Holy fucking Christmas time Part 2
Ich wünschte ich könnte behaupten, dass mein Freund das alles verschlingende Biest, welches sich seine Frau schimpft, in einem heroischen Moment von sich stieß, die Massen an sensationslüsternen Reporter teilte wie Moses das Meer und mit forschen, beherzten Schritten zu mir kam und mich küsste. Ja, das wünschte ich mir, stattdessen weinte ich an Spencers Brust gepresst mit einer überaus beachtlichen Menge Glühweins in den Adern und futterte Unmengen süße klebrige Lebkuchen. Der eine oder andere Zimtstern fand einen Weg in meinen Mund und Raphael spendete Trost, indem er mit seinem Onkel in Kalabrien ein hitziges Gespräch über Orte führte, an dem einen ganz sicher niemand finden würde. Nicht für uns, aber Raphael machte seiner Wut und meiner Traurigkeit Luft, indem er darüber fantasierte Alec oder seine Frau, gegebenenfalls auch beide, verschwinden zu lassen. Raphael war immer skeptisch meiner Leidenschaft Alec gegenüber. Auch ist der eine Teil meiner beiden besten Freunde nicht zur Gänze mit meiner Entscheidung für Alec und dieses 'Was-auch-immer-euch-miteinander-verbindet' Arrangement einverstanden. Er hasst Sara, vergöttert Alecs Sohn Mason und dessen kindliche Faszination für Yorick. Alec dagegen muss sich regelmäßig seiner Gunst erweisen. Raphael hat sich bereits früh in der Position als mein persönlicher Bodyguard gesehen und besonders nach unserem desaströsen Ausflug in das winterlich verschneite, bitterkalte Deutschland, nimmt er diese Aufgabe mehr als ernst. Seitdem weicht er mir kaum von der Seite und kümmert sich hingebungsvoll um mein Seelenheil. Was in seiner Welt bedeutet, mich von meinem Kummer und dem von Alec verursachten Schmerz abzulenken. Und wie es sich für einen Konditor gehört, macht er dieses, indem er mich seit unserer Rückkehr nach New York jeden Tag mit allerlei weihnachtlichen Gebäck aus seinem und Spencers Herkunftsland mästet. In keinem schwedischen Haushalt dürfen Lussekatter in der Vorweihnachtszeit fehlen. Locker-fluffiger Safranteig, verziert mit Rosinen und dazu ein Becher Glögg. Meine erste kulinarische Erfahrung kann durchaus als schicksalshafte Begegnung bezeichnet werden und meine Liebe für die süßen Brötchen ist bis heute ungebrochen. Raphael hat es sich nicht nehmen lassen seine Schwiegermutter alle Geheimnisse der Familienrezepte zu entlocken. Zu unser aller Glück, aber zum Leid meiner Figur. Seit zwei Wochen zwickt es etwas am Bund meiner Lieblingsjeans. Kein Wunder, landen nicht nur Lusekatter, sondern andere schwedische Köstlichkeiten wie Pepparkakor, Drömmar oder Julkuchen mit selbstgemachten Johannisbeergelee regelmäßig in meinem Mund. Selbstverständlich vergisst Raphael seine spanischen Wurzeln nicht und zu den beliebtesten schwedischen Weihnachtsklassikern gesellen sich spanische Turròn – in Andalusien beliebtes Nougat bestehend aus Mandeln und Honig. Eine süße klebrige und leider viel zu köstliche Angelegenheit. Runde Polvorones, die aus mehr Mehl als alles andere und kein Eiweiß bestehen. Pestiños mit ihrer charakteristischen unverwechselbaren Form. In Olivenöl frittiert und gehüllt in Honig oder Zucker ergeben diese den ultimativen Schocker eines jeden Diabetologen. Raphael war der Meinung, dass die Herstellung von Bolitas de coco mich von meiner Schwermut befreien könnte. Dementsprechend zwang er mich stundenlang in der zuvor schon arg malträtierten Backstube seines Bosses zu stehen und kleine Kokosnussbällchen zu formen. Schweigend verrichteten wir unsere Arbeit, im Hintergrund liefen sanfte Klänge altbekannter Weihnachtsklassiker und widerwillig musste ich meinem selbsternannten Bodyguard Recht geben. Die Zubereitung und immer gleichen Abläufe beruhigten mich und meine tosenden Gedanken. Für den Moment. Bis ich in mein verlassenes kaltes Appartement zurückkehrte und die Einsamkeit schonungslos auf mich hernieder prasselte. Nicht nur die Luft in meinem Appartement war eisig – ein vergessenes offenes Fenster und dem einsetzenden Schneefall sei Dank – auch in meinem Inneren legten sich eisige Klauen um Muskeln und Sehnen, drangen tiefer in mich. Eiskristalle ließen mein Blut erstarren und selten fühlte ich mich so hilflos und allein.
