eSoL - Kapitel 5
Anna fuhr erschrocken hoch. Wurde sie wieder betäubt? Hatte sie jemand ohnmächtig geschlagen? Leise wimmernd sah sie sich um. Wo zur Hölle war sie? Die Wände waren in einem warmen Braun gestrichen und hohe Bücherregale schmückten jeweils die gegenüberliegenden Seiten. Ein futuristischer Couchtisch stand vor ihr mit kleinen Kübelpflanzen, die langsam aus ihren zu klein gewordenen Gefängnissen herauswuchsen. Eine Frau räusperte sich und erst jetzt bemerkte Anna eine rundliche Frau mit Hornbrille und Grübchen, die seitlich neben ihr Platz genommen hatte. Ein Namensschild trug sie auf ihrer Brust. Dr. Cassandra Schwartz. Anna japste nach Luft. Ihre Cassandra?
»Was ist passiert?«, fragte sie mit zitternder Stimme.
»Sie hatten eine erneute Halluzination«, entgegnete Dr. Schwartz nüchtern. Sie legte ihre Hände auf das Klemmbrett und musterte Anna für einen Moment. »Was ist diesmal passiert?«
Unruhig kratzte sich Anna am Arm. Die Situation wirkte so surreal, als würde sie träumen. Halluzination? Hatte sie richtig verstanden? Dr. Schwartz legte das Klemmbrett weg und faltete ihre Hände.
»Schon gut«, sagte sie, als kannte sie Anna gut genug, um ihr Verhalten zu deuten. »Sie scheinen, danach immer etwas vergesslich zu sein. Deswegen helfe ich Ihnen auf die Sprünge. Frau Winter, Sie hatten letztes Jahr eine Fehlgeburt, ausgelöst durch einen Unfall. Seitdem sind sie bei mir in Behandlung und leiden unter einer posttraumatischen Belastungsstörung.«
Anna schweifte ab und hörte Dr. Schwartz gar nicht mehr zu. Was passierte nur mit ihr? Eben noch war sie mit Lotte in einem Freizeitpark gewesen und nun saß sie hier in einer Therapiestunde mit einer Person, die ihr weißmachen wollte, dass sie sich alles eingebildet hatte. Dass Lotte nichts als ein Hirngespinst war. Dass alles eine Lüge war?
Sie strich sich über ihre Hose, als sie plötzlich eine kleine Erhöhung spürte. Langsam fuhr sie sich in die Hosentasche und fand einen kleinen zerknüllten Zettel. Mit verdeckter Hand und ohne, dass Dr. Schwartz es mitbekam, öffnete sie den Schnipsel. Eine kleine silberne Kette, die den Namen Lotte trug, sprang ihr entgegen. Mit zitternden Händen strich sie über den Namen. Lotte. Sie war echt. Ihre Tochter existierte. Behutsam steckte sie die Kette weg und faltete den Zettel auseinander. Sie haben mich verschleppt. Du darfst ihnen nicht glauben. Sie stecken alle unter einer Decke. Hilf mir. Lotte. Anna zog scharf die Luft ein. Was für ein Spiel wurde hier mit ihr gespielt?
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