, wo sonst immer der Van stand, konnte er einen Motor hören. Lukas' Augen weiteten sich augenblicklich und er drehte sich einmal um, während ihm das Herz mit einem Mal in die Hose rutschte.
Als hätte es das Schicksal so gewollt, fuhr dieser Tourbus, bei welchem er Tim noch auf dem Beifahrersitz sehen konnte, an ihm vorbei und Lukas hatte gar keine Chance mehr diesen einzuholen.

,,Nein, man!'', rief Lukas ganz empört und ihm stießen mit einem Mal Tränen in die Augen, während er wütend einige Steine wegkickte. Dabei traf er ein fahrendes Auto, doch das war in diesem Moment sein geringeres Problem.
Er sah auf die Straße, doch der Tourbus lag schon in weiter Ferne, weil die Ampeln ausgerechnet jetzt auf grün schalten mussten. Lukas verfluchte sich dafür, nicht einige Sekunden früher losgegangen zu sein und so lange mit sich selbst gehadert zu haben.  Vielleicht hätte er Tim noch erwischen können.
Lukas' Tränen rollten ihm nur wie Bäche die Wange hinunter und er ging mit schnellen Schritten dorthin, wo sonst immer der Tourbus stand. Er strich mit seiner Hand über die Tür, durch die Tim gegangen war, mit dem Fuß über den Boden, wo der Tourbus stand. 

Lukas atmete einmal tief durch und bildete sich ein, Tims vertrauten Duft riechen zu können. Doch das Alles ist nur Einbildung, denn natürlich würde Tim jetzt nicht plötzlich vor ihm auftauchen und ihn fragen, was zur Hölle er denn hier machte.
Tim ist weg. Lukas hatte jetzt auch seine letzte Chance vertan. Wäre er nur einige Sekunden früher losgegangen, hätte er ihn noch abfangen und sich wenigstens für das nicht Erscheinen entschuldigen können.
Doch jetzt war alles viel zu spät und Lukas konnte es nicht mehr rückgängig machen. Er ließ sich seufzend auf dem Bordstein nieder, vergrub die Hände in seinem Gesicht und weinte leise vor sich hin. In diesem Moment realisierte er mal wieder so wirklich, wie sehr er Tim doch eigentlich vermisste. Hätte er ihn doch niemals gehen lassen.


,,Habt ihr denn alles, Jungs?'', fragte Hardy nach, der gerade den Autoschlüssel ins Zündschloss steckte und alle checkten ihre Sachen. Sie nickten ihm alle zu und kurz darauf ging der Motor auch schon an.
Er löste die Handbremse, sah in den Rückspiegel und begann auszuparken, während Tim sich nur auf müde auf dem Beifahrersitz zurücklehnte und froh darüber war, jetzt endlich ins Hotel fahren zu können.
Er wollte nur noch ins Bett und alles vergessen, was nachdem Konzert gewesen ist. Marcel und er hatten noch etwas gequatscht, bis die Anderen kamen. Sein bester Freund hatte ihm zwar angeboten, dass sie ihm Hotel noch weiterreden könnten, doch da hatte Tim keinen Bedarf dran.

Der Ältere wollte nur noch seine Ruhe haben, ins Bett fallen und am liebsten für immer einschlafen. Ihm ist es schon mehr als genug gewesen, dass er überhaupt an Lukas gedacht hatte und ihm sogar wieder schreiben wollte.
Tim seufzte leise und starrte aus dem Fenster,  während er das Bi Nuu musterte. Schon verrückt, dass er dieses ausverkauft hatte. 500 Menschen waren heute in diesem gewesen, nur um ihn sehen zu können.
Tim musste bei dem Gedanken lächeln, doch wurde mit einem Mal ganz stutzig, als er einen Mann sehr merkwürdig vor diesem gehen sah. Er schien sehr angespannt zu sein, taumelte sogar leicht und seine Knie zitterten.