„Ist das widerlich", sage ich und kann trotz dem brennenden Feuer in meiner Brust meinen Blick nicht vom Bildschirm meines Telefon wenden. Wieder einmal frage ich mich, warum ich mir die Selbstgeißelung gebe und nicht einfach den Beginn eines harmonischen Weihnachtsfestes im Kreise meiner besten Freunde und Patenkindes genieße. Weil ich verliebt bin. Und dumm. Dumm und verliebt ist – wie wir alle wissen und aus unzähligen Bestsellerromanen gelernt haben – keine gute Kombination. Tatsächlich führt sie zu unüberlegten Handlungen und kitschigen Geständnissen. Oder wie in meinem Fall, Weihnachtsgebäck mümmelnd und feurig heißen Glögg trinkend auf dem Sofa meiner Freunde. In einer Zeit, an dem ich mit meinem Freund unter dem geschmückten Weihnachtsbaum sitzen und Geschenke verteilen sollte. Stattdessen klicke ich mich durch unzählige Videos, welche Alecs Frau in den letzten zwei Wochen meiner Social-Media Abstinenz auf diversen Plattformen hochgeladen hat. Ich kenne ihr gemeinsames Haus in London und den schneebedeckten Garten. Die große Tanne im hinteren Teil wird von einem flackernden Lichtermeer erleuchtet und zusammen mit dem sanften Schneefall vor der gigantischen Glasfront, entsteht ein Bild heimeligen Friedens. Für die Follower sicher ein wunderschöner Anblick, der die Zahlen von Likes und Kommentaren in die Höhe schnellen lässt. Doch ich kenne die Wahrheit hinter all dem Prunk und Glanz. Nicht weniger als 36 Post erwarten mich, Videos aus der Lightwoodschen Weihnachtsbäckerei, Bilder einer harmonischen Familien beim Schmücken des gigantischen Weihnachtsbaumes, gestellte Posen starkgeschminkter und zu Tode operierter Spielerfrauen auf der Vereinsweihnachtsfeier und mit Sponsoren. Es ist zum Kotzen und Spencers tadelnder Blick trifft mich heute nicht zum ersten Mal. Deutlich vernehme ich Raphaels Grummeln, seine ewigen bissigen Kommentare.
„Ja genau. Jetzt macht die auch noch Safranpulver in den Teig. Was soll die scheiße denn?", echauffiere ich mich lautstark. Spencer lässt sich schwerfällig neben mir nieder. Sein Gewicht senkt das Polster der tannengrünen Couch erheblich und Vater Schwerkraft sorgt dafür, dass sein massiger Körper gegen meinen prallt. Zufall oder Absicht? Ich plädiere für beides. Spencer ist der Kuscheler unter uns.
„Was sehen wir uns an?", fragt Spencer und greift zielstrebig nach meinem Smartphone. Sara versucht noch immer Schwedens Nationalgericht zu kreieren und es würde mich nicht wundern, wenn Spencer vor Entsetzen anfangen würde zu schreien. Nichts dergleichen geschieht. Stirnrunzelnd starrt er auf die restlichen Sequenzen, startet das Video erneut.
„Echt jetzt? Magnus!", sagt er und seine Worte verschwinden in einem tiefen Seufzen.
„Warum nicht? Ich muss mich doch auf den neuesten Stand bringen."
