Malec

Für typhoni

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Niedergeschlagen stand Magnus an dem großen bodentiefen Fenster ihres Hauses und ließ seinen Blick über die verschneite Landschaft schweifen. Schneeflocken fielen aus den Wolken, begrüßten den Winter in all ihrer Schönheit und Härte. Die Sonne stahl sich einen Augenblick durch tristes grau und die weiße Decke auf der Wiese hinter ihrem Haus glitzerte friedlich. Erinnerungen fluteten Magnus Gedanken, schöne und traurige. Sein geliebter Ehemann war schon so lange fort, zu lange. Magnus bibberte, lautstark schlugen seine Zähne aufeinander, doch er konnte sich nicht bewegen, kein Feuer entfachen. Die Kälte dieses Wintermorgen schlug ihre frostigen Krallen tief in seine Haut, Blutkörperchen verwandelten sich in Eiskristalle und Magnus genoss den Schmerz, welcher Besitz von seiner Existenz nahm. Er vertrieb den Schmerz in seinem Herzen, nur kurz, zu schnell war der Moment vorbei. Die trügerische Ruhe in seinem Inneren verschleierte den Kummer um den Verrat seines Geliebten.

Acht Jahrhunderte alt, Krieg, zerstörte Welten, gefallene Dynastien, bedingungslose Liebe, falsche Freunde, diejenigen, die nicht mehr unter ihnen weilten und über allem stand er. Alexander mit den ozeanblauen Augen und Todessehnsucht in den Adern, nachtschwarzem Haar und einem Herzen aus Silber. Magnus liebte den anmutigen Schattenjäger vom ersten Tag ihrer Begegnung, damals, inmitten eines Krieg um die Herrschaft über die Schattenwelt und todbringenden Engeln auf ihrem Weg in die ewige Stadt. Sie kämpften Seite an Seite gegen Dämonen, für ihre Liebe und eine Zukunft. Zwei Jahrzehnte, an einem eisigen Wintertag wie diesen, hielten sie sich an den Händen. Alexander gekleidet in einem mit Goldfäden durchwirkten Anzug, stolz, mit einem strahlenden Lächeln auf dem Gesicht. Rabenschwarze Runen auf schneeweißer Haut, Gold in den Haaren, Hexenmeisterblau für Magnus und ein magischer Ring an ihren Fingern. Ein Versprechen für die Ewigkeit.

„Dad?", tönte die Stimme ihres ältesten Sohnes durch den Raum. Die hohen mit schweren Eichenholzschnitzereien verzierten Decken des alten Gemäuers schluckten Magnus Trauer, seinen Schmerz und den unterdrückten Schrei der Verzweiflung. Er wollte nicht das Maxwell ihn so sah, von Leid zerfressen, nackt, schutzlos.
„Es ist okay Dad", flüsterte er und Magnus zuckte bei der plötzlichen Berührung starker Hände zusammen. Maxwell schlang seine Arme um Magnus, legte seinen Kopf auf dessen Schulter ab und gemeinsam blickte sie über die verschneite Landschaft. Immer mehr Flocken verzuckerten die Erde, die Kälte in Magnus Adern wich wohliger Wärme und seufzend nahm er die Magie seines Sohnes wahr. Hell und strahlend weiß wie der erste Schnee des Jahres glitten Fäden aus Maxwells Körper, umhüllten sie beide mit prachtvoller Ruhe. Magnus Schmerz wich Frieden. Ihr Leben wurde stets von Unruhen und Ängsten begleitet, doch Maxwell brachte eine neue Verlockung in ihren Alltag. Einzig in eine alte schmutzige Decke gehüllt, verängstigt, verlassen, nackt, fanden Simon und seine Freunde den kleinen Hexer auf den Stufen des New Yorker Instituts. Überfordert von dem hilflosen Wesen riefen sie nach Magnus und Alexander folgte seinem Mann stets, um in allen Lebenslagen der Anker an seiner Seite zu sein. Alexander glaubte immer, dass Nephilim sich nur einmal in ihrem kurzweilige Leben verlieben würde. Die Liebe von Nephilim war rein, treu und für die Ewigkeit. Maxwell schaffte es mit nur einem herzerfüllten Schluchzen, direkt in das Herz seines geliebten Schattenjägers zu gelangen.

