Last Christmas
Langsam schlich ich den Gang entlang. Immer weiter und weiter. Einzelne Türen zweigten hin und wieder von dem Flur ab. Doch ich traute mich nicht, diese zu öffnen...
Wo war ich?
Was war passiert?
Der Boden fühlte sich kalt unter meinen Füßen an, Socken oder gar Schuhe trug ich keine.
Der Boden knarrte keinesfalls, die Platten bestanden wahrscheinlich aus weißem Plastik, so glatt wie sie waren.
Ich hob meinen Kopf, blickte nun nach vorne.
Vor mir schien sich ein gar unendlich langer Gang auszubreiten. Alles sah modern aus, war im grellen Weiß gehalten. Einzelne Neonleuchten erhellten den Flur, von denen die Türen abzweigten, welche mit der Zeit immer mehr wurden.
Wo war ich?
Was war passiert?
Schritte.
Ganz leise, schnelle Schritte.
Sofort hielt ich inne, Panik stieg in mir auf.
Stille.
Nichts als Stille.
Komplette Stille.
Hatte ich mir das eingebildet?
Wahrscheinlich...
Hoffentlich...
Prüfend lauschte ich an einer der Türen. Gedämpfte Stimmen.
,,Diffusion...gefährlich...Zerstörung...Lebewesen"
Langsam lehnte ich mich wieder zurück.
Was hatte das alles nur zu bedeuten?
Ich verstand gar nichts mehr...
Vorsichtig, mich immer wieder umdrehend, schritt ich voran.
Dort lag etwas am Boden.
Ich hob es auf, sah mich wieder um.
Niemand zu sehen...
Es war ein Personalausweis.
Wem gehörte er?
Emely Roberts, Wissenschaftlerin.
Der Name, so wie auch das Foto kamen mir bekannt vor.
Doch...wer war das?
Woher kannte ich sie?
Warum lag hier ihr Personalausweis?
Trotz dieser Umstände beschloss ich weiter zu gehen.
Vielleicht würde sich das alles klären?
Vielleicht...war da irgendetwas am Ende des Ganges?
Hastig beschleunigte ich meine Schritte, blieb jedoch gleich darauf abrupt stehen.
Hier roch es nach...Weihnachtskekse?
Verwirrt sah ich zu der Tür, die halb offenstand.
Wie in Zeitlupe schlüpfte ich hindurch, sah mich um.
Ein Sofa, ein kleiner Tisch, ein Regal.
Das war alles an Möbeln hier.
Mir kam die Einrichtung so bekannt vor...
Hm...
Langsam beugte ich mich zu dem kleinen Tisch.
Hier war also der Duft hergekommen, eine Dose Kekse war halb geöffnet.
Neben den Keksen lag ein Terminkalender.
Eine Seite war aufgeschlagen: 24. Dezember. Dazu war mit krakeliger Schrift ein Name in roter Farbe geschrieben worden.
Ryan stand dort.
Oder Reynold.
Ich war mir nicht ganz sicher, was ich nun tun sollte, sonst gab es hier nichts zu sehen, weshalb ich langsam wieder zurückging, auf den großen, langen Gang.
Da!
Eine weitere Tür, halb geöffnet.
Mich packte die Neugier, weshalb ich auch hier eintrat.
Alles, was sich in diesem Raum befand, war ein Schreibtisch. Darauf lagen mehrere Ausweise.
Vorsichtig streckte ich meinen Arm aus, nahm die Papiere in meine Hand.
Mary Sue, Putzfrau.
Blacky McCancy, Kauffrau für Büromanagement.
Paula Carter, Rechtsanwältin.
Mel Frankens, Lehrerin.
Ganz normale Ausweise auf dem ersten Blick.
Jedoch nicht auf den zweiten Bild.
Das Foto.
Es war auf allen vier Personalausweisen gleich.