„Nein. Du quälst dich selbst. Warum ist mir schleierhaft, aber jetzt ist Schluß mit.... Was zur Hölle? Das hat sie nicht getan." Oh doch, genau das hat sie. Schweigend beobachten wir die Ehefrau meines Partners dabei, wie sie Zutaten vermengt, allerdings alle Regeln der schwedischen Backkunst missachtet. Statt die Hefe in die lauwarme Milch zu bröseln, Mehl, Salz und Zucker in eine Schüssel zu geben und in die vorbereitete Mulde die Hefemilch zu gießen, klatscht Sara alles in eine viel zu kleine Schüssel und verrührt die Masse schwungvoll. Spencers Zähne knirschen, als er die Prozedur verfolgt, und im Augenwinkel kann ich das Öffnen und Schließen seines Mundes sehen. Er will etwas sagen, doch Worte kommen nicht über seine Lippen. Wieder Zähneknirschen als der Teig nach der Ruhephase über die Schüssel quirlt und sich auf der Arbeitsfläche verteilt.
„Ich hoffe sie hat vorher die Marmorplatte geputzt", flüstere ich über die nervtötenden weihnachtlichen Klänge und Saras aufgesetzter freundlicher Stimme hinweg.
„Warum?", fragt Spencer, erhascht einen Blick auf mein Profil und das verschmitzte Grinsen in meinem Gesicht. „Sag schon."
„Weil Alec mich bei meinem letzten Besuch in London auf dieser Arbeitsplatte gevögelt..."
Abrupt löst Spencer sich von mir. Das Polster unter uns wackelt, während Spencer freudig auf dem Sofa hin und her springt. Er erinnert mich an einen Hundewelpen, welchen ich auf unzähligen Fotos seiner Familie gesehen habe. Heute ist Thor ausgewachsen, in die Jahre gekommen, aber noch immer hat er die Flausen eines Welpen im Kopf. Spencer vermisst seinen ‚söt liten skatt'. Allerdings war ein Umzug vom rauen Norden Schwedens in eine amerikanische Großstadt keine Option. Nie, zu keiner Zeit. Thor gehört in die Natur, selbst der Central Park wäre zu klein für ihn gewesen. Als Welpe war er ein niedlicher schwedischer Lapphund mit dunklen Knopfaugen und dichten tiefschwarzen Fell. Mit dem einzigen Unterschied, dass Spencers Haare hell wie die Sonne und seine Augen eisblau strahlen. Aber der entrückte freudige Ausdruck...
„Magnus!
„Was?", frage ich unschuldig und schiebe mir einen weiteren Mandelkeks zwischen die Zähne. Alles, nur nicht auf seine Frage antworten.
„Ach komme schon. Du erzählst uns sonst auch alles. Warum das nicht?"
„Was willst du wissen?"
„Ihr habt es echt in seinem Haus getrieben? In der Küche?" In der Küche. Über den Esstisch gebeugt. In Alecs Schlafzimmer und der Dusche. Auf dem Sofa vor der gigantischen Glasfront mit Blick auf den herbstlich gefärbten Garten. Wir hatte drei Tage Zeit, um jedes Ecke seines Hauses zu entweihen.
„So wie du gerade schaust, ist es nicht dabei geblieben", schlussfolgert Spencer und ich nicke. Eine stumme Bestätigung.
„Was ist mit ‚Ich-vögele-nicht-im-Lightwood-Anwesen' geworden? Ihr wart doch immer in seinem Appartement. Was hat sich geändert und warum hast du nicht davon erzählt?"
„Ja warum nicht?", mischt sich nun auch Raphael ein. Seufzend lasse ich meinen Kopf auf die Rückenlehne fallen und versuche zwischen den Sofakissen zu verschwinden. Dafür müsste ich mich von dem Teller mit meinem Glück spendenden Zuckerzeug trennen. Was keine Option darstellt. Stattdessen greife ich nach der Tasse heißen Glögg, welche Raphael soeben auf den kleinen Tisch neben mich gestellt hat. Das würzige Aroma und eine gute Menge Rum – Raphael meinte es sehr gut mit uns – verteilen sich in meinem Blutkreislauf. Der Glögg wärmt von innen und lockert die Zunge. Nicht das ich nicht sowieso schon in Redelaune gewesen wäre. Dies ist nicht meine erste Tasse des heutigen Abends, meine schwere Zunge und das warme Gefühl in meiner Brust sind Zeuge dessen. Eigentlich trinke ich nicht besonders viel. Eigentlich. Aber eigentlich sollte ich nicht hier in New York im Appartement meiner Freunde sitzen, sondern die Weihnachtsfeiertage in einer eingeschneiten Holzhütte mit knisternden Kaminfeuer und jede Menge Sex verbringen. Eigentlich.
