Nusspfotes Stern
Es war dunkel und kalt in seinem Herzen. Seit Tagen. Schmerzen. Seit Tagen. Nur schlafen. Seit Tagen. Er wollte nicht mehr schlafen, er wollte wach sein, wenn es passierte. Er wollte sich verabschieden.
Nusspfote schob die Mohnsamen von sich, die Blumenfrost ihm hingelegt hatte.
Der Heiler schüttelte nur leicht den Kopf und nahm die Samen zurück in seinen Vorrat.
"Ich weiß nicht, was du willst, Nusspfote. Du beschwerst dich über Schmerzen, aber schlafen willst du auch nicht. Schlaf hilft zu heilen", miaute der Schildpattkater verständnislos.
Nusspfote wusste es bereits, Blumenfrost musste nichts sagen. Er wusste es. Seine gelben Augen blickten flehend zu dem Heiler auf. Sie waren glasig, traurig. Aber wissend.
Blumenfrost senkte den Blick.
"Es tut mir leid Nusspfote. Ich kann nichts mehr für dich tun. Die Infektion ist zu weit fortgeschritten und ich habe keine Kräuter mehr."
"Dann hol welche! Mach was. Irgendwas!" Nusspfote wollte nicht sterben. Der Schmerz war jedes Mal da wenn er aufwachte, schlimmer als am Tag zuvor, stechender, bohrender, lähmender, als alles was er bisher gefühlt hatte. Er wollte, dass es aufhörte.
Blumenfrost schüttelte den Kopf.
"Ich werde deine Familie holen."
Die Heilerkatze beeilte sich, den Bau zu verlassen. Es wunderte den Schüler nicht. Es stank nach Verwesung, nach Krankheit, nach Kadaver hinter den Flechten die den Eingang versteckten. Nusspfote blickte an sich herunter. Ihm wurde speiübel.
Seine gesamte Flanke war aufgerissen, entzunden und glühte vor Hitze stärker als ein Waldbrand. Nusspfote konnte sich nicht bewegen, seit dem Vorfall. Er konnte nur da liegen, niemals seine Liegeposition ändern. Je mehr er darüber nachdachte, desto unbequemer wurde es ihm in seinem Moosnest. Jeder Atemzug schoss wie ein eisiger Blitz durch seinen gesamten Körper und ließ ihn so hilflos zurück.
Er wünschte, er hätte sich niemals in diesen Kampf eingemischt. Er war arrogant geworden. Hochnäsig. Zu überzeugt von seinen Fähigkeiten, die ihn im Moment, wo er sie am meisten gebraucht hatte, verlassen hatten. Ja, er hatte dem Streuner geholfen...und nun? Nun bezahlte er mit dem Leben dafür. So belohnte ihn der SternenClan. Oder war es ein Zeichen, dass Akazie zu retten ein Fehler gewesen war?
Der junge, braune Kater hatte keine Zeit mehr, darüber nachzudenken. Schatten tanzten auf den Flechten und verdunkelten das Sonnenlicht, bevor eine ganze Reihe an Katzen hereinstürmte, allen voran nusspfotes Vater.
"Mein kleiner Krieger!", rief der Kater aus und stürzte sofort zu ihm ans Nest.
"Vater!" Nusspfote freute sich wahrhaftig ihn zu sehen. Umso schmerzhafter war es, dass er ihn bald verlieren würde, ebenso wie seine Schwester, seinen Bruder und seine Mutter.
Fichtenstachels warme Zunge leckte Nusspfote über die Stirn, sein braunes Fell umgab seine Schnauze und der vertraute Geruch gab ihm ein Gefühl von Sicherheit, obwohl sein Leben nur noch an einem Spinnenfaden hing.
"Blumenfrost hat es uns schon gesagt. Du bist so ein tapferer, kleinerer Kater, mein Sohn."
Als Nusspfote aufblickte, sah er nicht nur in den Augen seines Vaters die Tränen. Tigerpfote, seine Schwester, sonst so eine kühle Natur, hielt das Wasser in ihren gelben Augen verzweifelt zurück, ihre Ohren waren angelegt. Sie trat an sein Nest heran und ließ sich fallen. Moosfetzchen und Staub stoben auf.