Unbeholfen hielt Simon das Bündel Leben in seinen Händen und bevor er das Wertvollste in ihrer Leben fallen ließ, erfasste Alexander die Situation und bewahrte Maxwell vor einer blutigen Katastrophe. Maxwells Magie suchte sich einen Weg an die Oberfläche, Simon verkrampfte sich und der schmerzerfüllte Schrei aus seiner Kehle hallte noch heute in seinen Ohren wider. Es war den übernatürlichen Reflexen seines Mannes zu verdanken, dass dem kleinen Hexer nichts geschah. Sobald der Körper des Babys auf die starken Arme des schwarzhaarigen Schattenjägers traf, verstummte der klagende Laut. Aus weitaufgerissenen Augen sah Maxwell seinem Retter entgegen. Ozeanblau traf auf Moosgrün und Magnus verfolgte fasziniert, wie eine Verflechtung zwischen diesen beiden unterschiedlichen Spezies entstand. Magnus sah das Band, welches beide umgab und verzweifelt kramt er in seinem Gedächtnis, versuchte sich an ein Gespräch zwischen seinem ältesten Weggefährten Ragnor und dessen liebreizenden Freundin Tessa zu erinnern. Seelenband. Magnus war sich sicher, dass sein Alexander in dem wenige Tage alten Hexenkind seinen Seelenpartner gefunden hatte.

„Geht es wieder?", fragte Maxwell und Magnus nickte zaghaft. Ein Seelenband ist selten, jahrtausendealte Magie, dunkle Magie, sehr dunkel und Magnus verspürte damals einen schmerzhaften Stich in seiner Brust. Anders als Parabatais kämpften Seelenpartner nicht gemeinsam. Sie zogen nicht in den Krieg, teilten Gefühle und Emotionen. Seelenpartner teilten das Leben. Sie waren aneinandergebunden. Starb Alexander im Kampfe, würde Maxwell ihm folgen.
„Ja", antwortete Magnus, legte seinen Hände auf die seines Sohnes und schloss die Augen.
„So lange war er noch nie fort."
„Ich weiß. Es ist schrecklich, aber er ist am Leben."
„Maxwell. Maxi, ich habe es dir nie erzählt. Euch beiden nicht. Aber ich bin es euch schuldig. Ich habe Jahre damit verbracht in alten Schriften einen Ausweg aus dieser Misere zu finden, aber es gibt keinen. Es tut mir leid, dass ich euch nicht retten kann."
„Wovon redest du?", fragte Maxwell verwirrt.
„Ich war der festen Überzeugung, dass es eine Möglichkeit geben muss, das Seelenband zu lösen. Ein Zauberspruch, eine Formel, wenn es sein Muss auch ein Menschenopfer." Maxwell löste die beschützende Umarmung und augenblicklich kroch die vertraute Kälte zurück in Magnus Körper.

„Menschenopfer? Seid wann denken wir über solche abscheulichen Methoden nach? Hast du mich nicht immer gelehrt, alle Geschöpfe zu respektieren? Egal ob dunkel oder hell? Übernatürlich oder normal? Woher kommt das auf einmal?", fragte der junge Hexenmeister und das friedliche moosgrün seiner Augen wich giftigen Obsidian. Wut stieg empor, die Veränderung seiner Iriden ein untrügliches Zeichen.
„Ihr werdet sterben und dann bin ich allein." Der nahende Tod seiner Liebsten weckte tief verwurzelte Ängste in Magnus und immer, wenn seine Zeit es zuließ, er ungestört von fremden Blicken war, begab er sich in die Bibliothek ihres Hauses, sperrte die Realität um sich herum aus und suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, das Seelenband zu lösen. Vergebens. Vergraben zwischen jahrhundertealten staubbeladenen Büchern, stickiger Luft und der Geruch von Enttäuschung fand er vor wenigen Tagen Lazarus Tagebuch.
„Du hast es immer gewusst. Paps ist nicht unsterblich. Das war er nie", entgegnete Maxwell scharf.