Eine junge Frau, lange, braun gelockte Haare, grüne Augen, ein gezwungenes Lächeln auf den Lippen.
Die Frau auf dem ersten Ausweis.
Emely Roberts.
Gefälschte Ausweise...
So schnell wie möglich legte ich die Dokumente wieder dahin, wo ich sie aufgefunden hatte, lief aus dem Raum.
Wo war ich?
Was hatte das zu bedeuten?
Zu der Neugier kam Ehrgeiz hinzu.
Ich wollte unbedingt wissen, was hier vor sich ging. Unbedingt.
So schlüpfte ich durch die nächste Tür, trat eilig ein.
Ein kleines Bad mit weißen Fliesen.
Und ein Spiegel.
In diesem Moment erstarrte ich.
War das möglich?
War das real?
Mir blickte ein blasses Gesicht entgegen.
Grüne Augen, braun gelockte Haare, welche lang gehalten waren.
Nur das starre Lächeln fehlte, dann könnte es glatt dasselbe Foto sein.
Die Frau auf dem Foto.
Eindeutig.
Ich war diese Emely Roberts...
Schnell drehte ich mich um, hastetet durch die nächste Tür.
Ein Schlafzimmer.
An der Wand hing ein Zeitungsartikel.
Ich trat näher, um die Buchstaben und Zahlen zu entziffern.
Ausgabe 360, 26. 12.
Mord an berühmten Wissenschaftler Ryan R. Attentat am Weihnachtsfeiertag. Mörder noch unbekannt.
Nachdenklich betrachtete ich das Foto.
Dieser Mann kam mir so bekannt vor.
Alles hier schien mir nicht fremd zu sein.
Es war irgendwie...komisch.
Langsam drehte ich meinen Kopf, sah mich weiter um.
Auf einem Regal stand eine kleine Spieluhr mit einem zierlichen Engel, welcher zu tanzen schien und ein hellblaues Kleid trug.
Vorsichtig drehte ich das kleine, etwas ältere Spielzeug auf.
Der Engel begann sich zu drehen, eine leise, liebliche Melodie erklang.
Ein Weihnachtslied, Last Christmas.
Ich wartete, bis die Spieluhr verklang, dann verließ ich den Raum wieder.
Das Licht am Gang flackerte leicht, schien bald auszugehen.
Nur noch ein Raum.
Dann würde ich zurückgehen, Ruhe geben.
Nur noch ein letzter Raum.
Er war ähnlich eingerichtet, wie der Vorherige. Nur irgendwie...dunkler.
Ich erschrak mich, als plötzlich eine leise Melodie erklang. Schnell drehte ich mich um.
Die Spieluhr...
Sie spielte nicht nur den Song Last Christmas, der kleine Engel oberhalb drehte sich auch noch. Und das, obwohl ich sie nicht aufgedreht hatte.
Was..?
Wie ging das?
Meine Aufmerksamkeit auf die Spieluhr wurde jedoch schlagartig unterbrochen, als ein lautes Klappern ertönte. Als würden Jalosien gegen ein Fenster schlagen, Regen dabei gegen die Scheibe prasseln.
Doch...hier gab es keine Fenster und somit auch keine Jalosien.
Wie...?
Was passierte hier?
Ein beklemmendes Gefühl überkam mich, ich fühlte mich langsam aber sicher richtig unwohl.
Dennoch versuchte ich mich zu beruhigen.
Es war sicher nichts Schlimmes.
Es gab sicher eine logische Erklärung für alles.
Ein lautes Donnern, als stünde der Weltuntergang bevor, durchbrach die Stille, weshalb ich erschrocken zusammenzuckte.
Das komische Gefühl stieg in mir, langsam breitete sich auch Panik aus.
Raus hier, einfach raus!
Ich stürmte zu der Tür, drückte sofort den Türgriff hinunter.
Nein!
Nein, das konnte nicht sein!
Die Tür...
Sie war...abgesperrt, verschlossen.