„Ist doch jetzt auch egal. Wir waren doch gerade dabei uns über Sara und ihre Backkunst aufzuregen", versuche ich das Thema zu wechseln.
„Wieso?" So schnell hat man Raphaels ungeteilte Aufmerksamkeit und mit einem beherzten Sprung über Spencers unverschämt lange und muskulöse Beine hinweg, schwingt er sich hinter seinen Mann und zieht ihn an seine Brust. Spencer lässt sich automatisch in die Umarmung fallen und wieder einmal stelle ich fest, wie sehr die beiden aufeinander eingespielt sind. Sie verschmelzen zu einer Einheit und betrachten gemeinsam die von Sara geteilten Videos und Posts. Ich kenne sie bereits und lausche stumm den ungläubigen Worten Raphaels. Er kann kaum glauben, was er dort sieht, deckt einen Backfehler nach dem anderen auf. Panisch japst er nach Luft, als er beim Post von Tag 18 angelangt ist. Spanien. Seine Heimat. Sein kulinarisches Erbe. Immer wieder schüttelt er den Kopf, murmelt die verschiedenen Zubereitungsarten vor sich her.
„Das ist wie ein Schlag ins Gesicht. Ist sie nicht in der Lage ein Rezept zu lesen?"
„Anscheinend nicht. Aber das Ergebnis sieht immer schön aus", stellt Spencer fest.
„Ja, weil das nicht von ihr ist. Ich wette, sie kauft die Sachen fertig und richtet es dann nur noch schön an. Siehst du hier? Warte, scrolle mal... Ach, gib her." Aufgebracht entreißt Raphael seinem Mann das Smartphone. Mein Smartphone wohlgemerkt und sucht den passenden Post – Video – Beitrag – was auch immer.
„Hier siehst du es. Nie im Leben hat sie das gebacken."
„Haben wir uns jetzt genug aufgeregt?", frage ich säuerlich. Entsetzt schauen mich beide an. Was?
„Du hast doch damit angefangen."
„Jetzt gib nicht uns die Schuld."
„Aber echt."
„Eines muss man ihr lassen. Sie hat ein Händchen für Deko."
„Du auch", bestätigt Raphael und drückt seine Lippen auf Spencers Schläfe.
„Der Baum ist toll. Riesig. Siehst du die Farben? Mason wird große Augen gemacht haben, nachdem alles fertig war."
„Hmhm, sehr schön." Raphael wirkt etwas abwesend.
„Alecs Arsch in dieser Jeans."
„Magnus hat so ein Glück das Alec switcht."
„Ich kann euch hören." Geschwind huschen meine Augen zwischen Raphael und Spencer hin und her. ‚Wie bei einem Tennismatch' rauscht es durch meine Gedanken. Tennis. Noch so ein arschlangweiliger Sport. Und warum reden wir – oder besser gesagt die beiden – plötzlich über den Arsch meines Freundes. Alecs Hintern ist göttlich und ja, auch ich bin sehr froh darüber, dass wir keiner klassischen Rollenverteilung folgen, sondern uns einfach unserer Lust und dem Augenblick hingeben.
„Warum reden wir nochmal über den Hintern meines Freundes? Und ist es okay das zu tun, wenn er nicht hier ist?"
„Keine Ahnung, sag du es mir", ertönt eine tiefe Stimme und gleichzeitig bewegen sich unser Köpfe in Richtung Wohnungstür. Mit einem schlafenden Mason auf dem Arm und dem neuen finster dreinblickenden Bodyguard hinter ihm steht Alec. Er lächelt und ich schwöre bei allem, wenn er lächelt, ist die Welt ein kleines bisschen weniger scheiße.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top