Kurz sahen sie sich schweigend an, es war das erste Mal dass Nusspfote wirklich zweifellos die Liebe zu ihm in ihrem Blick erkennen konnte.
"Tut mir leid, dass ich euch alleine lasse, Tigerpfote", murmelte er erstickt.
"Dafür musst du dich nicht entschuldigen." Sie musste nicht viel mehr sagen, um Nusspfote das zu vermitteln, was sie fühlte. Sie hatte es schon immer gut geschafft, wortlos ihre Gefühle zu zeigen. Es würde keine Wettbewerbe mehr geben. Nie wieder.
Nusspfote vergrub die Nase in Tigerpfotes dunklem Fell, ein letztes Mal. Es fühlte sich gut an, zu wissen, dass er ihr nicht egal war, besser noch, als sie im Wettlauf zu besiegen.
Ein weiterer Pelz drückte sich an ihn, nah an seiner Verletzung, doch so sanft, dass es kaum mehr wehtat als sonst. Eschenpfote. Der leise, weiche Eschenpfote. Manchmal auch der jammernde, winselnde Eschenpfote, aber heute nicht. Er war nur leise. Er war einfach da. Und es war gut so. Nusspfote wünschte sich, er hätte mehr Zeit mit seinen Geschwistern verbracht. Sie waren gute Katzen. Sie hatten ihre Eigenheiten, aber sie waren herzensgute Katzen. Schade, dass er dies erst so spät erkannte.
Es war nur noch eine übrig aus Nusspfotes Familie. Seine Mutter. Sie hatte es aufgegeben, mit Blumenfrost diskutieren zu wollen. Es war der letzte Moment, den sie in dieser Konstellation zusammen verbringen konnten, und sie wusste es. Sie war nicht bereit, es zu akzeptieren, aber sie wusste es.
Sturmsprint war die einzige die noch kämpfte. Aber sie war dabei, aufzugeben. Nusspfote reckte ihr trotz der Schmerzen die Nase entgegen. Er wollte sie riechen und das sichere Gefühl der Kinderstube zurückholen, als alles noch in Ordnung gewesen war. Die schwarze Kätzin legte ihre Schnauze an seine und brach dann neben ihm zusammen, unfähig ihre Traurigkeit zu verstecken.
"Ich will nicht, dass du gehst, mein Sohn. Wir brauchen dich doch. Es ist zu früh um zu sterben." Sie erzitterte unter einem Schluchzen. "Könnte ich doch nur mein Leben für deines geben. Ich würde nicht zögern, es zu tun."
"Ich weiß, Mutter", antwortete Nusspfote schmerzvoll. Es war eine Qual seine Familie so leiden zu sehen...wegen ihm. "Ich danke dir...ich danke euch allen."
Nusspfote spürte, wie die Kräfte seine Glieder verließen und sie kalt wurden, bis sie taub waren. Taub und nutzlos. Eschenpfote blickte auf.
"Wofür dankst du uns?"
Nusspfote blickte in die zutiefst traurigen Gesichter seiner Familie. Er wollte nicht sterben, aber er war bereit, es zu akzeptieren. Er konnte es nicht ändern. Er bildete sich ein, einige, glitzernde Schatten an seinen Augen vorbeiziehen zu sehen. Waren das SternenClan-Katzen? Schwach lächelte er.
"Dafür, dass ich teil dieser Familie sein durfte."
Nusspfote legte den Kopf auf der Flanke seines Vater ab. Es war gut so. Die Schmerzen würden endlich aufhören. Er wäre gerne Krieger geworden. So gerne, dass er es sich selbst zerstört hatte. Die Wunde an seiner Flanke hörte langsam auf zu pochen, keine Blitze zuckten mehr durch seinen Körper. Wie eine warme Schneedecke legte sich eine angsteinflößende und gleichzeitig tröstende Ruhe über Nusspfotes Körper. Er war bereit. Und mit seinem letzten Atemzug atmete er die Dunkelheit aus, die sich in ihm angestaut hatte und machte sich auf zu den Sternen, die er einst um Hilfe gebeten hatte.
Lebt wohl, Tigerpfote, Fichtenstachel, Sturmsprint und Eschenpfote. Irgendwann werden wir uns wiedersehen.
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