Der Mann sah mit einem Mal hoch und Tims Augen weiteten sich, als er in diesem das Gesicht von Lukas erkannte. Tim begann das Herz zu rasen, doch bevor er den Mann noch länger mustern konnte, trat Hardy aufs Gas und sie fuhren an der Ampel vorbei.
Tim sah in den Rückspiegel, wischte sich über die Augen und war sich nicht sicher, ob er da gerade wirklich richtig geguckt hatte. Aber das konnte doch nicht sein. Was sollte Lukas beim Bi Nuu?
Es ist so spät in der Nacht und hier waren nicht die Clubs und Bars, in die Lukas normalerweise feiern ging. Außerdem ging er ungerne nachts alleine raus. Außerdem, dieser Mann ging auch total komisch, das konnte doch nicht sein Lukas sein.

Tim biss sich auf die Unterlippe und war kurzzeitig am Überlegen, ob er zu Hardy sagen sollte, dass er etwas vergessen hatte und sie deswegen nochmal umdrehen müssten. Aber Tim verwarf diesen Gedanken schnell wieder.
Das wäre doch absurd. Als ob Lukas da am Bi Nuu stehen würde und ausgerechnet dann auftauchte, wenn sie gerade los fuhren. Dieser Kerl wollte doch eh nichts mehr von Tim wissen. Was sollte er dann auch dort?
Wahrscheinlich ist ihm noch nicht einmal bewusst, dass sich der Tätowierte momentan in Berlin befand und ein Konzert gegeben hatte. Tim hatte sich das Ganze sicherlich nur eingebildet. Er ist müde und hatte viel zu viel an Lukas gedacht, da kam sowas mal vor.

Tim zog sein Handy aus der Hosentasche, entsperrte dieses und ging auf WhatsApp. Sofort klickte er auf den gemeinsamen Chat von ihm und Lukas und sah, dass dieser aber vor zehn Minuten das letzte Mal online gewesen ist.
Ist er es also doch gewesen? Ach, das ist doch Blödsinn. Lukas ist wahrscheinlich nur noch wach, da er gerade am Arbeiten ist, bei Maria war, oder einfach nicht schlafen konnte. Lukas blieb gerne mal länger wach, diese Zeit ist doch nicht ungewöhnlich für ihn.
Tim schüttelte mit dem Kopf, aber überlegte dann doch, ob er ihm nicht kurz schreiben und ihn fragen sollte, ob er zufälligerweise gerade am Bi Nuu vorbeigegangen ist. Immerhin würde ihm das dann Klarheit geben.

Doch Tim schüttelte mit dem Kopf und verwarf den Gedanken schnell wieder. Wie random wäre das denn bitte, wenn er ihm das jetzt einfach so aus heiterem Himmel schrieb? Nachher würde Lukas ihn noch für verrückt erklären, weil er ihn sich doch nur eingebildet hatte.
Tim schloss den gemeinsamen Chat wieder, ging offline und starrte nachdenklich aus dem Fenster, während er den Moment von eben nochmal Revue passieren ließ. Doch er war sich sicher, dass er sich das doch nur eingebildet hatte.
Tim zog sich die Kapuze seiner Strickjacke über den Kopf, lehnte sich gegen die kühle Fensterscheibe und eine Träne rollte ihm über die Wange. Lukas fehlte ihm und er wünschte sich, doch wieder zurückgefahren zu sein. Doch jetzt blieb ihm nichts andere übrig, außer alleine in seinem Hotelzimmer einzuschlafen.

Wie kann man jemand so krass vermissen
Wie ich dich in diesem scheiß Augenblick?Ich bin grade so krass zerrissen
Soll ich dir einfach wieder schreiben oder nicht?Wie kann man jemand so krass vermissen
Wie ich dich in diesem scheiß Augenblick?Ich bin grade so krass zerrissen
Soll ich dir einfach wieder schreiben oder nicht?

Juju feat. Henning May - Vermissen

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