„Diese Tatsache ist mir nur allzu bewusst. Glaube mir, ich wusste, worauf ich mich einlasse, als ich Alexander bat mich zu heiraten."
„Warum Dad? Warum kommst du jetzt damit? Ich verstehe es nicht. War ich nicht immer für dich da?", fragte Maxwell enttäuscht.
„Und genau da liegt das Problem. Du solltest nicht für mich da sein. Ich bin dein Vater und es ist meine Pflicht, mich um dich zu kümmern."
„Das hast du", sagte Maxwell mit sanfter Stimme.
„Ich habe die besten Väter der Welt." Eine glitzernde Träne verließ Maxwells Augen, das Obsidian war verschwunden.
„Es liegt sicher an der Jahreszeit. Die letzten Monate waren nicht einfach", lenkte Magnus ein. Schmunzelnd schüttelte Maxwell den Kopf. Er wusste, dass Magnus sich in Arbeit stürzte, immer dann, wenn sein Vater auf einer längeren Mission war. Dieses Mal war es besonders schlimm. Kontaktverbot und auch das Seelenband halfen ihnen nicht dabei, mit Alexander in Kontakt zu bleiben. Allein das Wissen, dass er am Leben ist, hielt sie aufrecht.

Es wurde Frühling als Alexander eines Morgens ihr Haus verließ, nachdem er seine beiden Herzensmenschen mit einer langen engen Umarmung allein zurückließ. Maxwell weinte stumme Tränen und Magnus versah seinen Mann mit einer ganzen Reihe Schutzzauber. Sie sollten ihn beschützen auf seinem unbekannten Weg und die Hoffnung aufrechterhalten, dass sie nicht zu lange auf den Moment warten mussten, in dem sie die Umrisse seines Körpers am Waldersrand erblickten.
„Nein, dass waren sie nicht. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass du ein hervorragender Vater bist und es immer sein wirst. Ich hätte mir keine besseren Dads wünschen können. Akzeptiere es endlich. Ich werde dich immer lieben und Paps auch."
„Wir lieben dich auch kleiner Kobold", sagte Magnus, lächelte und strich versöhnlich über die glänzenden Hörner seines Sohnes. Maxwell drängte sich Magnus Hand entgegen. Die Berührung seiner Hörner war nicht jedem gestattet. Allein Magnus genoss dieses Privileg. Im Gegensatz zu allen anderen, waren seinen Berührungen nicht von Schmerz begleitet. Warum? Ein weiteres Geheimnis um seiner Existenz, welchem sie nie auf die Schlichte gekommen sind.
„Liegt es vielleicht auch an deinem Geburtstag und das Paps gestern nicht hier war?", fragte Maxwell vorsichtig.
„Vielleicht", erwiderte Magnus und versuchte die aufsteigenden Tränen zu vertreiben.

„Es ist nicht nur dein Geburtstag, oder? Heute ist euer Hochzeitstag und ich weiß, wieviel euch beiden dieser Tag bedeutet. Ich kenne eure Geschichte in und auswendig. Eine Hochzeit zwischen Nephilim und Unterweltlern war verboten. Ihr seid ein hohes Risiko eingegangen und Paps hätte beinahe seine Runen verloren." Mit Schauder tauchte Magnus in die Vergangenheit ein, auch wenn er stets versuchte den dunklen Kapitel in ihrem Leben nicht allzu viel Raum zu geben. Es war verletzend, verdunkelte die Seele, erschuf Schatten in der Finsternis und gehässige Dämonen.

„Du hast Recht. Alexander ist schon so lange fort. Fast ein ganzes Jahr. Wir waren noch nie so lange voneinander getrennt. Nicht zu wissen, wo er ist, wie es ihm geht und ob er wieder nach Hause kommt, zermürbt mich. Tessa war keine große Hilfe. Sie ist so verschwiegen wie ein Mann ohne Zunge. Es ist frustrierend." Magnus spürte, dass es an der Zeit war, seine Gefühle mit jemanden zu teilen. Auch wenn er stets versuchte vor seinem Sohn stark zu sein, so konnte er die Tatsache, dass er drohte sich vor Sehnsucht und Angst um Alexander selbst zu verlieren, nicht länger ignorieren.
„Wir sind seit fast dreißig Jahren verheiratet, haben gegen die Engstirnigkeit und verstaubten Ansichten der Schattenjäger um unser Recht gekämpft, einen wundervollen Sohn erhalten und eine Zukunft. Das ist mehr, als manch anderer in seinem Leben hat. Ich bin dankbar für das alles, aber ich bin auch unheimlich wütend."
„Wir werden immer bei dir sein", sagte Maxwell mit tränenerstickter Stimme.
„Ja, das werdet ihr." Sanft ergriff Magnus die schwielige Hand seines Sohnes, betrachtete die feinen Narben auf dessen Handrücken und seufzte, als er an die starken Hände seines Mannes dachte. Er vermisste Alexander und der Anblick von Maxwells narbenbesetzten Körper machte ihm deutlich, in welche Gefahren sich sein Liebster begab. Jede Narbe auf Maxwells Körper, war eine Wunde, welche Alexander trug. In den letzten Monaten waren eine unheimlich hohe Anzahl neue hinzugekommen.
„Hier drin, werdet ihr immer bei mir sein. Ihr beide", flüsterte Magnus, führte Maxwells Hand an seine Brust und gemeinsam lauschten sie der Stille und dem unstetigen Rhythmus ihrer Herzen. Gemeinsam dachten sie an Alexander und sein Lachen, welches sie schmerzlich in den zu leeren Räumen ihres Anwesens vermissten.

