Flucht
„Steigt ein!", befahl mein Vater Bofi uns während er das Ruderboot festhielt. Meine Mutter Dira kletterte als erste in das kleine Boot aus Holz. Meine kleine Schwester Rate folgte ihr. Ich ging in die Hocke, und strich über den sandigen Boden von Suralle. Ich wusste nicht, ob ich ihn je wieder betreten würde. Ich wusste auch nicht wann ich Malasne wieder betreten würde und ich wusste nicht, wann ich wieder festen Boden unter meinen Füßen haben würde.
„Rawe? Kommst du?", fragte Rate zaghaft. „Lass Rawe kurz Zeit.", bat Dira sie. Ich holte tief Luft und stieg dann in das Boot. Dira nahm mich in den Arm. Bofi ruderte das Boot ins Meer hinaus. Rate, Dira und ich blickten auf Suralle zurück. Die Insel war schon immer unsere Heimat gewesen. Ich war dort aufgewachsen, meine Eltern und meine Großeltern auch. Nur ein Urgroßvater von mir kam von Ettim, einer der fünf kleinen Inseln, doch der war gestorben als ich sechs Jahre war.
Ich vermisste Suralle jetzt schon. Aber wir hatten dort einfach nicht bleiben können. Seit die Gestaltwandler dort kämpften war es zu gefährlich. Die Aslusnisaber hatten sich auf Suralle Verbündete unter den Menschen gesucht. Als die Golgodlaber das bemerkt hatten, haben sie Suralle angegriffen.
Nun waren wir auf der Flucht. Meine Eltern haben den Plan entwickelt, mit dem Boot zur aslusnisabischen Insel Dalsur zu schwimmen, von dort aus weiter zur Insel Nelop, die ebenfalls zu Aslusnisab gehört. Nelop liegt in der Nähe der Insel Aneka, die zu Malasne gehört. Dort würden wir also wieder sicherer sein. Doch bis dorthin mussten wir es erst einmal schaffen, denn Menschen durften nicht nach Aslusnisab. Aslusnisab und Golgodlab durften nur von Gestaltwandlern betreten werden. Unsere Hoffnung war, dass wir dort geduldet werden würden, wenn wir uns als Verbündete ausgeben, da Aslusnisab ja Verbündete auf unserer Insel hatte.
„Ich hab Durst. Ich will was trinken.", quengelte Rate. Ich wollte Ruhe haben, deswegen setzte ich mich ein Stück von Rate weg und blickte wieder nach Suralle. Dann sag ich ein Lied. Es war ein sehr bekanntes Lied, was wir oft nach dem Jagdunterricht gesungen hatte. Wann würde es je wieder so werden? Während ich das Lied sang, musste ich weinen. Selbst wenn wir zurückkehren würden, wäre es nie mehr dasselbe.
„Wie lange noch?", quengelte Rate. „So lange, wie es dauert", seufzte Dira. Wenn Rate auf langen Kutschenfahrten gequengelt hatte, wie lange wir noch unterwegs sein würden, hatten Bofi und Dira geantwortet, dass es nicht mehr lange dauern würde. Dass Dira das gerade nicht gesagt hatte, machte mir noch viel mehr bewusst, wie sehr sich unser Leben verändert hatte. Rate würde einsehen müssen, dass sie ungefähr sieben Tage bis Dalsur brauchen würden und dann noch viermal so lange bis nach Aneka.
Die zweite Sonne ging auf. Es würde immer wärmer. „Rawe, kannst du bitte nochmal singen?", bat Rate. Ich wollte im Moment nicht singen, aber ich tat es dann doch für sie. Sie liebte es, mich singen zu hören.
„Still!", zischte Bofi plötzlich. Ich hörte auf, zu singen. „Duckt euch!", befahl er. Ohne seine Aufforderung zu hinterfragen kauerte ich mich auf dem Boden des Boots zusammen. „Was ist los?", wollte Rate wissen während sie sich klein machte. „Hör auf, dich zu bewegen! Da ist ein Gestaltwandler. Als Vogel."
Erschrocken hielt ich die Luft an. Die Folgen davon, bemerkt bemerkt zu werden, wollte ich mir nicht vorstellen. Still kauerten wir nebeneinander. Die Zeit schleppte sich dahin. Ich versuchte, möglichst leise zu atmen.
Plötzlich hörte ich direkt neben meinem Ohr Flügel schlagen. Ich fuhr hoch und blickte in die dunklen Augen eines Falken, der auf dem Rand des Bootes saß.
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