Ich war eingesperrt, saß hier fest.
Nein...
Mein Atem beschleunigte sich, meine Panik, meine Angst schien ständig zu wachsen, noch größer zu werden. Immer größer und größer...
Noch ein schallender Donner. Laut krachte er draußen, das Licht der Lampe flackerte bedrohlich.
Verdammt, verdammt, verdammt!
Die Spieluhr spielte einfach friedlich weiter, als wäre nichts, obwohl sie schon längst ausgehen hätte müssen.
Ich berührte mit der Schulter etwas Kaltes.
Blitzschnell drehte ich mich in die Richtung.
Meine Augen weiteten sich, als ich den Gegenstand erblickte, den ich gestreift hatte.
Ein Messer.
Groß, scharf, und aus edelstem Metall.
Es steckte in der Wand, welche aus Holzplatten gezimmert war.
Es war blutverschmiert...
Entsetzt schrie ich auf, sprang aus Reflex zur Seite.
Mein Herz begann noch schneller zu pochen. Immer schneller und schneller.
In diesem Moment legte sich ein Schatten über mich.
Ein langer Schatten einer Gestalt.
Sofort wirbelte ich herum, keuchte auf.
Ein Mann, komplett blass und in schwarz gekleidet.
Schlank, etwas größer als ich, fettige, braune Haare, die ihm ins Gesicht hängten, ausgeprägte Augenringe.
Er...er kam mir so bekannt vor...
Fieberhaft überlegte ich, dachte angestrengt nach.
Doch dann machte es Klick.
,,Ryan!", entfuhr es mir.
Der Mann, der am 25. Dezember ermordet worden war.
Mein bester Freund...
,,Sei gegrüßt, Emely Roberts", hauchte eine dünne, unwirklich wirkende Stimme.
,,Ryan...ich...was tust du hier?", flüsterte ich kaum hörbar.
,,Ich bin gekommen, um mich zu rächen"
Erschrocken sah ich zu seinen Augen hinauf. Was...?
,,Dich...zu...zu rächen...?"
Er antwortete nicht, stand einfach nur da. Was hatte er nur vor? Meine Angst wurde von Sekunde zu Sekunde größer.
,,Ryan...was...was willst du?"
Seine Augen verengten sich langsam zu Schlitzen.
Gemächlich hob er seine rechte Hand etwas hoch. Etwas blitze im Licht auf.
Ein Messer.
Groß, scharf, und jederzeit zu seiner Bestimmung bereit...
Angstvoll schrie ich auf, als Ryan drohend näherkam, immer näher und näher.
Was wollte er?
Doch nicht etwa...
Nein!
Nein, ich wollte doch nicht...sterben...
,,Nein! Du bist wahnsinnig! Hör auf!"
Ich begann vor Angst zu zittern, presste mich eng gegen die kühle Wand hinter mir.
Erschrocken riss ich die Augen auf, als ich bemerket, dass sein Körper leicht durchscheinend war. Als wäre er...ein Geist.
Schon längst tot.
Zurückgekehrt, um seinen Tod zu rächen.
An derjenigen, die Schuld daran hatte.
An mir.
Nach einer Zeit erhob er wieder seine unwirkliche Stimme.
,,Erinnerst du dich an letztes Jahr?", sprach Ryan, ,,Erinnerst du dich an das letzte Weihnachten?"
Der noch junge Mann grinste mich schon fast psychopatisch an.
Dann holte er langsam, wie in Zeitlupe aus.
,,Last Christmas, I gave you my heart..."
Ein warmer Hauch strich über mein Gesicht, wie ein Atem.
Als wäre er ganz nahe meinem Gesicht.
Als würde ich ihm direkt in die Augen schauen.
,,But the very next day...you gave it away"
Mit angstvollen Blicken sah ich noch, wie das Messer mir immer näherkam, er leise lachte.
Dann erlosch das Licht im Zimmer...
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