3.) Die Weihnachtsreise - Eine moderne Herbergssuche

Diese Geschichte habe ich für den Seelenwärmer-Adventskalender von freezing_storm geschrieben. Es ist ein Tatsachenbericht, jedes Wort ist wahr. Manches habe ich sogar noch weggelassen.

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Diese Reise wollten wir uns nach einem harten Jahr gönnen. Wir hatten beide berufliche Meilensteine geschafft, persönliche Entscheidungen getroffen - und wir hatten uns gefunden. Die Familien waren zwar etwas enttäuscht, dass wir aus den jahrelangen Traditionen mit geschmücktem Baum und Bescherung darunter ausbrechen wollten, aber es sollte ja nur eine einmalige Sache sein.

Freunde hatten uns von der Dominikanischen Republik vorgeschwärmt, seitdem träumten wir vom saphirblauen karibischen Meer, von weißen endlosen Sandstränden, von Wärme und Sonne anstelle von Nebelgrau, das im Dezember in meiner Heimatstadt meistens herrscht, bevor Frost und Schnee im Januar Einzug halten.

Und schon machten wir den ersten Fehler. Statt online zu buchen, wollten wir einen Freund unterstützen, dessen Reisebüro sehr unter dem Internet zu leiden hatte. Wir entschieden uns für eine Anlage mit hübschen buten Bungalows in einem tropischen Garten direkt am Strand. Dass der Flug von Düsseldorf ging, störte nicht weiter, wir haben Verwandte in Mönchengladbach, die uns eine Nacht beherbergen und uns zum Flughafen bringen würden.

Als ein paar Tage später die Tickets und die Reisegutscheine eintrafen, waren wir im siebten Urlaubshimmel.
Als wieder ein paar Tage später alles noch einmal ankam, wurden wir etwas stutzig und machten den zweiten Fehler.

Wir informierten unseren Freund über die doppelte Post. Er kümmere sich darum, erklärte er.

Alles klappte hervorragend, der Flug startete pünktlich, ein Bus holte uns nach der Landung ab, brachte uns in das gebuchte Hotel.

Okay, dass Bilder für Prospekte bearbeitet werden, war uns klar. Dass die Anlage eine paar Jahre auf den Buckel bekommen hatte, seit die Fotografen hier gewesen waren, wurde offensichtlich.

Doch es sah alles nett aus, ja, nett, durchaus. Außerdem waren wir hundemüde. Ein Bett war im Augenblick das Wichtigste, wo es letztendlich stand, war eher zweitranging - oder fast. Die Gäste wurden aufgerufen und von Angestellten zu ihren Zimmern gebracht.

Einer nach dem anderen verschwand, die Eingangshalle leerte sich, bis schließlich nur noch wir Beide und zwei Koffer einsam herumstanden. Das Personal räumte die Gläser vom Begrüßungsumtrunk ab, stellte Tische und Stühle weg, beäugte uns misstrauisch. Als das Licht gelöscht wurde, erwachten wir aus unserer Schockstarre.

Der beste Ehemann von allen, der damals wohl noch nicht wusste, dass er es werden würde, sprach einen jungen Mann höflich auf Englisch an, erntete nur Schulterzucken. Einzige Möglichkeit zur Kontaktaufnahme schien die Glocke auf dem Tresen zu sein. Ein gefährlich dreinblickender fülliger Mann kam herangeschlurft, wir versuchten ihm zu erklären, dass wir einen Bungalow gebucht hatten, zeigten die Reiseunterlagen.
Als einzige Antwort kam: „No!"

Schließlich wurde die Diskussion etwas lauter, ein weiterer Herr in Anzug kam zu uns, erklärte, dass das Hotel voll sei, unser Aufenthalt storniert worden war.

Es war der 24. Dezember, 19.00 Uhr - und wir waren gestrandet in einer Hotelhalle in einem fremden Land mitten im Nirgendwo.

Irgendjemand schien schließlich Mitleid zu haben, erinnerte sich vielleicht an die Herbergssuche, dachte sich womöglich auch, dass zwei verschwitzte, todmüde Urlauber, die in der Lobby auf ihrem Gepäck saßen, nicht sehr gut auf die anderen Gäste wirken würden.

Eine halbe Stunde später fuhr ein Taxi vor, wortreich wurden wir überredet einzusteigen. Uns war zunehmend alles egal. Eine Entführung würde sich nicht lohnen, keiner unserer Verwandten verfügte über nennenswerte Reichtümer. Ein Mord nützte auch nicht wirklich jemandem.

