Sie war schon oft am Abgrund gestanden. Mehr als einmal hatte sie in diese gähnende Leere gestarrt und sich gefragt, was passieren würde, wenn sie sich einfach fallen liesse. Doch noch nie war sie dem Ende so nahe gewesen wie heute. Noch nie hatte sich alles in ihr so stark zusammengezogen, dass sie dachte, nein, dass sie fest davon überzeugt war, es sei nun vorbei. Mit ihr. In ihr spürte sie eine Spannung, die sie zu zerbersten drohte. Sollte sie dem Gefühl nachgeben? Sich einfach fallen lassen?

Dann wäre es wenigstens vorbei, schoss es ihr durch den Kopf. Hätte sie wenigstens etwas in ihrem Leben geschafft. Sie lachte. Hysterisch.

Prüfend liess sie ihren linken Fuss über der Leere baumeln. Jetzt standen nur noch ihr Standbein und ihre Angst zwischen ihr und dem Abgrund.

Komm schon! Lass dich einfach fallen. Ein letzter zweifelnder Blick nach oben und dann - liess sie los. Sich fallen. In die Tiefe.

Ihre Lunge schien zu bersten, ihre Augen zu flimmern. Müsste jetzt nicht eigentlich ein Film mit alldem an mir vorbeiziehen, was mir wirklich wichtig ist? Aber da war nichts.

Fasziniert blinzelnd fixierte sie ihre Finger, registrierte wie sie durch die Wolken glitten - ein Meer aus Watte. Sie musste lächeln, so fühlten sich also Wolken an. Vielleicht war das gerade mein letzter Gedanke, dachte sie und fühlte sich dabei sonderbar ruhig.

Plötzlich durchfuhr sie ein heftiger Ruck. Riss sie aus ihren Gedanken. Zog sie nach oben. Und so hing sie nun, kopfüber, hysterisch lachend und mit vereinzelt vergossenen Tränen im Gesicht und wartete darauf, dass sie jemand von ihrem Leid erlöste.

Als sie endlich den zwei Meter grossen Adonis erblickte, dem zuliebe sie sich von diesem Felsen gestürzt hatte, zweifelte sie ernsthaft an ihrer mentalen Gesundheit. Hatte sie sich tatsächlich zum Bungeespringen überreden lassen?

Seufzend schloss sie die Augen und versuchte zur Beruhigung das kühlnasse Gefühl heraufzubeschwören, das die Wolken auf ihrer Wange hinterlassen hatten.