„Ich denke, heute wird ein guter Tag", sagte Maxwell plötzlich und Magnus spürte ein aufgeregtes Flattern in seinem Magen.
„Dreh dich um Dad." Magnus folgte Maxwells Blick hinaus aus dem Fenster, blinzelte über die Helligkeit und der Intensität des Flockentanzes. Der Schneefall hatte zugenommen, kein Grün war mehr zu erblicken. Die Welt lag unter einen eisigen weißen Schicht begraben. Nebel zog sich über die Baumkronen des Waldes, Kälte lag in der Luft und Magnus spürte den eisigen Hauch des Winters auf seiner Haut, als sich die großen Flügeltüren vor ihm öffneten und kalte Winterluft hineinströmte. Maxwell stand neben Magnus, ergriff die vor Kälte und Erleichterung zitternde Hand seines Vaters. Gemeinsam schauten sie dem Horizont entgegen, der für Fremde bedrohlich wirkende Wald gab eine Gestalt aus seinen Schatten frei und Magnus hielt die Luft an. Eins, zwei, drei Herzschläge und noch immer traute Magnus seinen Augen nicht.

„Warum tust du das?", fragte er traurig.
„Das bin ich nicht", antwortete Maxwell. Diese Grausamkeit würde er seinem Vater niemals antun. Nie im Leben würde er ein Trugbild seines Vaters erschaffen, nicht mit dem Wissen, wie sehr Magnus litt.
„Alexander", hauchte Magnus. Atemwölkchen verschleierten seine Sicht, schmerzhaft zog sich sein Herz zusammen. Keine Illusion, nicht ein Funken dunkle Magie. Ruckartig löste Magnus seine Finger aus dem festen Griff seines Sohnes und ohne auf die Kälte, den unebenen Boden oder der getrübten Sicht aus Schnee und Tränen zu achten, stürzte er seinem langvermissten Mann entgegen. Alexander rannte, flog über den gefrorenen unebenen von Schneemassen bedeckten Boden, ließ seine Ausrüstung im Laufen fallen und empfing die offenen Arme und den zitternden Körper seines Mannes mit einem tiefen Seufzer.
„Du bist zurück." Magnus war kaum fähig die Worte auszusprechen. Verzweifelt schlang er seine Beine um Alexanders Körper in dem Wissen, dass sein starker Schattenjäger ihn Halten würde, presste sein Gesicht in dessen Halsbeuge und inhalierte den Geruch des Mannes, der sein Herz gestohlen hatte.
„Ich werde immer zu dir zurückkommen", flüsterte Alexander und Magnus fühlte den heißen Atem an seinem Ohr. Gänsehaut überzog seinen bebenden Leib. Er hatte ihn so vermisst.

„Alles Gute zum Hochzeitstag Baby. Entschuldige das ich nicht zu deinem Geburtstag da sein konnte und ich habe leider kein Geschenk für dich", sagte Alexander und Magnus zwang sich den Griff um seinen Körper zu lösen. Nur kurz, um seine Hände in die seidig weichen Strähnen gleiten zu lassen. Eine Weile sahen sie sich tief in die Augen, schickten stumme Worte und all ihre Liebe zueinander. „Du bist am Leben und zuhause. Das ist das schönste Geschenk, was du mir hättest machen können", antwortete Magnus und küsste die zarten Lippen seines Mannes.


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