Nach einer relativ kurzen Fahrt hielt der Fahrer vor einem Hotel - und uns fielen beinahe die Augen aus dem Kopf. Wir waren im weihnachtlichen Urlaubsparadies gelandet. Ein hell erleuchteter mit Girlanden geschmückter Hotelkomplex, eine Lobby, die aussah wie aus einem Märchen aus tausendundeiner Nacht, Marmor, Stuck, Kerzenlicht, wohin man sah.

Ein freundlicher Herr am Empfang befestigte das obligatorische All-inclusive-Bändchen an unseren Handgelenken, knöpfte uns 40 Dollar pro Person für das Weihnachtsdinner ab - was wir überaus gerne bezahlten -, ein Page brachte uns in unser Zimmer. Ein Traum aus Silber und Blau, dem Rauschen nach zu urteilen mit Meerblick vom Balkon.

Wir fielen uns in die Arme, und ich erschrak. Mein Mann glühte, taumelte leicht, legte sich freiwillig ins Bett, ertrug Wadenwickel und schluckte ohne Widerspruch Medikamente. Das Fieberthermometer zeigte knapp 40 Grad.
Ich saß an Heiligabend auf dem Balkon, lauschte den Wellen der Karibik, den glücklichen Stimmen derer, die am Weihnachtsbüffet schlemmten, der Tanzmusik - und leerte die Minibar. Zu meinem Glück waren die Fläschchen klein, und es gab auch Erdnüsse und Chips.

Am nächsten Morgen war der Anflug von „Reisefieber" bei meinem Mann vorbei, guten Mutes suchten wir den Frühstücksraum. Doch der gestern noch nette Herr am Empfang fing uns ab, erklärte, dass wir das Zimmer sofort räumen müssten, neue Gäste wurden erwartet.

Wir verstanden die Welt nicht mehr, gehorchten aber angesichts der schwergewichtigen Securitymänner, die die Lobby bewachten.

Dann saßen wir auf unseren Koffern in der Hotelhalle und warteten. Jemand vom Reiseveranstalter würde sich um uns kümmern, wurde uns versichert. Für unsere Ernährung fühlte sich niemand zuständig, so laut unsere Mägen auch knurrten.

Am späten Nachmittag tauchte wieder ein Taxi auf, lud uns ein und brachte uns ...... in das erste Hotel.

Als wir dann das Zimmer sahen, war uns klar, dass diese zwar großzügigen, aber total heruntergekommenen Räume nicht mehr für Gäste gedacht gewesen waren, aber irgendwo musste man uns ja schließlich unterbringen. Im riesigen Wohnraum gab es keine Fenster zum Schließen, als einzige Möblierung stand ein Ecksofa in der Mitte.

Im Schlafzimmer hing die Türe des Einbauschrankes nur noch an einer Angel, das metallene Bettgestell war verrostet, der Balkon von einem Baum im Garten zugewuchert.

Die Beschreibung des Bades erspare ich euch, zarte Seelen würden lebenslang geschädigt. Auf unserer energisches „NO" gab es nur ein Schulterzucken und ein „Sorry".

Wenigstens war Essenszeit, und wir aßen vorsichtig ein paar Kartoffeln und etwas Salat. Danach konnte wirklich nur noch Rum helfen, irgendwie mussten wir diese Nacht überstehen. Morgen würden wir mit dem Reiseveranstalter Kontakt aufnehmen oder mit unserem Freund, der das alles ja sicher vermasselt hatte oder mit unserer Familie, die einen Privatjet charterte oder mit der deutschen Botschaft, die uns hier herausholte.

Mit jedem Gläschen wurden die Pläne skurriler und das Problem kleiner.

Irgendwann hatten wir den Pegel erreicht, der uns nicht betrunken sein ließ, aber etwas weniger nüchtern.

Wir beschlossen, das Licht im Schlafzimmer nicht einzuschalten, dann würde es schon irgendwie gehen, ein paar Stunden Schlaf zu finden. Doch im Badezimmer klappte es ohne Licht nicht, die Zahnbürste und - pasta zu finden.

Triggerwarnung

Wer sich vor tierischen Mitbewohnern ekelt, sollte nicht weiterlesen.

Mein Blick fiel auf das abgeschrammte Waschbecken, während die elektrische Zahnbürste ihren Dienst tat. Schwarze längliche Würstchen lagen auf der Umrandung.

Ich hatte jetzt nicht wirklich Erfahrung mit einheimischen Haustieren in der DomRep, aber das gefiel mir nicht.

„Wenn wir Glück haben, ist es ein Gecko, wenn wir Pech haben, was wahrscheinlicher ist, teilen wir diese Räume mit mindestens einer Ratte!", erklärte ich meinem Mann.

Doch wir waren wirklich zu müde, um dieses Problem noch zu lösen, fielen in das, was wohl mal ein Bett gewesen war.

Kaum lag sein Kopf auf dem Kissen, war klar: Glück hatten wir nicht, und wir hatten auch das Zuhause der Tierchen ausgemacht. In der Matratze knabberte und knusperte es. Er zog etwas, das wohl ein Betttuch war, ab und ein Familienidyll bot sich unseren Augen. Eine Rattenmutter mit zwei Jungen hatte es sich gemütlich gemacht.

Ich bin sehr tierlieb, wirklich. Ich ekle mich nicht vor Spinnen, bringe sie immer ins Freie, damit wir sie nicht aus Versehen zertreten. Bienen und Wespen jage ich zur Terrassentüre hinaus. Ameisen halte ich einen Vortrag, dass meine Küche kein geeigneter Aufenthaltsort ist für ihresgleichen, bevor ich sie sorgsam aufsammle und in den Garten zu ihren Familien bringe. Schnecken vergifte ich nicht, ich teile meinen Salat schwesterlich mit ihnen, klaube nur hin und wieder ein paar ab und werfe sie ins Gestrüpp, das dem Igel ein Zuhause bietet. Was der dann mit ihnen macht, liegt nicht in meiner Verantwortung.

ABER! BEI! RATTEN! KAPITULIERE! ICH! VOR! ALLEM! WENN! SIE! IM! BETT! WOHNEN!

Sie können überall ein glückliches Leben führen, aber nicht in meiner Nähe.

Mein Mann, der das damals noch nicht war, schlüpfte in Jeans, machte sich auf den Weg zur Hotellobby, erklärte dem Nachtportier unser Problem. Der sah das relativ gelassen, schnappte sich seine Uzzi, wollte mit der Maschinenpistole unser Zimmer stürmen.
Ich bin sicher, der hatte mehr Rum intus als wir beide zusammen.

Ich stand indessen zitternd im Treppenhaus. Mein Mann konnte den Waffenmann überzeugen, dass es effektiver wäre, die Tiere über den Balkon zu vertreiben, über den sie wohl auch eingewandert waren. Wäre sicher auch etwas beruhigender für die anderen Gäste als eine Maschinenpistolensalve. Rambo stimmte zu und eine Stunde später war die Matratze tierfrei. Die Nacht verbrachten wir auf dem Sofa, am nächsten Tag wurde das Problem höchst elegant gelöst. Auf Matratze Nummer eins wurde einfach eine zweite gelegt.

Telefonate blieben erfolglos, es war der zweite Weihnachtsfeiertag.

An einem der nächste Tage erreichten wir endlich jemanden vor Ort, die Dame kam auch vorbei, besichtigte die Räume, die wir gezwungenermaßen bewohnten, zuckte aber mehr oder weniger nur mit den Schultern, versprach zwar, sich zu kümmern, wurde aber weder noch einmal gesehen noch gehört.

Irgendwie überlebten wir die zwei Wochen, ignorierten weitgehend stoisch die Ratten, die im Pool schwammen, die zwischen den Schüsseln mit Salat auf dem Boden der „Küche" umherliefen.

Vierzehn Tage Urlaub sind meistens zu kurz, zu schnell vorüber, in diesem Jahr schienen sie sich ins Unendliche zu dehnen.

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Ihr sagt: „Das war aber keine schöne Weihnachtsgeschichte!" ?

Doch, war sie. Denn als wir vollkommen gestresst unsere eigenen vier Wände wieder betraten, hatten unsere Familien das Haus weihnachtlich geschmückt, einen Christbaum aufgestellt mit Geschenkpäckchen darunter, Kartoffelsalat und Würstchen vorbereitet, Glühwein besorgt und Punsch gemacht.
Von letzterem ließen wir zwar die Finger, Rum hatten wir genug gehabt während der zwei Wochen. So wurde es bis heute unser schönstes Weihnachtsfest, auch wenn es am 8. Januar stattfand.


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